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Unter Freundinnen (2)

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Liebe Clara,

danke für das Manuskript. Es gibt erstaunlich viele Parallelen in eurer Kindheit. Zum Einen seid ihr beide Kinder von gebildeten weißen Eltern. Die überforderte Mutter, der Mangel in bzw. nach dem Krieg, die schlechte Ehe beider Eltern - all das betraf viele Familien in den USA und Deutschland. Wenn Eltern zu viel mit sich selbst zu tun haben, dann sind die Kinder einsam, vor allem als Einzelkinder. Was ich traurig finde: Beide wart ihr auch unter Kindern einsam. Ihr habt die in etwa Gleichaltrigen nicht gut verstanden, sie euch auch nicht. So konntet ihr bei den anderen Kindern nicht punkten.

Ähnlich ist auch der Mangel an Vermögen und Macht. Eure Eltern haben immer arbeiten müssen, um über die Runden zu kommen oder gar einen guten Lebensstil pflegen zu können. Politische oder wirtschaftliche Macht hatten beide Paare nicht. Klar war aber in beiden Familien auch: Durch Arbeit verdient man seinen Lebensunterhalt und kann die ökonomische und soziale Situation verbessern.

Beide Elternpaare standen – mehr oder weniger – links. Von dir weiß ich, dass du die Position übernommen bzw. weitergeführt hast, und wenn Björn ebenfalls in die Fußstapfen seiner Eltern getreten ist, gibt es bei entsprechenden Gesprächen wohl viel Übereinstimmung zwischen euch. Dass deine Gegenüber politisch nicht auf einem anderen Stern leben, ist, wie ich weiß, für dich sehr wichtig. Also ein weiterer Pluspunkt für eure Beziehung.

Die bedeutendste Parallele ist aber die Ähnlichkeit eurer Mütter. Die Mängel ihrer eigenen Kindheit haben die Ausprägung von Mütterlichkeit bei Louise und Annita gehemmt. Beide konnten für ihre Kinder nicht Gespielinnen sein, beiden fehlte Leichtigkeit im Umgang mit dem eigenen Nachwuchs. Hier nun aber wieder ein wichtiger Unterschied: Louise wollte ohne Not ihren Mann abhalftern, der sie liebte. Annita wurde nicht geliebt und machte sich aus Stolz von deinem Vater unabhängig, soweit es ihr möglich war. Vor dem Hintergrund dieses Unterschieds fällt mir umso stärker das Gemeinsame auf, das aus den unterschiedlich aufgelösten Liebesnöten folgt: Für beide Frauen waren ihre Kinder nicht der Mittelpunkt ihres Lebens, und deren Väter konnten (Finn) oder wollten (Leon) es nicht sein.

Du sprichst sehr früh die sexuelle Entwicklung an. Da kann man bei Björn ja geradezu von einer Traumatisierung sprechen – mal sehen, ob sich diese schrecklichen Erlebnisse auf sein Verhältnis zu Frauen ausgewirkt haben. Wobei man zugestehen muss, dass die Bundesrepublik zu jener Zeit nicht viel weniger prüde war – Doktorspiele galten vielen als sündhaft. Aber wenigstens von diesen Bewertungen bist du als kleines Mädchen verschont geblieben.

Bis bald

Marianne

Liebe Marianne,

ich glaube auch, dass die kindliche Einsamkeit etwas ist, was wir beide in uns tragen. Und dieses Gefühl von Einsamkeit kommt immer wieder. Es verstärkt die Unsicherheit, welche die Instabilität der Verhältnisse uns mitgegeben hat.

Dass bei unseren beiden Müttern der angeblich biologisch angelegte Mutterinstinkt nicht sehr ausgeprägt war, ist eine Übereinstimmung. Aber wie schwer hatte es meine Mutter, Sicherheit als Frau zu gewinnnen, im Vergleich zu Louise. Björn hat sich wohl eher an seinem Vater orientiert als an seiner Mutter. Und da war er ebenfalls mit Unsicherheit konfrontiert.

Was die sexuelle Entwicklung angeht, so scheinen mir nach Björns Erzählungen die USA in weiten Teilen noch bigotter gewesen zu sein als wir in Europa. Die heutige Prüderie und entsprechende Bewegungen bauen wohl darauf auf. Das wäre ein extra Kapitel wert. Ich will aber bei unserer Geschichte bleiben, daher gehe ich nicht weiter darauf ein. Was die Folgen für ihn waren, wirst du sehen.

Nächsten Mittwoch schicke ich dir das zweite Kapitel.

Herzlich

Clara

Späte Begegnung

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