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Iladrias Fluch

Preis der Finsternis

Texte: © Copyright by Mirko Lehr

Umschlaggestaltung: © Copyright by Giovanni Braggs

Verlag:

Mirko Lehr

Odenwaldstr. 52

64823 Groß-Umstadt

Druck: epubli – ein Service der neopubli GmbH, Berlin

Für Michaela

Es war die Überheblichkeit der Menschen, die die Welt fast vernichtete.

Lange hatten sie den Einen, den neuen Gott verehrt,

doch die Alten nie vergessen.

Der letzte Kaiser, in seinem Wahn selbst ein Gott,

tilgte den Namen des Einen

und glaubte über den Alten zu thronen.

Der Eine, der Verschmähte, eines Namens und seiner Tempel beraubt, zürnte.

Vom Wahn geleitet zog der letzte Kaiser aus.

Vom Ruhm geblendet folgten ihm Heer und Klerus.

Sogar die mythischen Helden folgten dem Ruf des Irrsinns.

Sie besiegten den Einen,

doch seine Rache war fürchterlich.

Er stoppte den Lauf der Welt.

Tag und Nacht wechselten sich von nun an nicht mehr ab.

Eine Seite war gefangen im Tag, die andere in der Nacht.

Eine Hälfte des größten Reiches aller Zeiten verbrannte zu Staub,

die andere versank im Eis.

Die Völker der Welt vergingen.

-Überlieferung einer Erzählung von Unios

Der Wanderer

Solesgaard, im Jahr nach dem Tod des Einen 14707

Inferno – Kein anderes Wort könnte es besser beschreiben und selbst dieses ist zu schwach.

Die Solgardisten, mit ihrem fanatischen Glauben an ihre Laserwaffen und solarbetriebenen Fahrzeuge, fielen wie die Asche vom Himmel.

Wo war ihr Sonnengott nun? Nun, da der Himmel dunkel war vom Staub der Nuklearexplosionen.

Die Panzer krochen sterbend voran, lechzend nach den letzten schwachen Strahlen energiebringenden Lichtes. Wer hätte je gedacht, dass in einem Land ewigen Tages die Sonne nicht mehr scheinen würde?

Im Visier meines Helmes gesellt sich plötzlich zu der permanent blinkenden Warnung über lebensbedrohliche Mengen radioaktiver Strahlung ein Kollisionsalarm.

Mit einem Atemzug bin ich eins mit meinem Gott, eins mit der Zeit. Während sich die Welt um mich herum eine Pause gönnt, reiße ich meine Waffe senkrecht nach oben. Ich starre in ein weit aufgerissenes Maul mit spitzen, langen Zähnen, das sich langsam nähert.

Ich sehe den Mündungsblitz, die Druckwellen und mein Projektil, das sich kreisend senkrecht nach oben durch die Luft schraubt und sich in den hässlichen Schädel meines Angreifers bohrt. Langsam, anmutig zerplatzt der Kopf der Kreatur. Blut und Gewebe formen ein surreales Kunstwerk, welches langsam expandiert. Ich wundere mich, wie mein Gehirn in diesem Moment, an diesem Ort Ästhetik empfinden kann, schließlich…

Schmerz lässt meinen Körper brennen. Ich falle vornüber in den radioaktiven Staub. Die wild blinkende Warnmeldung im Display meines Helmes, scheint kurz vor einem Infarkt zu stehen. Ich frage mich, wie lange die Filter in meiner Atemmaske noch standhalten.

Mühsam hieve ich mich auf die Beine. Ich habe die Gunst des Herren der Zeit mehr als überbeansprucht, von meinem Körper ganz zu schweigen.

Primitive bleierne Projektile prallen wirkungslos gegen meine Rüstung. Ich reiße beide Pistolen hoch, stelle sie mit einem Gedanken auf Dauerfeuer und bestreiche im 60° Winkel vor mir alles was nicht auf diese Welt gehört.

Meine Feinde fallen zahlreich in den Staub – Zumindest einen kurzen Augenblick. Zu der so vertrauten Strahlungswarnung gesellt sich der informative Hinweis, dass keine Projektile mehr in meinen Magazinen sind. Ob die Hersteller dieser Waffensysteme der Meinung sind, man würde das Fehlen der Kugeln ohne eingeblendete Nachricht nicht bemerken?

Ich stoße die Luft aus den Lungen. Warum muss am Ende der Munition noch so viel Feind übrig sein?

Mein Blick gleitet in den düsteren Himmel. Die schwarzen Wolken lassen hier und da ein schwaches, rotes Glimmen der verschleierten Sonne zu. Es scheint, als habe der Himmel gebrannt und die sterbende Glut flackert ein letztes Mal auf, bevor sie für immer erlischt.

Genaugenommen hat der Himmel gebrannt und nun liegt er wohl wirklich im Sterben.

Ich senke die Arme, schließe die Augen und atme langsam und ruhig. Mein Ende ist das Ende meiner Welt. Wer will schon seine Welt überleben?

Etwas reißt mich nach hinten.

Wild mit den Armen rudernd, kann ich mich auf den Beinen halten. Ich blicke in das reich verzierte Visier eines Lichtbringers.

„Die Priester suchen Euch. Wir halten sie auf.“

Mit dieser knappen Anweisung stapft er zurück in den Schildwall.

Ich habe nie verstanden, warum man grundlos einem Kodex folgt, der einem den Gebrauch von Schusswaffen verbietet. Doch als ich die flammenden Plasmaschwerter durch die Luft zischen sehe und die markerschütternden Schreie der sterbenden Feinde vernehme, bin ich äußerst erleichtert auf dieser Seite des schwer gepanzerten Walls aus archaischen Kriegern zu sein.

Ich kehre der Front den Rücken und renne los. Meine geleeartigen Beine stolpern sich über den unebenen Boden.

Ich renne an Leichen vorbei, ausgebrannten Fahrzeugen und Panzern, die von ihrer Besatzung verlassen wurden, weil die Batterien leer sind – Leer wie meine.

Nachdem ich den größten Teil der Strecke wie in Trance gelaufen bin, ich schätze mein Körper hatte alles abgeschaltet was nicht dem Laufen dient, erreiche ich mein Ziel. Erstaunt stelle ich fest, dass ich unterwegs eine Plasmalanze aufgesammelt habe.

Sechs der mächtigsten Priester meines Ordens blicken mich an.

„Wir haben dich erwartet, schnell. Wir haben keine Zeit zu verlieren.“

Ich nicke und folge der einladenden Handbewegung. Priester denken – Wir handeln.

Wie befohlen, stelle ich mich in den imaginären Kreis, den die sechs bilden. Sie beginnen mit einem Ritual, einem... Was haben die vor?

Der Rädelsführer blickt mich an. Er wirft mir eine kleine Tasche zu.

„Verhindere das Ende der Welt.“

Was?

Ich?

Wie?

Alles wird schwarz.

Ich versuche die Augen zu öffnen, doch gleißendes Licht blendet mich. Ich bin also noch auf der Tagseite, aber wo? Oder vielleicht sollte ich fragen, wann?

Die Sonnenstrahlen streicheln meine Haut. Als sich mein Bewusstsein durch den Schleier des Schlafes kämpft, merke ich wie etwas an meiner Nase kitzelt. Ich öffne mühsam ein Auge und sehe verschwommen eine kleine weiße Feder mein ganzes Blickfeld erfüllen.

Ein kurzes Schnauben und die freche Daune segelt von dannen.

„Aufstehen, Hoheit. Ihr habt schon zu lange im Bett gelümmelt.“

„Hmmmm.“ Mehr kriege ich in meiner derzeitigen Verfassung nicht zustande. Dass einen der Schlaf immer so eisern halten will, sich immer weigert einen ins Licht zurückzulassen.

Ich setze mich im Bett auf und strecke meine Arme. Knackend begrüßen meine Gelenke die Sonne.

Kaum hörbar schiebt Maldia einen Vorhang nach dem nächsten beiseite. Ich wundere mich immer, warum so schwerer, dicker Stoff so wenig Geräusche von sich gibt.

Ich blicke zum nächsten freien Fenster.

Die Strahlen der Sonne wärmen meine Haut und bringen das Leben zurück in meinem Körper. Nur ein paar Augenblicke und ich bin wieder die überdrehte, quietschlebendige Prinzessin, für die mich jeder hält – Zu Recht.

Ich hüpfe aus dem Bett, lasse beiläufig mein Nachtgewand zu Boden gleiten und betrachte mich im großen Kristallspiegel.

„Maldia, bin ich hübsch?“

„Ja, Hoheit. Sehr hübsch.“ Ihr Ton verrät wie sehr sie diese Frage nervt, während sie mir in mein Unterkleid hilft. Ich entschließe mich nicht locker zu lassen.

„Du klingst, als meintest du es nicht ernst.“

„Hoheit, Ihr stellt mir diese Frage jedes Mal nach dem Aufstehen, seitdem Ihr das erste Mal mit den ersten Ansätzen von Brüsten aufgewacht seid.“

Ich lache trällernd. „Das stimmt nicht, solange tu ich das gar nicht. Oder doch?“

„Doch, Hoheit, tut Ihr.“

„Aber ich höre es so gerne, wenn du sagst, dass ich hübsch sei.“

„Würdet Ihr Euch endlich mehr für die Männer interessieren, würden die Euch den ganzen Tag lang sagen, wie unglaublich schön Ihr seid.“

„Danke.“

Maldia verzieht das Gesicht und ich merke, dass ich wohl oder übel auf die Männerfrage eingehen muss.

„Weißt du, dass mit den Männern ist so eine Sache.“

„Inwiefern?“

„Na ja, sie sind so schrecklich haarig und außerdem, wenn ein Mann sagt, du bist schön, tut er das nur, weil er mit unter deine Decke will.“

„Und was ist daran so schlimm?“

„Es ist meine Daunendecke. Ich lass mir mein Bett doch nicht vollhaaren.“

„Und was ist mit Belvi?“

Genau, wo ist er?

„Belvi, Belvi, mein Süßer, wo bist du?“

Unendlich putzig tapst mein kleiner Liebling aus seiner Holzhütte, die eine Miniatur des Schlosses darstellen soll. Ich fand sie nie gelungen, aber Vater hatte sie mir zum sechsten Geburtstag zusammen mit Belvi geschenkt und so sage ich immer brav, dass die Hütte genauso aussieht wie das Schloss.

Völlig verschlafen reibt sich mein kleiner Belvi die Augen, während er vorwärts torkelt und nur deshalb nicht umfällt, weil er so riesige Füße hat. Ich eile ihm entgegen, rutschte auf den Knien eine Handbreite auf ihn zu und drücke ihn an meine Brust.

Belvi schmiegt sich an meinen Busen und die großen Füße pochen leicht gegen meinen Bauch, als er vor Freude in meinen Armen strampelt.

Meine Wange schmiegt sich an sein kuscheliges Fell und er macht diese knuffigen, halb schnurrenden, halb grummelnden Geräusche, typisch für Wesen seiner Art, wenn sie sich wohlfühlen.

Maldia räuspert sich hinter mir und ich merke, dass ich (mal wieder) weg geeilt war, bevor ich fertig angezogen bin.

Entschuldigend lächelnd, stelle ich mich brav an meinen Platz zurück und lasse das Anziehritual über mich ergehen.

Ich beobachte amüsiert Belvi, wie er sich in den riesigen Ohren pult und noch immer schlaftrunken ins Nichts starrt.

Meine Unaufmerksamkeit bestraft Maldia augenblicklich, in dem sie mit voller Kraft an den Schnüren meiner Korsage reißt. Geräuschvoll wird die Luft aus meinen Lungen gepresst.

„Zu fest, Hoheit?“

„Nein, überhaupt nicht“, presse ich scherzhaft zwischen den Zähnen hervor.

Ich liebe Maldia, die so viel mehr für mich ist als eine Zofe. Sie ist eher eine Mutter, nicht im biologischen, aber im seelischen Sinne. Sie ist die, die mich seit je her hegt und pflegt und immer für mich da ist. Maldia, die selbst keine Kinder hat, betrachtet mich auch als ihre Tochter, auch wenn sie es niemals zugeben würde.

Fertig angekleidet drehe ich mich zu ihr um. Sie blickt mir grimmig ins Gesicht. Ich strahle sie an, gebe ihr einen dicken Schmatz und husche auf den Balkon.

Solesgaard – Die Stadt meiner Geburt, meine Heimat, meine Liebe. Die immerwährende Sonne funkelt auf dem weißen Stein, betont jede kunstvoll gehauene Freske, jedes Geländer, jede Treppenstufe. Diese Stadt ist mehr als nur eine Ansammlung von Häusern, es ist ein Wesen, ein Wesen, das uns alle beherbergt, uns Schutz und Geborgenheit gibt, uns nährt und behütet. Ein reines, weißes Wesen, strahlend wie die Sonne selbst.

Die Häuser in Solesgaard sind alle aus weißem Stein gebaut und mit bunten Holiten bemalt, Lobpreisungen an die Sonne. Unsere Stadt ist stärker in die Höhe gebaut als sonst irgendeine. Manche Gebäude ragen 30 oder sogar mehr Schritt in die Höhe, andere Gebäude sind übereinander gebaute Häuser, sodass mancher Hauseingang in Schwindelerregender Höhe liegt, aber das ist hier normal. Wir sind die Kinder des Lichts, Söhne und Töchter von Himmel und Erde, wir kommen aus der Erde und streben dem Himmel, der Sonne entgegen.

Ich blicke die Lebensspenderin an oder den Lebensspender – Solestra, Holios, Lukton und viele Namen mehr, gab man unserer Sonne, meiner Namensgeberin.

Solestila, die kleine Sonne – Das ist mein Name und ich versuche ihm jeden Tag gerecht zu werden.

Mein Blick streift über die Straßen und Brücken. Die wenigsten Brücken in Solesgaard überspannen den Uniom, benannt nach Unios, dem Gründer unserer Gesellschaft, sondern verbinden die weiter obenliegenden Gebäude mit anderen, sodass man fast die ganze Stadt durchlaufen kann ohne einen Fuß auf den Boden zu setzen.

Diese Stadt ist, und daran hege ich keinen Zweifel, die schönste der Welt.

Weit unten durch die Straßen außerhalb des Palastes, marschiert ein Trupp Lichtbringer, die Streiter Unios’. Sie sind diejenigen, die dafür sorgen, dass sich keine Feinde des Lichts in Solesgaard breitmachen. Ich habe das nie verstanden. Wie kann man nicht die Sonne anbeten? Wie kann man nicht Unios dankbar sein, dass er unsere Vorfahren auf die Seite des Lichtes geführt hat? Manche Wesen bleiben mir auf ewig ein Rätsel.

Die blankpolierten Rüstungen funkeln in der Sonne und lassen die Streiter erscheinen, als seien sie Teil der Sonne. Man sagt ihre Rüstungen seien von der Sonne selbst gesegnet und unzerstörbar, ob das stimmt weiß ich nicht, aber sie tragen auf alle Fälle noch ihre veralteten, breiten Schwerter und die runden, stählernen Schilde, auf denen eine strahlende Sonne aus Blattgold prangt.

Heutzutage benutzen unsere Soldaten ausschließlich schlanke elegante Schwerter und seit neuestem etwas, das sich Muskete nennt. Mich faszinieren die Lichtbringer, sie scheinen ewig zu sein, unberührt vom Wandel der Zeit.

„Hoheit?“

Ich drehe mich wirbelnd um und lasse meine langen goldenen Haare fliegen.

„Ja?“

Der fragende Blick Maldias scheint mir vermitteln zu wollen, dass ich etwas tun sollte. Ich blicke fragend und unglaublich unschuldig zurück.

„Der Empfang des Botschafters?“

Ei verflucht, da war was.

Ich strahle hinreißend und schwebe aus dem Raum, als ob alles genau so abgelaufen wäre, wie ich es gewollt habe, natürlich schüttelt Maldia nur den Kopf.

Der Nekromant

Maaskwulln, im Jahr nach dem Tod des Einen 9335

Iallyn rannte die Hauptstraße seiner Heimatstadt entlang. Der Schnee war durch die vielen Füße platt getreten und durch die ganzen ausgeleerten Schlaftöpfe braun gefärbt. Es stank in den Straßen.

Iallyn war genauso schmutzig wie die Straße, aber das störte ihn nicht. Er war ein Straßenkind – Straßenkinder waren nun einmal schmutzig. Seine eigentlich schwarzen Haare, waren braun-grau vom Dreck, verfilzt und voller Läuse. Doch der Junge hatte wache, grüne Augen, die aus seinem schmutzigen Gesicht herausstachen.

Maaskwulln war eine kleine Stadt, voller Holzhütten, in denen Bergleute und Bauern wohnten. Mehr Bergleute als Bauern, denn mit dem Anbau von Mondpflanzen konnte man wohl nicht so viel verdienen.

Es gab in ganz Nirrohnjask nur ein paar Städte, die waren alle so groß wie Maaskwulln, mit Ausnahme der Hauptstadt natürlich. Das wusste der kleine Straßenjunge aber auch nur aus Erzählungen.

Iallyn hatte seine Eltern nie gekannt. Er war in einem kleinen Waisenhaus am Rande der Stadt aufgewachsen. Dort hatte es immer zu viel Prügel und zu wenig zu essen gegeben. Irgendwann hatte sich seine Wut auf alles und jeden entladen und er hatte das Waisenhaus angezündet. Zumindest hatte er es versucht. Groß war der Schaden damals nicht gewesen, aber man hatte ihn des Hauses verwiesen.

Seitdem hatte sich Iallyn auf der Straße alleine durchgeschlagen. Er mochte sein Leben in Freiheit, hatte er Hunger, klaute er sich was, war er müde, legte er sich in einen Stall. Die Straße war viel besser als das Waisenhaus – Auf der Straße konnte man vor den Prügeln davonlaufen.

Als er um eine Ecke bog rannte er in Jemanden. Mit seinen acht Jahren war er zu leicht, um sein Gegenüber ins Straucheln zu bringen. Er aber prallte ab und landete im Dreck. Instinktiv riss er die Arme hoch, um sich vor der Dresche, die ihm nun unweigerlich blühte, zu schützen. Doch der andere schlurfte einfach weiter.

Iallyn erblickte die schweren Balken, die sein Gegenüber trug und seufzte erleichtert auf.

„Bloß ein doofer Arbeitszombie.“

Er sprang auf die Füße, trat dem Untoten mehrmals ins Gesäß und verhöhnte ihn. Der Zombie zeigte wie gewöhnlich keinerlei Reaktion und stapfte ungerührt weiter.

Lachend setzte der Junge seinen Weg durch die Straßen fort. Er hatte kein Ziel, erfreute sich nur den silbrigen Strahlen des vollen Mondes.

Man hatte ihm mal erzählt, dass es auf der anderen Seite des Meeres, Iallyn wusste nicht genau was das war, wohl ein großer, nicht gefrorener See, ein Land gäbe, wo die Sonne scheint. Iallyn hatte damals gefragt, was eine Sonne sei. Man hatte ihm erklärt, dass diese wie der Mond war, nur viel, viel heller – So hell, dass man ohne Kerzen lesen könne. Iallyn konnte mit oder ohne Kerzen nicht lesen, daher ließ ihn diese Geschichte ziemlich kalt. Obwohl er schon neugierig war, wie diese Sonne wohl aussah.

Vor ihm sprangen Leute beiseite und reflexartig tat er es ihnen gleich. Kurz darauf preschten sieben Reiter um eine Hausecke. Unweit von Iallyn entfernt hielten sie an. Er kannte die Reiter, es waren Graf Ravenal und seine Todesritter.

Iallyn wusste nicht viel über ihn, er war wohl ein enger Berater des Königs und ein großer Nekromant.

Der Straßenjunge verfolgte mit großen Augen die eindrucksvollen Gestalten – Schwarze Pferde, schwarze Rüstungen, ein schwarzer Rabe auf der Schulter des Grafen. Zugegebenermaßen hätten die Pferde auch braun sein können, ohne Kerzenlicht war das schwer zu unterscheiden.

Lässig stieg der Adlige von seinem Hengst, woraufhin sein Rabe kurz aufflatterte, bevor er sich wieder auf die schwarze Plattenrüstung setzte, die den gesamten Körper des Grafen bedeckte. Zwei seiner untoten Wächter stiegen ebenfalls ab, während sich die anderen im Halbkreis vor dem Haus postierten. Erst jetzt bemerkte Iallyn, dass er vor dem Rathaus stand. Vermutlich wollte der Graf mit dem Stadtvogt sprechen.

Der kleine Junge betrachtete die riesigen Todesritter auf ihren noch viel größeren Pferden und wusste, dass er um alles auf der Welt auch ein Nekromant sein wollte.

Der Wächter

Ein kleines Dorf, im Jahr nach dem Tod des Einen 9334

Er war riesig – kein Kind. Genauso wie er, hatten sie gesagt, aber das stimmte nicht, es stimmte ganz und gar nicht. Yorin wollte weglaufen, doch die liebevollen Hände seiner Mutter ruhten bestimmend auf seinen Schultern.

„Siehst du, er ist noch ein Kind, genau wie du.“

„Ein Kind?“ Yorins Stimme zitterte. „Er ist fast so groß wie ein Pferd, ganz viel größer als ich.“

„Er ist ja auch ein Schriikar. Hab keine Angst, er ist ganz lieb und du wirst sehen, ihr werdet bald die besten Freunde sein.“

Freunde? Yorin konnte sich nicht vorstellen, warum ein Wesen wie dieser Schiika, oder wie auch immer, sein Freund sein wollte.

„Lerne ihn ein bisschen kennen, und dann musst du ihm einen Namen geben.“

„Warum ich?“

„Weil du sein Reiter sein wirst.“

Reiten? Yorin wollte ihn nicht anfassen und auf gar keinen Fall wollte er auf seinen Rücken klettern.

„So, jetzt lass ich euch allein, spielt schön.“

Yorin erstarrte – allein mit diesem riesigen Tier? Niemals hatte er in seinem Leben solche Angst verspürt – Gut, er war auch erst sechs, aber dennoch, er war sich sicher, dass man mehr Angst nicht haben konnte.

Als das Scheunentor schloss, wollte der Junge sich am liebsten in Luft auflösen, einfach verschwinden.

Eine Weile geschah nichts, dann setzte sich der Schriikar langsam in Bewegung. Die Düsternis der Scheune hatte viel im Halbdunkel verborgen, doch als er näherkam, sah der Junge den langen Schädel mit dem gewaltigen Maul, den langen, geschwungenen Reißzähnen und er sah die Augen des Wesens. Diese Augen waren seltsam Furcht einflößend und sie schienen bis in Yorins Herz zu blicken.

Der Junge rannte und schrie. Er wollte weg, weit weg. Erstaunlich leicht öffnete er das schwere Scheunentor einen Spalt und zwängte sich hindurch. Doch kaum hatte er die Scheune verlassen, packte ihn der starke Arm seines Vaters.

„Wohin willst du?“

Die tiefe Stimme grollte und Yorin wusste nicht, wovor er sich nun mehr fürchtete, vor dem Blick des Monsters oder dem Zorn seines Vaters.

Der kleine Junge sagte nichts, er weinte nur.

„Du wirst da wieder hineingehen, und mach ihm keine Angst mit deinem Geschrei!“

Angst? Warum sollte ein Tier, das größer war als ein Bär und ganze Kühe fraß, Angst vor ihm haben? Yorin bemerkte, wie seine Mutter begann beruhigend, erst dachte Yorin auf ihn, doch lächerlicherweise auf das Tier einzureden.

Der Vater packte ihn hart an beiden Armen. Es tat ihm weh, doch Yorin sagte nichts.

„Ich habe diesen Schriikar... gefunden und seit diesem Tag hege und pflege ich ihn, damit aus dir einmal etwas Besseres wird als ein Bauer.

Ich kann ihn nicht reiten, er ist noch zu klein, aber wenn du ein Mann bist, wird er stark genug sein und dann wirst du ihn reiten.“

„Und wenn ich nicht will?“

Hart schlug die Hand des Vaters gegen Yorins Wange.

„Du tust was ich dir sage.“

Yorin fiel auf den Boden der Scheune. Er wischte sich die Tränen aus dem Gesicht und hörte wie das Tor zuschlug und der Riegel in seinen Halter krachte. Dumpf vernahm er die wütende Stimme seines Vaters, die davon kündete, dass er erst rausgelassen würde, wenn er sich mit dem Schriikar angefreundet hatte.

Der kleine Junge blickte erneut in die Augen des Wesens und verkroch sich in der hintersten, dunkelsten Ecke der Scheune. Das Tier legte sich nieder und schien zu dösen. Yorin ließ ihn keinen Moment aus den Augen.

Erschrocken riss der Junge die Augen auf. Der Schika oder wie er hieß, lag da wie zuvor. Yorin fror, nicht weil es kalt war, es war ja immer gleich warm, sondern weil er Angst hatte, oder vielleicht weil er gerade aufgewacht war. Der Junge wusste es nicht genau. Er klaubte sich etwas Stroh zusammen, was der Schiba oder Schika irgendwie gleichgültig beobachtete und der Junge verkroch sich schnell wieder. Das Kind deckte sich mit dem Stroh notdürftig zu und beobachtete weiter das gewaltige Wesen.

Yorin versuchte über seine Situation nachzudenken. Er wollte seine Eltern nicht enttäuschen, er liebte sie über alles, aber er hatte doch so schreckliche Angst. Ob der Schiba, hieß er überhaupt so, auch Angst hatte? Vielleicht, er war schließlich immer in dieser dunklen Scheune – Oder doch nicht immer? Manchmal ging Vater nach dem Schlafmahl noch einmal aus dem Haus. Ging er dann zu dem Tier und ließ ihn im Freien spielen?

Yorin erwachte, als das Scheunentor geöffnet wurde. Vater begrüßte das geflügelte Monster liebevoll, wie er es mit seinen anderen Tieren auch tat.

Als er mit dem Kraulen fertig war, bedachte er seinen Sohn mit einem bösen Blick. Yorin sah beschämt zu Boden.

„Du wirst nun immer hier schlafen, bis du dich mit ihm angefreundet hast.“

Die Magierin

Myragon, im Jahr nach dem Tod des Einen 9335

Der eine Teil ihres Geistes sog das Wissen, das ihre Augen viel zu langsam aufnahmen, ein, während der andere das Wissen mit viel zu großer Verzögerung anwendete.

„Ilahja! Ilahja!“

Das Mädchen schreckte hoch.

„Mutter, ich habe Euch nicht gehört.“

„Das war offensichtlich.“

Sofort stand Ilahja auf und präsentierte sich ihrer Mutter, wie man es von einer jungen Dame ihres Standes erwarten konnte.

Sie beobachtete ihre Erzeugerin, wie diese langsam durch den Raum streifte und sich vordergründig nicht um ihre Tochter kümmerte. Die Mutter blickte aus dem Fenster.

Ilahja war mit ihren zwölf Jahren, ihrer Meinung nach, schon sehr erwachsen, aber die meisten anderen teilten diese Meinung nicht.

„Dein Vater und ich schätzen deinen Ehrgeiz beim Erlernen der Magie, doch gibt es mehr um das man sich kümmern muss.“

Die Mutter blickte Ilahja in die Augen. „Geh hinaus spielen. Bald bist du alt genug für die Akademie, dann kannst du dich ganz deinen Studien widmen. Bis dahin musst du erst einmal lernen ein Kind zu sein.“

„Wie Ihr wünscht, Mutter.“

Ilahja verbeugte sich und schritt nach draußen. Sie verehrte ihre Eltern und befolgte jeden Wunsch, auch wenn sie den einen oder anderen nicht verstand.

Sie verstand nicht, warum man sich mit Musik beschäftigen musste, aber sie tat es. Ihr Lehrer lobte ihre Perfektion aller technischen Aspekte, doch bemängelte er, dass nichts ihrer Seele in ihre Musik floss. Warum auch? Es war Zeitverschwendung.

In der Poesie war es nicht anders. Ihr Lehrer lobte ihr perfektes Versmaß, doch bemängelte fehlende Hingabe. Warum auch? Dichtung war Zeitverschwendung, nutzlose Albereien, ohne wirkliche Funktion.

Magie war anders. Ilahja wusste, sie war für die Magie geboren. Mit der Magie konnte man alles tun, alles.

Das einzige, was das Mädchen neben der Magie begeistern konnte, war die Malerei. Natürlich nicht die Art, die man von ihr erwartete. Ihr Lehrer lobte ihre Pinselführung, doch kritisierte, dass ihr Herz nicht auf der Leinwand widerhallte. Das stimmte, aber nur zum Teil. Denn in ihrem Zimmer waren viele Bilder, die niemals jemand gesehen hatte. Sie waren nicht mit Pinseln und Farben, sondern mit Magie gemalt. Ilahja hatte versucht das elementare Geflecht der Welt festzuhalten, doch gelang es ihr noch nicht richtig – noch nicht.

Sie trat ins Freie und entdeckte die anderen Kinder, die sich vergnügt sinnlosen Spielen hingaben.

Es wurmte Ilahja, dass niemand verstand, dass sie ihrem Alter so weit voraus war. Diese Spiele, das Geschrei, das Herumgerenne konnte sie nicht verstehen. Sie empfand dies als albern und kindisch.

Ilahja bat höflich an den Spielen teilhaben zu dürfen, führte jedes Spiel, den Regeln entsprechend, mit höchst möglicher Präzision aus und gratulierte ihren Mitspielern, errangen diese Punkte oder gewannen eine Runde. Doch ein Teil ihres Bewusstseins war mit der Analyse magischer Formeln beschäftigt, irgendein Teil ihres Geistes war das immer. Wann immer sie konnte, setzte sie all ihre geistige Kraft dazu ein.

Magie war ihr Leben, ihr Leben war Magie.

Die Gläubige

Kloster Sternenfels, im Jahr nach dem Tod des Einen 9336

Das Heu kitzelte an den nackten Beinen, was die ohnehin schon überdrehten Mädchen zu heftigem Kichern brachte.

„Schsch. Sie hören uns noch“, mahnte Devora an, doch konnte sie selbst nicht aufhören zu glucksen. Die beiden Mädchen kletterten kichernd und feixend den Strohhaufen empor, bis sie aus der Dachluke der Scheune spähen konnten.

Oft kamen sie hier her und beobachteten die Jungen bei ihren Übungen. Es waren Kampfübungen mit Holzschwertern, Schilden und gepolsterten Lanzen.

Im Schein der Fackeln kämpften die Burschen gegen drehbare Holzgestelle, gegeneinander oder droschen auf Strohpuppen ein. Es war eine wunderbare Abwechslung zum tristen Klosteralltag.

„Siehst du den Blonden da, der kriegt bestimmt wieder was auf die Fresse.“

„Klar, kriegt er doch jedes Mal“, stimmte Ascheela zu. „Ich habe mal ein Gespräch zwischen Mutter Orahna und Vater Thurim belauscht, da sagte der Vater, dass von allen, wenn überhaupt, es nur einer schafft Glaubenskrieger zu werden. Meistens schafft es keiner.“

Devora blickte Gedanken versunken auf die übenden Jungs und hörte kaum, was Ascheela ihr erzählte. „Eines Tages werde ich auch ein Glaubenskrieger sein.“

Ascheela starrte ihre Freundin einen Moment fassungslos an und brach dann in schallendes Gelächter aus.

„Du? Du bist ein Mädchen, du kannst kein Krieger werden.“

Devora war gekränkt. Sie kletterte wortlos den Speicher hinab, während sich Ascheela auf dem Stroh wälzte und Tränen lachte.

Die junge Novizin schritt wütend über den Klosterhof, der Schnee knirschte unter ihren Füßen. Die kleinen Holzbretter, die mit Stofflumpen um ihr Füße gebunden waren, machten ein wütendes Stapfen sehr schwierig. Normalerweise wäre dies einer der Momente gewesen, in denen sie sich darüber beklagen würde, noch keine richtigen Holzschuhe zu haben, da ihre Füße noch wuchsen und das Kloster erst ausgewachsenen Novizen Holzschuhe gab. Doch in diesem Moment war ihr das egal.

Warum konnte sie kein Glaubenskrieger werden? Manche der Jungs stellten sich so doof an, das konnte sie besser.

Die Wut beflügelte sie und sie fasste sich ein Herz. Mit neuem Elan und einer geradezu göttlichen Zuversicht, schritt sie auf die Unterkunft von Vater Thurim zu.

Als sie die Tür erreicht hatte, konnte sie schon Ascheelas dummes Gesicht sehen, wenn sie erst einmal mit den Jungs im Hof übte.

Sie klopfte. Eine tiefe Stimme bat sie herein.

Mühsam schob das elf jährige Mädchen die schwere Tür auf.

Sie verneigte sich und trat ein.

„Hallo, mein Kind, was kann ich für dich tun?“

„Vater, ich möchte auch ein Glaubenskrieger werden.“

Der Vater bemühte sich, doch konnte er ein Lachen nur mühsam unterdrücken. Immer wieder zuckten seine Mundwinkel nach oben und seine Bauchmuskeln bebten. Die giftigen Blicke des Mädchens halfen ihm, sich dann doch zu fangen.

„Du bist ein Mädchen.“

„Ja und?“

„Frauen werden Priesterinnen oder Nonnen. Männer werden Glaubenskrieger oder Mönche.“

„Es gibt auch Priester, richtig viele sogar.“

„Das stimmt.“

„Also muss es auch Glaubenskrieger...innen geben.“

„Glaubenskrieger sind Streiter der Götter, sie kämpfen mit Schwert und Schild, das ist nichts für Frauen.“

„Wieso?“

„Frauen sind zu schwach. Ein Schwert aus Stahl, ein dickes Eichholzschild wiegen mehr als sie heben können. Ich kann es nicht heben.“

„Ihr seid ja auch schon alt, außerdem sagtet Ihr mal, der Schild eines Glaubenskriegers ist sein Glaube. Glauben habe ich.“

Immer noch durch die dreiste Aussage über sein Alter, welches er als gar nicht so hoch empfand, aus dem Konzept gebracht, sammelte sich der Klostervorsteher.

„Ja, du hast Glauben und Mut. Du wirst eine wunderbare Priesterin werden, die den Göttern stets gefallen wird und nun husch zur Abendmesse.“

Mit einem letzten vernichtenden Blick wandte sich das Mädchen ab und schritt hinaus. Maßlos enttäuscht und wütend auf alle Männer dieser Welt, schlurfte die kleine Novizin zum Gebetsraum.

Die Sterne funkelten am Himmel.

Es war die Zeit, in der der Mond auf der Tagseite weilte. Anhänger und vor allem Geweihte der Mondgöttin fürchteten diese Zeit. Devora liebte sie.

Ohne das Licht des Mondes konnte man alle Sterne funkeln sehen, auch die kleinsten und schwächsten unter ihnen.

Der Blick der jungen Novizin fiel über das Kloster. Schwarz und unheimlich ragten die Mauern empor.

Devora war, wie viele andere, als Säugling vor der Tür abgelegt worden. Mütter, die zu wenig Nahrung besaßen, um ihre Kinder stillen zu können, taten dies oft – So hatte man ihr gesagt. Sie wollte dies auch glauben. Sie stellte sich eine junge, schöne Frau vor, die weinend durch den Schnee stapfte, ein schreiendes Bündel im Arm. Mit zitternder Hand legte sie das Bündel vor die Tür, behutsam, liebevoll. Sie wollte ihr Kind nicht hergeben, aber sie musste. Sie konnte es nicht ernähren und musste, auch wenn ihr Herz brach, aus Liebe ihr Kind dem Kloster überlassen. So war es gewesen, da war sich Devora ganz sicher.

Bei ihr war es nicht so gewesen, wie das eine Mal, als eine stinkende Frau ins Kloster gestürmt war, ihr schreiendes Kind lieblos einem Mönch in den Arm gedrückt hatte und geschrien hat: „Nehmt die Plage, sonst schmeiß' ich's in den Fluss.“

So war es bei ihr nicht gewesen. Ihre Mutter hatte Sie geliebt.

Tränen rannen dem Mädchen die Wangen herab.

Devora hatte sich nach dem erfolglosen Gespräch mit Vater Thurim, auch Mutter Orahna offenbart, mit ebenso geringem Erfolg. Mit Ascheela konnte Sie nun auch nicht mehr so unbeschwert sprechen, seitdem die vermeintliche Freundin sie so ausgelacht hatte.

Die Novizin wischte sich die Tränen aus dem Gesicht. Trauer um die Mutter, die sie nie gekannt hatte, Wut über die Gemeinheit und Ungerechtigkeit der Klostervorsteher verschmolzen zu einem nie gekannten Ehrgeiz. Sie wusste in diesem Moment, dass sie Glaubenskrieger werden würde, für ihre Mutter und gegen die Ignoranz aller Anderen.

Der Krieger

Stamm der Guhm, Tur-Rannuk-Ta, im Jahr nach dem Tod des Einen 9330

Schnaufend kämpfte er gegen den starken, grauen Arm, doch vergebens. Er war dem Arm, wie ein Blatt dem Wind, hilflos ausgeliefert.

„Lass nicht nach, kämpfe.“

Barguhm warf sich mit aller Wucht gegen seinen Gegner, doch der starke Arm hielt ihn erneut eisern. Er kämpfte und kämpfte, bis er nicht mehr konnte.

„Gut. Du hast das Herz eines Kriegers.“ Sein Vater grinste und entblößte die spitz zulaufenden Reißzähne.

Barguhm war glücklich, dass sein Vater stolz auf ihn war. Marguhm war der Häuptling des Stammes und eines Tages würde auch Barguhm Häuptling werden.

Der Vater erhob sich und der kleine Barguhm stellte einmal mehr fest, dass er seinem Erzeuger gerade mal bis zum Gürtel reichte.

„Vater, wann kriege ich meine Hörner?“

„Das dauert noch einige Sprüche, mein Sohn.“

Der kleine Rannuk wollte nicht warten, er wollte groß sein und mit den anderen in die Schlacht ziehen – Zum Ruhm des Stammes, zum Ruhm der Ahnen.

Mutter trat heran und reichte beiden eine Schüssel mit Wasser. Marguhm leerte sie in einem Zug, was Barguhm auch versuchte, aber nicht schaffte.

Die Mutter lächelte. Der kleine Junge war beleidigt. Er hasste es angelächelt zu werden. Nur weichliche Weiber und Menschen lächelten, wobei er noch nie einen Menschen gesehen hatte. Krieger lächelten nicht, sie lachten oder brüllten.

„Mein Sohn, ich muss mit den Ältesten sprechen, geh und kämpfe mit den anderen Jungs.“

Barguhm nickte und rannte los, begierig seine Kräfte im Kampf mit Gleichaltrigen zu messen.

Als er auf einem Hügel angekommen war, fiel sein Blick auf Kragos – Vater Feuer. Der riesige Berg loderte, wie er es immer tat. Schwarzer Rauch formte sich oberhalb des roten Leuchtens.

Die Schamanin sagte, das sei der Atem der Erde, der nach oben strömte und alle Nicht-Rannuk fernhielt. Nicht-Rannuk, so hatte sie gesagt, sterben durch den Atem der Erde. Sie sagte, es würde ihre Lungen verbrennen.

Einmal im Kreislauf sprach Kragos. Dann regnete es Feuer und Asche vom Himmel. Die kleinen, rot leuchtenden Steinchen brannten ein bisschen auf der Haut. Die Kinder wetteten dann immer, wer es am längsten aushielt. Barguhm war immer der letzte, der in die Hütte zurückging. Das machte seinen Vater sehr stolz. Er sagte es natürlich nie, aber Barguhm konnte es an seinem Blick sehen.

Der kleine Häuptlingssohn blickte zum Atem hinauf und hoffte, er würde bald ganz oft sprechen. Damit er ganz schnell seine Hörner bekam.

Der Wächter

Im Jahr nach dem Tod des Einen 9334

„Was glotzt du so dumm, hä?“

Yorins Furcht vor dem Wesen, mit dem er sich gezwungener Maßen den Raum teilen musste, war nicht gewichen, doch überspielte er sie mittlerweile, nach einer Woche im Stall, mit Großmäuligkeit. Allerdings schienen seine Provokationen, die alles sollten, nur nicht das gefiederte Monstrum provozieren, an eben diesem abzuprallen, wie ein Kieselstein an einer Burgmauer.

Es war eine grausame Woche gewesen. Die ständige Angst wich nur für die kurzen Augenblicke, in denen Vater oder Mutter hereinkamen und ihm Essen brachten. Ansonsten waren die Tage eine Aneinanderreihung von Albträumen gewesen und kein Aufwachen war in Sicht.

Von Zeit zu Zeit blickte der Schriikar zu Yorin rüber und dann trafen sich ihre Blicke. Die Augen dieses Wesens, dessen war sich Yorin mittlerweile sicher, konnten durch alles hindurchsehen. Sie sahen bestimmt seine Knochen, sein Herz, vielleicht auch das was in seinem Herzen war.

Was war in seinem Herzen?

Angst war darin – Angst und das unbändige Verlangen wieder im Haus wohnen zu können, wieder in seiner Kammer zu spielen, mit seinen Eltern am Tisch zu essen. Warum hatten sie ihm alles das weggenommen? Nur weil er Angst vor diesem riesigen Ungeheuer hatte?

In diesem Moment war alles zu viel. Er konnte und wollte nicht mehr. Er fiel vorn über und weinte in das stinkende, nasse Stroh. Er weinte und weinte.

Yorin bemerkte, zwischen all seinen Tränen, wie sich der Schriikar bewegte. Kam er auf ihn zu? Die Angst wurde größer, doch konnte er nichts anderes tun als weiter zu weinen.

Der Junge spürte, wie sich das große Tier neben ihn legte. Einer der beiden gewaltigen Flügel breitete sich über Yorin aus und deckte ihn sanft zu. In diesem Moment war dem Jungen alles egal. Er kuschelte sich unter den warmen Federn im Stroh ein und schlief. Er schlief gut, so gut wie lange nicht mehr.

Als er erwachte, lag der Schriikar noch genauso da wie vor Yorins einschlafen. Der Junge hatte keine Angst mehr, zumindest nicht mehr so viel, dass sie seine kindliche Neugier bremsen konnte. Er streckte den Arm, kroch ein bisschen heran und berührte den fedrigen Körper. Er war warm und weich und der Junge konnte den regelmäßigen Atem des Tieres spüren. Es fühlte sich viel angenehmer an, als er erwartet hatte.

Der Schriikar hob behäbig den Kopf und drehte ihn Yorin zu. Dieser zog erschrocken die Hand zurück, doch das Tier legte den Kopf gleichgültig wieder auf den Scheunenboden.

Der Junge rang eine Weile mit sich, dann streckte er erneut die Hand aus und begann das große gefiederte Tier zu streicheln. Es hatte tiefgrüne Federn, die an Kopf, Schwanz und Flügelenden ins dunkle Blau verlief. Am Bauch und an der Unterseite der Flügel und dem Hals waren die Federn sehr hellblau oder grau?

Aus dem Kopf ragten zwei spitze Ohren nach oben und nach vorne streckte sich eine lange Schnauze, ähnlich wie die eines Wolfes. Die Augen waren nach vorne gerichtet und im Gesicht wichen die Federn kurzen Haaren. Unter dem Rumpf ragten zwei stämmige, Krallen bewehrte Beine heraus, die am unteren Teil auch wieder mit Fell statt Federn bedeckt waren. Insgesamt wirkten die Beine wie die einer großen Raubkatze.

Yorin dachte bei sich, dass dieses Tier wirkte, als sei es aus verschiedenen anderen zusammengesetzt.

Der Junge legte sich gegen den Körper und lauschte dem ruhigen Herzschlag des Tieres.

Als Yorins Vater die Stalltür öffnete, hüpfte sein Herz vor Freude. Sein Junge spielte ausgelassen mit dem Schriikar. Sein Sohn hieb lachend nach dem gewaltigen Wesen, das seinen Kopf zurückzog, um gleich darauf spielerisch zuzuschnappen, woraufhin Yorin jauchzend zur Seite sprang und kichernd ins Stroh plumpste. Es war ein großartiger Tag.

Der Wanderer

Meine erste Inventur ist ernüchternd:

Ich habe noch eine Pistole mit halbvoller Batterie, aber keine Geschosse.

Eine Plasmalanze mit Wasserstoff, aber leerer Batterie.

Eine solarbetriebene Armbanduhr und ein Päckchen mit einem Kaugummi.

Meine Gefechtsrüstung ist in einigermaßen gutem Zustand, nur leider komplett mit radioaktiven Partikeln verseucht, weshalb ich diese auch sofort ausgezogen und mich 20 Meter weiter unter einem Baum niedergelassen habe.

Nun die spannende Frage: Was ist in dem Täschchen, das ich von den Priestern erhalten habe? Viel kann es nicht sein, so klein wie das Ding ist. Erwartungsvoll öffne ich den Beutel.

Oh bitte Kronon, lass es ein Erste-Hilfe-Set sein und Munition, ein Nachtsichtgerät wäre nicht schlecht und viele Batterien. Naniten sind nie verkehrt und vielleicht.... ein Buch?

Die schicken mich, Kronon weiß wie lang, in die Vergangenheit zurück und geben mir nichts als ein Buch mit? Ja wollen die mich komplett verarschen? Hätten die mir statt einem prähistorischen, gedruckten Buch, eine digitale Variante mitgegeben, dann hätte da noch ein... Ich kotze.

Frustriert schiebe ich mir den Kaugummi in den Mund.

Mein Blick wandert zum blauen, wolkenlosen Himmel. Er ist wunderschön.

Dann kehrt die Erinnerung zurück, an den mit Staub verdunkelten Himmel, der herunterfallenden Asche und den Millionen von Toten. Wie kann ich es wagen mich zu beschweren? Ich lebe. Egal wo, egal wann, mir geht es unendlich mal besser, als allen die ich kenne – gekannt habe.

Meine Hände verkrampfen sich und Tränen laufen mein Gesicht hinab. Das alles ist einfach zu viel, viel zu viel. Ich kann das nicht. Das ist alles zu viel, ich...

ICH wurde zurückgeschickt.

„Du bist ein Glaubenskrieger – Ein Streiter deines Gottes, jetzt benimm dich auch so!“

Ich atme zweimal tief durch und betrachte das kleine dünne Büchlein in meiner Hand.

„‘Mein Tagebuch‘? Die schicken mir ein Tagebuch mit, ein beschissenes Tagebuch! Was soll ich denn mit dir anfangen Tagebuch, hä?“

Mir wird schlagartig bewusst, dass ich das kleine Buch in meiner Hand anschreie und ein Gefühl schleicht mein Rückgrat empor, bis es in meinem Gehirn einen Gedanken einpflanzt:

Du wirst wahnsinnig. Bücher anzuschreien ist nichts was geistig stabile Menschen tun.

Ich schiebe diese kurze Episode auf die Nachwirkungen der Zeitreise und öffne die erste Seite. „Mein Traum, von 9344.“

5000 Jahre – Ich bin über 5000 Jahre zurückgereist! Keine Verbrennungsmotoren, keine Antibiotika, keine... ich glaube selbst die Dampfmaschine ist noch nicht erfunden. Wie soll ich mich hier fortbewegen? Mir wird schlagartig klar, warum wir im Kloster reiten lernen mussten, man weiß wohl nie in welche Zeit es einen Diener Kronons verschlägt.

Ich lege den Kopf in den Nacken und blicke erneut zum Himmel.

„Ich will dir dienen und ja, ich will meine Welt oder Zeit retten, aber ich fühle mich gerade ein klein wenig überfordert.“

Der Thronsaal ist weitaus schlichter als viele andere, von weitaus geringeren Königen. Mein Vater, Farelion IV. ist ein durch und durch bescheidener Herrscher.

Vater ist bereits mit der Begrüßung des Abgesandten beschäftigt und Mutter wirft mir einen tadelnden Blick zu, den ich mit einem unschuldig strahlenden, Eis schmelzenden Lächeln kontere. Sie kann ein Zucken ihrer Mundwinkel nicht ganz unterdrücken und schüttelt kaum merklich den Kopf.

Ich habe gute Laune und stecke, wie gewöhnlich, alle an. Ich habe eigentlich immer gute Laune, weshalb alle Leute in meiner Nähe gute Laune haben, weshalb ich noch bessere Laune bekomme – ein heimtückischer Kreislauf des Frohsinns – Das bin ich.

Ich gleite auf meinen Sessel, denke einmal mehr grummelnd, dass eine Prinzessin auch einen Thron kriegen sollte und strahle den Abgesandten an. Er verneigt sich tief.

Er kommt aus… Ach verflucht, gestern habe ich es noch gewusst, mindestens eine viertel Stunde nachdem Maldia es mir gesagt hatte.

Da es mir eigentlich auch egal ist, aus welchem der Reiche der Nacht er kommt, betrachte ich einmal mehr neugierig seine blasse Haut. Man soll keine Abgesandten anstarren, bläute man mir schon früh ein, aber dieses bleiche Gesicht fasziniert mich.

Hier im Land der Sonne sind alle Menschen gut gebräunt, denn die Sonne scheint immer, das ganze Jahr hindurch und wärmt uns alle mit ihren göttlichen Strahlen. In der Welt der Dunkelheit ist es immer kalt, ich möchte da nicht leben müssen und bedaure alle die es tun.

Mit halbem Ohr höre ich den Verhandlungen zu. Es geht, mal wieder um den Kauf der Finsterblüten. Die Finsterblüten sind eigentlich alles, was die Nachties anzubieten haben.

Ich schmunzle, als ich daran denke, dass es so unglaublich gut ist, dass Mutter keine Gedanken lesen kann. Sie mag es nicht, wenn ich die Nachties als eben solche bezeichne, aber sie leben in der Nacht, also sind es doch wohl Nachties.

Ein kaum wahrnehmbares, verächtliches Schnauben meines Vaters holt mich zurück in das Gespräch.

Nach einem kurzen Moment wird mir alles klar, der Abgesandte will mal wieder Waffen. Die Botschafter der dunklen Reiche versuchen unaufhörlich ihr einziges Exportgut gegen unsere Feuerwaffen zu tauschen, aber Vater hat, und das finde ich sehr gut, den Handel mit diesen Waffen verboten, sogar unter Androhung der Todesstrafe, was ich wiederum übertrieben finde. Ich werde, bin ich erst einmal Königin, die Todesstrafe ganz abschaffen, Kerker ist doch wahrlich schlimm genug.

Ich lausche noch ein wenig belustigt dem Lamento des Abgesandten darüber, wie wichtig die Waffen für die Aufrechterhaltung der Ordnung und den Schutz seines Reiches seien, und wie wichtig doch die Arznei, die wir aus den Blüten gewinnen, für uns ist, und wie viele Leben in beiden Reichen gerettet werden könnten, doch Vater bleibt auch diesmal hart und unbeeindruckt.

Wir geben ihnen schon von unserem Getreide, wenn sie zu doof sind solche Waffen selbst zu erfinden, können wir ihnen auch nicht helfen.

Auch das anhaltende Lamento langweilt mich schnell wieder und ich blicke mich um. Kaum streift mein Blick den eines jungen Mannes, verneigt sich dieser tief und er grinst mich blöde an. Ich verstehe nicht, warum Maldia so darauf beharrt, mich mit einem dieser Trottel zu verkuppeln?

Abgelenkt durch diesen Gedanken, verpasse ich fast den entscheidenden Moment, der an dem der Abgesandte sich verabschiedet und ich, geschützt durch die Anwesenheit anderer Adliger, die eine Schelte verhindern, verschwinden kann. Ich husche von meinem Sessel zur Tür und bin entschwunden.

Befreit von den Pflichten des Morgens schwebe ich durch die Gänge des Palastes.

„Das ging schnell.“

Mist, sie ist aber auch wirklich überall.

„Ja, allerliebste Zofe.“

„Einzige Zofe.“

„Allerliebste Zofe, aller Zofen der Welt.“

Dieses Kompliment zwang selbst Maldia zu so etwas wie einem Lächeln und ihr Ton wird weicher.

„Ihr solltet Euch mehr wie eine zukünftige Königin benehmen.“

„Nein, sag nichts: Mich für alle Geschäfte interessieren, bei jeder Verhandlung mitmachen, heiraten und Erben zeugen, am besten Männer, ganz viele, aber dafür sorgen, dass sie sich nicht irgendwann um das Königreich streiten. Das ist soooooooooooo laaaaaaaaaaaaaaaaaaaangweilig.“

„Ob Ihr es wollt oder nicht, Ihr werdet eines Tages Königin sein.“

„Ja, eines Tages, aber nicht heute.“

„Nein, nicht heute, aber vielleicht, die Sonne bewahre, schon morgen.“

„Vielleicht, aber weißt du was, die Sonne geht hier nie unter, es ist immer heute.“

Vergnügt tänzele ich von dannen.

„Hoheit, Eure Eltern wünschen sich sehr einen Enkel.“

Ich wirbele herum und blicke ihr in die Augen.

„Dann sollten sie einen adoptieren.“

Die Prinzessin hüpfte trällernd von dannen.

Maldia blickte ihr lange nach.

„Mein Kind, du trägst die Sonne im Herzen und ich bete, dass dies auf immer so bleibt.“

Niemand hatte diesen Satz gehört und so wandte sich die alte Frau ab. Doch sie wusste, dass alle Gebete nichts nutzen würden. Solestila war Thronerbin des mächtigsten Reiches der Welt. Solesgaard war mit dem Schwert gegründet worden und der Tag würde kommen, da würde sich der Schatten des Krieges auch auf die kleine Sonne legen. Maldia hoffte so sehr, dass an diesem Tag nicht alles Licht im Herzen ihrer geliebten Prinzessin erlöschen würde und noch etwas von dem hinreißenden Mädchen übrigbleiben würde. Sie fürchtete diesen Tag mehr als den Tag, an dem Sehls Diener ihren Geist ins Totenreich führen werden.

Die Gläubige

Im Jahr nach dem Tod des Einen 9337

Es war lange nach dem Schlafgebet. Die Kerze war fast niedergebrannt, doch die kleine Flamme kämpfte tapfer ums Überleben.

Devora saß mit gekreuzten Beinen auf ihrem Strohbett und las eifrig die Schriften über die Götter. Ihre Wut war nun vollkommen dem Ehrgeiz gewichen und so studierte sie länger und härter als alle anderen Novizinnen.

Sie hatte mittlerweile eine eigene Kammer. Ob es eine Belohnung für ihren Fleiß oder eine Strafe für das Wachhalten ihrer ehemaligen Mitbewohnerinnen gewesen war, wusste sie nicht. Aber sie war froh darüber. Seit dem Tag, als sie Ascheela gestanden hatte ein Glaubenskrieger werden zu wollen, hatte sie sich niemandem mehr anvertraut. Sie war sehr schnell eine Außenseiterin geworden und fand sich mit ihrer Rolle ab. Es erleichterte ihr das Lernen, denn es gab jetzt nichts mehr, was sie ablenkte. Ihr Leben bestand nur noch aus der Klosterarbeit und dem Lesen.

Die dominanteste Gottheit der Nachtseite war Melahna, Göttin des Mondes. Sie hatte unter den Geweihten, Dienern und im Volk die meisten Verehrer. Auf der Tagseite wurde Melahna angeblich gar nicht verehrt und an ihrer statt der Gott der Sonne, Lukton. Die beiden waren, so berichteten die Schriften, einst vermählt, doch nach dem Tod des Einen und der Trennung in Tag- und Nachtseite, hatten sich die beiden zerstritten.

Devora empfand es als sehr unverständlich, dass mächtige, himmlische Wesen wie Götter sich aufführten wie Menschen. Ihr wollte dies nicht einleuchten.

Die junge Novizin hatte alle Schriften genau studiert, alle Götter kennengelernt. Sie hatte über das Bündnis der Dunkelheit gelesen, angeführt von Melahna und über das Bündnis des Lichtes, angeführt von Lukton, wobei dieser in einigen Schriften auch den weiblichen Namen Solestra trug, was eine Ehe mit Melahna, in den Augen des Mädchens, als merkwürdig erscheinen ließ. Andererseits waren es Götter, vielleicht konnten diese ihr Geschlecht nach Belieben ändern?

Bei diesem Gedanken seufzte Devora, wäre das nicht schön, wenn Sie das auch könnte? Nein, durchzuckte sie der eigene Widerspruch fast schmerzhaft, sie würde Glaubenskrieger werden, auch ohne ein Junge zu sein.

Sie verscheuchte diese Gedanken und ließ wieder die Götter in ihrem Geist vorbeigleiten.

Es gab das Welten formende Triumvirat, aus Heval, dem Gott des Himmels, Iladria, der Göttin der Erde und Voltos, dem Gott des Meeres.

Es gab die neutralen Götter, zu denen auch Allandria, die Göttin der Weisheit und Gerechtigkeit zählte und es gab die Ausgestoßenen. Das Verehren der letzteren war in vielen Teilen der Welt verboten und doch wurden Sie namentlich erwähnt. So auch Amal Hasrath, Sohn von Sehl, Göttin des Todes. Amal war der Gott des Verfalls und wurde von allen Nekromanten aus Nirrohnjask verehrt.

Devora hatte sich immer geärgert, dass nicht mehr über die Nekromanten, ihren Glauben und ihr Land niedergeschrieben war. Wie sollte man etwas bekämpfen, das man gar nicht kannte? Vielleicht war sie auch einfach noch zu jung und diese Schriften würde sie später zu lesen bekommen.

Sie rollte sich auf ihrer Strohmatratze zusammen. Die kleine Flamme hatte endgültig den Kampf verloren und war vergangen. Devora blickte ins schwarze Nichts ihrer Kammer. Sie dachte darüber nach, wie schlimm die Ausgestoßenen waren und wie schlimm dann erst der eine Gott gewesen sein musste, dessen Namen man nicht mehr nennen durfte.

Devora schloss die Augen und richtete ihre letzten Gedanken an Allandria, Göttin der Weisheit, der Gerechtigkeit und des Friedens. Ihr würde sie dienen, das war dem jungen Mädchen klar gewesen, ab dem ersten Moment an dem sie etwas über Allandria gelesen hatte.

„Allandria, mach mich weise und gerecht und hilf mir Glaubenskrieger zu werden.“ Dann glitt Sie augenblicklich in einen tiefen Schlaf.

Der Nekromant

Im Jahr nach dem Tod des Einen 9335

Lange hatte Iallyn auf diesen Moment gewartet. Jetzt war er gekommen und er konnte sich vor Angst kaum bewegen.

Sollos war der hier ansässige Nekromant. Sein Schüler – Iallyn hatte dessen Namen vergessen – lief hinter seinem Meister her und trug die Besorgungen. Sollos war relativ groß, kahlköpfig, hatte einen buschigen Kinnbart, buschige Augenbrauen und er war unglaublich fett. Er trug seinen Wohlstand auf viele erdenkliche Arten zur Schau, seine Körperfülle war nur eine davon. Eine andere war, dass er seinen massigen Körper mit teuren, weit ausfallenden Roben und einer unvorstellbaren Menge an teuerstem Schmuck behängte. Es schien, als habe der Nekromant mehr als einen Schmuckhändler leer gekauft.

Der Mut der Verzweiflung ließ Iallyn aus seinem Versteck kriechen und sich seinen Weg durch die Menschen auf dem Marktplatz zu Sollos hinüber bahnen.

Der vordere der beiden untoten Wächter blickte Iallyn aus leeren Augen an. Der dunkle Nasalhelm war schartig und rostig. Der verwitterte Lederriemen baumelte freudlos neben dem Kinn herunter. Das Kettenhemd war löchrig und ebenso rostig wie der dunkle Kürass und die Beinschienen. Doch gerade dieses Alte, Vergangene erzeugte eine Furcht einflößende Aura.

Ängstlich blieb Iallyn zwei Schritt vor dem untoten Krieger stehen.

„Meister Sollos, Herr?“

Der Nekromant musterte ihn fragend.

„Darf ich mit Euch sprechen?“

„Sprich, mein Junge.“

Iallyn holte tief Luft.

„Ich möchte Nekromant werden.“

Einen Augenblick herrschte Stille, dann brachen Sollos und alle anderen Passanten, die aus Neugier stehen geblieben waren, in schallendes Gelächter aus. Am lautesten lachte Sollos‘ Schüler, doch sein Lachen wirkte nicht vollkommen echt.

Tief beschämt drehte sich der Straßenjunge um und rannte weg. Doch noch während er den Marktplatz verließ, schwor er sich, dass dies nicht das letzte Treffen gewesen war, er würde Nekromant werden, irgendwie.

Die Wächter standen vor dem prunkvollen Haus. Iallyn hatte einmal gehört, dass viele Nekromanten noch viel größere Häuser besäßen, aber er war schon von diesem zutiefst beeindruckt. Die riesige Eingangstür war mit Blattgold beschlagen. Im Schein der Fackeln funkelten die heiligen Symbole, die diesem Gebäude den Segen Amal Hasraths versprachen. Amal Hasrath war der Gott aller Nekromanten und vermutlich aller anderen Bewohner Nirrohnjasks. Iallyn zumindest glaubte fest an ihn.

Der Straßenjunge näherte sich vorsichtig. Die Wächter schienen ihn zu mustern, auch wenn ihr dumpfer, leerer Blick ins Nichts gerichtet war. Langsam und bedächtig näherte er sich der Tür. Die Blicke der Untoten verfolgten ihn. Er musste sich strecken um an den Türklopfer zu kommen und hieb den metallenen Ring mehrmals auf dessen Gegenstück. Lange geschah nichts.

Endlich schwang die Tür auf und Iallyn blickte in das Gesicht von Sollos‘ Schüler.

„Was willst du schon wieder?“

„Mit deinem Meister sprechen.“

„Verpiss dich Straßenratte, sonst hetz‘ ich die Zombies auf dich.“

Mit einem Knallen schlug die Tür zu. Gedämpft konnte Iallyn hören, wie sich Sollos nach dem späten Besuch erkundigte und der Schüler nur von einem Bettler berichtete.

Iallyn biss die Zähne zusammen.

„Eines Tages hau ich dich um, du mieses Schwein. Bei Amal, ich hau dich um.“

Trotzig setzte er sich an die gegenüberliegende Straßenecke und wartete, irgendwann würde Sollos schon wieder einmal das Haus verlassen.

Die Magierin

Im Jahr nach dem Tod des Einen 9335

Ihr dünnes, meisterlich gewebtes, seidenes Kleid betonte ihre makellose Figur, leider bot es wenig Möglichkeiten das, was sie zu verbergen versuchte, eben auch zu verbergen. Ausgerechnet heute hatte sie ihren Umhang nicht dabei. Wenn man sie damit erwischte, würde man ihr vielleicht sogar den Zugang zur Akademie verweigern. War es das wert? Ihre Vernunft sagte ‚Nein‘ – alles andere in ihr schrie ‚Ja!‘

Was für ein Zufall, ein Wink des Schicksals, der ihr diese Kostbarkeit in die Hände gespielt hatte.

Sie war mit ihren Eltern in Kalatharan gewesen, einer abstoßenden, hässlichen, stinkenden Stadt mit abstoßenden, hässlichen, stinkenden Menschen. Es war ihr erster Besuch gewesen, in diesem, ihr fehlten die Worte diese Abscheulichkeit zu beschreiben, und bei den Elementen, hoffentlich ihr letzter.

Ein ungebildeter, stinkender Mann hatte es dabeigehabt, ein fahrender Händler. Sie hätte nie mit ihm gesprochen, doch er hatte sich aufgedrängt, auf typisch kalatharanisch, primitive Weise. Zumindest ging Ilahja davon aus, dass dieses Verhalten typisch war für die Einwohner dieser Stadt.

Im Nachhinein war sie ihm dafür dankbar, sehr sogar. Sicher, sein Geruch hatte Übelkeit in ihr hervorgerufen, aber es war es wert gewesen, hundertfach.

Sie schritt durch Myragon, eine Stadt deren Schönheit ihr erst heute bewusst wurde. Die ganze Stadt lag unter einer Kuppel aus Wassermagie, die ihre Einwohner vor der sengenden Sonne schützte.

Vor langer Zeit war dies eine reiche Stadt gewesen, umgeben von Wiesen und Weiden, Auen und Wäldern. Diese Stadt kannte Ilahja nur aus Geschichten. Denn im Jahre 0 rebellierten größenwahnsinnige Menschen des barlonischen Imperiums gegen einen Gott, dessen Namen niemand mehr kennt. Mit Hilfe anderer Götter, Priestern, Magiern, einem Heer und irgendwelchen Helden besiegten sie diesen Gott. Leider nicht bevor der die Rotation der Welt derart verlangsamt hatte, dass eine Seite nun immer zur Sonne zeigte.

So erzählte es zumindest die Legende. Ilahja hatte wenig mit den Göttern am Hut, wie die meisten Myragonen. Sie waren ein gebildetes Volk, der Magie und Wissenschaft verschrieben.

Unleugbar war allerdings die Tatsache, dass die wundervolle Stadt Myragon nun Nahe des Tagpols lag, wo es am heißesten war. Außerhalb der Stadt gab es keinerlei Leben, nur Wüste.

Da allein der magische Schild die Sonne davon abhielt alles zu verbrennen und Nahrung auch nur mit Hilfe von Magie erschaffen werden konnte, war jeder Einwohner Myragons ein Magier.

Sie musterte die Menschen, die an ihr vorbeischritten. Sie alle waren gepflegt, wohlriechend, gesittet. Die Kleidung aus magischer Seide glänzte im, durch den Schild gedämpften, Sonnenlicht. Jede Robe, jedes Kleid, jede Hose, jedes Hemd bestand aus dieser speziellen Seide, was jedem Myragonen einen Glanz verlieh.

Ilahja war so glücklich hier geboren zu sein und nicht in Kalatharan.

Endlich hatte sie ihr Zimmer erreicht und versteckte schnell ihren Schatz. Es war noch Wachzeit, viel zu gefährlich, sie musste sich bis zur Schlafzeit gedulden.

Ungeduldig, fast schon panisch hatte sie das Schlafmahl herbeigesehnt. Ungebührlich schnell hatte sie aufgegessen, was ihr einen tadelnden Blick der Mutter eingebracht hatte.

Nun saß Ilahja auf ihrem Bett und schlug mit rasendem Herzen die erste Seite auf. Das durch den Schild bläulich gefärbte Sonnenlicht erhellte die erste Seite:

‚Die Kunst der Balrass-Beschwörung.‘

Die Handschrift war hässlich, passend zu der primitiven Sprache in der sie verfasst war – Die Sprache der Kalatharaner, die eigentlich keine Sprache war, sondern ein Dialekt des Solit.

In der ersten Schule, die lediglich 8 Jahre dauerte, lernte jeder Myragone die Sprache Kalatharans. Sie hatte es gehasst, nichts Schönes war daran. Aber leider verband Myragon nur eine einzige beständige Elementarader mit dem Rest der Welt. Und diese eine Ader führte eben ins Herz der Abscheulichkeit.

Doch diese Widerwärtigkeit hatte schnell ihren Geist verlassen und sie begann wieder die Worte aufzusaugen, die verbotenen Worte, die dieser Welt vor 2000 Jahren so viel Leid gebracht hatten.

Magie muss Grenzen haben, verkündete heute jeder myragonische Magier. Ilahja teilte diese Ansicht nicht. Nicht die Magie war gefährlich, nur der, der sie zum Schlechten anwendete. Vielleicht konnte man auch mit der Balrass-Beschwörung Gutes tun? Warum nicht?

Der Geist der jungen Magierin raste wahnsinnig schnell und doch viel zu langsam durch völlig neue Gebiete, wie ein Tier, dem man die Freiheit geschenkt hatte.

Die Stille der Schlafzeit erlaubte es ihr, sich ungestört dem Bann des Buches zu ergeben und erst das Rufen ihrer Mutter zum ersten Mahl des Tages, riss sie zurück in die Realität und sie bemerkte, nachdem sie das Buch wieder versteckt hatte, wie unglaublich müde sie nun war.

Der Wächter

Im Jahr nach dem Tod des Einen 9334

Der Alltag hatte Yorin wieder und er genoss ihn. Die Schlafzeit durfte er wieder im Haus verbringen, doch wenn er es wollte, durfte er auch bei seinem Schriikar bleiben. Wenn er es wollte, durfte er sogar den ganzen Tag im Stall verbringen, außer natürlich Vaters Freund war da. Dann musste er mit diesem Schwertkampf üben.

Der Junge mochte den Freund seines Vaters nicht, er hatte eine hässliche Narbe im Gesicht, die von der Augenbraue über sein komplett graues Auge, bis zum Mund hinunterführte. Die Lippe war völlig vernarbt. Er sprach sehr unverständlich und ständig lief ihm Speichel aus dem Loch, wo ein Stück Lippe fehlte.

Aber am schlimmsten an ihm, fand Yorin, war seine Art. Er brüllte den Jungen ständig an, wenn diesem das Holzschwert mal wieder zu schwer wurde oder er nicht so stand, wie der andere es haben wollte.

Nach jeder Übungsstunde gab Vater seinem Freund viel Essen mit, weshalb Yorin und seine Eltern viel weniger zu essen hatten als früher. Der Junge mochte den sabbernden Narben-Mann nicht, ganz und gar nicht.

Yorin hatten damit begonnen eine Sprache für sich und Wind, wie er seinen Schriikar getauft hatte, zu entwickeln. Sie begannen mit einfachen Worten und Yorin merkte bald, dass Wind viel schlauer war als der blöde Hund vom Nachbarsjungen Fohl. Fohl gab immer mit den Kunststückchen an, die sein Köter konnte. Warte nur, dachte Yorin, du wirst Augen machen.

Der Junge konnte sich gar nicht mehr daran erinnern, warum er anfangs Angst vor seinem Schriikar gehabt hatte, er war nun sein bester Freund, dessen war er sich sicher.

Der Wanderer

Nachdem ich geweint, gelacht, geflucht und gewimmert habe, habe ich mich wieder gefangen.

Die letzten Stunden habe ich damit verbracht, das nötigste zum Überleben zu sammeln: Wasser, Nahrung und Feuerholz, um Tiere während der Schlafzeit fernzuhalten.

Das dumme am Feuerholz ist nur, dass ich nicht gut darin bin dieses ohne Feuerzeug zu entzünden. Die fast vollständig verblasste Erinnerung an mein Überlebenstraining im Kloster leistet nur geringe Dienste.

Ich schlage die Augen auf. Der sorgfältig gestapelte Haufen Holz liegt vor mir, freudig drauf wartend angezündet zu werden.

„Bist du glatt beim Feuer machen eingepennt – Du Held.“

Ich bemerke, dass ich mich an die Selbstgespräche gewöhne und entscheide, dass dies in meiner Situation mehr als normal sei.

Während des Schlafes ist mir eine Idee gekommen. Ich tränke ein Tuch in Wasser, binde es mir vor den Mund und nähere mich der fröhlich strahlenden Rüstung. Mein nie gebrauchtes Kampfmesser steckt noch in der Scheide an der Oberschenkelpanzerung.

Ich ziehe es schnell und leise heraus, als ob die Rüstung aufwachen und mich angreifen könnte.

Mit dem Messer trenne ich die Innenseite der Rüstung auf. Ich nehme die Batterie aus Ihrem Fach und reiße mit einem kräftigen Ruck an den Kupferleitungen einen großen Teil des Innenlebens meiner Panzerung heraus.

Mit meiner Beute in Händen entferne ich mich schnell von dem strahlenden Biest, bevor mir die Eier rösten.

Das wäre ein Gag: Ich suche mir eine schöne Frau und Gründe eine Familie. Soll sich doch in 5000 Jahren ein anderer um die Welt kümmern.

Wie mit einem Dolch gestoßen, drängen Bilder in meinen Geist. Ich sehe meine Mutter, von Balrass zerrissen, meinen Vater, meine kleine Schwester, die weinend neben ihren Kadavern kniet.

Es gibt nur einen Weg – Die Mission muss erfüllt werden.

Der Palastgarten, ist ein Blütenmeer. Alle Pflanzen, die farbenfroh die Sonne preisen sind hier versammelt, vor allem die Sonnenrosen, meine Lieblingsblumen.

Ich breite die Arme aus und genieße die Sonne auf meiner Haut, den Wind in meinem Haar und verfolge den Flug der Pollen um mich herum.

Mein Blick bleibt an dem Vertreter der Kolonien haften. Er kniet auf dem Rasen und betet in seinem faszinierenden Gesang die Sonne an. Er ist ein Mar‘Schuk. Sie sind die Ureinwohner einer Inselgruppe, die mein Vater vor über zwanzig Jahren, damals selbst ein junger Prinz, entdeckt hatte. Vater muss damals wie ein wahrer Held gefeiert worden sein, aber davon weiß ich nur aus den Erzählungen meines Großvaters, der starb als ich zwölf war.

Seitdem sind diese Inseln Teil unseres Reiches und ein Häuptling der Ureinwohner ist immer am Hofe.

Sie sehen ungewöhnlich aus, die Mar’Schuk. Sie sind etwas kleiner als wir und haben etwas hellere Haut. Die Männer tragen ihre langen Haare oft auf abenteuerliche Weise geflochten und die Köpfe der Frauen sind immer kahlgeschoren. Ihre Haut ist mit Mustern bedeckt, die aus einer Art Sand aufgetragen werden, der wohl irgendwie mit der Haut verwächst oder sonst wie daran haftet. Die Gesichter dieser Wilden sind mit Ringen aus Knochen verziert. Meist laufen sie knapp bekleidet herum, was die Hofdamen immer zu Begeisterung veranlasst, die sie natürlich mit Empörung überspielen. Die heranwachsenden Mädchen fangen aufgeregt an zu lachen, wenn das eine oder andere heraus baumelt. Ich konnte mich dafür noch nie begeistern, obwohl diese Wilden durchaus eine gewisse Faszination auf mich ausüben.

Viele stehen um den wohl bekannten, aber doch irgendwie fremden Mann herum, verfolgen sein absonderliches Ritual, lauschen der unverständlichen, aber nicht unschön klingenden Sprache.

Wie er wohl über uns denkt?

Der Nekromant

Im Jahr nach dem Tod des Einen 9335

Trotzig war Iallyn dem Nekromanten nun seit Wochen gefolgt. Sollos beobachtete ihn immer genau, doch hatte er sich bisher noch nicht dazu herabgelassen mit dem Straßenjungen zu reden.

Es war bitter kalt. Schneeflocken segelten herab und legten ihr weißes Tuch über die Straßen. Sollos kehrte von einem Treffen mit dem Stadtvogt zurück. Iallyn trottete hinterher und wollte sich gerade zu seinem Schlafplatz an der Häuserecke begeben, als er die tiefe Stimme des Nekromanten vernahm.

„Möchtest du etwas essen?“

Iallyn war so überrascht, dass er zuerst gar nicht begriff, dass er gemeint war. Verwirrt nickte er nur.

„Dann komm.“

Der Nekromant hielt die Eingangstür zu seinem Haus auf. Unsicher ging Iallyn auf die Tür zu, überzeugt, man würde sie ihm vor der Nase zuschlagen. Doch er durfte eintreten.

Es war eine andere Welt, alles war kostbar, groß, sauber. Sollos sprach mit irgendwem, was Iallyn nicht wirklich registrierte, zu sehr überwältigte ihn die Einrichtung dieses Hauses – Steinerner Boden, statt platt gestampftem Lehm, Fenster mit Glasscheiben und Türen zwischen den einzelnen Räumen. In seinem ganzen Leben hatte Iallyn noch nie einen solchen Luxus gesehen.

Eine Frau nahm ihn plötzlich bei der Hand und führte ihn in die Küche. Noch immer völlig eingenommen von den neuen Eindrücken, tapste er hinter ihr her, Wände, Boden und Decke mit großen Augen bewundernd.

„Hier hast du Suppe und Brot, sie müsste noch warm sein.“

Iallyn traute seinen Augen nicht, der Teller war… Er war aus irgendwas, nur nicht Holz. Der Löffel war aus Metall, war das Silber? Er hatte mal einem reichen Kaufmann eine Silberbrosche gestohlen, die hatte sich ähnlich angefühlt und ausgesehen.

Er begann die Suppe in sich hinein zuschaufeln.

„Da hat aber wer Hunger. Es ist noch was vom Braten übrig, den mach ich dir warm.“

Braten? Er hatte noch nie Braten gegessen. Fleisch bekam er meistens nur, wenn er es einem kleinen Hund, der es irgendwo gestohlen hatte, abnehmen konnte. Das war gar nicht leicht und war auch einige Male schiefgegangen. Die Narben der Bisse zierten seinen kleinen Körper.

Iallyn hatte die Suppe schneller ausgelöffelt, als die Frau in der Lage gewesen war das Fleisch aufzuwärmen. So wartete er nun ungeduldig.

„Bist du Sollos‘ Frau?“

Sie lachte. „Nein, ich bin seine Köchin, Sollos hat keine Frau.“

„Du bist gar nicht angezogen wie eine Köchin?“

„Doch, ich bin wie eine Köchin angezogen, eine Köchin in einem vornehmen Haus.“

Er zuckte die Achseln und betrachtete staunend die Küche, die größer war als manche Häuser, die er kannte. Im Waisenhaus hatten sie in so einem Raum zu zehnt geschlafen, dicht nebeneinander auf dem Boden verteilt.

Als der Braten vor ihm stand, war aber auch das egal.

Das saftige Fleisch war vertilgt und Iallyn hielt sich seinen Bauch. Er war noch nie in seinem Leben satt gewesen, so satt schon gar nicht. Er konnte sich nicht bewegen, ihm war warm und ziemlich schlecht. Es war ein großartiges Gefühl.

Plötzlich stand Sollos in der Küche und sah ihn an. Erschrocken sprang der Junge vom Stuhl. Die Unmenge Essen in seinem kleinen Bauch machte sich bemerkbar.

„Hat es dir geschmeckt?“

„Ja Herr, danke.“

„Gut, das freut mich.“

Der fette Mann setzte sich an den Tisch und wies Iallyn an wieder Platz zu nehmen. Eine Weile sah ihm der Nekromant nur in die Augen, was der Straßenjunge sehr beunruhigend fand. Sollos hatte kalte, graue Augen, die tief im runden, fleischigen Gesicht lagen.

Die Köchin hatte sich zurückgezogen, dann plötzlich brach die Stille.

„Du willst also ein Nekromant werden?“

Nervös nickte Iallyn.

„Du wirst hier wohnen, wirst Hausarbeiten erledigen, Lesen und Schreiben und vor allem Manieren lernen und wenn ich dich in ein paar Jahren für würdig halte, werde ich mit deiner Ausbildung beginnen. Ahlim!“

Jetzt, da er ihn hörte, fiel ihm der Name von Sollos Schüler wieder ein, der kurze Zeit später in der Küche stand.

„Zeig unserem neuen Freund das Zimmer hinten links, er wird nun bei uns wohnen.“

Der Gesichtsausdruck Ahlims war eine wundervolle Genugtuung. Iallyn stand auf, verneigte sich vor Sollos und grinste Ahlim an. Dieser stapfte grimmig voran.

Sollos‘ Schüler war deutlich älter und größer als Iallyn, war aber sehr hager und ließ immer den Kopf und die Schultern hängen. Ahlim erinnerte den Straßenjungen an einen geprügelten Hund.

Iallyn folgte dem älteren bis vor eine Tür, dann drehte sich Ahlim plötzlich um.

„Du wirst nicht lange hierbleiben, das schwöre ich dir. Und die kurze Zeit, die du hier bist, wirst du nur leiden.“

Mit diesen Worten wandte er sich ab.

Iallyn sah ihm hinterher. Er hatte keine Angst, zu oft schon hatte er sich mit größeren geschlagen. Der Straßenjunge war nur voller Hass und schwor sich, dass nur einer leiden würde. Iallyn würde dieses Haus erst verlassen, wenn er ein Nekromant war.

Der Krieger

Im Jahr nach dem Tod des Einen 9331

Die Hütte war gefüllt mit Kindern. Mädchen und Jungen hockten am Boden und hingen an den Lippen des alten Kriegers. Sein Gesicht flackerte mit den Flammen des Feuers in der Hütte, was sein altes, Wetter und Schlachten gezeichnetes Gesicht noch Furcht erregender aussehen ließ. Die Haut hatte schon viel von ihrem dunklen Grau verloren, was den unheimlichen Eindruck noch verstärkte. Doch ein Rannuk kannte keine Angst, das sagte Vater immer und Barguhm hielt sich daran.

„Es war vor vielen, vielen Sprüchen des Berges. Ich war damals ein junger Krieger. Damals erhielt ich diese Narbe.“

Er entblößte seine Schulter und zeigte eine schlecht vernarbte Bisswunde, in deren Mitte eine lange, besser verheilte Narbe prangte.

„Ich war in einem Trupp an der Straße, dort wo die Menschen in ihren Holzhütten auf Rädern langfahren.“

Barguhm hatte von diesen Dingern gehört, aber nie eines gesehen. Sie wurden wohl von irgendwelchen Tieren gezogen.

„Die Menschen, es war eine Familie, kamen wohl gerade vom Meer zurück. Wir machten uns bereit sie abzuschlachten, als plötzlich…“

Er hielt inne und blickte an die Decke der Hütte. Alle Kinder hielten den Atem an.

„…als plötzlich aus dem Nichts schreckliche, widerliche Kreaturen auftauchten. Nie hatte ich so etwas gesehen. Sie flatterten wie Fledermäuse, hatten Klauen und Mäuler voller spitzer Zähne, vieler, vieler spitzer Zähne. Sie zerfleischten den Vater, die Mutter, den Jungen. Sie töteten die Zugtiere und die Tochter. Sie wühlten durch die Räderhütte, sie suchten etwas.

Da stieß unser Anführer seinen Kriegsschrei aus. Wäre ich kein Rannuk, ich hätte Angst verspürt, aber wir sind geborene Kämpfer und so stellten wir unseren Feind.

Ich zertrümmerte einem der Monster den Flügel, da drehte es sich um, schnell wie der Blitz zuckt, sprang und biss mir in die Schulter. Ich wollte es losreißen, doch mit seinen Zähnen, die zahlreich waren wie die Asche, die vom Himmel fällt, hatte es sich zu fest verbissen.

Die Wunde brannte schlimmer als jede Wunde, die ich vorher und nachher bekommen habe. Ich konnte mit meinem Hammer nicht richtig ausholen und so schrie ich meinem Kameraden zu, er soll es töten. Er spaltete dem Wesen mit seiner Axt den Schädel und mir die Schulter.

Die Kreatur lag tot am Boden und begann zu dampfen, wie heißes Wasser.

Die anderen Biester flohen mit einem dieser Dinger, in die die Menschen ihre komischen Zeichen malen.

Wir nahmen was wir tragen konnten und verließen den Ort.

Was da gekommen war, war verdorben. Das waren keine Tiere, das war etwas anderes.“

Barguhm hatte von der Geschichte Angst bekommen. Er schämte sich für diese Angst und hoffte sehr, dass es ihm niemand ansah.

Die Magierin

Im Jahr nach dem Tod des Einen 9337

Es war eine lange Zeit des Wartens gewesen, doch endlich war sie hier, in der ‚Akademie der Arkanen Künste zu Myragon‘.

Heute, in ihrem vierzehnten Lebensjahr, begann ihre erste Vorlesung. Ilahja zweifelte nicht daran, dass sie schon bald ihre Lehrer von ihren Fähigkeiten überzeugen und Klassenbeste sein würde und dennoch verspürte sie eine gewisse Anspannung.

Erzmagier Merandial betrat den Saal. Er galt als einer der mächtigsten, manche nannten ihn sogar den mächtigsten Magier der Welt. Er war mit seinen 221 Jahren einer der ältesten, lebenden Myragonen und schon zahllose Jahrzehnte Leiter der Akademie. Die Magie gewährte den Mächtigsten unter ihnen ein extrem langes Leben. Und doch sah man Merandial sein Alter an. Er hatte lange, strahlend weiße Haare, ein faltiges, eingefallenes Gesicht. Er bewegte sich langsam und bedächtig, doch seine Augen zeugten von einem wachen, scharfen Geist. Er unterrichtete nur selten, da er neben seiner akademischen Funktion auch noch Mitglied des hohen Rates war.

Ilahja konnte sich eines Kribbelns nicht erwehren, als sich der Erzmagier vor die Studenten stellte. Er strahlte eine Aura der Macht und Erhabenheit aus, wie es die junge Frau noch nie gesehen hatte. Diese Aura hatte für sie etwas durchaus Erotisches.

Merandials Stimme war sehr angenehm und zeugte ebenfalls von einer unglaublichen Selbstsicherheit und Größe.

„Jeder Mensch Myragons kann Magie wirken. Es ist unsere Natur. Doch ihr seid hier, um diese angeborene Gabe zur Vollendung zu bringen. Ihr sollt mehr über die Magie erfahren, als einfache Zaubersprüche. Ihr sollt die Magie begreifen, sie formen und mit ihrer Hilfe die Realität ein wenig beugen.

Doch seid gewarnt! Mit jeder neuen Erkenntnis wächst eure Verantwortung. Die Magie darf nur einem Zweck dienen – dem Wohl unserer Stadt.“

Ilahja fand diese Phrase so unglaublich hohl. Es hatte sicher eine Zeit gegeben, in der man statt Wohl ‚das Gute‘ gesagt hatte, bis irgendwann jemand die Frage gestellt hatte, was dieses ominöse Gute eigentlich sei und ob Gut und Böse nicht unglaublich stark vom Betrachter abhingen. Seit dieser Zeit nannte man es wahrscheinlich ‚das Wohl‘, was nicht weniger schwammig und ominös war. Genau genommen war es noch viel schwammiger, soviel schwammiger, dass niemandem mehr die Frage einfiel, was es überhaupt sei, ‚das Wohl‘. Wer entscheidet denn was dem Wohl der Stadt dient? Der Rat?

Nein, sie glaubte nicht daran. Gut war, was ein moralisch denkender Mensch als gut empfand. Darüber hinaus sollte man, durfte man der Magie keine Grenzen setzen.

Ilahja schüttelte innerlich den Kopf, als sie Merandial reden hörte. Ob er diese Phrasen selbst glaubte? Wenn ja, wie hätte er dann soviel Macht erlangen können? Nein, sie war sich sicher, der Erzmagier dachte wie sie und hielt eine Fassade der gesellschaftlichen Gepflogenheiten aufrecht. Sie würde das ebenfalls tun.

„Magie ist heutzutage ein schwammiger Begriff geworden. Gerade die Menschen aus anderen Städten, in ihrer geistigen Schlichtheit, subsumieren vieles unter diesem Wort.

Magie, wie wir sie verstehen, ist die Magie der Elemente. Es ist die Kunst die Essenz der Welt aufzunehmen, zu bündeln und wieder freizulassen. Erde, Wasser, Feuer, Luft.

Alles andere, wie die klerikalen Zaubereien haben nichts mit Magie zu tun. Schon gar nicht hat der schamanistische Firlefanz irgendwelcher primitiven Völker irgendetwas mit Magie gemein, obwohl dieser Firlefanz ebenfalls aus der Natur kommt, im Gegensatz zu dem klerikalen Hokuspokus, der letztendlich nur eine Manifestation einer höheren Macht ist und mit dem Ausübenden wenig zu tun hat.

Wir werden das Wort Magie nur im Sinne elementarer Magie verwenden und für nichts anderes. Gibt es bis hierhin Fragen?“

Ilahjas Arm schoss augenblicklich in die Höhe.

„Ja, bitte.“

„Erzmagier, was für eine Art von… Hokuspokus verwenden die Nekromanten? Unter welche Kategorie fällt die Balrass-Beschwörung und was üben die Hexen aus?“

Merandial lächelte.

„Du bist eine sehr aufgeweckte Schülerin, das gefällt mir. Ich möchte nur kurz auf deine Fragen eingehen. Die Nekromanten benutzen ebenfalls klerikale Zauberei.

Die Hexen benutzen eine spezielle Form von Naturmagie, die stark an Ingredienzien gebunden ist.

Balrass-Beschwörung ist etwas mit dem man sich nicht beschäftigt, nichts Gutes, Reines kann daraus erwachsen. Balrass sind Wesen von abscheulicher Bösartigkeit, Ausgeburten der Finsternis, die unsere Welt 1000 Jahre in ihrer Gewalt gehalten haben. Wer sie in diese Welt bringt, holt sich das Verderben und kann nur als wahnsinnig bezeichnet werden.“

Ilahja lächelte in sich hinein. Er hatte diese letzte Frage nicht beantwortet. Sie wusste sehr wohl, dass Magie, Elementarmagie Balrass zwingen konnte und genau das wollten die Meister nicht, sie wollten nicht einmal, dass ihre Schüler wussten, dass es geht, so groß war die Angst vor dem jenseitigen Reich. Ilahja hatte keine Angst vor diesem Reich. Sie hatte beim Lesen des Buches erkannt, dass es ein Ort großen Potentials war, der nur darauf wartete erschlossen zu werden.

Den Rest der Vorlesung hörte Ilahja nur mir halben Ohr zu. Merandial erklärte das Grundprinzip der Elementarmagie. Er veranschaulichte an einer Tafel, die er mit Magie zum Leben erweckte, wie die vier elementaren Hauptadern vom Kern des Planeten Richtung Erdkruste, Blitzen gleich, strahlten und kurz unter der Oberfläche verästelten. Diese einzelnen Äste nannte man Adern und ein Magier konnte, stand er auf einer Ader, diese Energie aufnehmen und speichern oder direkt umsetzen. Die Adern waren immer in Bewegung. Nur sehr selten gab es feste Adern, die immer zwei Punkte verbanden. Eine davon war die Ader zwischen Myragon und Kalatharan.

Selten gab es Knotenpunkte an denen sich zwei Adern kreuzten, noch seltener drei oder gar alle vier. Am seltensten war ein stabiler Knotenpunkt aller vier Adern. Der einzig bekannte lag unter dem Zentrum Myragons. Dies war ein Grund warum vor Äonen die Stadt genau hier gegründet worden war.

Die Akademie lag auch in der Nähe dieses Zentrums, sodass die Schüler nicht weit laufen mussten um neue Energie aufzunehmen. Allerdings führte keine der vier Adern direkt unter der Akademie durch. Man wollte wohl vermeiden, dass ein Schüler von der direkten Menge übermannt wurde und ein Desaster auslöste.

Zum Abschluss der Stunde erklärte Merandial die Möglichkeiten der Spezialisierung auf eines der Elemente oder für alle offen zu bleiben. Die meisten Myragonen spezialisierten sich auf Wassermagie, da diesen den Schild speiste und das Trinkwasser bescherte, viele wandten sich auch der Erdmagie zu, mit der man das wenige Getreide und Kräuter wachsen lassen konnte. Feuer und Luft waren weniger beliebt.

Für Ilahja war klar, dass sie sich niemals spezialisieren würde. Sie musste die Magie in allen Aspekten erforschen. Weniger war nicht genug, nicht für sie.

Der Wächter

Im Jahr nach dem Tod des Einen 9335

Es war Schlafzeit. Wind durfte nur fliegen, wenn alle anderen träumten, zu groß war Vaters Sorge, man könnte ihn entdecken und ihnen wegnehmen. Diese Sorge war für Yorin momentan unbedeutend. Viel größere Sorgen machte er sich vor dem, was ihm unmittelbar bevorstand.

Vater befestigte den Sattel, den er über viele Monate angefertigt hatte. Die Steigbügel waren verstellbar, so dass Yorin in den Sattel hineinwachsen konnte.

Die Mutter kam von hinten und drückte ihren Sohn. Yorin spürte ihre Angst, was ihn noch mehr fürchten ließ. Vater winkte ihn herüber. Zitternd schritt er auf seinen Schriikar zu.

„Lass ihn erst nur ein bisschen laufen, um dich an den Sattel zu gewöhnen und dann fliegt ein bisschen. Aber nur dicht über dem Boden.“

Selbst Vater war besorgt. Yorin war kurz davor panisch zu werden. Aber noch mehr Angst hatte er davor wieder in Ungnade zu fallen, wenn er sich weigerte. Also stieg er auf.

„Das ist total hoch.“

Er wollte absteigen, doch zu spät. Wind trabte los. Yorin schwitzte wie ein Nak’Thu in Solesgaard, so zumindest ging die Redewendung. Fast schon hysterisch klammerte er sich an den Knauf.

Der Schriikar trabte eine große Runde und Yorin begann Gefallen daran zu finden. Doch dann wurde Wind schneller und schneller, er breitete die riesigen Flügel aus. Yorins Blut gefror.

Die Schwingen begannen zu schlagen. Der Junge war gelähmt vor Angst, nicht einmal schreien konnte er.

Die Flügel erzeugten dumpfe Geräusche, als sie die Luft nach unten zwangen und plötzlich war nichts mehr von Krallen bewehrten Füßen auf dem Ackerboden zu hören – Sie flogen.

Riesige Silhouetten schossen auf sie zu und dann unter ihnen hinweg – der Wald. Sie flogen über den Wald.

Die Kronen der Bäume rasten unter dem Jungen hinweg und formten ein grünes Meer.

Wenn der Schriikar die Flügel stillhielt, hörte man nur das Pfeifen des Windes. Jetzt wurde Yorin bewusst, wie unglaublich treffend der Name war, den er seinem Reittier gegeben hatte.

Der kleine Bauernjunge hatte einerseits unglaubliche Angst, aber andererseits war es großartig. Er flog. Er flog wie ein Vogel. In diesem Moment glaubte Yorin, dass er alles konnte – So mussten sich die Götter fühlen.

Als sie wieder zur Landung ansetzten, war Yorin fast traurig, dass es vorbei war. Nicht so traurig war er, dass die Landung schnell vorbeiging, denn Wind hoppelte ganz schön, als er versuchte seinen riesigen Körper vom schnellen Galopp abzubremsen.

Strahlend sprang er vom Sattel in Vaters Arme.

„Es war toll!“

Aus ihm unerfindlichen Gründen schien es ihm, als hätten seine Eltern auch Angst gehabt. Aber das war Yorin egal, fliegen war toll.

Der Nekromant

Im Jahr nach dem Tod des Einen 9336

Leise schlich Iallyn in die Küche. Seine Hände erhoben um sein Gesicht zu schützen. Vorsichtig spähte er um die Ecke. Von Ahlim war nichts zu sehen.

Vor einigen Wochen war er unbedarft in die Küche gegangen und dann war kurz alles schwarz geworden. Er hatte einige Augenblicke gebraucht, bis er begriffen hatte, dass Ahlim hinter der Tür gelauert und ihm mit einer Bratpfanne ins Gesicht geschlagen hatte.

Iallyns Nase war mittlerweile wieder zusammengewachsen, doch ein unschöner Höcker war geblieben. Seitdem war der Junge stets auf der Hut. Sein Erzfeind konnte überall lauern.

Ahlim bildete sich wohl ein, er könnte ihn auf diese Weise loswerden, doch da täuschte er sich. Iallyn war von seinem Dasein auf der Straße nichts anderes gewohnt, als täglich um sein Leben zu kämpfen. Er würde niemals klein beigeben.

Die Küche schien leer und daher nahm er sich ein Stück Brot und etwas Obst, dieses ‚Lesen lernen‘ war für ihn sehr anstrengend und machte ihn hungrig. Alles was er hier tun musste, war so anders, als das, was er auf der Straße gelernt hatte, mit Ausnahme der ständigen Kämpfe mit Ahlim.

Kaum hatte er an ihn gedacht, kam er auch schon um die Ecke. Ein kurzer Blick und Iallyn wusste was kommen würde. Ahlim ignorierte ihn so offensichtlich, dass der Jüngere sicher war, dass er gleich angegriffen würde.

Alle Muskeln in Iallyns Körper spannten sich. Er sah Ahlims schwaches Spiegelbild in der Fensterscheibe. Der Straßenjunge musste daran denken, wie wenige Menschen sich Glasscheiben leisten konnten, verdrängte diesen Gedanken aber sofort wieder und fixierte die Reflexion seines Feindes.

Ahlim schlug unvermittelt mit einem Nudelholz zu. Iallyn duckte sich, hörte das Holz auf Holz krachen und stieß mit dem Ellbogen nach hinten. Ahlim grunzte und hielt sich den Schritt – Treffer! Iallyn fuhr herum und schlug dem Älteren die Faust ins Gesicht.

Gekrümmt und jammernd rannte Ahlim hinaus. Iallyn grinste – Das war ein Sieg.

Auf dem Weg in sein Zimmer fragte sich der junge Schüler, warum Sollos nicht einschritt? Er konnte das unmöglich übersehen und nicht bemerken. Vielleicht war es ihm egal?

Ohne eine Antwort zu finden machte sich der Junge wieder an seine Leseübungen. Die Nacht war erfolgreich zu Ende gegangen, noch ein Kapitel und er würde zufrieden zu Bett gehen.

Die Gläubige

Im Jahr nach dem Tod des Einen 9337

Die kargen Wände der kleinen Kammer hallten von den gepressten Atemstößen. Devora hatte neulich versucht ein Schwert, das einer der Jungen liegen gelassen hatte, zu heben. Es war ihr nicht wirklich geglückt. Sie war zu schwach, um ein Schwert zu heben, aber sie würde es nicht bleiben.

Seitdem machte sie Liegestütze und andere Kraftübungen. Sie würde eines Tages stark genug sein Schwert und Schild zu führen.

Während sie ihren Körper quälte, dachte sie über den letzten Unterricht nach. Das Maß an Macht, über die ein Gläubiger verfügen konnte, hing von seiner Hingabe ab. Der Klerus hatte viele Mitglieder, aber nur die wenigsten konnten die göttliche Macht einsetzen. Es wusste niemand warum manchen dieses Geschenk zu Teil wurde und anderen nicht, alles was Devora wusste war, dass ihr dieses Geschenk zu Teil werden würde.

Der Krieger

Im Jahr nach dem Tod des Einen 9336

Garthuk bleckte die Zähne. Seine Reißzähne waren schon gut sichtbar und auch die Hörner, die bald in voller Pracht zu sehen sein würden, zeichneten sich bereits ab. Barguhm tat es ihm gleich. Auch bei ihm zeigten sich die Reißzähne und die ersten zarten Ansätze dessen, was bald der Stolz seines Hauptes sein würde.

Sie umkreisten einander in geduckter Haltung, zum Sprung bereit. Noch hatten ihre Körper nicht die breite muskulöse Form eines ausgewachsenen Rannuk, doch man sah, dass sie keine Kinder mehr waren.

Plötzlich schoss Garthuk nach vorne, schnell, doch nicht schnell genug. Barguhm wich zurück und hieb dem ins Leere taumelnden Gegner mit aller Kraft von oben die Faust auf den dicken Schädel. Grunzend fiel der Angreifer zu Boden, doch sprang sofort wieder hoch. Rannukschädel waren dick und hielten einiges aus.

Der wütende Angriff Garthuks war zu vorhersehbar und so lief er direkt in Barguhms Faust, die krachend auf der breiten, flachen Nase landete. Die direkt nachsetzende Linke traf den Kiefer und danach die Rechte das Jochbein. Garthuk taumelte zurück. Barguhm ließ sich nicht beirren und trat dem Gegner in den Magen. Dieser fiel rücklings um. Barguhm sprang auf ihn und hämmerte mit beiden Fäusten auf den dicken Schädel ein.

Irgendwann dämmerte Garthuk weg und Barguhm ließ von ihm ab. Er erhob sich und reckte die Faust in die Höhe. Die umstehenden Heranwachsenden quittierten diese Geste mit Jubel und Gebrüll.

Barguhm erblickte die alte Schamanin, die etwas Abseits den Kampf verfolgt hatte. Er stapfte zu ihr hinüber und versuchte dabei schwerer zu wirken als er eigentlich war.

„Gut gekämpft, Häuptlingssohn.“

„Ich werde meinem Vater Ehre machen und den Stamm weiter zu Stärke führen.“

Ihr Blick wurde sonderbar. „Ich habe die Knochen geworfen. Die Ahnen sagen, dass du ein großer Häuptling werden kannst. Aber bis dahin steht dir noch ein weiter Weg bevor. Vieles wird sich noch zum Schlechten wenden.“

Barguhm grunzte wütend. „Altes, geschwätziges Weib. Nichts wird mir in den Weg kommen und wenn doch, werde ich es tot hauen.“

Sie bleckte ihre Zähne, die paar, die sie noch hatte. Die Reißzähne der weiblichen Rannuk standen denen der Männer in nichts nach, doch waren ihre Hörner viel kleiner, aber leider immer noch größer als seine.

„Wer die Warnung der Ahnen missachtet, wird als Narr sterben.“

Ihr Gesicht war so nah an seinem, dass er ihren Atem riechen konnte. Sie hatte eine alte, runzlige Haut und ihre Augen waren trüb vom Alter. Weibliche Rannuk hörten früh auf zu wachsen, weshalb sie kaum größer war als er.

Barguhm spürte einen Hauch von Angst in ihm aufsteigen, für den er sich sofort schämte.

Sie spuckte ihm ins Gesicht und ging.

Barguhm war schrecklich wütend und doch hallten ihre Worte in seinem Kopf wider. Es war dumm gewesen die Schamanin zu verärgern. Vater hatte ihm immer eingebläut auf die Schamanen zu hören und ihren Rat zu achten, sonst war der Häuptling bald allein.

Zerknirscht ging er zurück in den Kreis, stellte sich neben seinen Vetter Agguhm und wartete ungeduldig, bis er wieder an der Reihe war. Er musste jetzt unbedingt irgendwen umhauen.

Der Wanderer

Lange habe ich an dieser improvisierten Ladestation herumgeschraubt. Eine Konstruktion die jeden Elektriker abwechselnd zum Lachen und Weinen bringen würde. Aber sie funktioniert. Ich kann sehen wie die Batterie meines Gefechtsanzuges, die auf sehr abenteuerliche Weise mit der Batterie der Plasmalanze verbunden ist, eben diese auflädt.

Ich bin durchaus stolz auf meine Ingenieurskunst, so ganz ohne Werkzeug, nur mit meinen Fingern und dem Messer habe ich großes Erschaffen.

Ich kann nicht umhin zu denken, dass in dieser Zeit die Menschen alles nur mit ihren Händen erschaffen. Riesige Kathedralen wachsen, Stein auf Stein gesetzt, über Jahrhunderte in den Himmel. Ehrfurcht erfüllt mich, wenn ich an diese unfassbare Leistung denke.

Ich lehne meinen Rücken gegen den Baum, lasse die Elektronen ihre Arbeit verrichten und nehme wieder das Tagebuch. Anfangs habe ich es so verflucht das kleine Ding aus gepresstem Holz, aber mittlerweile ist es dieses Buch, das meinen Verstand daran hindert völlig dem Wahnsinn zu verfallen.

Ich blättere schnell zu der Seite wo ich meine Prinzessin Solestila verlassen habe.

Das Zwitschern der Vögel dringt an mein Ohr. Vor Äonen, so berichten die Gelehrten, sangen die Vögel zur Morgenstunde, aber seit es so etwas nicht mehr gibt, singen sie immer. Generell ist alles in der Welt des Lichts ewig.

„Hoheit?“

Die sonore, alte Männerstimme reißt mich aus meinen Gedanken.

„Verzeih, ich war abgelenkt.“

„Wie gewöhnlich.“

Ich lächele ihn entschuldigend an und Polvan schüttelt leicht den Kopf. Polvan ist mein Lehrer gewesen und ist es irgendwie immer noch, auch wenn er behauptet ein Berater zu sein, der mich über alles Wichtige auf dem Laufenden hält.

„Hoheit, es ist für Euch von absoluter Wichtigkeit über die politischen Geschehnisse Bescheid zu wissen.“

„Ich weiß, ich bin jetzt aufmerksam, versprochen.“

„Allein mir fehlt der Glaube.“

Polvan räuspert sich und fährt mit seinem Vortrag fort.

„Die Situation in den Kolonien wird aus vorhin genannten Gründen immer schlechter. Die Gon‘Schuk, die Kigen und die Japara haben sich bereits verbündet und fechten unseren Hoheitsanspruch an.“

„Sollen sie doch, was kümmert das uns?“

„Hoheit, das könnte zu Krieg führen.“

„Die haben nur Messer und Äxte aus Stein, die werden uns nicht angreifen, so dumm werden die schon nicht sein.“

„Dumm nicht, aber verzweifelt. Es ist ein stolzes Volk mit einer langen Geschichte. Etwa 150 Jahre bevor Euer Vater Farelionien entdeckte, gab es einen großen Häuptling…“

Der Gesang der Vögel verbindet sich zu einer Symphonie, die mich in den Bann zieht und meinen Geist in den Himmel trägt.

Ga‘Tschumba ist ein Spiel, das die Wilden aus den Kolonien mitgebracht haben. Gespielt wird es mit bunten Halbedelsteinen, die auf ein sonnenförmiges Spielfeld abwechselnd platziert werden. Jeder Spieler hat drei verschieden farbige Steine, die alle verschiedene Funktionen und Anwendungsweisen besitzen und zudem ergeben sich neue Möglichkeiten durch die Kombination verschiedener Steine.

Mich hat schon immer fasziniert, dass ein so primitives Volk ein so komplexes und schwieriges Spiel ersonnen hat – Können nicht mal einfache Holzhäuser bauen, aber ein Spiel erfinden, das eine gebildete Prinzessin der Sonnenkinder zum Verzweifeln bringt.

Mein Spielpartner ist Luktonis, ein Auserwählter. Einige, wenige Menschen haben das Glück, das sich im Moment ihrer Geburt ein Lichtwesen zu ihnen gesellt und sie dann ihr ganzes Leben begleitet.

Früher zumindest dachte ich immer sie seien etwas Besonderes und wollte unbedingt auch ein Lichtwesen, aber mittlerweile bin ich mir ziemlich sicher, dass mich der ständig um mich herumschwirrende Irrwisch wahnsinnig machen würde.

Die Lichtwesen sind im Prinzip nur helle, strahlende, kleine Kugeln, die ihren Auserwählten umkreisen.

Früher, lange vor meiner Geburt hatte der Hohepriester oder die Hohepriesterin alle Auserwählten um sich versammelt, aber heutzutage entsendet man sie in die Welt um das Licht zu preisen. Ich kann es den Priestern nicht verübeln, die sogenannten Auserwählten reden wahrhaftig merkwürdiges Zeug, Luktonis zumindest tut das. Er macht ständig irgendwelche Andeutungen, die man schon fast als Sonnenlästerung bezeichnen müsste. An Kritik gegenüber der Priesterschaft spart er auch nicht.

Die Lichtwesen kommen vom Herrn der Sonne, sendet er sie an solche Leute um sie unter Kontrolle zu halten, werden die schlimmsten Ketzer auserwählt? Für mich ist dies alles sehr rätselhaft, aber man muss Luktonis eines lassen: Er kann Ga’Tschumba spielen.

„Mist, schon wieder verloren.“

„Verzeiht Hoheit, aber Ihr wiest mich an nicht absichtlich zu verlieren.“

„Natürlich nicht, ein geschenkter Sieg ist kein Sieg.“

„Wahre, weise Worte und ich muss ebenso wahrhaftig sagen, dass sich Euer Spiel stark verbessert, es fällt mir schwerer und schwerer Euch zu schlagen.“

„Ich strebe dem Sieg entgegen, Luktonis.“

„Fürwahr, wie der eine Gott eins sagte: ‚Strebe danach zu sein wie ich, du wirst es nie schaffen, aber bei dem Versuch wachsen und erstarken.‘“

„Erstens, der Eine ist tot, sodass wir ihn zweifellos überflügelt haben. Zweitens, war er ein machthungriges, egomanisches Wesen, das in dieser Welt keinen Platz hatte und drittens, sollst du in meiner Gegenwart diese Häresie lassen.“

„Verzeiht, Hoheit, manchmal kommt es einfach über mich.“

„Kein Wunder, dass du beim Hohepriester rausgeflogen bist. Sei lieber dankbar, dass er dir deinen Kopf gelassen hat. Ich verstehe nicht, warum Lukton, dein Namensgeber, dir das Lichtwesen schenkte.“

Bei diesem Satz treffen sich unsere Blicke und ich sehe in seinen Augen, dass es eine Wahrheit gibt, die er kennt, aber nicht teilen will.

Ich fröstele und bin fast dankbar, als ein nicht wirklich schöner, junger Bursche neben mir steht.

„Hoheit, dürfte ich meine Aufwartung machen, ich bin Ilfrin, Sohn des Grafen von Jelhaven.“

Jelhaven, eine kleine Stadt am Meer, die erst durch den Handel mit den Kolonien in den letzten Jahren an Bedeutung gewonnen hat. Eine Familie ohne besondere Geschichte – Neureiche Möchtegerne.

„Hoheit, ich wollte mich ohnehin verabschieden.“

Luktonis verneigt sich höflich, erst vor mir, dann vor Ilfrin, der ihm keine Beachtung schenkt, sondern in meinen Ausschnitt stiert.

„Nun Ilfrin, setzt Euch und spielt mit mir eine Runde. Ihr kennt doch Ga’Tschumba, das neue Lieblingsspiel jedes Mannes von Welt?“

„Äh, ja sicher.“

Ich grinse in mich hinein und freue mich einen weiteren Trottel in diesem Spiel des Intellekts auseinander zu nehmen.

Zufrieden pfeifend, schlendere ich durch die Gänge des Palastes. Ilfrin erlitt auch im dritten Spiel eine vernichtende Niederlage und zog sich beschämt zurück. Nach jedem verlorenen Spiel war er ein bisschen mehr in sich zusammengesackt.

„Solestila.“

Leicht erschrocken wirbele ich herum.

„Mutter.“

„Wie geht es dir, meine Tochter?“

„Gut, wie gewöhnlich.“ Ich strahle wie ich es meistens tue.

„Ja, wie gewöhnlich.“ Sie seufzt.

„Bedrückt dich etwas?“

„Wenn du nur aufhören würdest jeden jungen adligen Mann zu demütigen und einfach mal versuchen würdest eine brave Prinzessin zu sein.“

Ich kann mich eines diebischen Lachens nicht erwehren.

„Solestila, ich finde das nicht lustig, irgendwann gehen selbst dir die Verehrer aus.“

„Oh, hoffentlich schon bald.“

Mutter schnaubt und lässt mich im Gang stehen. Warum nur können sie mich nicht mit diesem blöden Heirats-Mist in Ruhe lassen?

Als ich in mein Zimmer trete steht Vater bereits am Fenster.

Er blickt mich streng an.

„Solestila, meine Tochter. Wir waren sehr geduldig, wollten immer, dass du glücklich wirst, aber eine Königin kann nicht alleine sein. Wenn du dich nicht bald für einen Mann entscheidest, werde ich es für dich tun.“

„Was? Ich bin gerade mal 24? Bei allen Strahlen der Sonne, hast du den Verstand verloren?“ Das war schlecht.

Wutschnaubend schreitet er auf mich zu.

„Sei gewarnt, Tochter. So lasse ich nicht mit mir reden, auch nicht von dir.“

Krachend schlägt die Tür zu.

So selten bin ich traurig, aber manchmal geht selbst meine Sonne unter.

Ich setze mich auf mein Bett, ziehe die Knie an die Brust, umschlinge meine Beine mit den Armen, als ob sie ein Mensch wären, der mir Trost spenden würde und lasse meinen Tränen freien Lauf.

In solchen Momenten fühle ich mich unendlich allein.

Belvi klettert mühsam auf mein Bett wankt über die weiche Matratze und tätschelt meinen Arm.

Ich packe ihn und drücke ihn an mich. Meine Tränen sickern in sein flauschiges Fell.

Die Magierin

Im Jahr nach dem Tod des Einen 9337

Ilahja saß in der Vorlesung, doch hörte nicht zu. Ihre vollkommene Aufmerksamkeit galt ihrer Handfläche. Diese sah aus wie immer, doch etwas Fundamentales hatte sich geändert. Sie hatte ihre Tätowierungen erhalten.

Sie musste an den gestrigen Tag denken, wie sie nackt auf der Liege gelegen war und der alte Mann mit der Nadel unsichtbare Symbole in ihre Haut gestochen hatte. Der Schmerz war teilweise unfassbar gewesen, vor allem entlang der Wirbelsäule und im Gesicht. Doch es war auch wunderschön zugleich gewesen, denn nun war sie eine wirkliche, leibhaftige Magierin Myragons.

Die magischen Symbole, die mit der speziellen, magischen Substanz eingestochen wurden, dienten als Fokuspunkte. Mit diesen ist es einfacher die Magie an dieser Stelle zu bündeln.

Ilahja ließ etwas Magie in ihre Hand gleiten und das Symbol in ihrer Handfläche flammte auf. Die junge Magierin fühlte sich drei Meter groß, als sie die feinen strahlenden Linien in ihrer Hand betrachtete.

„Ilahja!“

Sie schreckte hoch. Ihr Lehrermeister für Wassermagie blickte Sie tadelnd an und die Mitschüler kicherten leise.

Ilahja zwang sich zu einem Lächeln.

„Ja?“

„Da du es wohl nicht als nötig erachtest zuzuhören, möchtest du vielleicht den Zauber vorführen?“

Ihre Mitstudenten lachten.

Wut brannte durch ihren Körper und sie erhob sich mit steinerner Miene.

Langsam, erhaben schritt sie in Richtung Tafel.

Leider hatte sie tatsächlich nicht zugehört und keine Ahnung worum es ging. Während ihres grazilen Ganges, der vor allem Zeit schinden sollte, spähte sie, wie beiläufig auf die Tafel, panisch nach einem Hinweis suchend worum es ging.

Ihre Mitschüler glucksten hämisch.

Angst vor der Blamage, Wut über die schadenfrohen Mitschüler und Hass auf ihren Lehrer verschmolzen zu Trotz. Ihre Blicke jagten unmerklich über die Tafel. Sie wollte sich keine Blöße geben.

Sie ließ Ihren Blick, während sie langsam die Stufen herab schritt, beiläufig wandern und immer wieder über die Tafel gleiten.

Sie wurde fündig – Ein simpler Wasserzauber.

Sie verließ die letzte Stufe und trat vor Ihren Lehrer.

Die junge Frau stellte sich dicht vor den deutlich größeren Mann, sie schätzte ihn auf Mitte vierzig, und blickte ihm fest in Augen. Er erwiderte ihren Blick herausfordernd und selbstsicher. Ilahja lächelte müde, öffnete ihre Hände und ließ es auf alle Pflanzen im Raum gleichzeitig regnen.

Das Lachen im Raum endete abrupt, dem Lehrer fiel alles aus dem Gesicht.

Überheblich zwinkerte Ilahja Ihrem Lehrer zu, drehte sich um und schritt selbstsicher zu Ihrem Platz zurück, begleitet vom erstaunten Tuscheln der anderen Schüler.

Der Wächter

Im Jahr nach dem Tod des Einen 9340

Kalatharan war riesig. Noch nie war Yorin in der Stadt gewesen und er war begeistert. Die Hauptstraße war so breit wie der Marktplatz des Dorfes in der Nähe ihres Hofes. Ihr Ochsenkarren und zahllose andere Wagen versuchten sich durch die überfüllten Straßen zu quetschen. Mensch und Tier pressten sich aneinander. Den widerlichen Gestank nahm Yorin nicht wahr, er war überwältigt von den Eindrücken.

Der Junge war furchtbar stolz, dass er vorne bei Vater sitzen durfte. Seine Mutter saß mit seiner kleinen Schwester hinten. Mittlerweile konnte die Kleine schon richtig reden und rannte überall herum, nur vor Wind hatte sie noch Angst.

Vater stieß ihn an und deutet nach oben. Yorin konnte es kaum glauben. Man hatte ihm von der Festung der Wächter erzählt, die auf einem Berg über der Stadt thronte. Sie war fantastisch.

„Die Burg der Wächter Kalatharans wurde auf einem Felsen errichtet, den man nur fliegend erreichen kann. Die Schriikar brachten damals Baumaterial und Arbeiter hinauf und bringen bis heute die Nahrung und was sonst noch benötigt wird hin.“

Einerseits faszinierte ihn dies, andererseits war er doch etwas betrübt.

„Wir können uns die Burg nicht ansehen?“

Der Vater lachte. „Nein mein Sohn, das können wir nicht, aber du wirst sie eines Tages sehen.“

Ja, dachte sich Yorin, eines Tages werde ich sie sehen.

Er und zahllose andere zeigten plötzlich jauchzend in den Himmel. Über der Burg, weit weg sah man ganz klein einen Schriikar, auf dessen Rücken ein kleiner, in der Sonne funkelnder Punkt saß. Ja, eines Tages wohne ich auch da.

Die Heimfahrt war alles andere als glücklich – Sie waren überfallen worden.

Yorin konnte es immer noch nicht glauben. Sie waren in einer Seitengasse Kalatharans gewesen und wollten etwas kaufen, da war aus dem Nichts ein Mann erschienen und hatte Vater mit einem Messer bedroht. Der Mann hatte alles Geld mitgenommen.

Yorin konnte nicht verstehen warum Vater ihn nicht umgehauen hatte?

Nun rollten sie auf der Straße zurück zu ihrem Hof. Seine Mutter und Schwester saßen hinten und weinten, während Vater wortlos den Karren lenkte.

Warum hatte Vater sich ausrauben lassen? Warum hatte er sich nicht gewehrt? Nicht gekämpft? Er konnte doch sonst alles?

Yorin schwor sich, dass er, war er erst ein Wächter, dieses Schwein finden und töten würde.

Der Nekromant

Im Jahr nach dem Tod des Einen 9340

Das Zimmer war nur schwach vom Kerzenlicht erhellt. Man konnte die Bücher im Regal nur erahnen und der große Schreibtisch war mehr eine abstrakte Masse.

Sollos hatte ihn herbestellt und Iallyn verspürte Angst. Warum er so empfand, konnte er nicht genau sagen, aber etwas lag in der Luft. Es war das Arbeitszimmer des Meisters und normalerweise hatten er und Ahlim keinen Zutritt.

Sollos blickte ihn ernst an. War der Meister vielleicht doch böse, dass er immer mit Ahlim kämpfte?

Obwohl er nicht laut sprach, dröhnte Sollos‘ Stimme durch den Raum.

„Du hast dich in den letzten Jahren als sehr zäher und guter Schüler erwiesen. Es wird Zeit einen Nekromanten aus dir zu machen.“

„Ich dachte das lerne ich schon?“

„Nein, es gibt eine Prüfung, die man bestehen muss, dann ist man Nekromant. Zwar ein Lehrling, aber ein Nekromant nichtsdestotrotz.“

Sollos legte eine Pause ein.

„Bist du bereit für diese Prüfung?“

Iallyn strahlte und nickte heftig mit dem Kopf, Worte brachte er vor Freude nicht hervor.

„Gut. Lege dich auf die Bank dort.“

Iallyn tat wie ihm geheißen und überlegte was wohl passieren würde.

„Ich werde dir einen Trank geben. Dieser Trank wird es dir ermöglichen ins Totenreich zu reisen. Dort wirst du einen Geist fangen und mit zurückbringen. Ich werde dich dann aus dem Totenreich zurückholen. Hast du alles verstanden?“

Iallyn nickte, obwohl er sich nicht sicher war, wie er einen Geist fangen sollte, aber er traute sich nicht zu fragen.

Sollos hielt ihm eine Schüssel an den Mund und der Junge trank. Es schmeckte grässlich.

Erst geschah nichts, dann krampfte er. Ihm wurde abwechseln heiß und kalt, Schweiß rann seinen Körper entlang und sein Herz raste. Es wurde schneller und schneller. Iallyn glaubte es würde explodieren. Dann setzte es plötzlich aus. Alles wurde schwarz.

Iallyn stand neben sich – Zum Entsetzen des Jungen, im äußerst wörtlichen Sinne. Er stand im Raum und starrte auf seinen leblosen Körper. Der Knabe war wie gelähmt. Fassungslos stand er da, verloren, hilflos.

Sollos murmelte irgendetwas. Iallyn versuchte es zu verstehen, doch er konnte nicht. Er versuchte Sollos zu berühren, doch seine Hand glitt durch ihn hindurch. Entsetzt taumelte der Junge zurück und stand mitten in einem Tisch.

„Ich bin tot. Das Schwein hat mich umgebracht!“

In Iallyn formte sich nur ein Gedanke – Ich bin zu jung zum Sterben!

Eine nebulöse, formlose Kreatur tauchte neben ihm auf. Sie streckte etwas Hand ähnliches nach ihm aus.

Iallyn zögerte, doch konnte er keinen anderen Ausweg erkennen. Irgendetwas in ihm schien ihn zu lenken.

Er ergriff die Hand. Sie war erstaunlich fest, dafür das das Wesen so körperlos aussah.

Die Kreatur schoss davon und riss den entsetzten Jungen mit.

Iallyn stand auf einem gewaltigen Friedhof. Krähen kreisten weit über seinem Kopf. Tote, verdorrter Bäume standen hier und da. Der Himmel war dunkler als bei Neumond und doch konnte er erstaunlich weit sehen. Voller Schrecken stellte Iallyn fest, dass das Totenreich genau so war, wie er es sich immer vorgestellt hatte.

Er hatte noch nie solche Angst verspürt. Es schien ihm, als sei alles was er jemals zuvor für Angst gehalten hatte nur ein schwacher Schatten von dem, was gerade von seinem Herzen, seinem ganzen Körper Besitz ergriff.

Eigentlich hätte er vor Angst gelähmt sein müssen, doch er tat langsame Schritte vorwärts. Ein Teil von ihm suchte nach einem Geist, der andere hoffte inständig keinen zu finden. Nach ein paar Schritten stoppte er und erhob ein klägliches, dünnes Stimmchen.

„Hallo?“

Nur das Pfeifen des Windes.

„Hallo?“

Nichts.

Er zitterte wie ein Zweig im Wind. Er wollte rennen, doch wusste er nicht wohin. Er wollte schreien, doch hatte er Angst seine Stimme könnte ihn zu Tode erschrecken. So stand er nur da und tat nichts.

Iallyn konnte nicht sagen wie lange er so da stand, doch irgendwann erhoben sie sich aus den Gräbern. Scheußliche Schemen aus weiß-blauem Nebel, verzerrte Fratzen, die von Qual und Leid kündeten – Hunderte, wenn nicht mehr.

Sie erhoben sich langsam überall um ihn herum und kamen auf ihn zu – Kein Ausweg, keine Flucht.

Er weinte, winselte. Sie kamen näher, langsam, aber stetig.

Er drehte sich immer wieder um sich selbst, doch fand keinen Ausweg. Sie kamen näher und näher.

Er hockte sich hin und weinte.

Sie waren fast bei ihm und streckten ihre Hände nach ihm aus. Sein Weinen wurde lauter und lauter, überall kamen die halb durchsichtigen, dünnen Klauenhände auf ihn zu. Als sie ihn berührten, gefror sein Herz.

Er schrie wie er noch nie geschrien hatte, er schlug um sich.

Starke Arme hielten ihn. Er wandte sich, brüllte und weinte.

Irgendwann verließ ihn seine Kraft und er sackte auf der Bank zusammen. Erst jetzt erkannte er Sollos über sich und sein Verstand kehrte langsam in seinen Körper zurück.

„Ich… ich habe versagt. Verzeiht, Meister.“

Sollos lächelte. „Noch nie hat ein Nekromant beim ersten Mal einen Geist gefangen. Die, die würdig sind unserem Gott zu dienen, die überleben. Die anderen sterben.“

Iallyn begriff nur langsam die Worte.

„Ich habe nicht versagt?“

„Nein, Amal Hasrath hat dich für würdig befunden. Dein Geist war stark genug dem Reich seiner Mutter zu trotzen. Du bist nun ein Nekromant, ein Lehrling zwar, aber ein Nekromant.“

Iallyn war glücklich wie noch nie zuvor in seinem Leben und die Frage, wie er jemals wieder den Mut aufbringen sollte in das Totenreich zurückzukehren, verschob er auf später.

Die Magierin

Im Jahr nach dem Tod des Einen 9337

Heilmagie war ein langweiliges Fach. Jeder Myragone lernte von Kindesbeinen an diese Magie und hier auf der Akademie wurde anfangs auch nicht viel Neues gelehrt. Außerdem war das Schließen von Wunden und das Richten von Knochen keine die Realität verändernden Zauber. Einen Toten zurückzubringen, das wäre eine Herausforderung, die Ilahja fesseln würde. Aber nach allem was sie wusste, konnten das nur die Kleriker und das auch nur unter ganz bestimmten Voraussetzungen. Oder natürlich die Nekromanten, aber Ilahja lehnte diese Form des Daseins strikt ab. Es war widernatürlich und falsch. In diesem Punkt zumindest stimmte sie mit ihren Lehrern überein.

Ilahja betrachtete die Schülerin neben sich. Sie war zwei Jahre älter, was an sich schon für ihre Talentlosigkeit sprach und dann stellte sie zusätzlich ihr Unvermögen täglich aufs Neue unter Beweis. Nehmala, wie sie hieß, bemühte sich geradezu verbissen diese primitiven Heilzauber zu meistern. Warum eine solch erbärmliche Person überhaupt zur Akademie zugelassen wurde, war Ilahja ein Rätsel.

Es störte sie einerseits schon, dass Nehmala sich an sie hängte, andererseits schmeichelte es ihr. Ilahja hatte zugestimmt, ihr Nachhilfe zu geben, was sie nicht wirklich fantastisch fand, aber kein Myragone verweigerte einem anderen die Hilfe. Dies war eine der Millionen Eigenschaften, die sie von den barbarischen Völkern jenseits des Schildes unterschied.

Ilahja hatte einmal gehört, dass anderswo Heiler an Tieren übten, denen sie erst Verletzungen zufügten, um sie dann zu heilen. Auf der einen Seite war dies einer der zahllosen Beweise für die Primitivität dieser Menschen, auf der anderen musste sich die junge Frau eingestehen, dass dies sicherlich einen höheren Lernerfolg erzielte als theoretisches Fachsimpeln. Wiederum andererseits waren sie Myragonen und brauchten keine einfachen Lernmethoden wie diese ungewaschenen Ur-Menschen.

Die Gläubige

Im Jahr nach dem Tod des Einen 9338

Es war nicht leicht leise zu sein und gleichzeitig Kampfübungen durchzuführen, doch mittlerweile war sie gut darin. Devora spähte aus der Luke im Dachboden auf die übenden Glaubenskrieger-Anwärter und machte es ihnen nach.

Da sie kein Schwert besaß, benutzte sie eine Eisenstange, die sie sich ‚geborgt‘ hatte. Die Stange war zwar kein Schwert, aber wenigstens in etwa so schwer, was sich an ihrer Oberarmmuskulatur bemerkbar machte. Sie war mittlerweile wesentlich stärker als die anderen Frauen im Kloster.

Dieses Doppelleben war nicht leicht. Alle Arbeit, die sie eigentlich verrichten sollte, musste sie vorher oder nachher erledigen. In gewisser Weise durchlief sie die Ausbildung zur Priesterin und zum Glaubenskrieger. Doch mit der Zeit hatte sie gelernt mit dieser Belastung zu leben, mit weniger Schlaf pro Nacht auszukommen und ihre Nacht noch strikter zu organisieren, als es das Kloster ohnehin schon tat. Sie hatte ein Ziel und nichts würde sie davon abbringen.

Der Nekromant

Im Jahr nach dem Tod des Einen 9340

„Es gibt drei Arten von Untoten: Beseelte, unbeseelte und Geister. Unbeseelte Untote sind die einfachste Form. Ein Nekromant kann einen Kadaver entweder wie eine Marionette lenken oder den Kadaver mit der Macht Amals erfüllen und losschicken. Der Vorteil dieser Untoten ist, dass sie keinerlei Organe brauchen. Sie kämpfen auch ohne Kopf, ohne Beine kriechen sie und ohne Arme treten sie. Ohne Arme und Beine beißen sie. Nur wenn dann noch der Kopf fehlt, sind sie recht nutzlos geworden.“

Iallyn hing an den Lippen seines Meisters.

„Der Nachteil dieser Untoten ist, dass sie ständige Kontrolle brauchen oder nur für sehr simple Aufgaben zur Verfügung stehen. In einer Schlacht hob ich den Leichnam eines Feindes, erfüllte ihn mit der Macht Amals und schickte ihn auf seine ehemaligen Kameraden. Vor Furcht sprangen sie zur Seite und er stapfte einfach durch ihr Reihen durch. Nach der Schlacht fand ich ihn zappelnd in einem kleinen Bachlauf.“

Iallyn lachte.

„Beseelte Untote sind sehr vielseitiger einsetzbar. Bei diesen wird der Kadaver mit einem Geist aus dem Totenreich beseelt und dieser Geist während des Prozesses an den Nekromanten gebunden. Dieser Untote kann dann, je nach Grad, es gibt große Unterschiede, unter Umständen sehr komplexe Aufgaben erfüllen und steht einem lebenden Menschen in nichts nach. Allerdings sind viele dieser Untoten recht anfällig gegen Enthauptung.“

Iallyn lachte erneut und Sollos schien seinen so erfrischenden Vortrag zu genießen.

„Zuletzt gibt es Geister. Geister sind die Seelen der Toten, die wir aus dem Totenreich holen. Sie sind körperlos und können daher auch nichts Materielles bewegen, können aber Leiden und Qualen hervorrufen oder eben zur Beseelung eines Kadavers dienen. Wenn du sie in diese Welt holst, sind sie entweder gänzlich unsichtbar oder als durchscheinende Schemen wahrzunehmen, abhängig davon wie weit du den entsprechenden Geist in diese Welt gezogen hast.“

Bei diesem Satz musste Iallyn wieder an seinen Ausflug ins Totenreich denken und fröstelte.

„Du wirst dich in nächster Zeit erst einmal mit dem Tod selbst beschäftigen. Du wirst dir alle möglichen Kreaturen fangen und ihnen beim Sterben und Verwesen zusehen. Dann wirst du diese Kadaver als unbeseelte Untote erheben.

Und danach werden wir uns darum kümmern, dass du lernst, wie man ohne Gifttrank ins Totenreich gelangt, aber dazu muss deine Verbindung zu unserem Herrn Amal Hasrath noch etwas gefestigter sein. Noch irgendwelche Fragen?“

„Gibt es auch Untote, die nicht von einem Nekromanten erschaffen wurden?“

Sollos nickte.

„Die kalten Jäger, auch Kinder Melahnas genannt. Es gibt sie nur auf der Nachtseite. Ihre Entstehung ist ein Rätsel, aber es gibt sie schon sehr lange.

Manchmal geschieht es auch, dass Geister aus ungeklärten Gründen in die Welt der Lebenden zurückkehren oder gleich dortbleiben, anstatt ins Totenreich zu reisen. Manche behaupten, diese Geister hätten etwas unerledigt zurückgelassen, aber diese Theorie halte ich für Humbug.

Solche Geister können manchmal tatsächlich auch in Kadaver fahren, ihre eigenen zum Beispiel und enden als unkontrollierte beseelte Untote.“

„Was war das für eine Kreatur, die mich ins Totenreich gezogen hat?“

„Das war ein Herold Amal Hasraths. Normalerweise werden die Toten von den Herolden Sehls ins Totenreich geführt. Durch den Trank und meine Fürbitten, geleitete dich ein Herold unseres Herrn ins Totenreich und wieder zurück. Er ist der einzige, der unbemerkt ins Reich seiner Mutter gelangen kann.“

Iallyn saß mit offenem Mund da und versuchte das Gehörte zu verstehen.

„So und nun ins Bett mit dir, du hast morgen viel zu tun.“

Iallyn lag in seinem Bett. Er hatte die ganze Nacht Tiere gefangen und ihnen beim Sterben zugesehen. Das hatte ihn so hungrig gemacht, dass er vor dem Schlafen noch Brot und Wurst vertilgt hatte. Die Kerze in seinem Zimmer brannte noch und er blickte auf die ganzen Glasgefäße, in denen er seine Studienobjekte aufbewahrte. Zwei Ratten, einen kleinen Vogel, diverse Insekten und eine Katze. Er hätte gern einen Hund gefangen, aber das war ihm heute nicht gelungen.

Er wollte gerne einschlafen, doch das fiel ihm noch immer schwer. Die Geister des Totenreichs verfolgten ihn in seinem Schlaf, auch noch zwei Monate nach seiner Reise in ihre Welt.

Die Tür zu seinem Zimmer öffnete sich plötzlich und Ahlim stand im Raum. Sein Blick troff vor Hass.

„Du glaubst wohl du kannst mich hier rauskriegen? Aber da irrst du dich. Ich werde Sollos einziger Schüler sein und du wirst wieder auf der Straße enden, du kleine stinkende Ratte.“

„Verpiss dich Ahlim, du würdest sowieso verrecken, bei deiner ersten Reise ins Totenreich.“

„Vielleicht, aber wenigstens würde ich mir nicht jede Nacht in die Hose pissen, wenn ich dran denke, so wie du kleiner Schisser. Du wirst dich sowieso nie wieder zurück trauen.“

Iladrias Fluch - Preis der Finsternis

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