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2. Entstehung und Typologisierung von Gated Communities 2.1 Entwicklungsgeschichte geschlossenen Wohnens und die Bedeutung von Grenzen

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Blakely und Snyder definieren GCs wie folgt: „Gated communities are residential areas with restricted access in which normally public spaces are privatized. They are security developments with designated perimeters, usually walls or fences, and controlled entrances that are intended to prevent penetration by nonresidents. They include new developments and older areas retrofitted with gates and fences, and they are found from the inner cities to the exurbs and from the richest neighborhoods to the poorest.“[6] Doch diesen Mauern wohnt, wie einer jeden Grenze, eine über diese Eigenschaften hinausgehende Bedeutung inne.

Grenzen wie der römische Limes oder die Berliner Mauer habe eine besondere Bedeutung, die über die territoriale Markierung der Machtabsicherung hinausgeht. In einem umfassenderen Sinne strukturieren sie als Zeitfaktoren Arbeitsabläufe, stellen im Geschichtsbewusstsein Einteilungskriterien im Hinblick auf persönliche wie epochale Zäsuren dar, sie bestimmen in unserem Rechtssystem, in welchem Ausmaß die Freiheit des Einzelnen mit der Freiheit des Anderen vereinbar ist.[7] Im Hinblick auf zugangsbeschränkte Wohngebiete kann man somit sagen: „The setting of boundaries is always a political act. Boundaries determine membership: someone must be inside and someone outside.“[8] Sie gehören zu den Konstanten menschlichen Denkens und Handelns und reichen bis in das scheinbar grenzenlose World Wide Web oder die Globalisierung hinein, in der variable Netzwerkgemeinschaften sowie virtuelle Profile selbstverständlich geworden sind.[9] Solche persönlichen Gruppenzugehörigkeiten, genauso wie zwischen- und innerstaatliche Grenzen unterliegen einer „historischen Halbwertszeit“[10], die durch die kulturelle Relevanz bestimmt wird, die man ihr beimisst, was kurzum bedeutet, dass sie veränderbar sind.[11]

In der Wissenschaft kann man eine Art des Überbietungswettkampfs beobachten, in dem es darum geht, wer die ersten physischen Abgrenzungen von (Wohn-)Gebieten weiter zurückdatieren kann. Einige Autoren beginnen ihre Betrachtung mit antiken römischen Siedlungen um 300 v.Chr. in England, die bereits mit Wällen gesichert wurden.[12]

Abseits dieser teilweise zu weit führenden Suche nach historischen Parallelen kann ein Blick in die Geschichte jedoch wichtig sein, will man die aktuellen Entwicklungen in einen längerfristigen Kontext einordnen. Zu den Kerncharakteristika der modernen europäischen Stadt rechnet man unter anderem eine hohe Bevölkerungsdichte, Nutzungsmischung und die soziale Mischung.[13] Dieses Modell hat eine lange zurückreichende Tradition in Europa. Die mittelalterliche Stadt war hier zwar eine geschlossene Stadt, deren Mauern militärischen Schutz boten, den wirtschaftlichen Raum abgrenzten, indem sie die Bewegung von Gütern und Personen zwischen Stadt und Land regulierten, ein Gefühl von Sicherheit stifteten und eine Einheit des ständischen Gemeinwesens konstituierten. Sie waren jedoch niemals alleine Orte der Ausgrenzung.[14] Viel mehr bildeten die innerhalb der Mauern lebenden Bürger eine sozial äußerst heterogene Gruppe, die auch ärmere Schichten mit einschloss. Es war eine verbindende Rechtsgemeinschaft, die nicht ein ähnlicher sozialer Status, sondern das soziale Ungleichheiten überspannende Bürgerrecht verband.[15] Europäische Stadtgeschichte ist nach Walter Siebel somit auch Emanzipationsgeschichte.[16] Soziale Durchmischung erfolgte sowohl im „Ganzen Haus“ der Handwerker, das verschieden sozioökonomische Gruppen umfasste als auch in einem kleinräumigen Nebeneinander unterschiedlicher Stände und Berufsgruppen sowie durch die allgemeine Zugänglichkeit des öffentlichen Raums.[17] Diese Formen des städtischen Mit- und Nebeneinanders verschiedener Stände und Schichten ähnelten sich noch im 15. Jahrhundert stark und erhielten sich bis ins 19. Jahrhundert. „Ein abgeschlossenes privates Wohnen war in diesen relativ offenen und durchmischten Lebens- und Arbeitsorten nicht möglich und damals auch nicht angestrebt.“[18]

Ethnische Quartiere mit besonderer Rechtsstellung treten hingegen bereits früh in der Stadtgeschichte auf. Besonders harte Segregations- und Ausgrenzungsformen stellten z.B. die „Morerias“ dar, ummauerte Stadtviertel in Spanien zur Zeit der Reconquista, in denen Muslime leben mussten oder Judengassen, -viertel und -ghettos in europäischen Städten. Dabei wurde das venezianische Ghetto, das auf das ungeliebte Stadtviertel der Eisengießer (geto) verweist, in dem Juden ab 1516 leben mussten, zum Inbegriff erzwungener sozialräumlicher Segregation. Ähnlich wurde die Frankfurter Judengasse allabendlich von außen verschlossen. Außerdem es war Juden verboten, an christlichen Sonn- und Feiertagen und bei Krönungen, Festlichkeiten und Hinrichtungen die Stadt zu betreten.[19] Im Gegensatz zu solchen diskriminierenden Vierteln sind mittelalterliche Kaufmannssiedlungen der Hanse oder der Republik Venedig zu nennen sowie Europäerviertel in überseeischen Kolonialstädten.[20] Neben dieser eurozentristischen Perspektive blicken einige Autoren über den westlich fokussierten Kontext hinaus und betonen, dass GCs nur innerhalb des jeweiligen regionalen Kontextes verstanden werden können. So seien z.B. die neu entstehenden geschlossenen Wohnanlagen in China, die in Folge des Immobilienbooms an der Ostküste entstanden sind, nicht auf US-Vorbilder, sondern auf den Typus des chinesischen Hofhauses zurückzuführen, also eine Tradition, die in die Kaiserzeit zurückreicht.[21]

Doch reine Gated Communities entstanden erst im 19. Jahrhundert.[22] Mit der Wanderung zahlloser Arbeiter vom Land in die Städte löste sich die alte ständische Ordnung auf und unterschiedliche Lebensweisen und Klassen trafen verstärkt aufeinander.[23] Zu dieser Zeit wurden die Städte entfestigt, da sie der rasant steigenden Einwohnerzahl nicht mehr ausreichend Platz boten und da die Stadtmauern in Zeiten immer neuer militärischer Entwicklungen nicht mehr ihrer ursprünglichen Schutzfunktion gerecht werden konnten. Im Zuge der Industrialisierung und Urbanisierung veränderten sich die Raumstrukturen und Segregationsmuster europäischer Städte grundlegend und Öffnung wurde zum ihrem prägenden Kennzeichen.[24] Die wirtschaftlichen und politischen Reformen, wie Gewerbefreiheit oder Bauernbefreiung sowie die politischen Umbrüche ließen die historische Stadtgesellschaft auseinanderbrechen. Die Arbeiter bezogen Wohnorte nahe am Arbeitsplatz, die armen Zuwanderer und die verelendete städtische Unterschicht wohnten in vernachlässigten Quartieren, während die Oberschicht in noble Wohnungen entlang der an alten Stadtmauern entstehenden Ringstraßen oder in den Vorstädten zog und die ersten abgeschlossene Villenkolonien im Umland von Berlin, in Paris, oder im Londoner Westend entstanden.[25] Hierauf nehmen Autoren gelegentlich Bezug, wenn die von GCs als europäische Erfindung sprechen.

Zur gleichen Zeit entstanden die ersten umzäunten Wohnanlagen in den USA. Besonders häufig erwähnt werden dabei der Tuxedo Park in New York oder Privatstraßen in St. Louis.[26] Im 20. Jahrhundert wurden dann in den USA immer mehr bewachte Wohnorte für die Ostküsten-Aristokratie und Hollywoodstars errichtet. Sie dienten vor allem der Gewährleistung von Privatheit, Schutz und Prestige: „They were uncommon places for uncommon people.“[27] Die Suburbanisierung in den USA und Westeuropa nach dem Zweiten Weltkrieg, führte zu einer Zunahme von geplanten Wohngebieten, doch auch hier standen eher Exklusivität, Prestige und das Freizeitangebot im Fokus. Erst ab den 1980er Jahren wurden vermehrt geschlossene Wohngebiete erschlossen, die primär dem wachsenden Bedrohungsgefühl ihrer Bewohner Rechnung trugen.[28] Dabei kann ein Multiplikatoreffekt beobachtet werden. Wenn Planer von Wohnsiedlungen feststellen, dass Konkurrenten, die ummauerte Wohnsiedlungen anbieten, damit erfolgreicher sind als sie, werden sie wahrscheinlich zukünftig ebenfalls dementsprechend modifizierte Wohnmöglichkeiten anbieten.[29]

Die heutige Ausbreitung von GCs lässt sich nicht genau beziffern, jedoch steht fest, dass es sich um ein globales Phänomen handelt, das schon lange nicht mehr nur die USA und Dritte Welt Länder umfasst, sondern auch z.B. in der Schweiz, Schweden, Spanien, Frankreich, England, Deutschland, einigen Ländern des ehemaligen Ostblocks, Japan, Australien oder Neuseeland – zum Teil wieder - Fuß gefasst hat.[30] In jüngster Zeit entstehen sie im Zuge einer Renaissance der Städte besonders in den zuvor gemiedenen Innenstadtbereichen.[31]

Die neuen Mauern der Ungleichheit

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