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Sechstes Kapitel.

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Es ist dämmrig geworden.

Malva sitzt in ihrem Zimmer vor der Staffelei. Sie hat ihr Tagewerk für heute vollendet.

Die Pinsel sind sorgsam gereinigt und nebst den Farbentuben in dem Malkasten geordnet, die verschiedenen Flaschen mit Terpentin, Lack und Sikkativ stehen auf einem kleinen Wandbord zur Seite, und neben dem großen, japanischen Wandschirm ragt schier gespensterhaft die große Gelenkpuppe empor, an welcher die Stoffe drapiert werden, wenn es eine Studie in Faltenwurf gilt.

Die große, derbleinene Malschürze ist ebenfalls abgelegt und hängt seitwärts an einem Riegel, wo noch mehrere Kostümstücke, welche zurzeit von einem Modell gebraucht werden, der Verwendung harren.

Malva hat die Hände im Schoß gefaltet und starrt nachdenklich auf das beinahe vollendete Bild; ein träumerisches Lächeln stillen Glückes liegt um die zartfarbenen Lippen, die reine, edle Freude am Schaffen, an dem sichtbaren Erfolg, welcher Tag für Tag mehr und auffälliger unter ihren fleißigen Händen heranwächst.

Wahrlich, ein originelles, frisches und sehr ansprechendes Motiv.

»Nur vierzig Pfennige!« soll der Titel des Bildes lauten.

Ein Marktstand — hochbepackte Körbe voll Grünkram, Gemüse und Obst, seitwärts vom Nebenstand noch eine niedere Holzwanne voll silberglitzernder Heringe.

Inmitten der bunten, appetitlichen Schätze aber steht ein kleines Mädel, so drall, keck und lustig, daß einem das Herz lacht, wenn man in die schelmischen Augen sieht. Nackte Beine und Arme, ein kurzes Wollröckchen und ein grobes Hemd.

Hinter jedes Ohr hat der lachende, kleine Übermut ein Bündel Radieschen gesteckt, und breitspurig dastehend, reckt sie den runden Arm schier aus dem Rahmen heraus, bietet einen schneeweißen Blumenkohl dar und versichert dem Beschauer: »Nur vierzig Pfennige!« —

Ja, es ist billig, wirklich sehr billig! —

Jeder, der das Bild sieht, jubelt hellauf vor Vergnügen, und gestern hat Malva die Köchin überrascht, wie sie das gesammte Küchenpersonal heimlich in »Komtesse ihre Kunsthalle« geführt hat.

Welch ein fröhliches Gelächter.

»Det Jöhr is ja zum Schreien!« versichert die dicke Beherrscherin der Kochtöpfe voll eitel Anerkennung; »wie sie leibt und lebt, die kleene Juste von der Jänicken nebenan! — Wie hat Komtesse det drollige Racker nur gleich so ausbaldowert! Na — für vierzig Pfennige nehm ick ihr den Kohl jleich ab! Jotte doch, so wat von Malerei! Die Jemüse sin ja man bloß zum Jreifen deutlich!«

»Un die Heringe!« —

»Sojar die Zeitungsdüten haben Komtesse nich verjessen!«

»Und da die uffjeschnittene Zitrone!«

»Un wie Justeken lacht! Alle kleenen Zähne uff eenmal!«

»Aber grade wie in Wirklichkeit!« —

»Neulich stand se so in der Ladendüre un jriente mir janz ebenso an! Se hatte man bloß ihr Blaukariertes an!« —

»So mit die nackten Padderbeenchens sieht se noch mal so ulkig aus!« —

»Und der Wuschelkopp mit den krausen Haaren, aber ooch jar zu natierlich! —«

»Na, det Bild muß eenen Bolzenbeifall bei alle Jebildeten finden!« versicherte zum Schluß auch Friedrich, der Silberdiener, welcher sich bis dato nur schweigsam verhalten und mit kritischen Blicken gemustert hatte, und die Köchin stemmte die Arme resolut in die Seiten und wiederholte abermals mit Nachdruck: »Un allet, wat recht is — vierzig Fennige for so’n Kohlkopp — det is halb jeschenkt.«

Volkesstimme — Gottesstimme!

Malva hatte sich königlich über diese ehrliche Kritik amüsiert, denn sie stand hinter der Türe und brauchte nicht zu befürchten, die Kunstkenner durch ihre Anwesenheit beeinflußt zu haben.

Auch Tante Margarete und der gute Onkel waren eitel Anerkennung; ja, die Gräfin kam fast täglich, die Fortschritte zu beobachten und in ihrer lebhaften Weise »die wunderbare Frische und Farbenpracht des humorvollen Bildes« zu loben.

Freunden und guten Bekannten zeigte Malva ihre Bilder und Studien fast nie.

So viel Köpfe, so viel Sinne.

Das Urteil fällt stets verschieden aus, und ihr liebenswürdiger Mallehrer hatte ihr gleich zu Anfang gesagt: »Fragen Sie nie die lieben Freunde um Rat, wie dies oder jenes gefällt! Ein jeder wird Sie anders dirigieren wollen, und wenn Sie anfänglich beabsichtigten einen Rosenstrauß zu malen, so haben sie schließlich ein Känguruh auf der Leinewand! — Ging mir anfänglich auch so, bis ich mich emanzipierte und meinen Weg an der Hand eines Meisters allein ging. — Viele Köche verderben den Brei.« — Das klang sehr einleuchtend, und die junge Gräfin befolgte die Weisung des Professors. Stundenlang war sie voll pflichttreuen Eifers fleißig gewesen und hatte es gerade heute als einen besonderen Gottessegen empfunden, wie die Arbeit das beste Mittel gegen Kummer und Leid ist.

Anfänglich, als sie aus der Reitbahn heimkehrte, war ihr das Herz zum Brechen schwer gewesen. Die Tränen stiegen so brennend heiß in die Augen empor, daß sie glaubte, es sei heute ganz unmöglich, Farben zu mischen und den Pinsel zu führen.

Da hob sie mit stummem, bittendem Blick die gefalteten Hände zum Himmel —.

Einen Augenblick flutete es heiß und erlösend über ihre Wangen; dann aber ward das wehe, zuckende Herz still und stiller, und als es an die Türe klopfte und das kleine Gustchen ungestüm über die Schwelle flog — die Arme zärtlich um das »liebe, gute Fräulein Kumtess« zu schlingen, da schauten die blauen Enzianaugen klar und freundlich wie stets in das rosige Kindergesicht.

Noch kostete es ein wenig Überwindung, an die Arbeit zu gehen!

Es ist so süß, sich in den Tiefen des Leids zu verlieren und einem Schmerz mit tausend wehen Träumen nachzuhängen — aber solch ein Wühlen in dunkler Flut ist gefährlich wie das Opiumrauchen. —

Die Bilder seliger Vergangenheit, die Phantasien über eine trostlose Zukunft sind Gift, an welcher die Ruhe der Seele für immer stirbt.

Gewaltsam zwang sich Malva zur Arbeit, und diese versagte ihren heilsamen Trost nicht. Im Gegenteil, es war, als ob milde, freundliche Genien der Kunst die tränenmüden Augen küßten, daß sie in entzücktem Schauen zu höchster Leistung beseelt wurden und die fleißigen Hände noch meisterlicher wie zuvor schafften.

Da verklangen die wirren Mißakkorde fern, fern im Gewühl des Lebens — all das unruhvolle Hasten und Drängen löste sich auf in himmlischen Frieden, und Schmerz und Weh, Herzeleid und Bitterkeit versanken wie unheilvolle Träume in dem Meer von Licht, in welches die heilige Kunst ihre Lieblinge aus Nacht und Dunkel erhebt. —

Nun kam die Dämmerung und entwand der rastlos schaffenden Hand leise den Pinsel. Malvas Haupt sank müde zur Brust — sie blieb allein, wieder ganz allein mit ihren Gedanken, und dennoch kehrte das Gefühl der Verlassen- und Verlorenheit, die Poesie einer unglücklichen Liebe mit all ihrem Todessehnen nicht in ihr Herz zurück.

Ihr Blick haftete auf ihrem Bild. —

Menschen sind falsch — aber die Kunst ist treu; die Menschen schlagen Wunden, aber die Kunst heilt wie milder Balsam.

Wenn alle sich von ihr wenden — die Kunst schließt sie desto inniger in die Arme und küßt ihre Stirn — darum will sie sich dieser treuen, zauberholden Göttin zu eigen geben.

Die Würfel des Schicksals sind für sie gefallen; die Seite, welche sich der Liebe zukehrt, ist schwarz wie Nacht — diejenige aber, welche nach dem Tempel der Kunst weist, leuchtet wie eine Sonne. Weit und mühselig ist zwar der Weg, welcher nach dort emporführt, aber an seinem Rande glänzen weiße Lilien, ragt der stille, ernste Lorbeer, duften süß und barmherzig die roten Mohnblumen des Schlafes und der Vergessenheit. —

Sie wird das Ziel erreichen, denn sie hat Geduld; sie wird nie zu jenen gehören, welche sich von dem bösen Dämon Gold besiegen lassen und über welche das Schicksal sein finsteres »Vae victis!« spricht.

Ein schneller, leichter Schritt nähert sich der Türe. — Sie wird geöffnet.

Tante Margarete steht auf der Schwelle.

Suchend schweift ihr Blick umher.

»Wie dunkel ist’s hier! — Ich bin ganz geblendet von dem Gaslicht draußen! Malva — bist du hier?«

»Gewiß, Tantchen!« —

»Ganz allein?«

»Meine Gedanken sind bei mir!«

»Es kommt sehr darauf an, ob diese eine gute Gesellschaft für dich sind! Gib Stimmchen, daß ich nichts umstoße!«

Die junge Gräfin hat sich erhoben und tritt neben die Nahende, ihre Hand zu erfassen.

»Mir deucht es noch ganz hell hier! — Verzeih, ich werde sofort die elektrische Lampe anknipsen!«

»Nein — nein —«

»Ah … liebst du auch das Dämmerstündchen?«

»Und ob! Namentlich heute, wo ich meinen armen Augen schon genug Glanz und Flimmer zumuten mußte!«

»Du kommst von dem Basar?«

»Habe beinahe noch die Handschuhe an. — Versäumt hast du nichts; es war rasend langweilig. Der Hof war vormittags da, der Künstlerball heute abend hielt alle Berühmtheiten fern — man mußte nur kaufen — kaufen — kaufen — und der einzige Witz, welcher gemacht wurde, war der des Rittmeisters von Beeskow, welchem ein paar hartnäckige Damen mit Gewalt ein schlechtes Taschenmesser für gutes Geld aufhängten!« —

»Und da sagte er?«

»Er ›sagte‹ nichts, sondern dichtete!«

»Beeskow — dichtete?!«

»Ja, einen Stoßseufzer —

›Im Bazar setzt die Christenseele

Das Messer Jedem an die Kehle!‹«

»Sehr gefühlvoll!« — Auch Malva lachte.

»Trafst du sonst noch Bekannte?«

»Das natürlich. Interessant war das Geschwisterpaar Heym, auf welches sich alle Aufmerksamkeit und alle Überfälle konzentrierten!« —

»Du sprachst sie?« —

»Gewiß, Rolf-Valerian war alsogleich mein Schatten, und wenn ich zehn Jahre jünger wäre, könnte ich mir etwas auf diesen Schleppenträger einbilden. Drunten liegt ein Arm voll Blumen, welche er mir kaufte — auch für dich ein Strauß Rosen, für welchen er zwanzig Mark opferte. Alle Damen des Vorstandes überschüttete er mit Blumen, überreichte Bonbonnieren und kostbare Nippes —«

Die Sprecherin schwieg einen Augenblick, dann fuhr sie nachdenklich fort: »Auch Fräulein Ellinor kaufte für Unsummen ein — es war schade, daß ich so bald weg mußte, es wurde gewiß noch recht amüsant zuzusehen.«

Wieder eine Pause.

Es schien, als ob die Gräfin auf eine Frage ihrer Nichte warte.

Aber Malva saß stumm und fragte nicht.

»Es muß doch unsagbar schön sein, über derartige Reichtümer zu verfügen, meinst du nicht auch, Malva? — Alles, was man sich nur wünscht, haben zu können, nie zu sorgen, zu rechnen und zu fragen: kann ich das auch? — Es muß doch ein Götterleben sein.«

»Schrecklich! — Nichts anders tun, als dem lieben Gott die Tage stehlen, als sich amüsieren und gut leben — nein, solch eine Existenz wäre mir zu inhaltslos. — Auf die Dauer müssen solche Menschen an ihrer eignen Öde zugrunde gehen.«

»Ich bitte dich! Wie viel Gutes kann man mit so viel Geld tun!«

»Man kann — aber man tut es nicht.«

»Erlaube! Fräulein Ellinor hat heute Tausende für die Wohltätigkeit geopfert!«

»Sie — die Freidenkerin, die ›jenseits von Gut und Böse‹ steht? Sich zum Amüsement und aus kluger Berechnung, um sich in der Gesellschaft, in welcher sie künftig verkehren und eine Rolle spielen will, eine Stellung zu schaffen.«

Das klang nicht bitter oder gehässig, sondern nur sehr ruhig und sachlich.

»Wohl möglich. Ich gestehe ehrlich, daß auch mir der Goldfisch mit den kalten, sentimentalen Augen nicht allzu sympathisch ist. Glaubst du, daß der Bruder desselben Geistes Kind ist, wie sie?«

Malva zuckte die Achseln.

»Wenn er es ist, beglückt er wenigstens die Welt nicht so aufdringlich mit seinen Lehren, wie die Schwester es tut.« —

»Ich finde ihn persönlich sehr nett und scharmant.«

»Das ist wohl Geschmacksache!«

»Wie gefällt er dir?« —

Das junge Mädchen neigte den Kopf noch weiter gegen die Stuhllehne zurück.

»Darüber habe ich — ehrlich gestanden — noch gar nicht nachgedacht!«

»Er saß während der ganzen Reitstunde neben dir auf der Tribüne?«

»Ja. Er hat weite, interessante Reisen gemacht und versteht es davon zu erzählen.«

»Ein Talent, welches vielen Leuten abgeht. Auch ich habe mich nicht in seiner Gesellschaft gelangweilt.«

Abermals kurze Pause — dann fuhr die Gräfin vorsichtig fort: »Er schenkte dir die Veilchen?«

»Leider!«

»Leider? Warum das?«

»Weil sie gewissen Leuten zu recht überflüssigen und taktlosen Neckereien Anlaß gaben!«

»Du meinst Fräulein Ellinor?«

»Ganz recht.«

Margarete lachte — halb verlegen, halb belustigt. »Ja, und das war fraglos sehr verräterisch, denn eine Schwester hat doch die beste Gelegenheit, keimende Interessen bei ihrem nächsten Anverwandten zu beobachten!«

Es war sehr dunkel geworden — die Sprecherin sah nicht das beinahe drohende Aufflammen der sonst so sanften, sinnenden Blauaugen.

»Wie meinst du das, Tante Margarete?«

»Je nun — ich glaube nicht nur, sondern hoffe es sogar, daß Rolf-Valerian auf dem besten Wege ist, sich in dich zu verlieben!«

»Das hoffst du?«

»Gewiß!« nickte die Gräfin sehr lebhaft; »ich bitte dich um alles in der Welt, Kind, der Mann ist die glänzendste Partie der Saison! Es würde doch für jedes mittellose Mädchen mehr als ein Glück sein, in etwas glänzende Verhältnisse zu heiraten!«

»Auch ohne die nötige Liebe und Achtung?«

»Mon Dieu, kleine Philisterin, wer wird sich mit derartigen Skrupeln plagen! Liebe! Achtung! Die kommen schon, wenn der galante Gatte dir jeden Wunsch an den Augen absieht! — Geld entschädigt für alles.«

»Viele Menschen — gewiß, aber doch nicht alle!«

»Möchtest du zu den ›vielen‹ zählen! Ich bin überzeugt, wenn eine gewisse Sentimentalität überwunden ist, wirst du mir zeitlebens danken, wenn ich dir den Rat gab, diesen Freier auf jeden Fall zu erhören!«

»Noch ist Herr von Heym nicht mein Freier und verlangt durchaus nicht erhört zu werden!«

Die Gräfin war so erregt und eifrig, daß sie die feine Ironie in der Stimme der Nichte gar nicht hörte.

»Noch nicht, aber er wird es todsicher werden!«

»Er kennt ja außer mir kaum andere junge Mädchen; er ist später hier eingetroffen als die Schwester.«

»Gleichviel! Ich beobachtete ihn auf dem Basar. Selbst unsere paar Modeschönheiten schienen ihn vollkommen kalt zu lassen. Die einzigen roten Rosen, welche er kaufte, schickte er dir!«

»Wer sagt denn überhaupt, daß dieser Lebemann par excellence heiraten will?«

»On dit! Er sowohl wie Ellinor sind hierher gekommen, um zu wählen. Rolf-Valerian hat sein Wanderleben satt, er ist nicht mehr der Allerjüngste und sehnt sich wohl nach einer Häuslichkeit. Selbstredend muß seine Frau die Trägerin eines alten, sehr vornehmen Namens sein und ihm gefallen; die Mitgift spielt natürlich keine Rolle!«

»So erzählt man sich, weil der Wunsch der Vater des Gedankens ist! Ich taxiere Herrn von Heym völlig anders! Wer in ein derart verlebtes Gesicht wie das seine, sieht, weiß, daß ein Mann, welcher sich lange Jahre nur im wüsten Sturm wohlgefühlt, das sanfte Wehen am eignen Herd niemals begehrenswert findet! Er macht den Hof — je toller und rücksichtsloser, je blinder die heiratslustigen Damen es sich bieten lassen, und wenn eine Närrin genügend kompromittiert ist, heißt es eines Morgens auch von diesem Anbeter: er ist zu Schiff nach Frankreich! — Nein, Tante Margarete, auf diesen Freier ist noch weniger Verlaß, wie auf den Schwarm der anderen, die ihr Herz nur saisonweise in den Dienst ihrer Dame stellen.«

»Kind! Kind! Welch ein Pessimismus! Armer Rolf-Valerian! Ich glaube, du tust ihm bitter Unrecht!«

»Vielleicht, vielleicht auch nicht!«

»Er hat vorhin ein paar mächtige Mappen voll Ansichten und Photographien geschickt, und im Basar bat er mich ihm zu gestatten, seinen Besuch heute noch, zu etwas ungewöhnlich später Stunde machen zu dürfen — der Wunsch seiner Schwester, den Basar noch zu besuchen, habe leider seine Dispositionen sehr beeinflußt.«

»Und du erlaubtest es ihm?«

»Aber Malva! Konnte ich anders? Ich bat ihn, um ½8 Uhr mit uns zu essen! Das war doch anders gar nicht möglich! — Er schien hoch erfreut und ich gestehe ehrlich, daß ich recht gespannt auf seine ›illustrierten‹ Reiseerzählungen bin, sie werden sicherlich hochinteressant! Und darum bin ich eigentlich zu dir heraufgekommen, ich wollte dich aufmerksam machen, eine recht nette Toilette zu wählen! Bitte den rosa indischen Mull — er steht dir besonders gut!«

»Kommen noch andere Gäste?«

»Karl will es noch der alten Exzellenz von Höfer sagen, — er ist so viel allein, weil er keine großen Feste mehr besucht.«

»Und für diese beiden Herren ein so ausgesprochenes Gesellschaftskleid? — Um keinen Preis, Tante! Ich würde mich ja lächerlich machen!«

Das klang so ehrlich entsetzt, daß die Gräfin lachte: »Je nun! wenn du es so auffaßt, kleines Närrchen! Dann wähle meinethalben selber — — Aber …«

»Nun? …«

»Eine seiner Rosen … oder die Veilchen steckst du doch an?«

»Ausgeschlossen! Eine derartige Auszeichnung ließ ich noch keinem Herrn angedeihen.«

Die Gemahlin des Kammerherrn hatte sich erhoben. Sie blieb vor dem jungen Mädchen stehn, nahm das schlanke Köpfchen zwischen ihre Hände und küßte die weiße Stirn.

»Du hast recht, Kleine!« sagte sie plötzlich ganz ernst: »es ist vielleicht besser so. — Wunderlich! woher hast du junges Kind schon so tadellos richtige und taktvolle Ansichten! Ich — eine Frau! und um so viele Jahre älter — ließ mir von dem Gedanken an den Millionenfreier vollständig den Kopf verdrehen! — Das kommt davon, wenn man nur mit dem Verstand das Glück und die Schicksale der Menschen messen will. — Nun, ich will es künftighin ganz allein dir anheimstellen, das Gold zu schmieden — zu einem Ringlein oder einem Korb, — das soll deine Sorge sein!«

»Dann weiß ich die Fasson schon im voraus!« lächelte die Komtesse; »ich glaube, es formt sich ein großer, großer Pinsel daraus!« —

»Dieser kann ja möglicherweise zu einem Zauberstab werden, welcher einen Goldstrom aus dem Malkasten herauslockt, aber Arbeit, ernste, schwere, mühselige Arbeit ist unzertrennlich davon und ich denke, wenn du erst tatsächlich vor der Entscheidung stehst, erwägst du es doch noch einmal ernstlich, was begehrenswerter ist, der mühelose Gewinn von Millionen und ein Dasein voll Luxus, Glanz und Vergnügen, oder der ernste, pflichtenschwere Beruf, welcher dich zwingt, auf dornenvoller Bahn Schritt um Schritt dem Schicksal abzuringen.«

Malva breitete wie in jäher, aufwallender Erregung die Arme nach ihrem Bild aus, welches wie ein mattheller Schein durch die Dämmerung zu ihr herüberschimmerte.

»Diese Entscheidung ist gefallen, liebste Tante! Ich will arbeiten! Ich will nicht dem blinden Zufall, sondern alles, was ich im Leben schaffen und genießen kann, nächst Gott dem Herrn mir alleine danken! Ich verzichte auf das Almosen, welches das Glück den Faulen, Arbeitsscheuen in den Schoß wirft — und wenn es selbst Millionen sind! Schämen würde ich mich, ernten zu wollen, wo ich nicht gesät habe, verächtlich würde es mich deuchen, fremdes Gut zu verzehren und zu genießen, wo ich doch nichts verdient habe!« —

Wie stolz, wie edel und schön dieses Glaubensbekenntnis im Munde eines so jungen Menschenkindes klang!

Es deuchte die Gräfin, als könne sie durch die tiefen Schleier der Dämmerung die Begeisterung aus den ernsten, seelenvollen Augen der Sprecherin leuchten sehen.

Ja, sie war ein liebes, prächtiges Mädchen, die arme Malva, und Völkern, welcher solch ein Juwel von sich stieß, um nach einem Säckel voll Talmi zu greifen, war ein Narr! —

Ein tiefer Seufzer hob die Brust der Gräfin, mit festem und herzlichem Druck faßte sie die Hand der Nichte.

»Du verdienst es, glücklich zu sein, und darum wirst du es auch werden.«

Auf dem Schreibtisch des Freiherrn von Völkern brannte die elegante elektrische Lampe hinter dem grünen Schleier.

Schon seit einer Stunde saß Bonaventura vor seiner Winterarbeit und zerbiß eine Zigarre nach der andern.

Er war in denkbar schlechtester Laune.

Arbeiten! wie ein Schuljunge noch die Aufsätze liefern, wenn man ein alter, ausgewachsener Mensch ist, dessen Scheitel sich bereits zu lichten beginnt, — das ist empörend! geradezu entwürdigend!

Den ganzen Morgen im Exerzierhaus gestanden, dann bei Wind und Wetter hinaus nach den Schießständen getrabt und sich dort stundenlang die Beine in den Leib gestanden, — kaum sich umgezogen und zu Mittag gegessen, als der Herr Oberst schon wieder zu einer netten kleinen Offiziersversammlung ’rantrommelt, und ehe man nur aufatmen kann, wird man mit dem ewigen Kriegsspiel angeödet! — Nun — wo man halb tot vor Müdigkeit nach Hause kommt, grinst die Winterarbeit vom Schreibtisch herüber und mahnt, daß sie in spätestens acht Tagen abgegeben werden muß! —

Bonaventura wirft ein paar strategische Werke so zornig zur Erde, daß es knallt.

Zum Auswachsen ist es! Eine Schinderei sondergleichen!

Und das nennt man Leben!

Wie ein Lasttier stampft man von früh bis spät im Dienst, keinen Augenblick sein eigener Herr, — nicht mal ein paar Tage auf Urlaub kann man fahren, ohne sich wie ein Sextaner erst einen Erlaubnisschein zu erbetteln! —

Und das nennt man Leben? —

Heute abend singt die reizende kleine Susi Becher im »Schützenliesel«, was hätte er drum gegeben, die Einladung des Fräulein von Heym annehmen und neben ihr in der Loge sitzen zu können! — Bei »des Dienstes ewig gleichgestellter Uhr« natürlich unmöglich, — mußte glatt absagen! Und morgen kommt er auf Wache — infolgedessen das famose Diner beim Geheimrat von Schlitgen auch eine verbotene Frucht für ihn! —

Rolf-Valerian lud ihn für die Jagden nach seinem Gute ein, — Fräulein Ellinor wird nebst Gräfin von Geldern die Honneurs machen. — Alles großartig! tadellos — für einen so begeisterten Jäger wie ihn geradezu verlockend schön, — aber momentan gar kein Gedanke an Urlaub, der Herr Oberst hat ja sowieso eine Aversion gegen Beurlauben, und seine rüden Anschnauzer sind wahrlich kein Ohrenschmaus!

Bonaventura wühlt die schlanke Hand in das dunkel lockige Haar und starrt immer zornmutiger auf die kaum halb vollendete Arbeit nieder.

»Unerträglich ist solch eine Schinderei! Unerträglich!«

Ach, daß er diesen ganzen Trödel von sich werfen, daß er die Zwangsjacke aus doppeltem Tuch von den Schultern reißen und sich voll glückseligen Behagens in die Flagge der Freiheit wickeln könnte! —

Geld! — viel Geld! — Wer verrät ihm die Zauberformel zu einem Sesam, in welchem rotglühend die berauschenden Werte des Lebens lagern?

Ein tiefes Aufatmen.

Wer kennt die Worte, die kurzen, wenigen, welche es zu flüstern gilt, will man mit einem einzigen Griff solch ein Glück an sich reißen?

Seit wenigen Tagen kennt er es. — Da sind ihm, dem Verblendeten, welchen eine hoffnungslose Schwärmerei so töricht in Banden schlug, die Augen aufgegangen.

Die holde Muse mit den Veilchenaugen, welche so ernst mit der kleinen Hand den Dornenweg der Pflicht und Arbeit weist, ist wie ein Schatten vor der Sonne zerronnen, als eine goldschimmernde Frauengestalt ihm in den Weg tritt und mit den klugen, kühlen, berechnenden Augen ihr Füllhorn hebt und sagt: »Komm zu mir, ich bin das Glück!«

Ja, er will kommen. Er wird die kleine Hand, aus welcher der Goldregen herabflimmert, fassen und festhalten; er wird sagen: »Ich liebe dich! Sei mein!«

Dann hat er die Zauberformel gesprochen, welche den Sesam öffnet, dann wird er die rauhe, stürmische Welt, darinnen der Exerzierplatz und die staubige Schulstubenluft der Kriegsakademie die Hauptrolle spielen, weit hinter sich lassen und wird mit Jubel und Jauchzen in die glühende Flimmerpracht des ungestörten Genußlebens hineinstürmen. Jeder Mensch ist seines Glückes Schmied! Wehe dem, welcher nicht zuschlägt, wenn er Hammer ist, welcher nicht das rote Gold zu einem Ringe schweißt, solange es noch Zeit ist!

Ein Narr, welcher im Schweiß seines Angesichts den Pflug zieht, wenn er in Karossen fahren kann; ein Tor, welcher sich von sentimental veralteten Ansichten, von dem beeinflußten Gewissen und hochtrabenden Redensarten über den Segen der Arbeit bezwingen läßt! — Wer hilft solch einem Lasttier jemals empor? Wer richtet den Besiegten, welcher sich feige von seinem Gewissen in den Staub zwingen ließ, jemals wieder auf?

Vae victis! — Er wird ernten, was er sich selber säte, — Dornen und Nesseln, wo sein Lebensacker sonst wohl Frucht und Korn in schwellender Fülle getragen!

Bonaventura springt hoch empor und reckt und dehnt die Arme, wie ein Mensch, welcher unsichtbare Ketten von sich abschüttelt.

Nein! er will nicht zu den Besiegten gehören, über welchen ein volles Menschenleben lang das trostlose »Vae!« gellt!

Vae Victis

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