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Antoinette

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Mary Stevenson Antoinette Dubois

*04.01.1910, Inverness *04.01.1984, Calais

†14.12.1930, London † ?

Prostituierte Goldschmiedin

Wie unbezahlbar das Sehnen

nach Liebe zu erwähnen,

wenn die Freiheit darauf bangt

das sie ihren Sieg erlangt.

Sie wanderte langsam über die Brücke. Der Schnee fiel leise hinab, während der Wind versuchte ihn immerzu fort zu wehen. Aber er schaffte es nicht und die weißen Flocken, gesellten sich zu ihren Gefährten auf den bereits bedeckten Boden. Ihre Augen glitten verträumt nach oben, während sie hoffte das sie in dieser Nacht gute Einnahmen bekam.

Schließlich wollte sie ihrer Mutter diese wunderschöne kleine Spieldose kaufen, die sie vor einem Jahr im Schaufenster, eines dieser Geschäfte entdeckt hatte, das sich im reichen Teil der Stadt befand. Letztes Jahr hatte sie sie ihr nicht schenken können, da sie nicht genügend Geld dafür beisammen hatte. Aber in diesen, so dachte sie zufrieden, würde es endlich klappen.

Schließlich hatte sie das ganze Jahr über gearbeitet und geduldig die Berührungen, ihrer Kunden über sich ergehen lassen, während sie immer eine große Menge für das Geschenk abgezweigt hatte und von dem Rest mehr schlecht als recht gelebt hatte. Sie war deutlich dünner als noch vor einen Jahr, was ihr den Spitznamen Thin Mary eingebracht hatte, aber das machte ihr nichts aus, solange sie nur ihrer Mutter die Spieldose schenken konnte.

Sie hörte ein Geräusch, aber es erschreckte sie nicht, auch wenn ihr Gefühl ihr sagte, das sie auf der Hut sein sollte. Besonders da Elizabeth vor zwei Tagen ihr Leben, auf ziemlich unschöne Art und Weise verloren hatte. Ihr Mann hatte sich vom Tower in die Tiefe gestürzt, nachdem er es erfahren hatte und damit sowohl sein Leben beendet, als auch seine Schuld mit dieser Tat zugegeben. Mary hoffte, das seine Seele direkt in die tiefsten Tiefen der Hölle geworfen wurde, während Elizabeth direkt erhoben und an die Seite des Herrn gestellt wurde, auch wenn sie wusste das diese in den Tiefsten Tiefen ihres Herzens Heidin gewesen war.

Das Geräusch erklang erneut und sie drehte sich suchend um, ließ ihren Blick umher wandern und schaute wieder zur Straße, als sie nichts finden konnte. Wahrscheinlich bloß eine Katze, auf der Suche nach nahrhaften Mäusen und Ratten, fuhr es ihr durch den Kopf. Kaum hatte sie den Gedanken zu Ende gedacht, legten sich auch schon zwei Hände um ihren Hals und drückten solange zu, bis ihr beinahe schwarz vor Augen wurde und sie zu Boden plumpste. Nicht gerade damenhaft, dachte sie, aber ich bin ja auch keine Dame. Sie versuchte die aufsteigende Hysterie zu unterdrücken, aber sie konnte nicht gegen das Lachen ankämpfen, das sich ihrer plötzlich ermächtigt hatte und noch während sie ihr heiteres Bedürfnis stillte, verlor ihr Widersacher die Beherrschung und schlug ihr mit ganzer Körperkraft mitten ins Gesicht. Ihr Lachen endete ebenso abrupt wie es begonnen hatte und geschockt hielt sie sich die Wange und blickte ihn an.

Er hatte sich vermummt und trug einen langen Mantel, der seine Statur noch bulliger erscheinen ließ, als sie eigentlich war. Der Wind tanzte mit dem Mantel und sie starrte in seine Augen, das einzige was sichtbar war und als sie den Hass, in den braunen Augen aufblitzen sah, musste sie mehrmals schlucken. Etwas was ihr nicht so wirklich gelingen wollte, da ihr Mund sich mit einem Mal so furchtbar trocken anfühlte. Beinahe wie eine Wüste, fuhr es ihr durch den Kopf, hätte sie denn gewusst, wie sich eine anfühlte. Vollkommen erstarrt beobachtete sie ihn.

Ihr Atem beschleunigte sich und ihr wurde beinahe schwarz vor Augen. Mary hoffte darauf ohnmächtig zu werden, bevor er sie tötete, aber da ihr bewusst war, das dies ihre letzten Augenblicke auf dieser Welt waren, kämpfte sie dagegen an. Sie wollte nicht einfach so weg sein, sondern spüren, wenn sie von ihrer körperlichen Existenz getrennt wurde und ihre Seele in den Himmel aufstieg.

Der Mann näherte sich ihr langsam und ihre Augen waren das einzige, was sie noch bewegen konnte. Der Rest von ihr blieb, wie fest gefroren, wo er war und wartete seelenruhig darauf, einfach so ermordet zu werden.

Warum wehrte sie sich nicht, fuhr es ihr durch den Kopf, während der Mann einen gefährlich aussehenden Dolch aus seiner Manteltasche befreite und ihn ihr an die Kehle hielt. Sie schluckte mehrmals ohne Speichel hinunterzukommen und versuchte sich zu räuspern.

Aber auch das misslang ihr und sie spürte, wie Tränen ihren Blick verschleierten, während ein Ausdruck des Triumphs in ihren Gegenüber erschien. Es war das letzte was sie von ihm mitbekam, bevor er ihr die Kehle durch schnitt.

Taumelnd fiel sie nach hinten und schlug hart mit dem Kopf auf dem vom Schnee bedeckten Boden auf. Er rollte leicht zur Seite und ein kribbelndes Gefühl schlich sich durch ihren Körper, während ihre Seele dabei war sich für immer von diesen zu lösen. Leises triumphierendes Gelächter drang in ihre Ohren und sie spürte den Atem ihres Gegners an ihren eigenen, während sich ihre Blase und ihr Darm entleerten. „Ich bin....,“ flüsterte er doch der Name ging im Wind unter, der plötzlich anfing zu pfeifen. Aber das interessierte sie bereits nicht mehr, da ihre Seele sich endgültig von ihren einstigen Körper getrennt hatte und sie sich bereithalten mussten, für ihr kleines persönliches jüngstes Gericht. Keuchend wachte sie auf, und fuhr sich mit rasenden Herzen durch ihre Haare und brachte sie noch mehr durcheinander, als sie es ohnehin schon gewesen waren. Sie versuchte sich zu beruhigen, aber dieser Traum brachte sie mehr als nur ein wenig aus der Fassung. Er verstörte sie und auch wenn sie an Reinkarnation glaubte, war ihr das jedoch ein wenig zu heftig.

Aber da es sich nun mal um eines ihrer früheren Leben handelte, musste sie sich damit abfinden. Ob sie nun wollte oder nicht, es war ein Teil ihres persönlichen Seelenlebens und den konnte man nicht so einfach so mir nichts dir nichts davon spülen. So einfach war das ganze dann doch nicht, auch wenn sie nach ihrer ersten Erinnerung mit elf Jahren, gehofft hatte, davor oder danach, ebenso schöne Erinnerungen zu entdecken. Aber das hatte sich innerhalb weniger Monate geändert und nun träumte sie fast jede Nacht von ihren Leben als Mary Stevenson, der es um nichts sehnlicheres ging, als ihrer Mutter diese Gott verdammte Spieluhr zu besorgen.

Aber da das schon ewig lange her war, versuchte sie sich nicht allzu sehr darüber aufzuregen, das jemand sie getötet hatte. Sie konnte ohnehin nichts mehr daran ändern und sie war außerdem sehr glücklich in diesen Leben. Mit ihren Mann Gerard und dem zweieinhalbjährigen Louis, der bereits jetzt schon erkennen konnte, wer er einmal in seinen früheren Leben gewesen war.

Das einzige was sie dabei ein wenig störte war, das er sich daran erinnerte einmal erschossen worden zu sein. Ihr lief immer noch ein kalter Schauer über den Rücken, als sie daran dachte wie Louis ihr zum ersten Mal davon erzählt hatte. Danach hatte er Maman mit seinen großen blauen Augen angeblickt und sie beide wussten, das der andere wirklich keine andere Wahl hatte, das gegebene zu akzeptieren und es zu einen Teil von sich selbst werden zu lassen.

Antoinette holte tief Luft, stand auf und sah nach Louis der fest und friedlich schlief, bevor sie sich an den Computer setzte und sich ins Forum einloggte. Sie schrieb sich die Seele aus dem Leib in der Hoffnung, das es ihr danach besser gehen würde und lehnte sich eine Weile zurück, während sie auf ihre gerade gepostete Nachricht starrte. Sie glaubte nicht wirklich daran das irgendjemand ihr jetzt, mitten in der Nacht, antwortete. Aber es half ihr sehr die Worte auf dem Bildschirm zu sehen, die sie gerade erst im Traum wieder erlebt hatte und....sie holte tief Luft und versuchte die Tränen, die sie bereits schon in ihrer Kehle aufkommen spürte, hinunter zu schlucken, als sie spürte wie die Emotionen drohten sie zu überrumpeln. Aber sie schaffte es diesmal nicht und während sich heftiges Schluchzen aus ihren Mund stahl, presste sie die Hand vor diesen und versuchte sie mit aller Macht nicht hinaus zu lassen. Es gelang ihr nicht und die Tränen brannten fürchterlich in ihren Augen, während sie einen Weg fanden sich aus ihnen hinaus zu stehlen.

„Warum,“ flüsterte sie und die Verzweiflung packte sie mit einer Intensität die sie erschreckte. „Warum ich?“ wiederholte sie, stand auf und ging zum Fenster um es zu öffnen. Sie brauchte dringend frische Luft, bevor sie noch erstickte. Antoinette inhalierte die kühle Nachtluft und umklammerte den Griff des Fensters, mit solcher Kraft, das bereits schon das Weiß ihrer Knöchel zu erkennen war.

Ihre Nägel schnitten sich in ihre Handinnenflächen, aber sie spürte nicht wie diese kleine, runde Halbmonde in sie bohrten. Einige vertieften sich sogar so sehr, das es anfing zu bluten. Sie jedoch starrte bloß in die Nacht hinein, begleitet vom Gesang der Blätter, dessen Rascheln sich anhörte wie das Rauschen des Meeres.

Weinend versuchte sie ihren Körper und ihre Gedanken wieder unter Kontrolle zu bekommen, aber sie schaffte es nicht und ihr Blick wanderte nach unten. Verführerisch schmachtete sie der, von der Straßenlaterne beleuchtete, Boden an und wollte sie dazu verführen, aus dem Fenster zu steigen und zu ihm hinunter zu springen. Ihr Atem vertiefte sich und noch während sie dabei war, ihren Fuß auf die Fensterbank zu setzen, um aus dem vierten Stock zu springen, wich sie erschrocken zurück und stolperte nach hinten.

Sie plumpste auf den Boden und starrte entgeistert auf das immer noch offene Fenster. Hatte sie gerade wirklich vorgehabt sich das Leben zu nehmen?

Antoinette schüttelte ungläubig den Kopf und barg ihn in ihren Händen, während erneute Tränen sich ihrer ermächtigten. Sie war erschrocken über sich selbst und wusste nicht woher genau der plötzliche Drang zum Fenster und hinunter gekommen war. Vielleicht hatte es aber auch einfach nur an dem Gefühl der Bedrohung gelegen, das sie plötzlich befallen hatte und dem dringenden Bedürfnis zu entkommen.

Möglich, fuhr es ihr durch den Kopf, das sie für den Bruchteil einer Sekunde geglaubt hatte, so ihren Mörder zu entwischen. Seufzend schloss sie die Augen und hoffte das dass nie wieder passierte. Schließlich war sie glücklich und zufrieden in diesen Leben.

Eine ganze Weile saß sie auf dem Boden und gab sich ihren Tränen hin, während die Nachtluft um sie herum wehte. Die ersten Regentropfen spürte sie erst, als sie bereits von einen leichten Meer aus Tropfen übersät war.

Sie blickte die glitzernden Wasserperlen an, als sähe sie sie in diesen Augenblick zum ersten Mal und inspizierte sie mit einer Genauigkeit, die sie ihre momentane Stimmung vergessen ließ. Einige Male tief Luft holend, hob sie den Arm und beobachtete fasziniert, wie das Wasser herunterlief, sich mit den anderen Tropfen verband und schließlich auf den Boden tropfte.

Ergriffen von der Schönheit dieser flüssigen Diamanten, blickte sie auf und sah eine Weile dem Regen dabei zu, wie er auf die Erde fiel, beleuchtet von der Straßenlaterne, die die Tropfen in die verschiedenen Regenbogenfarben tauchte, während sie dabei einen erdig, dampfenden Duft verströmten. Langsam erhob sie sich und stellte sich erneut ans Fenster. Diesmal jedoch ohne den Drang zu verspüren hinunter zu springen, sondern die Energie, die von diesen einen Augenblick, in diesen Leben ging, in sich aufzunehmen und sich zu erden.

Antoinette schloss die Augen und lauschte dem leisen Trommeln des Regens und dem Flüstern des Windes, während sie spürte wie sie in Trance fiel und die Welt um sie herum verschwamm. Sie verankerte ihre Seele in ihren Körper und mit der Erde, die sich weit unter ihren Füßen befand. Langsam wirbelten Farben und Formen um sie herum, zogen sie mit sich und zersprengten ihre Sinne und ihr ganzes Sein, bevor sie wieder zusammengefügt wurde. Dermaßen geerdet, kehrte sie wieder zu sich selbst zurück und bewegte sich, beschwingten Schrittes auf den Computer zu, um diesen auszuschalten. Als sie jedoch die Maus in die Hand nahm, bemerkte sie das jemand auf ihren Post geantwortet hatte.

Sie stutzte einen Moment und setze sich, bevor sie anfing zu lesen. Eine gewisse Melissa hatte ihr geschrieben, das sie einen ähnlichen Traum gehabt hatte und sie bis zu diesen eigentlich nicht wirklich an Reinkarnation geglaubt hatte, aber nachdem sie herausgefunden hatte, das es diese Frau und dieses Leben wirklich gegeben hat, war sie mehr als nur überzeugt. Jetzt fragte sie sie, auch wenn sie nicht wirklich dachte, das dass möglich sein konnte, ob sie beide in diesen früheren Leben, nicht vom selben Mörder umgebracht worden waren. Antoinette schluckte und war froh darüber sich gerade erst geerdet zu haben, ansonsten hätte sie diese Vermutung vom Hocker gerissen.

Sie blickte eine Weile auf die Nachricht und entschloss sich dazu Melissa zu antworten und sie darum zu bitten in den Chat zu kommen. Wenig später fragte sie sie ob sie ebenfalls eine nicht erkennbare Stimme hatte: „Ich bin....,“ flüstern und ob sie den wahrscheinlich darauf folgenden Namen hatte hören können. Ersteres wurde bejaht und letzteres verneint. Antoinette fokussierte ihr Augenmerk auf die Bejahung und schluckte schwer, als sie ihre Vermutung bestätigt bekam. Es gab in der Tat weitere Opfer und sie fragte sich ob sie vielleicht ebenfalls reinkarniert waren.

Nein, dachte sie, und winkte diesen Gedanken beiseite, während sie sich weiter mit Melissa unterhielt und Kleinigkeiten miteinander verglich, die sonst niemand außer ihr, ein anderes Opfer oder der Mörder wissen konnten, wie zum Beispiel der Geruch seines Atems der durch seine Kapuze gedrungen war und nach Pfefferminze gerochen hatte. Ein Geruch den sie in diesen Leben nicht um sich haben konnte und der sie immer an dieses Ereignis erinnerte, das sie in ihren früheren Leben, selbiges gekostet hatte.

Viele Dinge bestätigten sich und viele bemerkte sie erst jetzt durch Melissas Schilderungen und Fragen, deren Antworten schier aus ihren Fingern in die Computertastatur flossen. Beide unterhielten sich stundenlang und als Gerard aufstand um Kaffee zu machen und beim Bäcker frische Croissants zu holen, saß sie immer noch am Computer und merkte erst das er aufgestanden war, als er ihr einen Kuss auf die Wange gab. Sie blickte kurz vom Bildschirm auf und sah ihn an, bevor er herzhaft gähnend eine Hand vor den Mund hielt und sie danach anlächelte, während seine dunklen blauen Augen, sie mitfühlend betrachteten.

„Geh ins Bett,“ riet er ihr und sie nickte. „Du siehst müde aus.“ „Ich weiß,“ flüsterte sie und holte tief Luft. „Lass mich nur kurz dieses Gespräch beenden,“ meinte sie und tippte etwas in die Tastatur. Sie las Melissas verständnisvolle Antwort und wünschte ihr einen Traumlosen Schlaf, bevor sie sich ebenfalls verabschiedete. Sie schloss die Fenster, beendete die Internetverbindung und fuhr den Computer herunter. „Braves Mädchen,“ nickte er und gab ihr einen Kuss.

„Ich bin nicht brav,“ widersprach sie, stand aber dennoch auf, um ins Bett zu wanken. Sie spürte seinen amüsierten Blick auf sich ruhen und drehte sich lächelnd zu ihm um. „Was hältst du davon, wenn du Louis zu meiner Mutter bringst und wir uns nach dem Frühstück einen schönen Tag erschaffen?“ Gerards Gesicht erhellte sich und seine Augen leuchteten auf. Dennoch räusperte er sich, kam auf sie zu und ergriff ihre Hände. „Leg dich erst einmal hin und hol den versäumten Schlaf nach. Ich weiß doch wie kräftezehrend dieser Traum, diese Erinnerung für dich ist.“ Seufzend schloss sie die Augen und erschauerte als der Mann den sie aus tiefsten Herzen liebte, ihr einen Kuss auf die Stirn hauchte.

„Bring Louis trotzdem zu meiner Mutter,“ flüsterte sie und blickte ihn lange an, als wollte sie seinen Anblick in sich aufsaugen, drehte sich um und legte sich ins Bett. Kaum hatte ihr Kopf das Kissen berührt, war sie auch schon eingeschlafen und glitt einen Traumlosen Schlaf entgegen, der schwärzer war, als die schwärzeste Nacht und sich als Segen für sie herausstellte, weil ihr Körper als auch ihre Seele endlich einmal wieder zur Ruhe kommen konnten. Bis zum nächsten Mal, wenn der Traum gedachte sie zu beehren.

***

Sarah Jane sondierte die Lage und beobachtete die Menschen um sich herum. Heute morgen hatte sie sich dazu entschlossen, einmal auswärts zu frühstücken und ihre möglichen Opfer zu beobachten. Bis jetzt war allerdings noch kein geeigneter Kandidat herein spaziert oder am Fenster des Cafés vorbei gekommen. Seufzend trank sie einen Schluck ihres Espressos und blickte über den Rand ihrer Tasse zur Eingangstüre und beschwor sie aufzugehen.

Irgendwann musste ja der richtige durch diese Türe kommen, dachte sie und stellte ihre Tasse zurück auf den Unterteller, während sie gedankenverloren den Kaffee von ihren Lippen leckte. Es konnte ja nicht ewig dauern bis sich jemand fand, der genau ihren Kriterien entsprach.

Unauffällig ließ sie ihren Blick über die Anwesenden gleiten und hätte dabei fast nicht gemerkt, das ein neuer Gast den Raum betrat. Als sie es aber dann doch schließlich tat, blieb ihr beinahe das Herz stehen. Er sah ebenso aus wie ihr einstiger Mann. Der Mann in ihren früheren Leben, den sie so abgöttisch geliebt hatte, das sie zu allem bereit gewesen war. Sie musterte ihn mit zur Seite geneigten Kopf und lächelte ihn automatisch an, als er in ihre Richtung blickte. Er sah sie an, blickte weg, sah sie wieder an und stockte, bevor er sich dazu entschied an ihren Tisch zu kommen.

„Wie kommt es das eine solch schöne Frau wie Sie es sind, alleine frühstückt?“ fragte er sie und sie lächelte ihn an. „Wer sagt das ich das tue?“ wollte sie wissen und deutete auf die anderen Gäste im Raum. Er lachte und sie hatte alle Hände damit zu tun, sich nicht auf den ersten Blick in ihn zu verlieben. Etwas das leichter gesagt als getan war, da er ihm so verdammt ähnelte. Nicht nur vom äußerlichen her, sondern auch von seiner Ausstrahlung. Sie holte tief Luft, während er sie ansah, als gäbe es nur sie beide auf dieser Welt. Ihr Herz stockte und ehe sie sich versah, hatte sie ihm auch schon einen Platz angeboten.

Nachdem er sich einen Café au Lait bestellt hatte und sie ihren zweiten Espresso, musterte er sie und sie fühlte sich zurückversetzt in eine andere Zeit, in der ihr einst schwarzes Haar wie Seide schimmernd ihr Kinn umspielt hatte. Nun aber war es lang und sie hatte es zu einen Zopf geflochten, während ihr einige Strähnen ihres immer noch schwarzen Haars ins Gesicht fielen und es schimmernd umrahmte.

„Verraten Sie mir ihren Namen?“ fragte er und lächelte sie entwaffnend an. „Blackwood,“ erwiderte sie. „Sarah Jane Blackwood.“ Sie beobachtete seine Reaktion auf ihren Namen, aber als er nicht so reagierte, wie man auf einen bekannten Namen reagierte, seufzte sie und lächelte ihn an. Vielleicht war das ja ein Wink des Schicksals, dachte sie, das sie mit den Morden aufhören und ihm eine zweite Chance geben sollte, auch wenn er sie scheinbar nicht erkannte.

Aber sie spürte das er es war. Es konnte einfach nicht anders sein, auch wenn er nun genau wie sie ein neues Leben lebte und einen neuen Namen trug, auch wenn ihrer fast der gleiche war. Sarah Jane fragte sich zwar immer noch, warum ihre Mutter sie auch noch Jane genannt hatte, konnte sie deswegen aber nicht mehr konsultieren, da sie sich einfach aus dem Staub gemacht hatte, als sie volljährig geworden war und sich mit ihren Liebhaber, nach Las Vegas abgesetzt hatte. Amerika, dachte sie und schüttelte sich kaum merklich, um zu vermeiden das ihre Gedanken in die falsche Richtung liefen. Nicht jetzt und nicht hier, sagte sie sich und sah ihn an.

„Und Sie sind?“ wollte sie wissen und musterte ihn wie eine Löwin ihr mögliches Mittagessen. „Ich bin Viktor Manzini,“ stellte er sich vor und ergriff ihre Hand, um ihr einen Kuss auf den Handrücken zu hauchen.

Überrascht sah sie ihn an und schluckte schwer. Viktor war eindeutig romantischer, als in seinen letzten Leben, dachte sie und fragte sich, ob sie ihm wirklich noch einmal eine zweite Chance in diesem geben sollte.

„Darf ich Sie heute entführen und Ihnen einen unvergesslichen und schönen Tag schenken?“ fragte er sie und wieder blickte sie ihn überrascht an, bevor sie schließlich nickte. „Ja,“ sagte sie laut, „ja, das dürfen Sie.“ Viktor lächelte sie an und es war wieder um sie geschehen. Mit klopfenden Herzen folgte sie ihm und als er ihr die Türe seines Wagens aufhielt, hatte sie ein Deja-Vu.

Vor ungefähr neunzig Jahren hatten sie sich hier in der Nähe kennen gelernt und Robert hatte sie damals direkt um ihre Hand gebeten. Sie hatte bloß gelacht und ihn an ihren Vater verwiesen, der es nie gern gesehen hatte, wenn die jungen Männer um sie herum schwirrten, wie die Motten das Licht. Aber sie war jung und sie war schön und ebenso wie heute voller Leben und Erwartungen, das es sich nach ihren Vorstellungen entwickeln würde. Das es das nicht getan hatte, war eine ziemliche Katastrophe für sie gewesen und hatte sie beinahe an den Rand des Wahnsinns geführt.

Nicht das dass Leben mit Robert nicht wunderschön und aufregend gewesen wäre, fügte sie hinzu, aber die Tatsache das er sie betrogen hatte, mit irgendwelchen Huren aus dem East End, hatte das Fass zum überlaufen gebracht. Es war diesen Abschaum recht geschehen, ermordet zu werden. Schließlich war Sarah Blackwood eine Frau gewesen, die ihren Mann ebenso wie heute, mit keiner anderen teilte.

Nur das Sarah Jane Blackwood die Männer die sie heute mit zu sich nach Hause nahm, entsorgte wenn sie sie nicht mehr brauchte. Das war zwar eine ziemlich rigorose und endgültige Lösung, aber so konnte sie wenigstens verhindern, das einer von ihnen es auch nur wagte, sie zu betrügen.

Sie holte tief Luft und brachte sich wieder in die Gegenwart zurück. Dieser Tag war viel zu schön, um ihn mit schlechten Gedanken oder Erinnerungen zu füllen, die vor langer Zeit ihren Lauf genommen hatten. Heute wollte sie einfach nur sie selbst sein und den Tag mit Viktor Manzini genießen und vielleicht, dachte sie und beobachtete ihn von der Seite, wie er sich auf den Verkehr konzentrierte, würde das Schicksal mitspielen und sie in diesen Leben wieder zusammenbringen. „Und wohin entführen Sie mich, wenn ich fragen darf?“ wollte sie wissen und er blickte sie kurz an, bevor er seine Aufmerksamkeit wieder auf die Straße lenkte. „Lassen Sie sich einfach überraschen,“ meinte er und sie lachte amüsiert. Viktor war definitiv wagemutiger als Robert, auch wenn es sich um dieselbe Seele handelte. „Oh,“ meinte sie schließlich und beschloss ihn ein wenig aufzuziehen, „nicht das ich nachher in der Themse lande und von irgendeinen Touristen gefunden werde.“ Ein wenig entsetzt sah er sie an und als er das verräterische Funkeln in ihren Augen entdeckte, entspannte er sich wieder. „Sie sehen aus wie eine Frau die sich zur Wehr setzen kann,“ erwiderte er und bog ab.

Sie fuhren aus London hinaus Richtung Oxford und als sie kaum eine Stunde später dort angekommen waren, hatte sie alles Wissenswerte über ihn erfahren. Beinahe schien es ihr, als wäre kein einziger Augenblick zwischen ihrer beider Leben vergangen. Aber das war natürlich ein Trugschluss, dachte sie und folgte ihm in die Räumlichkeiten der Universität. Auf den Weg hierher hatte er ihr erklärt das er hier Gastdozent sei und wenn sie es nicht allzu langweilig fände, würde er sie dazu einladen, ihm bei der Arbeit zuzuschauen. Sie willigte ein und fand es zu ihrer großen Überraschung überhaupt nicht langweilig, eine Menge mehr über den Jakobitenaufstand 1745 zu erfahren, als sie jemals in der Schule gelernt hatte. Im Gegenteil, Sarah Jane sog alles was er sagte in sich auf, während er ein Gedankenspiel mit seinen Studenten machte, indem es darum ging wer wohl nun König von Schottland wäre, hätte Prince Charles sich damals nicht, wie es die Mythologie behauptet, zwingen lassen den Rückzug nach Schottland anzutreten, als er nur 150 km vom vollkommen unvorbereiteten London entfernt, stand. „Natürlich sind das nur reine Spekulationen,“ warf Viktor zwinkernd ein, „da die danach eingegangen Bindungen nicht existiert hätten. Außerdem sollten wir im Auge behalten das der Act of Settlement eine katholische Linie ausschließt.“ Er machte eine theatralische Pause und blickte in die Gesichter seiner ihm aufmerksam zuhörenden Studenten. „Aber,“ fuhr er langsam fort, „wenn diese Grundordnung nicht bestehen würde, hätte Großbritannien einen König aus dem Hause Wittelsbach und da dieser Thronfolger keine Erben nachweisen kann, würde der Anspruch dem Hause Liechtenstein zufallen.“ Eine Studentin mit kurzen dunklen Bobschnitt, in dem blonde und rote Strähnen um die Vorherrschaft wetteiferten meldete sich. „Aber ist das alles nicht einerlei,“ meinte sie und Viktors Augen blitzten amüsiert auf. „Inwiefern, Miss Petrowski?“ „Weil bis heute sämtliche britische Monarchen in direkter weiblicher Linie von der katholischen Winterkönigin Elisabeth Stuart, Tochter von König Jakob I. von England und Irland sowie dem VII. von Schottland abstammen.“ Viktor lachte nickend und klatschte zufrieden in die Hände. „Womit mal wieder bewiesen wäre, das wir Frauen doch mehr Einfluss auf den Verlauf der Geschichte hatten, als euch Männern lieb ist,“ scherzte eine weitere Studentin, mit einer schwarz umrandeten Brille und einer viel zu kleinen Nase, womit sie sich den nicht wirklich ernst gemeinten Unmut ihrer männlichen und heiteres Gelächter ihrer weiblichen Kommilitonen verdiente. „Genau,“ kicherte eine der Frauen neben ihr und ihre blonden Locken standen in vollkommenen Kontrast zu ihren erheitert roten Gesicht. „Ohne Flora McDonald, hätte es Bonnie doch niemals geschafft, nach Skye zu fliehen, geschweige denn auch nur einen Fuß auf das europäische Festland zu setzen.“ „Also ich hätte ihn eher nackt bis zum Tower laufen lassen, als ihm meine Kleider zu überlassen,“ murmelte Sarah Jane und der Student auf ihrer anderen Seite warf ihr einen missbilligenden Blick zu. „Flora McDonald war eine glühende Anhängerin des Prinzen gewesen,“ flüsterte er. „Ich weiß,“ erwiderte sie ebenso leise. „Aber ich habe ja auch nicht für sie sondern für mich gesprochen.“ Nachsichtig lächelte sie ihn zuckersüß an und überlegte für den Bruchteil einer Sekunde, ob sie ihn nicht zu ihrer kleinen Knochensammlung im Keller hinzufügen sollte. Aber als sie ihren Blick von ihm abwandte und wieder Viktor ansah, verblasste der Wunsch. Er lächelte sie an und fuhr souverän mit seinen Ausführungen fort, nachdem die Heiterkeit der Studenten sich wieder in Konzentration verwandelt hatte, während sie ihm weiter zuhörte und erstaunt feststellte, wie schnell die Zeit verging. Er beendete die Stunde und lud sie zu einen kleinen Imbiss, in einen kleinen Lokal wenige Straßen von der Universität ein. Sie ergatterten einen Platz und er holte ihnen Thunfischsandwiches und Wasser, bevor er ihr den überaus kuriosen Vorschlag machte, das sie beide vielleicht übers Wochenende nach Paris fahren könnten. Sarah Jane die gerade in ihr Sandwich beißen wollte, hielt inne und starrte ihn mit offenen Mund und schwebenden Sandwich in der Hand an.

„Wir haben uns doch gerade erst kennen gelernt,“ meinte sie. „Ist das ein Hindernis?“ Er durchdrang sie mit seinen Augen und Sarah Jane schüttelte langsam mit den Kopf. Sie wusste ohnehin nicht warum sie auf einmal so zurückhaltend war. Lag es vielleicht daran, das sie daran glaubt das sie beide wirkliche Seelengefährten waren, oder weil sie wollte das es in diesen Leben wirklich funktionierte? Sie wusste es nicht und es war durchaus ein Risiko, das sie einging, wenn sie sein Angebot an nahm. Aber seit wann scheute sie das Risiko, fragte sie sich und ergriff impulsiv seine Hand. „Also schön,“ nickte sie und Viktors Gesicht erhellte sich, „lassen Sie uns nach Paris fahren.“

Der Wind flüstert Deinen Namen

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