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Das höllische Automobil

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Ein Märchenfür sämtliche Alters- und Rangklassen nach einer Idee Alf Bachmanns

Der Riese Rumbo konnte die Menschen nicht leiden, weil sie neben ihm so lächerlich klein erschienen, aber doch klüger waren als er, und weil es ihm, wegen seiner unmäßigen Größe und Ungeschlachtheit, nicht möglich war, mit ihnen zusammen zu wohnen, – was er doch von wegen Kartenspiel und anderer Lustbarkeiten, die man nicht allein besorgen kann, ganz gerne gemocht hätte. Wie hätte er aber mit jemandem Skat spielen oder sonst etwas Vertrauliches treiben sollen, da er so groß war, daß er selbst die größten Häuser der benachbarten Residenzstadt nicht einmal zu Leibstühlen benützen konnte, weil sie dazu zu niedrig gewesen wären?

Daraus könnt ihr euch wohl ungefähr ein Bild machen, wie über alle Maßstäbe und Begriffe ausgedehnt dieser Kerl war.

Mein Onkel, der doch auch ein Mann von gutem Gardemaße und überdies Pfarrer, also gewöhnt war, seinen Blick immer aufs Höchste zu richten hat mir mehr als einmal beteuert, daß Rumbo alle seine Begriffe von Länge und Breite übertroffen habe. Übrigens ist es dieser mein Onkel, der mir diese Geschichte erzählt hat, was zu bemerken ich nicht zu ermangeln will, weil man sonst denken könnte, sie hätte keine Moral. Die Wahrheit ist, daß sie mehr Moral hat, als selbst der aufmerksamste Zuhörer beim ersten Male merken kann. Man muß sie sich also ein paarmal erzählen lassen. Es verlohnt sich.

Ich selbst habe sie sehr oft gehört, nämlich immer, wenn mein Onkel meinen Vater zu besuchen kam, um, wie er sagte, ”nach dem Rechten zu sehen.“ Es scheint aber, daß das Rechte sich bei uns im Keller aufhielt. Denn dorthin begaben sich bei solcher Gelegenheit die beiden Brüder sogleich, wenn der ältere beim jüngeren zu Besuch angekommen war. – Dies nebenbei und ohne eigentliche Beziehung zu Rumbo.

Der war also nach der Überlieferung meines Onkels ein übergewaltiger Geselle. – Ich wünschte sehr, seine Größe in Metern angeben zu können, aber in dieser Hinsicht hat es mein Onkel an Exaktheit fehlen lassen. Statt einfach zu sagen: so und soviel Meter oder meinetwegen bayerische Ruten war er lang, liebte er es, die Ausdehnung des Riesen durch Vergleiche oder Bilder anzudeuten, wobei es mir nicht entging, daß dabei nicht immer das gleiche herauskam. Machte ich ihn darauf aufmerksam, so pflegte er zu sagen: ”Mein lieber Junge, bei ganz großen Gegenständen irrt sich selbst die Bibel. Für das, was das gewohnte Maß maßlos überschreitet, haben wir Menschen nicht einmal die Fähigkeit, in Bildern ordentliche Maßstäbe zu finden. Kehre dich nicht daran, wenn ich dir einmal sage: Rumbos Beine waren so dick und lang wie die Türme der Frauenkirche zu München, und ein andermal: Rumbos Nasenlöcher waren so breit und lang wie der Tunnel durch den St. Gotthard. Das stimmt freilich nicht; aber aufs Stimmen kommts auch nicht an, wo sichs um Riesen handelt. Sei froh, zu wissen, und laß es dir genügen, daß Rumbo auf alle Fälle erstaunlich groß war; – wenn du Lust hast, seiner Größe noch ein paar Kilometer hinzuzusetzen, so tu dir keinen Zwang an. Meinetwegen kannst du ihn dir auch ein bißchen kleiner vorstellen, wenn er dir dadurch näher kommt, aber, versteht sich, immer noch so riesig, daß du dich selber darüber wundern mußt. – Darauf kommt es an.“

Ich empfehle euch, es auch so zu halten.

Da Rumbo nicht unter Menschen wohnen konnte, lebte er ständig auf dem Lande, und zwar in der Nähe der Stadt Knödelimkraut, die sich einer sehr waldigen Umgebung erfreut. Dort war aber auch wirklich ein Mordstrum von einem Walde, der für ihn paßte, als wenn er ihm angemessen worden wäre. Tannen wuchsen darin, so dick, daß ein Mensch, der um eine hätte herumgehen wollen, dazu eine gute Stunde gebraucht haben würde. (Wirklich wahr!) Er hätte aber gar nicht drum herumgehen können, weil die Wurzeln dieser Bäume wie Gebirge über die Erde hervorstanden, und weil das Moos, das auf ihnen wuchs, selber wieder so hoch und dicht war, wie das Gebüsch in einem gewöhnlichen Walde.

Für Rumbo aber war der Wald eben darum gerade recht; und er verließ ihn nur einmal in der Woche, nämlich am Sonnabend, wo er sich seine Mahlzeit holen mußte. Denn er aß nur einmal in der Woche, am Sonntag. Das kam daher, weil für ihn eine Woche so viel war, wie für uns ein Tag. (Inwiefern? – das wußte sogar mein Onkel nicht zu erklären, dem doch selbst in der Offenbarung Johannis keine Zeile dunkel war. – Ihr tut also gut, euch nicht den Kopf darüber zu zerbrechen, was zu unterlassen übrigens auch anderen Problemen gegenüber ratsam erscheint, da ein Kopf, auch wenn er hohl ist, nicht eigentlich die Bestimmung hat, zerbrochen zu werden. Und eure Köpfe, meine Lieben, sind überdies nicht hohl, – wie würdet ihr sonst meine Zuhörer sein?)

In der Hauptsache bestand seine Mahlzeit aus Gemüse. Birkenbäume waren für ihn Spargel, Eichenbäume Spinat, aus jungen Tannen machte er sich Sauerampferbrei. Kuchen und andere süße Speisen konnte er sich nicht verschaffen, außer wenn er gerade einmal bei einem Bienenzüchter vorbeikam. Da fraß er dann gleich sämtliche Bienenstöcke mit dem Honig, aber auch mit den Bienen auf, und wenn ihn die Bienen im Munde und im Magen stachen, sagte er: ”Ei, das prickelt recht angenehm.“ Sonst bestand seine Nachspeise immer aus einem Menschen, und er meinte, das Menschenblut sei süßer als aller Honig; nur schade, daß man nicht viel davon vertragen könne, weil es dusselig mache. Soviel von seiner Speisekarte.

Da Rumbo dumm war, war er auch faul, und so kam es, daß er meistens der Länge lang auf dem Boden lag und schlief.

Wie er nun einmal so da lümmelte, fühlte er ein Jucken in seiner Nase und mußte niesen; – hatzi! flog ein Mensch aus seinem Nasenloch und mitten auf die ganz mit zottigen Haaren bedeckte Brust.

”Hahaha!“ lachte der Mensch; ”da bin ich aber mal schön weich gefallen.“

”Was! Du lachst noch?“ brüllte Rumbo, ”dich werde ich übermorgen fressen.“

”Mich?“ rief der Mensch, – ”dazu bist du ja viel zu dumm. Ehe du mich ergreifst, bin ich schon ganz wo anders.“

Und richtig, wie Rumbo nach ihm fassen wollte, saß der Mensch schon in seinem linken Ohre und schrie hinein: ”Du großer Esel!“

Rumbo begriff, daß das eine Majestätsbeleidigung war und wollte ihn sich mit seinem kleinen Finger (Klein! – Du lieber Gott! Er hatte die Ausdehnung von Frau Klara Ziegler!) aus dem Ohre trillern, aber da war der Mensch schon lange weg. Und wo saß er? Im Winkel des linken Auges und kitzelte den Riesen.

”Geh weg!“ schrie Rumbo, ”das kann ich nicht leiden.“ (Es war ihm, wie wenn uns eine Mück ins Auge gekommen ist.)

Der Mensch aber sagte: ”Nicht eher, als bis du mir versprichst, mich in Ruhe zu lassen.“

”Ja doch, ja doch,“ brüllte der Riese, ”mach nur, daß du aus meinem Auge 'rauskommst. Das ist zu widerwärtig.“

”Siehst du wohl?“ sagte der Mensch, ”was Kleines kann auch unangenehm werden“, und er setzte sich auf eine Warze, die sich wie ein mit Gras bewachsener Hügel, über und über mit Haaren bedeckt, auf des Riesen Nasenspitze erhob.

”Das ist ein angenehmer Aussichtspunkt,“ sagte er, wie er dort saß, indem er vergnüglich mit den Beinen baumelte und sich eine Zigarre anzündete. ”Ich habe zwei Seen vor mir, die von Tannen umgeben sind, und dahinter ist ein Gebirge mit vielen Schluchten, und hoch oben ein Wald von roten Bäumen. Diese Landschaft verdient einen Stern im Bädeker; ich werde hier ein Aktienhotel gründen.“

”Na ja: Meine Augen, meine Stirne und mein roter Haarschopf,“ sagte der Riese geschmeichelt; ”aber was ist dir denn eingefallen, daß du in meine Nase gekrochen bist? Dort zieht es doch?!“

”Eben darum, es ist infam heiß heute und ich dachte es mir gleich, daß in diesem Blasebalgfang ein guter Wind ginge“, antwortete der Mensch.

”Ja, hast du denn keine Furcht?“

”Vor wem denn?“

”Na, vor mir!“

”Vor dir? Dazu bist du mir zu dumm.“

Da merkte der Riese, daß dieser Mensch, wenn nicht gar ein Genie, so doch ganz gewiß ein brauchbares Talent war, und er sprach:

”Du gefällst mir, Mensch, du kannst als Gehilfe bei mir eintreten. Wie heißt du denn?“

”Frechdachs,“ antwortete der Mensch.

”Das ist ein schöner und passender Name für einen Menschen von dieser Begabung,“ meinte der Riese; ”also, willst du?“

”Meinetwegen,“ sagte Frechdachs, ”wenn es nur was Ordentliches zu tun gibt und nicht so gewöhnliche Hantierungen wie in der Stadt. Dort haben sie nichts mit mir anfangen können und wollten mich deshalb ins Gefängnis sperren. Ich bin aber ausgerissen.“

”Na, dann paßt du ja famos zu mir, Frechdachs!“ sagte Rumbo. ”Du sollst dich nicht zu beklagen haben. Bei mir gibt's nur solche Sachen zu tun, die in der Stadt verboten sind.“

”Das kann ich mir denken,“ sagte Frechdachs, ”denn du selber würdest in der Stadt verboten werden, wenn sie dich verbieten könnten. – Aber sag mal, wozu brauchst du denn einen Gehilfen, du großer Schuft und Schlagtot? Ein Kerl, wie du, braucht ja bloß irgendwo hinzufallen, und gleich liegt rechts und links von ihm, was er braucht.“

”Das verstehst du nicht,“ sagte Rumbo. ”Ich bin zu groß. Erstens werd' ich zu schnell bemerkt; dann sind meine Bewegungen zu langsam; und schließlich kann ich so kleines Zeug, wie ihr Menschen seid, nicht gut anfassen. Entweder zerquetsche ich so eine Made, oder sie rutscht mir durch eine Fingergelenksfalte weg. Ich sage dir: ich müßte verhungern, wenn ich mich von euch Marschiermücken nähren müßte. Zum Glück brauche ich das zweibeinige Milbenvolk nur als eine Art süßer Verdauungspillen. Aber dazu seid ihr Zappelgemüse mir unbedingt nötig. Und deshalb ist es mir sehr angenehm, einen Menschen als Gehilfen zu haben, denn niemand kann einen Menschen besser fangen, als ein Mensch. Im Grunde könnt ihr ja auch nichts, als das. – Ich habe darum von jeher und immer Menschen als Gehilfen gehabt, aber leider, leider waren es regelmäßig unvorsichtige Burschen, die allzubald auf irgendeine Weise bei mir zugrunde gingen. Der eine fiel mir ins Ohr und brach das Genick auf meinem Trommelfell; der andere verlief sich im Dickicht meiner Haare und verhungerte; ein dritter ertrank in einem Schweißtropfen von mir; ein vierter, der Korpsstudent gewesen war und sich das Trinken nicht abgewöhnen konnte, hielt in der Betrunkenheit, als ich einmal gähnte, meinen Mund für einen Weinkeller, lief hinein und erstickte, wie ich den Mund zugemacht hatte, in einem hohlen Zahn; – und so weiter, und so weiter. Du siehst also, daß du gut aufpassen mußt.“

”Mir passiert so was nicht; verlaß dich darauf,“ meinte Frechdachs; ”ich bin daran gewöhnt, aufzupassen, wie ein Luchs, denn ich gehöre zu den Vogelfreien, die auch unter Menschen immer auf der Hut sein müssen. Bloß die Käfigmenschen, die Mastgimpelnaturen, die den Freßkober stets bei sich am Halse tragen, dürfen es sich erlauben, ohne besondere Aufmerksamkeit ihrem Tagwerke nachzugehen. Wir, die wir nicht so tugendhaft und stäte sind, sondern immer tapfer und resolut auf Taten ausziehen, für die man früher geadelt wurde, jetzt aber ins Kittchen gesperrt wird – wir müssen immer die Ohren steif und die Augen offen halten. Meinetwegen kannst du also ganz ruhig sein. – Aber: Was krieg' ich denn als Lohn?“

”Was? Lohn willst du auch noch?“ brüllte Rumbo, der in seinem Souveränitätsgefühle beleidigt war. ”Sei froh, daß ich dich nicht zum Nachtisch einnehme. Nein, mein Lieber, Lohn gibt's nicht. Höchstens einen Titel. Wie willst du lieber heißen: General oder Hofmarschall?“

”Gar nichts will ich heißen,“ sagte Frechdachs; ”Lohn will ich haben.“

”Also, wie viel denn?“ fragte Rumbo.

”Kein Geld,“ antwortete Frechdachs, ”das kann ich mir stehlen; du sollst mich zu einem Riesen machen, wie du selber einer bist.“

”Das kann ich nicht,“ sagte Rumbo.

”Doch kannst du's,“ erwiderte Frechdachs, ”mach keine Flausen; ich bin nicht so dumm, wie du aussiehst, und weiß ganz gut, daß du's kannst. Aber du willst nicht, weil du Angst hast, daß ich dich dann totschlage, du Feigling.“

”Na, also gut, Frechdachs,“ sagte Rumbo, dem bei so viel Intelligenz angst und bange wurde, ”ich mache dich zu einem Riesen, aber erst, wenn du mir hundert Menschen gebracht hast.“ (’Nach dem Neunundneunzigsten freß ich ihn auf,‘ dachte er sich.)

”Abgemacht,“ sagte Frechdachs. ”Und was soll ich zuerst tun?“

”Hm, ja, warte mal,“ überlegte der Riese eine Weile; ”da ist drüben in der Wassermühle der junge Müller Bartel Klippklapp, der ist weiß wie sein Mehl vor lauter Fett und muß allerliebst nach Korn schmecken. Den hol mir! Aber er ist schlau, weißt du. Du mußt es klug anstellen.“

”Wenn's weiter nichts ist,“ sagte Frechdachs, rief seinen Rappen, der in der Nähe weidete, schwang sich in den Sattel und ritt davon.

Schon nach fünf Stunden kam er wieder und schleppte den jungen Müller an einem Stricke erwürgt hinter sich her.

”Sieh mal an!“ lachte der Riese, ”da hast du ja den Bartel Klippklapp, der so schlau war. Bist wohl noch schlauer gewesen?“

Frechdachs antwortete: ”Dazu hat nicht viel gehört. Der dumme Kerl stand gerade in seinem Garten und las Raupen vom Kohl. ’Du, Bartel,‘ rief ich, ’was machst du denn da?‘ ’Raupen lesen,‘ sagte Bartel. ’Was machst du denn mit den Raupen,‘ fragte ich. – ’Was soll ich denn damit machen?‘ antwortete er; ’tot machen tu' ich sie; sie fressen mir sonst meinen Kohl.‘ – ’Na, höre mal,‘ sagte ich, ’das ist aber lieblos; die armen Tierchen wollen doch auch leben.‘ – ’Bist du so ein Esel,‘ erwiderte Bartel, ’daß du dir deinen Kohl von Raupen fressen läßt?‘ – ’Nein,‘ sagte ich, ’ich habe gar keinen Kohl, aber Hunger. Gib mir einen Kohlkopf, Bartel.‘ – ’Hast du Geld?‘ fragte der Müller. – ’Nein,‘ sagte ich, ’du sollst mir ihn schenken.‘ – ’Du kannst meine Rückseite bewundern,‘ rief er da, lachte und drehte sich um. – ’Wart,‘ dachte ich, ’alter Geizkragen, für meinen Meister Rumbo sollst du auch bald eine Raupe sein,‘ warf ihm die Schlinge meines Strickes um den Hals, zog sie fest an, und ritt hui, hussa, hop, galopp mit dem Anhängsel davon. Da hast du den Mehlwurm!“

Der Riese war sehr zufrieden mit dieser Leistung und lobte seinen Gehilfen, fand aber, daß der Müller zu mehlig schmeckte. – ”Bring mir was Pikanteres das nächstemal,“ befahl er.

Frechdachs machte sich auf und überlegte: ’Wen soll ich bringen? Pikant, das ist leicht gesagt, aber wo gibt es heutzutage Menschen von pikantem Geschmack, die noch genießbar sind? Wenn ich den Doktor Schwalbendreck erwischte, dem vor Brotneid das Blut sauer geworden ist und der infolge seiner krankhaften Begierde, üble Gerüchte zu verbreiten, einen netten kleinen Herzkrebs von zweifellos schwefligem Geschmacke acquiriert hat, so wäre das ja am Ende ein gefundenes Fressen für meinen Herrn und Meister, der überdies, so viel ich weiß, noch keinen Dramatiker gegessen hat, aber erstens wird es schwer sein, dieses Herren habhaft zu werden, der sehr vorsichtig geworden ist, seitdem ihm jemand von ferne eine Pistole gezeigt hat, und dann fürchte ich, daß er schließlich zu penetrant schmeckt. Vergiften darf ich meinen verehrten Giganten doch auch nicht gleich. Sonst brauchte ich ihm ja nur ein Gänseweißsauer von verleumderischen Klatschbasen zu servieren, deren ich einige in der Stadt Knödelimkraut recht gut kenne… Halt! Wie wärs mit dem dicken Literaten, der früher Pastor war!? In ihm vereinigt sich ein Restchen pfäffischer Heimtücke mit journalistischer Giftdrüsenhypertrophie, – eine angenehme Mischung, sollte ich meinen… Aber diese Art Leute sind schwer zu fassen. Es gibt keinen Strick, aus dem sie sich nicht zu winden vermöchten. Ich spare ihn mir für ein andermal auf!‘ – So ritt Frechdachs in ziemlicher Verlegenheit durch Flur und Auen. Da begegnete ihm in seiner Kutsche der Doktor Rasso Schneidebein, der zu einer armen alten Frau gerufen worden war.

”He, Herr Doktor, Herr Doktor!“ rief Frechdachs, ”bitte, kommen Sie doch gleich zu meinem Meister, der sich übergessen und Bauchkneipen hat, und geben Sie ihm was ein.“

”Hat dein Meister Geld?“ fragte Doktor Schneidebein.

”Na, ich danke,“ sagte Frechdachs, ”Geld wie Heu! Sie kriegen zehn Taler.“

”Zehn Taler?“ dachte sich der Doktor, ”das ist ein hübsches Stück Geld, und von der Alten krieg' ich bloß ein Vergeltsgott. Mag sie meinetwegen ohne mich sterben!“

”Also schön,“ sagte er, ”ich komme mit; es muß aber auch etwas Ordentliches zu essen geben.“

”Einen fetten Braten,“ sagte Frechdachs und sah dabei den Doktor an, der in der Tat sehr fett war.

Als sie in die Nähe des Waldes kamen, wo der Riese wohnte, wurde es dem Doktor unheimlich zumute.

”Das ist ja der wilde Wald, wo der Menschenfresser haust,“ rief er; ”bist du wahnsinnig, daß du mich dorthin führst?“

”Wieso denn,“ sagte Frechdachs, ”es ist ja der Menschenfresser, dem Sie etwas eingeben sollen, weil er Bauchweh hat.“

”Um Gottes willen,“ schrie der Doktor, ”was soll ich denn dem Riesen eingeben?“

”Sich selber sollen Sie ihm eingeben, denn Sie stecken ja voll von Medizin,“ sagte Frechdachs.

”Nein, nein, nein, das will ich nicht,“ rief der Doktor; ”ich muß zu einer alten Frau, die im Sterben liegt. Umkehren, Kutscher, umkehren!“

”Das hättest du früher sagen sollen, alter Schuft,“ rief Frechdachs, schlug dem Doktor den Schädel ein, legte ihn quer vor sich auf den Sattel und galoppierte davon, ehe der Kutscher seinem Herrn hätte zu Hilfe kommen können.

Auch mit dieser Leistung war Rumbo sehr zufrieden, zumal der Doktor in der Tat sehr pikant nach Karbol, Jodoform und anderen Medizinen schmeckte.

”Du bist ein verflixter Kerl, Frechdachs,“ sagte er, ”und verstehst Abwechslung in meinen Nachtisch zu bringen. – Was gibt's denn nächsten Sonntag?“

”Einen Pfarrer,“ antwortete Frechdachs.

”Ah,“ schmunzelte Rumbo, ”einen Pfarrer! Das ist eine ganz herrliche Idee! Such aber einen recht fetten aus, ja?“

”Ich weiß schon einen,“ sagte Frechdachs, und dachte an den, der ihm in der Christenlehre immer so heftig ins Gewissen geredet hatte, weshalb er ihn aufrichtig haßte. Ging also zu ihm und sprach: ”Lieber Herr Pfarrer, ich soll Euch zu einer Gastmahlzeit bei meinem Herrn, dem reichen Gutsbesitzer Jörg Maulvoll, einladen für nächsten Sonntag. Mein Herr würde glücklich sein, einen so heiligen Mann nach Verdienst mit den herrlichsten Speisen und Weinen zu bewirten.“

Und fügte noch viele grobe Schmeicheleien und Erzählungen hinzu, was für schöne und gute Dinge es geben werde.

Der Pfarrer war aber wirklich ein frommer Mann und sprach: ”Am Sonntag habe ich keine Zeit, viel zu essen und zu trinken, da muß ich meine Predigt halten. Komm du in meine Predigt, Bursche, und dein Herr auch, das ist meine Einladung. Leb wohl!“

’Au weh,‘ dachte sich Frechdachs, ’bei dem bin ich schief angekommen. Wenn die Pfarrer alle so sind, kann sich Rumbo den Mund wischen.‘

Es waren aber nicht alle so. Schon beim nächsten glückte es.

”So,“ sagte der, ”gefüllten Truthahn, eingemachte Hammelnieren, Erdbeeren mit Schlagrahm, Apfelsinentorte und Muskatwein? Hm, hm! Und Herr Maulvoll ist ein Mann, der einen heiligen Lebenswandel schätzt? Gut. Gut. Ich komme. Ich komme gleich mit.“

Während er sich reisefertig machte, kam ein Bote und meldete, daß ein armer Taglöhner am Sterben sei und gerne noch mit dem Herrn Pfarrer beten wolle.

”Ich habe eine wichtige Abhaltung,“ sagte der Pfarrer; ”so schnell stirbt sich's nicht; er soll bis morgen warten.“

’Du wirst gleich sehen, wie schnell sich's stirbt,‘ dachte sich Frechdachs, half dem dicken Pfarrer in die Kutsche, setzte sich auf den Bock und fuhr los. Die Pferde liefen wie der Wind, die Kutsche sprang und tanzte nur so über Stock und Stein.

”Nicht so schnell, nicht so schnell,“ rief der Pfarrer; ”das Essen wird mir nicht bekommen, wenn ich so durchgerüttelt werde.“

”Aber mürbe wirst du werden!“ rief Frechdachs.

”Mürbe? Wieso? Was heißt das?“ keuchte der Pfarrer.

”Das heißt, daß du ein zäher Heuchler bist. Hü! Rappen! Hü! Rumbo hat Hunger.“

”O Gott! O Gott! O Gott!“ stöhnte der Pfarrer. ”Der Teufel sitzt auf dem Bocke.“

”Nein, des Teufels Küster sitzt in der Kutsche,“ sagte Frechdachs, kehrte die Peitsche um und schlug mit dem dicken Ende den schlechten Pfarrer tot.

Wie Rumbo diesen dicken Mann sah, lief ihm das Wasser im Munde zusammen, und er wollte sich gleich über ihn hermachen.

”Nein, Meister Rumbo, damit wollen wir noch ein bißchen warten,“ sagte Frechdachs. ”Ich habe mir einen herrlichen Spaß ausgedacht. Den Pfarrer soll der Teufel verspeisen, Ihr aber den Teufel!“

”Du bist selber des Teufels!“ rief Rumbo. ”Wo denkst du hin! Der Teufel ist stärker als ich.“

”Ja, wenn er keinen Pfarrer im Leibe hat. Von dem da aber kriegt er das Bauchgrimmen von wegen der Geweihtheit, und dann werden wir seiner fix Herr.“

”Hm. Das läßt sich hören. Wie willst du aber den Teufel herbekommen?“

”Das laßt nur meine Sorge sein!“

Frechdachs, wie ihr wohl schon bemerkt habt, verstand sich auf Teufeleien, und so ist es kein Wunder, daß er sich auch auf den Charakter des Teufels und seiner Großmutter verstand.

Er ging zu einer Felsenspalte, wo, wie er wußte, der Teufel oft herauskam, Kienäpfel zu suchen, die er zur Heizung der Hölle brauchte.

”He,“ rief er da, ”Herr Baron! Herr Baron!“

”We…we…wer ruft denn da?“ meckerte es aus der Felsenspalte. ”Mein Enkel hat keine Zeit. Er macht sich eine Klaviatur aus Geizhalsknochen.“

”Ah,“ rief Frechdachs, ”hochwohlgeboren die Frau Teufelin-Großmutter! Nein, was für eine schöne Stimme! Sie sollten die Königin der Nacht singen! Ich hab' mein Lebtag keinen solchen Sopran gehört.“

Des Teufels Großmutter hatte ein Gefühl, als würde sie mit altem Dachsfett eingerieben, so angenehm fuhr ihr diese Schmeichelei über die runzelige Haut. Sie erschien sofort in der Spalte.

Jeder andere Mensch würde vor ihrer Häßlichkeit in Ohnmacht gesunken sein. – Ihre Nase war ein Schweinsrüssel; ihr Mund eine grüne gezackte Furche, die von Ohr zu Ohr reichte; ihre Ohren aber waren zwei alte, feuchte graugelbe Waschlappen. Von Zähnen hatte sie nur zweie, die aber standen wie die Hauer einer Wildsau krumm empor, ganz braun, und der eine wackelte. Ihre Augen saßen wie Krebsaugen an Stielen und waren gelb und fransig wie Pfifferlinge. Anstatt Haaren hatte sie graugrüne Tannenflechten, die mit schmutzigem Harz verklebt waren. Zwei gräßliche braune, mit gelben Adern überzogene Kröpfe baumelten ihr wie große Flaschenkürbisse am Halse. Als Kleidung trug sie lederne Hosen und eine Jacke aus demselben Stoffe, beides Stücke der Ausrüstung eines eben in der Hölle angekommenen Automobilisten, der als Klecks an einer Gartenmauer geendet hatte, nachdem unter seinem Mordwagen zwanzig Menschen umgekommen waren. Auch die Lärmtrompete dieses Straßenmörders trug sie am Gürtel, und es machte ihr Spaß, zuweilen auf den Gummiball zu drücken, daß es nur so tutete.

”Frau Baronin beherrschen auch noch dieses modernste aller Musikinstrumente?“ rief Frechdachs, den ihre Erscheinung durchaus nicht außer Fassung gebracht hatte. ”Nein, wie talentvoll Sie sind! Und wie Sie aussehen! Wie Sie aussehen! Die ewige Jugend! Wirklich, es ist ein Verbrechen, daß Sie sich der Bühne entziehen!“

Des Teufels Großmutter wand sich vor Entzücken, daß alle ihre Knochen knackten, und sprach: ”Sie haben viel Lebensart, mein Herr, und ich hoffe, Sie bald bei uns begrüßen zu können. Aber was wünschen Sie eigentlich?“

”Ach,“ antwortete Frechdachs, ”eine Kleinigkeit. Mein Meister, der berühmte Rumbo, möchte eine Menschendörrmaschine anlegen, weil er das rohe Fleisch nicht mehr verträgt, und da es dafür keine Installateure gibt, möchte er den Herrn Baron, Ihren Enkel, bitten, die Anlage zu übernehmen. Über den Preis werden sich der Herr Baron und mein Meister schon einigen.“

”Gewiß, gewiß, mein Herr. Mein Enkel arbeitet zwar sonst seit den Zeiten der Inquisition nicht mehr außer Hause, mit Ausnahme der Automobilbranche, aber er wird mir zuliebe schon eine Ausnahme machen. Was krieg' ich denn für meine Fürsprache?“

”Einen Kuß!“ sagte Frechdachs, machte ohne Zaudern einen Schritt vorwärts und küßte die Alte auf ihre grüne Furche.

Das höllische Automobil: Novellen

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