Читать книгу Ein kleines Stückchen Seligkeit - Pam Rhodes - Страница 6

ZWEI

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»Ich bin schließlich deine Mutter, Neil. Ich weiß das!«

Durch den Bluetooth-Ohrhörer, den Neil während der Fahrt benutzte, war Iris Fishers Stimme nicht ganz so penetrant. Er war trotzdem versucht, zusätzlich die Lautstärke herunterzudrehen, aber jahrelange Erfahrung hatte ihn gelehrt, dass, wenn er auch nur eine einzige, scheinbar noch so unwichtige Einzelheit aus den täglichen Monologen seiner Mutter verpasste, sie noch monatelang darauf herumhacken würde, wenn sie es merkte.

»Du bist immer so voreilig.« Sie war jetzt richtig in Fahrt. »Nie lässt du dir die Zeit, deine Alternativen zu bedenken – und du siehst ja, wohin das dieses Mal geführt hat! Wer hat denn schon jemals von einem entlegenen Kaff namens Dumbridge gehört?«

»Es heißt Dunbridge, Mutter, und es ist ganz und gar nicht entlegen, sondern nur anderthalb Kilometer von der A1 entfernt und deshalb auch gut ausgeschildert.«

»An der Straße nach jwd, und das ist genau die Straße, auf der du auch gerade unterwegs bist. Also ehrlich, Neil, werd' endlich erwachsen. Ein Posten als Vikar in einem Ort, den kein Mensch kennt …?«

»Vielleicht kennst du ihn nicht, aber es gibt viele, die ihn sehr wohl kennen – zum Beispiel die sechstausend Menschen, die dort wohnen.«

»Was kann denn das schon für eine Gemeinde sein in einem so entlegenen Nest? Wie willst du es da jemals schaffen, an höherer Stelle auf dich aufmerksam zu machen? Hast du denn gar keinen Ehrgeiz weiterzukommen? Wenn du in so einem Provinznest anfängst, dann bleibst du da hängen, lass dir das von mir gesagt sein!«

Neils Fingerknöchel waren schon ganz weiß, so fest umklammerte er das Lenkrad, und er merkte, wie er ganz langsam und lange ausatmete. Iris dagegen holte anscheinend überhaupt nicht Luft.

»Und noch etwas. Meinst du, das hätte sich dein Vater für dich vorgestellt? Hast du daran schon mal gedacht? Er war ein Mann mit Format und hatte etwas erreicht, als er in den Ruhestand ging – Seniorpartner bei Hewitt, Manley und Fisher war er. Was würde er wohl davon halten, wenn sein einziger Sohn sich sämtliche Chancen verbaut, um ausgerechnet Pfarrer zu werden?«

»Also ich glaube, es hätte ihm ganz gut gefallen …«

»Die Vorstellung, dass sein Sohn – in welcher Form auch immer – unter seinen Möglichkeiten bleibt, hätte ihm ganz und gar nicht gefallen. Und dabei hättest du dich für so vielversprechende, viel eindrucksvollere Berufe entscheiden können, Neil. Berufe, in denen du Karriere machen könntest und die deiner würdig wären, und deines Vaters – und meiner.«

»Ich bin fünfundzwanzig Jahre alt, Mutter, und ich kann mir schon ganz gut selbst Gedanken machen …«

»Dann tu das doch gefälligst auch mal, Neil! Sieh endlich ein, dass diese Schnapsidee, Pfarrer zu werden, ja vielleicht ganz lustig ist, aber unsinnig – und der Gedanke, dass du in irgendeinem Provinznest namens Dumbridge versauerst, ist doch lächerlich.«

»Es heißt Dunbridge, Mutter – und außerdem ist die Entscheidung schon gefallen. Ich sitze in meinem vollgepackten Wagen und bin schon fast da. In ein paar Minuten bin ich bei meinem neuen Haus.«

»Dann halt an, Neil, halte sofort an! Kehr um, komm nach Hause und lass mich eine schöne Stelle als Steuerberater für dich organisieren. Das hätte sich auch dein Vater gewünscht.«

»Entschuldige, Mutter, aber die Verbindung ist gerade ganz schlecht. Ich rufe dich morgen wieder an.«

Eine kleine Notlüge, ein schnelles Gebet um Vergebung, und Neil schaltete mit einem Seufzer der Verzweiflung sein Handy ab. Das Gespräch – so man es denn überhaupt so bezeichnen konnte – das er gerade mit seiner Mutter geführt hatte, war wie eine Endlosschleife, die sie unablässig spielte seit dem Moment vor vier Jahren, als er ihr zum ersten Mal von seinem Entschluss erzählt hatte, seiner Berufung zu folgen und Pfarrer zu werden. Trotz des eindringlichen, tränenreichen, manchmal boshaften und oft herzerweichenden Widerstandes seiner Mutter hatte er sich für die Ausbildung zum Gemeindepfarrer entschieden und sich nach dem Studium um eine Vikarstelle beworben. Doch sie hatte trotzdem weiter so heftig argumentiert, gezetert, gebettelt und geschluchzt – dass es ihr körperlich wirklich sehr zusetzte und sie Neil versicherte, dass es auf jeden Fall seine Schuld sei, wenn sie stürbe (was, wie sie behauptete, unmittelbar bevorstand). Doch er war standhaft geblieben – und sie am Leben. Er brachte Bewerbungsgespräch um Bewerbungsgespräch hinter sich bis zu dem wundervollen Tag, an dem er die Nachricht bekommen hatte, dass er für die praktische Ausbildung in der Gemeinde angenommen worden sei. Er war begeistert und überwältigt von dem Gefühl, jetzt endlich seiner Bestimmung gerecht zu werden. Seine Mutter war untröstlich gewesen und hatte dann beschlossen, die Schweigestrategie zum Einsatz zu bringen, und zwar drei volle Tage lang – was Neil allerdings, ehrlich gesagt, wie ein Gottesgeschenk vorgekommen war. Er wusste, dass er seiner Berufung folgen und bei seinem Entschluss bleiben musste, und deshalb konnte ihn auch ihr geballter Widerstand nicht aufhalten.

Ja, und da saß er jetzt also in seinem bis zum Dach vollgepackten Wagen, und St. Stephen's schaute von der Stirnseite des Marktplatzes auf ihn herab. Seine Stimmung verbesserte sich zusehends, und er hielt kurz an, um die Kulisse vor sich ganz bewusst aufzunehmen. Wahrscheinlich hatte sich der Charakter dieses Platzes seit Jahrhunderten nicht wesentlich verändert. Es gab zwar an den Straßen um den Marktplatz moderne Läden mit den bekannten Logos, die es in den Hauptstraßen der Städte im ganzen Land gab, aber sie befanden sich zwischen eher traditionellen Geschäften, die aussahen, als befänden sie sich schon seit Generationen dort. Es gab auf der einen Seite des Marktplatzes eine Pferdetränke und auf der anderen eine Postkutschenstation – beides erinnerte an Zeiten, als die Menschen noch mit Pferdekutschen und nicht mit Autos unterwegs waren. Bei seiner Ankunft herrschte emsiges Treiben auf dem Marktplatz, und viele Menschen saßen an Tischen in der Mitte des Platzes im Freien und tranken Kaffee. Alles kam ihm so gesetzt und behaglich vor, und er spürte instinktiv, dass er sich hier zu Hause fühlen würde. Mit diesem Gefühl startete er seinen Wagen wieder, fuhr weiter am Marktplatz entlang hinauf zur Kirche und bog dann rechts ab, wo er das Anwesen fand, das künftig sein Zuhause sein würde. Seine Adresse war Pfarrgarten 96. Wie passend für einen frisch gebackenen Vikar.

Von dem Haus hatte er noch an jenem schönen Abend erfahren, den er nach dem peinlichen »Kirchentürzwischenfall« schließlich doch noch bei Schweinekoteletts und Bratkartoffeln mit Margaret und Frank verbracht hatte. Eine Woche später hatten Margaret und er sich dann noch einmal für einen Tag getroffen, um alle möglichen Details seiner Arbeit zu klären, zum Beispiel, wo genau er wohnen würde, welche Aufgaben er übernehmen sollte und wie seine weitere Ausbildung organisiert sein würde. Sein Kopf war so voll gewesen mit Fakten, Namen, Terminen und Orten, dass selbst die Notizen, die er sich gemacht hatte, ein einziges Durcheinander gewesen waren. Es gab so viel zu erfahren, zu bedenken und sich zu merken. Doch immer eins nach dem anderen! Zum x-ten Mal griff er jetzt in seine Tasche, um sich zu vergewissern, dass der Schlüssel noch da war, den er ein paar Tage zuvor mit der Post bekommen hatte. Er hatte in einem Briefumschlag gesteckt, zusammen mit einer Karte, die unterschrieben war mit »Peter Fellowes, 1. Vorsitzender des Kirchenvorstandes«. So weit, so gut!

Als er in den Pfarrgarten einbog, war er vom ersten Eindruck der Nummer 96 angenehm überrascht. Es war ein relativ neues, frei stehendes Haus, vermutlich aus den 80er Jahren, schätzte er, denn dem mit Sträuchern und Bäumen bepflanzten Garten um das Haus herum war anzusehen, dass er nicht frisch angelegt war. Über dem großen Erkerfenster an der Frontseite des Hauses befanden sich im Obergeschoss zwei weitere Fenster, die vermutlich zu den Schlafzimmern gehörten. Neil musste plötzlich lächeln, als er feststellte, dass die Haustür in einem dunklen Purpur gestrichen war, fast exakt dem Farbton einer Bischofsrobe. Das würde seiner Mutter mit Sicherheit gefallen. Sie würde es als Zeichen werten, dass ihrem einzigen Sohn noch Großes bevorstand.

Die Straße vor dem Haus war ziemlich schmal, und weil er wusste, dass er einiges aus dem Wagen auszuladen hatte, parkte Neil auf dem Grünstreifen direkt vor dem Haus. Doch zunächst einmal lud er noch nichts aus, sondern stieg aus und ging durch den Garten zur Haustür.

Diesen Moment muss ich richtig auskosten, dachte er. Das hier ist ein bedeutendes Ereignis.

»Hallo, Sie da, ist das Ihr Auto?«

Neil drehte sich um und sah einen alten Mann in Hausschuhen vor der Haustür des Nachbarhauses, der ihn wütend anstarrte. Überrascht und erschrocken über die feindselige Haltung des Mannes erinnerte er sich rasch an das Gebot »Liebe deinen Nächsten«, bevor er sein nettestes Lächeln aufsetzte, auf den Zaun zwischen den beiden Grundstücken zuging und seine Hand ausstreckte, um den neuen Nachbarn zu begrüßen.

»Freut mich, Sie kennenzulernen!«, sagte Neil. »Ich bin Ihr neuer Nachbar. Gut, dass wir uns so schnell kennenlernen. Ich bin Vikar Neil …«

»Es ist mir schnurzegal, wer Sie sind!«, sagte der Mann. »Sie können jedenfalls den Wagen da nicht stehen lassen, also weg damit!«

Ein bisschen verunsichert warf Neil einen Blick auf das angeblich falsch abgestellte Fahrzeug und sagte dann: »Ich parke den Wagen woanders, so schnell es geht, aber ich muss erst noch ein paar schwere Sachen …«

»Sofort! Sofort weg damit! Sie ruinieren ja den ganzen Grünstreifen!«

»Ach ja?«, stotterte Neil. »Na ja, wenn das so ist, können Sie mir ja vielleicht sagen, wo mein Parkplatz ist.«

»Sie haben keinen!«

Neil schaute auf der ziemlich ruhigen und leeren Straße erst nach rechts und dann nach links und wandte sich dann wieder an den Mann.

»Anscheinend gibt es ja genügend Parkplätze. Deshalb bin ich davon ausgegangen, dass der freie Platz vor meinem Haus auch mein Parkplatz ist.«

»Nein, das ist meiner.«

»Gut«, entgegnete Neil mit einem Nicken, war allerdings immer noch ein bisschen irritiert beim Anblick des alten Volvos, der in der Nähe parkte. »Und wem gehört dann das Auto dort vor Ihrem Haus?«

»Das ist auch meins.«

»Dann haben Sie also zwei Parkplätze?«

»Nein, ich habe einen Parkplatz – und den Grünstreifen.«

»Auf dem Sie ebenfalls parken …?«

»Nein!«, kam umgehend die verächtliche Antwort. »Nur Idioten parken auf Grünstreifen!«

»Ach so, dann kümmern Sie sich also um den Grünstreifen vor dem Haus?«

»Ich kümmere mich um diesen hier und den da und um die die ganze Straße hinunter.« Dabei gestikulierte der Mann wild mit den Armen, um all die Grünstreifen beiderseits der Straße zu erfassen. »Die Straße heißt schließlich Pfarrgarten und nicht Pfarrparkplatz! In Gärten wächst Grün, und ein Grünstreifen ist kein Parkplatz. So, und jetzt machen Sie schon! Wirdś bald?«

»Tja, hmmm …« Neil sah sich um und überlegte ein bisschen beklommen, wo er jetzt seinen Wagen abstellen sollte, ohne für Ärger zu sorgen, aber auch so nah an seiner neuen Bleibe, dass er seine etwas schwereren Habseligkeiten ohne allzu viel Mühe aus dem Wagen ins Haus tragen konnte.

»Alf!«, war eine Frauenstimme durch die offene Haustür des Nachbarhauses bis hinaus in den Garten zu hören. »Sie machen doch nicht etwa dem neuen Vikar schon jetzt das Leben schwer, oder?«

Eine zierliche Frau mittleren Alters tauchte in der Haustür auf und kam dann zügig auf die beiden Männer zu.

»Es tut mir leid«, sagte sie. »Ich muss mich wirklich entschuldigen. Was für eine schreckliche Begrüßung für Sie!«

»Ach, das macht doch nichts«, antwortete Neil erleichtert. »Ich bin Neil Fisher, der neue Vikar.«

»Und ich bin Maureen Allen, Alfs Betreuerin vom Pflegedienst. Ich komme zwei Mal am Tag, um ihn zu versorgen – aber er ist mir entwischt, als ich ganz kurz nicht aufgepasst habe. Ich hoffe, er hat Sie nicht schon herumkommandiert, bevor sie auch nur Ihre Haustür aufgeschlossen haben.«

»Ach nein! Er hat mir nur ein paar hilfreiche Tipps gegeben.«

Maureens Stimme war streng, als sie sich an den alten Herrn wandte und sagte:

»Sie haben sich mal wieder als Herr über die Grünstreifen aufgespielt, stimmtś, Alf?«

Alfs Miene nahm einen Ausdruck kummervollen Ärgers an.

»So, und jetzt kommen Sie wieder ins Haus, Sie verrückter alter Knabe. Ich habe Ihnen Ihren Tee gemacht – und wie wäre es mit einem Stück von Ihrem Lieblingskuchen dazu?«

Diesem Vorschlag konnte Alf allem Anschein nach denn doch nicht widerstehen, denn er machte auf dem Absatz kehrt und ging zurück ins Haus.

»Und was ist mit Ihnen, Herr Pfarrer? Möchten Sie vielleicht auch einen Tee und ein Stück Kuchen?«

»Vielen Dank, das ist sehr freundlich, aber jetzt lieber nicht«, antwortete Neil lächelnd. »Bleibt allerdings immer noch die Frage, wo ich meinen Wagen abstellen kann.«

»Genau da, wo er jetzt steht. Ignorieren Sie ihn einfach. Tschüss, Herr Pfarrer.«

Und mit diesen Worten verschwand Maureen wieder im Haus und schloss die Tür von innen. Neil setzte den kurzen Weg zu seiner eigenen Haustür fort, und mit einem Gefühl tiefer Befriedigung darüber, etwas geleistet zu haben, steckte er den Schlüssel ins Schloss der Tür zu seinem neuen Zuhause und zu einem ganz neuen Leben.

Was ihm als Erstes auffiel, war der helle Flur, in den durch ein Seitenfenster auf halber Höhe der Treppe Sonnenlicht fiel. Das Haus roch nach frischer Farbe und Putzmittel mit Zitronenduft. Hier war seinetwegen eindeutig schwer geschuftet worden, eine Vorstellung, die ihn rührte und ihm das Gefühl gab, wirklich willkommen zu sein.

Von dem hellen Flur aus gelangte er in ein großes, schönes Wohnzimmer, das durch einen halbrunden Durchgang unterteilt war in einen Wohnbereich, der zur Straße hinausging, und einen Essbereich mit bodentiefen Fenstern zum Garten hinaus. An der linken Esszimmerwand befand sich eine Durchreiche, durch die Neil in die mittelgroße, gut ausgestattete Küche schaute.

Als er wieder im Flur war, um von dort aus in die Küche zu gehen und sie sich ein bisschen genauer anzusehen, entdeckte er eine Tür unter der Treppe, von der er glaubte, es könnte sich vielleicht eine Gästetoilette dahinter befinden, aber stattdessen fand sich dort eine Sammlung praktischer Gegenstände, wie zum Beispiel ein Staubsauger, ein Mopp, ein Eimer und ein Wäscheständer. Die Leute aus der Gemeinde hatten anscheinend wirklich an alles gedacht. Es war überall picobello sauber und aufgeräumt, und an einer Hakenleiste in der Küche hingen sogar gestärkte und frisch gebügelte Geschirrhandtücher. Es war eine Besteckschublade vorhanden, in der in ordentlichen Reihen Messer, Gabeln und Löffel lagen, und im Schrank standen Müslischalen, Essteller, Servierschüsseln- und platten, blank polierte Gläser und bunte Eierbecher.

Sogar eine blühende Topfpflanze stand auf der Fensterbank, an der eine Karte mit der Aufschrift »Herzlich willkommen!« lehnte.

Neil war gerührt über diesen freundlichen Empfang, aber ihm war auch klar, dass die Pflanze angesichts seines so gar nicht grünen Daumens kaum Überlebenschancen hatte. Sie würde trotz aller Bemühungen spätestens in ein paar Wochen das Zeitliche segnen.

Neil verließ die Küche wieder und ging zum Treppenaufgang. Links davon befand sich eine weitere Tür, die in einen Raum führte, der offensichtlich als Arbeitszimmer gedacht war. Es war eingerichtet mit einem Mahagonischreibtisch, Bücherregalen und einer Sitzgarnitur bestehend aus einem zweisitzigen Sofa und einem gemütlichen Sessel, in dem er sich in Gedanken schon Gespräche mit Gemeindemitgliedern führen sah.

Als Nächstes ging er die Treppe hinauf und fand im Obergeschoss das Schlafzimmer, das in einem geschmackvollen Beige gestrichen war, daneben das Bad, das zu Neils Erstaunen und leichter Beunruhigung beherrscht war von einer cremefarbenen Eckbadewanne mit Whirlpoolfunktion und allen möglichen Knöpfen und Schaltern für diverse Funktionen noch unbekannter Art.

Im Obergeschoss befanden sich noch zwei weitere Zimmer, von denen das größere als Gästezimmer mit einem Doppelbett eingerichtet war und das kleinere mit einem zusammenklappbaren Gästebett und einem Schreibtisch, sodass Neil den Raum entweder als zweites Gästezimmer oder als persönliches Arbeitszimmer nutzen konnte, weil es weniger öffentlich war als das untere. Neil konnte es kaum erwarten, sich hier einzurichten, und nachdem er all seine Sachen aus dem Auto ausgeladen hatte, werkelte er noch so lange im Haus herum, bis alles an Ort und Stelle war. Er freute sich sehr, als er feststellte, dass er am Ende des Gartens hinter dem Haus sogar eine eigene Garage hatte, in der er unter anderem sein Klappfahrrad, ein Ergometer, das er nur ein einziges Mal benutzt hatte (von dem er aber trotzdem das Gefühl gehabt hatte, es mitnehmen zu müssen), und einen Stapel leerer, bereits ausgepackter Plastikkisten abstellen konnte.

Er beschloss, die Bücher, die er »zum Vergnügen« las (unter anderem seine vollständige Reihe von Bernard-Cornwell-Romanen) im Wohnbereich unterzubringen, die theologischen Bücher und Nachschlagewerke dagegen im Arbeitszimmer, seine persönlichen Unterlagen und Ordner brachte er in das persönliche Arbeitszimmer im Obergeschoss. Seine Kleidung räumte er in den Kleiderschrank in seinem Schlafzimmer, seinen Talar und alles Zubehör brachte er in dem etwas höheren Kleiderschrank im Gästezimmer unter. Seine Schuhe stellte er paarweise in eine Reihe auf den Boden des begehbaren Kleiderschrankes und reservierte den letzten Platz für die Joggingschuhe, die er gerade anhatte. Den Inhalt seines Kulturbeutels räumte er in den Spiegelschrank im Bad um, bevor er als Letztes seine elektrische Zahnbürste einstöpselte.

Eine Stunde später ließ er sich zufrieden in einen Sessel sinken in dem Wissen, dass sein neues Heim jetzt ordentlich und organisiert war, genauso wie er es gern hatte.

Er wurde in seinen angenehmen Gedanken unterbrochen, als es zweimal hintereinander kurz und forsch läutete. Als er die Tür öffnete, stand ein großer, distinguierter Mann mit silbergrauem Haar vor ihm, der ihn freundlich anlächelte.

»Sie müssen Neil Fisher sein. Herzlich willkommen in St. Sephen's! Ich bin Peter Fellowes, der erste Vorsitzende des Kirchenvorstandes. Ich wollte mich nur vergewissern, ob Sie gut angekommen sind und mit allem versorgt sind, was Sie brauchen.«

Neil erwiderte den freundlichen Händedruck des Mannes herzlich und sagte: »Freut mich sehr, Sie kennenzulernen, Peter. Wahrscheinlich muss ich mich bei Ihnen für das wundervolle Haus bedanken, nicht wahr? Es ist deutlich zu merken, dass hier sehr viel Arbeit investiert worden ist.«

»Ach, das war ja nicht ich allein, sondern dazu haben ganz viele beigetragen. Der Kirchenvorstand hat zu dem Zweck extra einen Unterausschuss gebildet. In solchen Dingen sind wir richtig gut.«

»Und ich«, sagte eine melodiöse Frauenstimme von irgendwo hinter dem blühenden Geißblattstrauch, der die Haustür umrankte, »ich habe ein Willkommenspaket für Sie vorbereitet!«

Peter wurde mit Nachdruck zur Seite geschoben, und hinter ihm tauchte eine Frau auf, die mit ihrer Präsenz alles beherrschte. Neil bemerkte ihre eleganten hochhackigen Schuhe, ihr fachmännisch frisiertes Haar und den maßgeschneiderten kirschroten Blazer, der kaum den Ausschnitt ihrer Bluse bedeckte, der selbst für Neils unerfahrenen Blick erstaunlich tief war für eine Dame »in einem gewissen Alter«.

»Glenda Fellowes«, sagte sie affektiert und sah Neil dabei tief in die Augen. »Ich hoffe, Sie haben alles, was Sie brauchen. Brot, Milch, Cornflakes, Zucker …« Das letzte Wort sagte sie mit einem dermaßen lasziven Unterton, dass es beinah wie eine Liebkosung klang. Und bevor Neil wusste, wie ihm geschah, war sie mit zwei schnellen Schritten im Haus und bedachte ihn mit einer stürmischen Umarmung, an die er sich noch Jahre später erinnern sollte. Das Gefühl, wie sie ihn fest an sich presste und er beinah an ihrem berauschenden Parfüm erstickte, weil sein Gesicht dabei in ihren üppigen Busen gepresst wurde, war wirklich unvergesslich.

»Willkommen, lieber Neil«, raunte sie ihm mit leicht rauchiger Stimme ins Ohr, »im Namen von uns allen hier von St. Stephen's. Und wenn Sie etwas brauchen …«

Sie löste sich wieder von ihm, hielt ihn auf Armeslänge von sich entfernt, sah ihm wieder tief in die Augen und fuhr fort: »… egal, was es ist … dann sagen Sie einfach Bescheid. Ihr Wunsch ist mir Befehl.«

Neil stand einfach nur da und fühlte sich wie unter Hypnose. Ein leichtes Hüsteln von der Seite unterbrach die Stimmung.

»So«, sagte Peter mit einem Hauch von Ungeduld in der Stimme. »Jetzt lass aber den armen Mann weitermachen. Wir sehen uns ja dann wahrscheinlich morgen früh bei der Morgenandacht, Neil. Unter der Woche ist die Kirche nur ein paar Mal für Andachten geöffnet. Es sind dann meistens nur wenige Leute da, aber ich bin immer gern dabei.«

Seinen Blick immer noch gleichermaßen fasziniert wie erschrocken auf Glenda gerichtet brachte Neil daraufhin nicht mehr zustande, als Peter kurz zuzunicken.

»So, jetzt komm aber, Glenda!«, sagte Peter und wandte sich ab, um zu gehen, während Glenda dem armen Neil noch einen langen, innigen Blick zuwarf und ihm dabei einmal kurz mit der Hand über die Wange strich. Dann trippelte sie sie so schnell und anmutig, wie es ihre Stöckelschuhe zuließen, hinter ihrem Mann her.

***

Neil brauchte mehrere Stunden und einen Becher Tee mit viel Zucker, um sich von der Begegnung mit Glenda zu erholen, aber als dann die Sonne über seinem neuen Zuhause unterging, hatte er sich so weit wieder beruhigt, dass er bereit war, seine gewohnte Abendandacht zu halten. Er überlegte, welcher Platz im Haus sich wohl am besten zu diesem Zweck eignete, und entschied sich schließlich für das Arbeitszimmer mit den bequemen Sesseln und seiner friedvollen Atmosphäre. Er überlegte, welches Bibelwort am besten zu diesem Anlass passte, und schlug dann eine seiner Lieblingsstellen, Johannes 14, auf:

In meines Vaters Haus sind viele Wohnungen.

Ich gehe hin, euch die Stätte zu bereiten.

Und er hatte wirklich das Gefühl, dass Jesus vor ihm hergegangen war, um ihn in die hübschen, ordentlichen Räume dieses blitzblank geputzten Hauses zu führen. Das hier war der Höhepunkt einer nicht nur physischen Reise, deren Ziel Dunbridge war. Nein, das hier war das Ziel einer geistlichen Odyssee, die in der schönen gemeinsamen Zeit mit seinem Vater begonnen hatte, in der sie zusammen Kirchen besucht hatten, die weitergegangen war in Form des mühsamen Prozesses, einen Beruf zu finden, der kein Job, sondern Berufung war, und die zu einem Abschluss gekommen war, als er endlich erkannt hatte, dass er von Gott berufen war und von ihm auch die Kraft bekommen würde, sich allem zu stellen, was auf ihn zukam.

Das Theologiestudium hatte ihm großen Spaß gemacht. Er hatte die Arbeit mit der Bibel geliebt und die hitzigen Diskussionen der Studenten über geistliche und ethische Fragen, die in ihren Bibelarbeiten aufgeworfen wurden. Er hatte immer mehr seine Unsicherheit verloren in der Gemeinschaft mit Menschen, mit denen er einen gemeinsamen Auftrag hatte und gemeinsam denselben Gott anbetete. Er hatte immer mehr glauben können, dass er den Glauben, die intellektuellen Fähigkeiten und auch die Intuition hatte, die er brauchte, um Menschen in den Hochs und Tiefs ihres eigenen Glaubensweges zu begleiten.

Aber Neil kannte auch seine Grenzen. Er konnte sich nicht vorstellen, dass er jemals gut schlafen würde in der Nacht, bevor er eine Predigt halten musste. Und bei dem Gedanken, ganz allein einen kompletten Gottesdienst zu leiten, wurde ihm immer noch ganz mulmig – doch er kam mit jedem Tag seinem Ziel, und auch Gott, näher.

Und an diesem Abend, dem Vorabend seines ersten Arbeitstages als Vikar in seiner ersten Gemeinde, dankte Neil Gott einfach dafür, dass er hier angekommen war – und er betete, dass er mit allem fertig werden möge, was der nächste Tag für ihn bereithielt.

Ein kleines Stückchen Seligkeit

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