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Kapitel 2

Ich erkannte Ludmilla sofort wieder, als ich den Auktionssaal betrat. Sie sass in der ersten Reihe. Ich konnte meinen Blick nicht von ihr lösen. Sie trug ihre Locken noch immer hochgesteckt, wie früher, so, wie ich es liebte. Gefärbt, vermutete ich, das vertraute Kupferrot leuchtete beinahe unanständig feurig in der gedämpften, reizlosen Atmosphäre des Auktionssaals. Die rubinbesetzten Ohrringe ihrer Mutter, die stolze Kopfhaltung, die immer noch geraden Schultern, das war unverkennbar Ludmilla. Sie strahlte immer noch dieselbe Energie und Spannkraft wie in unseren ersten Jahren aus. Ihr glattes Gesicht mit den Augen einer Raubkatze und dem grossen spitzbübischen Mund tauchte blitzartig aus meiner Erinnerung auf. Wie jung wir gewesen waren, wie begeistert! Ich erinnere mich, wie Ludmillas herbe Art mich faszinierte. Trotz ihrer anfänglichen Distanziertheit war sie leidenschaftlich und übersprühend, als das Eis gebrochen war. Jetzt, über vierzig Jahre später, wird die Zeit uns beiden die Ecken und Kanten abgeschliffen haben. Unsere Charakterzüge haben sich deutlicher ausgeprägt. Wie wäre es wohl heute, ihre Hand zu halten, wie würde sich ihre Haut anfühlen, wie röche ihr Haar? Ich zog es vor, mich noch ein paar Gedanken lang bei meinem Bild der Vergangenheit zu verweilen. Ich blickte in eine andere Richtung.

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Eigentlich besuche ich schon lange keine Auktionen mehr. Die fetten Jahre der grossen Abschlüsse sind vorbei und meine Vorstellungen vom Leben haben sich geändert. Ging es mir früher vor allem darum, meine Kunstsammlungen abzurunden, bin ich heute eher in Gesundheitsfarmen und bei den Herren Doktoren anzutreffen als in der Händlerszene. Ich habe viele meiner Kunstschätze abgestossen, behutsam, um den sensiblen Markt nicht aufzuschrecken. Einige wertvolle Stücke sind mir ans Herz gewachsen, nie würde ich mich von ihnen trennen können. Trotz allen Verkäufen wirke mein Haus in Bern wie ein Museum, behaupten die wenigen Freunde, die noch den Weg zu mir finden. Die letzten Geschäfte haben unerwartet hohe Gewinne abgeworfen. Ich kann mich sorglos in die Herbstsonne des Lebens setzen, ohne den Winter fürchten zu müssen. Aus reiner Liebhaberei und den Erinnerungen zuliebe zeige ich mich ab und zu an einer Auktion oder bei ehemaligen Händlerkollegen.

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In meinem Postfach hatte, unter einigen Rechnungen und Prospekten, die Einladung zu dieser Auktion gelegen. Sie übte eine seltsame Anziehungskraft auf mich aus. Der Auktionator, ein langjähriger Bekannter, hatte ein Kärtchen angeheftet: ‚Die Nummer 24 auf Seite 19 dürfte Sie interessieren, lieber Lendel. Grüsse SF‘.

Neugierig fächerte ich die Katalogseiten über den Daumen. Auf Seite neunzehn sprang mir eine Schwarzweissaufnahme ins Auge. Dieses Spieltischchen kannte ich doch! Mit der Hand deckte ich rasch den Text neben dem Bild zu, ich wollte mein Erinnerungsvermögen prüfen. Die geschwungenen Beine, das seltsame Muster auf der Tischplatte liessen alte Bilder auferstehen. Ein beissender Geruch von Lack und Farbe stieg in der Nase hoch, ich schien trockenen Holzstaub zwischen den Fingern zu spüren, und ich hörte die Glocke von Villerach vier Uhr schlagen. Grossvaters Kartentisch, da war es, das Wabenmuster! Wie manche Stunde waren Grossvater und ich an genau diesem Tisch gesessen! Erinnerungen, die ich tief verschüttet glaubte, schossen aus dem Dunkel wie silbrige Fische, die aus dem Wasser springen und nach Mücken schnappen. Sollte das Spielbrett des Xelorins, wie wir den Tisch als Anspielung auf das Märchen genannt hatten, wieder aufgetaucht sein? Das war wirklich merkwürdig. Handelte es sich hier um eine Kopie? Grossvater war der Meinung gewesen, der Tisch sei verbrannt worden! Oder hatte Hans oder einer seiner dunklen Hintermänner die Finger im Spiel? Ich musste mich am Ohr kratzen, als ich die Beschreibung überflog.

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Seltene Tischlerarbeit von Xaver Lendel (1877 - 1959). Lendel, berühmt für seine sakralen Holzschnitzerarbeiten führte gelegentlich auch profane Tischlerarbeiten für seinen persönlichen Gebrauch aus. Diesen eleganten, runden Kartentisch scheint Lendel schon in seinen frühen Jahren geschaffen zu haben. Der Tisch ist massiv aus Mahagoni gearbeitet und mit Messingeinlagen verziert. Auffallend ist das wabenförmige Muster der Tischplatte, welches aus Intarsien einer nicht näher bestimmbaren Holzart gefertigt ist. 60 cm hoch, Durchmesser 60 cm. Gebotspreis 25’000 Franken.

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Kurz entschlossen griff ich zum Telefon und buchte auf die Auktion hin in zwei Wochen ein Abteil im Nachtzug von Bern nach Wien. Dann hatte ich Herrn Möll am Draht, Portier seit Urzeiten im Nusshof. Ein angenehmes, nur Eingeweihten bekanntes Hotel eines alten Stils, wie man ihn, wie mir scheint, nur noch in Wien findet.

«Grüss Gott, Herr Doktor, schon lange nicht mehr die Ehre gehabt! Was kann ich für Sie tun?»

«Möll, freut mich, dass Sie immer noch auf dem Posten sind, wir beide gehören ja schon zur alten Garde.»

«Sie doch nicht, Herr Doktor! Belieben Sie den Nusshof zu beehren?»

«Ja, zwei, vielleicht drei Nächte. Wird mein altes Zimmer noch frei sein? Sonst machts auch nichts.»

«Doch, die 317, ja, die wird frei sein, wenn Sie kommen. Sie werden wie gewohnt den Nachtzug nehmen? Wir werden Sie natürlich abholen.»

Der Nusshof, solche Gastfreundschaft ist selten geworden.

«Sehr gut, wie immer. Übrigens Möll, können Sie mir Karten für die Oper besorgen? Und eine Platzreservation im Auktionshaus Gellert, bei SF?»

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Einmal mehr war ich in meinem geliebten Wien, promenierte durch die vertraute Innenstadt zum Auktionshaus Gellert, nicht weit vom Stephansdom. Grossvaters Kartentisch war wieder aufgetaucht, erstaunlich! Bei Gellert wurde ich empfangen wie ein beliebter Fürst, der aus dem Exil zurückkehrt. SF, niemand nannte den alten Gauner anders, wollte mir einen seiner Assistenten anhängen. Doch ich mochte diese umsatzhungrigen Jüngelchen nicht in meiner Nähe, und ich winkte lächelnd ab: «Danke für Ihren Tipp, SF, aber ich bin wirklich nur privat hier, sozusagen inkognito, eher zum Vergnügen als geschäftlich.» SF wienerte noch etwas in die Richtung, es sei ihm immer ein Vergnügen, mit mir Geschäfte machen zu dürfen, liess mich dann aber höflicherweise alleine. Ich war mir aber sicher, dass er mich im Auge behalten und eines seiner wieselflinken Helferlein auf mich hetzen würde, verzöge ich auch nur eine Miene.

Vor der Auktion fand ich kurz Gelegenheit, einen Blick in die Ausstellung zu werfen. Eindeutig, das war unser Tisch. Unzählige Kartenspiele hatten wir lautstark auf diesen Tisch geklopft oder nachdenklich endlose, einsame Patiencen gelegt. Hatten vielleicht sogar Xelorins Figuren auf einem solchen Brett gestanden? Welche Odyssee musste dieses Möbelstück in den letzten vierzig Jahren erlebt haben? Jetzt verstand ich endlich auch, warum Ludmilla an dieser Auktion teilnahm. Eigenartig, alle meine heutigen Schritte schienen mich immer wieder zu Ludmilla hinzuleiten. Oder sie zu mir her? Schade, dass wir damals nicht wieder zueinander finden konnten.

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Aber wahrscheinlich hatte ich Ludmilla von Anfang an falsch eingeschätzt. Wir waren so jung, so blutjung gewesen. Könnten wir mit dem heutigen Erfahrungsschatz nochmals an den Start zurück, das gäbe ein Rennen! Ich prüfte mich, ob ich verbittert sei. In meinem Alter ist Verbitterung ein lähmendes Gift, besser, man geht ihm aus dem Weg. Bedauern, es ist eher eine leise Wehmut über das Versäumte, die Abzweigungen, an denen man achtlos vorbeischritt, ohne sie zu prüfen. Zudem schwelte seit langem die Glut der Hoffnung in mir, dass die seinerzeitige Zuneigung vielleicht nicht endgültig vergessen gegangen sei.

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Sandors Figurenspiel

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