Читать книгу Der Agentenjäger - Peter Schmidt - Страница 6

Prolog

Оглавление

Der Mann, der im trüben Schein der Gaslaternen durch die Straße kam, war auffallend groß und breitschultrig; ein hellblonder Hüne, etwa vierzig Jahre alt. Seine leicht wippenden Fäuste erinnerten an einen kampfbereiten Boxer, dem es nur noch am passenden Sparringspartner fehlte …

Noch auffallender aber war die Geschmeidigkeit seiner Bewegungen, seiner Schultern und Arme ebenso wie der Beine – als habe er seinen Körper völlig unter Kontrolle und sei zugleich hellwach und aufmerksam auf alles, was um ihn herum passierte.

Es war eine Kleinstadt dicht bei der Zonengrenze. Über die Dächer hinweg konnte Marten von seinem Beobachtungsposten im Erker eines altmodischen Hauses aus der Vorkriegszeit ihre angestrahlten Grenzbefestigungen sehen.

Der Himmel darüber war milchiggrau und in den Fenstern der Wachtürme, die hier gut zwanzig Meter näher zur Absperrung standen als außerhalb der Stadt, bewegten sich manchmal Silhouetten von Wachsoldaten.

Irgendwo weiter links gab es einen Übergang für den sogenannten kleinen «Grenzverkehr», dessen Barackengebäude von den dazwischenliegenden Hauswänden verdeckt wurden.

Der blonde Hüne war in der Straße nahe genug herangekommen, um ihn am dunklen Fenster über sich erkennen zu können.

Marten ließ mit einer abrupten Handbewegung die Gardine fahren. Er zündete sich eine Zigarette an, wobei er sich ins Zimmer wandte und die Flamme nach außen mit dem Körper und den Händen abschirmte.

«Faber?», fragte der junge Mann an seiner Seite; er war in Zivil, machte aber mit seiner etwas unterwürfigen und übertrieben korrekten Sprechweise den Eindruck eines Beamten, der sich für einen Augenblick seiner Uniform entledigt hatte.

«Unverkennbar.»

«Ich hätte nicht geglaubt, dass er tatsächlich kommt.»

«Er riskiert‘s einfach», nickte Marten und wandte sich mit seiner Zigarette wieder dem Fenster zu. «Diese Frau scheint ihm viel zu bedeuten; mehr als sie sollte. Wie wir angenommen hatten», fügte er nach einer Pause hinzu.

«Heißt das, wir könnten ihn jetzt hochnehmen?»

«Nicht jetzt», sagte Marten unbestimmt. «Später. Wir halten uns streng an die Anweisungen.»

Der blonde Hüne blieb auf der anderen Straßenseite vor einem zweistöckigen Haus stehen. Es war hell gestrichen, mit ordentlichen glatten Gardinen in den Parterrefenstern, die eher an Büros als an Wohnräume erinnerten.

Er las das weiß emaillierte Schild der Rechtsanwaltskanzlei neben dem Eingang und warf einen prüfenden Blick über seine Schulter in die menschenleere Straße. Seine blasse Hautfarbe verriet, dass er sich zu viele Nächte um die Ohren geschlagen hatte. Als er den Arm zur Klingel hob und das Licht der Straßenlaterne auf sein Profil fiel, wirkte er für einen Augenblick sogar etwas hinfällig.

Die Spannung, und damit auch die Geschmeidigkeit und Eleganz seiner Bewegungen, war von ihm abgefallen, als habe er jetzt sein Ziel erreicht und unwiderruflich eine Grenze überschritten.

Hinter den Milchglasscheiben der Kanzlei ging das Licht an; in allen vier Fenstern gleichzeitig. Die Tür wurde geöffnet, ohne dass Marten hätte erkennen können, wer es war – er sah nicht mehr als einen Arm und ein dunkelblaues Hosenbein –‚ dann hatte der Eingang Faber auch schon verschluckt, als habe es ihn nie gegeben.

Das Klingeln des Telefons ließ Marten herumfahren. Der Mann im grauen Anzug, der schweigend unter der kahlen Wand am Tisch gesessen hatte, hob ab und fragte: «Ja?»

Er horchte eine Weile. Dann nickte er zweimal, erwiderte: «Habe verstanden!» und legte auf.

Als er sich Marten zuwandte, war etwas wie Triumph in seiner Stimme:

«Schwarzer Saab ... passiert eben den Kontrollpunkt. Wie wir erwartet hatten …»

«Vogel persönlich?»

«Sie glauben, es sei einer seiner engsten Mitarbeiter aus der Ostberliner Anwaltskanzlei. Aber so genau konnten sie das wegen der Dunkelheit nicht erkennen.»

«Wenn es nicht Vogel selbst ist, dreht sich‘s erst um Vorverhandlungen», sagte Marten nüchtern. Er wirkte ein wenig enttäuscht. «Dann ist Faber noch nicht so weit, wie wir geglaubt hatten.»

«Immerhin führt er mit der Gegenseite Geheimverhandlungen wegen der Freilassung seiner Freundin», wandte der andere ein. Er war einen Kopf kleiner als Marten und hatte ein frühzeitig gealtertes, am Kinn stark eingefallenes Gesicht, das aussah, als habe er sein Gebiss verlegt. «Klarer Verstoß gegen die Dienstvorschriften.»

«Wir sind nicht an kleinen Fischen interessiert», wehrte Marten ab. «Ein Verfahren in diesem Stadium würde ihn nur zu unüberlegten Reaktionen provozieren.»

«Möchte zu gern wissen, was wirklich hinter ihrer Verhaftung steckt.»

«So viel ist jedenfalls sicher.» Marten machte eine Handbewegung, die Verachtung ausdrückte. «Lea gehört zu dieser verrückten Sorte von Journalistinnen, die glauben, sie könnten den Staatssicherheitsdienst mit der linken Hand in die Tasche stecken. Ihm gefahrlos auf der Nase herumtanzen und den offenen Grenzverkehr praktizieren – im Namen der Menschlichkeit für ein paar Ausreisewillige den Samariter spielen! Immer Unzufriedene, die sich besonders gut auf die Mitleidsmasche verstehen.

Aber Fluchthilfe hat sich noch nie ausgezahlt. Sie wurde in einem Ostberliner Kaufhaus verhaftet. Missbrauch der Arbeits- und Aufenthaltsgenehmigung, Menschenhandel – so nennt man das drüben – in acht Fällen. Lea war voll geständig. Ein paar Tage in den Gefängnissen des Staatssicherheitsdienstes reichten aus, um sie zum Reden zu bringen. Sie hätte sich besser an die Gesetze halten sollen. Damit hat sie nur ihre Arbeitskollegen aus dem Westen in Schwierigkeiten gebracht.»

«Und ihr Freund? Welche Rolle spielte er dabei?»

«Ich glaube, Faber hatte von alledem keine Ahnung. Er ist einfach von ihrer Verhaftung überrascht worden und jetzt versucht er‘s auf nicht ganz legale Weise auszubügeln.» Marten wandte sich wieder der Straße zu.

Scheinwerfer huschten über die Hauswand am Ende der Fahrbahn. Ihr Saab bog langsam aus der Querstraße ein; sein Motorgeräusch war ungewöhnlich leise. Marten schloss daraus, dass sie im dritten Gang fuhren, um bei den Anwohnern der Straße kein unnötiges Aufsehen zu erregen. Eine seiner Scheiben war heruntergekurbelt und für einen Moment beleuchtete die Laterne die wohlgenährten, gleichgültig wirkenden Züge eines Mannes, der sich sofort wieder in den Wagenschatten zurückbeugte.

«Wendland», stellte er fest. «Sie haben einen ihrer besten Verhandlungsführer geschickt.»

Der Mann auf dem Rücksitz stieg aus. Er war unauffällig gekleidet und hielt ein ledernes Diplomatenköfferchen in der Rechten.

Noch ehe er die ersten Treppenstufen erreicht und geläutet hatte, wurde geöffnet. Im gleichen Augenblick setzte sich auch der dunkle Saab wieder in Bewegung, er rollte fast unhörbar die Straße hinunter. Alles machte den Eindruck einer perfekt eingespielten Aktion.

Marten verschränkte seine Hände auf dem Rücken und sah schweigend auf das Schattenspiel hinter den Milchglasscheiben. Der junge Mann an seiner Seite schien seine Gedanken zu erraten, als er sagte:

«Möchte hebend gern erfahren, worüber jetzt da drüben verhandelt wird …»

«Das würde viele Fragen klären», bestätigte Marten.

«Mit ein paar Mikrofonen wär‘s einfacher gewesen.»

«Dazu reichen die Verdachtsmomente gegen Faber nicht aus. Waldmann ist ein angesehener Anwalt. Und er verfügt über gute Verbindungen nach Bonn.»

«Also auch keine Ausnahmegenehmigung drin?», fragte der andere vorsichtig.

«Wenn etwas gegen ihn oder seine Kanzlei vorläge, ja. Dann vielleicht. Aber Waldmann tritt gegenüber Wendland nur als Vermittler für Vogel und seine Klientin auf. Wir hätten niemals grünes Licht dafür bekommen.»

Sie warteten eine Zeit lang ab, obwohl sie wussten, dass es nicht mehr viel zu tun gab. In einer halben Stunde würde der Wagen des Unterhändlers wieder vor der Haustür der Kanzlei auftauchen, Wendland einladen und ihn über den Kontrollpunkt nach Ost-Berlin zurückbringen.

Marten strich sich gedankenverloren mit drei Fingern über die Stoppeln an seiner Kehle.

«Die Dienste sind zahnlos und fromm geworden …», sagte er mehr zu sich selbst als an seinen Begleiter gerichtet. «Zahme Haushunde, die sich nur noch von durchgedrehtem Fleisch und gekochten Kartoffeln ernähren! Bellen zwar und verbuddeln ihren Knochen, als sei‘s das alte Spiel, aber dann geht ihnen schnell der Atem aus. Eines Tages wird es uns das Genick brechen ... wie im Fall Tiedge. Ja, genau wie im Fall Tiedge», bekräftigte er, als drohe ihm damit eine persönliche Gefahr.

«Ich bin gar nicht mal so sicher, ob eine Weibergeschichte das Risiko überhaupt wert ist», erklärte der junge Mann. «Ich selbst würde an seiner Stelle lieber …»

«Sie vergessen, dass auch Leas Tochter drüben ist. Er hat sie angenommen wie sein eigenes Kind.»

«Und wenn er jetzt einfach in ihren Wagen stiege? Der Grenzübergang ist nicht weit.»

«Nein, Faber ist einer unser erfahrensten Abwehrspezialisten. Deshalb würde er es nie ohne Gegenleistung tun. Er müsste sicher sein, dass sie freikommen – und dass Lea überhaupt zurückkehren will. Der fragliche Punkt an dieser dubiosen Fluchthilfegeschichte … sehr mysteriös.»

Marten wiegte skeptisch den Kopf.

«Auf jeden Fall aber würde Faber es nur als direkten Austausch akzeptieren. Im Gegenzug, Person um Person. Und natürlich würden wir ihn daran zu hindern wissen.»

«Natürlich. Ja, natürlich», sagte der junge Mann.

Der Agentenjäger

Подняться наверх