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Oh, es riecht gut

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2139 A.D.

„Mama? Wenn ich ganz lieb bin, bekomme ich dann zu Weihnachten ein Pferd?“ Ein Pferd. Ach du meine Güte. „Nein, Schatz.“ Mein Sohn sah mich großen, fragenden, blauen Kulleraugen an. „Warum?“ Weil wir uns kein Pferd leisten konnten. „Wo sollte es denn hin, Mäuschen?“

„Auf den Balkon.“ Kinderlogik. Klar. „Der ist viel zu klein für ein Pferd. Fressen will es auch. Es braucht Heu, Hafer, Gras. Äpfel und Möhren.“ Frederick nickte. „Na gut.“ Ich sah, wie es in seinem kleinen Kopf arbeitete. Schon platzte er mit dem nächsten Tierwunsch heraus. „Bekomm ich dann einen Delfin?“ Ich stöhnte innerlich. Mir schwante bereits, wo er den unterbringen wollte. „Ein Delfin allein fürchtet sich, mein Schatz. Und soviel Fisch, wie er und seine Familie essen wollen, können wir gar nicht kaufen.“

„Ih, ich mag keinen Fisch.“ Frederick verzog angemessen das Gesicht. „Was ist mit einem Hund? Ein Hund geht, oder Mama?“ Ich mochte Tiere. Wenn sie anderen Leuten gehörten. Zudem war in unserer Wohnung die Tierhaltung nicht gestattet. Freddy mit seinen vier Jahren vergaß das leider viel zu oft. „Dann müssten wir umziehen. Ich dachte, dein Zimmer gefällt dir?“ Freddys Kopf ruckte leicht nach oben. „Ja, es gefällt mir. Ich will nicht umziehen.“ Während wir weiter Plätzchen backten, spürte ich genau, dass er noch nicht fertig war. „Ich habe auch bald Geburtstag, stimmt’s?“ Freddy war ein Christkind. Also ja, er hatte in vier Wochen Geburtstag. Meine Güte: Er wurde schon fünf! Wo war die Zeit bloß hin? „Stimmt.“ Liebevoll wuschelte ich ihm durch die kurzen, blonden Locken. Nach dem Backen musste ich ihn sowieso in die Badewanne stecken. Ein bisschen mehr oder weniger Mehl war also egal. „Geht ein Plüschhund oder müssen wir dann auch umziehen?“

„Ein Plüschhund ist vollkommen in Ordnung, Mäuschen.“ Frederick strahlte, wobei erneut ein Stück Plätzchenteig in seinem Mund verschwand. „Nicht so viel naschen. Nachher haben wir gar keine Plätzchen und du Bauchweh.“

„Du schwindelst, Mama. Wir haben doch schon welche.“ Auch wieder war. „Kommen Oma und Opa zu meinem Geburtstag?“ Noch ein heikles Thema. Heute musste mein Glückstag sein. „Ich glaube nicht.“

„Ok.“ Damit war für ihn die Sache geklärt. Für mich hingegen begannen die Gedanken, wie so oft seit Freddys Geburt, um das unmögliche Benehmen meiner Familie zu kreisen. Sie behandelten mich wie die Pest. Und meinen Sohn wie Cholera. Wenn es sich vermeiden ließ, umging ich ihre Nähe. Ich hatte auf das Theater und den Hass keine Lust. Wie oft hatte ich versucht, normal mit ihnen zu sprechen. Aber normal gab es schon lange nicht mehr in der Beziehung zu meinen Eltern und Geschwistern. Und all das nur, weil ich mich in einen Mann verliebt hatte, der nicht ihren Erwartungen entsprach. Max war ein guter Kerl und harter Arbeiter gewesen, aber arm wie eine Kirchenmaus. Meine Eltern hatten sich einmischen müssen. Sie hatten seinen Chef persönlich gekannt und diesen so lange beschwatzt, bis er Max gekündigt hatte. Bestimmt war auch Geld geflossen. Wie bei unzähligen anderen Unternehmen, bei denen sich Max daraufhin beworben hatte. Schließlich hatte er einsehen müssen, dass er in dieser Stadt nie wieder eine Anstellung finden würde. Wir hatten bereits geplant, wegzuziehen, als meine Eltern helfend eingesprungen waren. Sie hatten ihm eine Menge Geld geboten, wenn er sich nur endlich von mir trennte. Erfolgreich hatten sie ihm eingeredet, dass kein Umzug seine Probleme lösen könnte. Max hatte sich von mir getrennt, ohne nochmals zurück zu schauen. Das war das letzte, was ich erwartet hatte

Obwohl ich jetzt – mit ein wenig Abstand – zugeben musste, dass ich seine Entscheidung verstand.

Kurz darauf hatte ich festgestellt, dass ich schwanger war. Und entgegen dem Wunsch meiner Eltern und all meinen widersprüchlichen Emotionen, hatte ich nicht abgetrieben. Daraufhin war der äußerst dünne Faden, der mich noch mit meiner Familie verbunden hatte, endgültig gerissen. Ja, es nagte an mir. Denn sie hatten mich in einer Zeit, in der ich ihre Unterstützung gebraucht hätte, von sich gestoßen. Weil ich mein Leben leben wollte und nicht ihres. Und natürlich, weil ich mit Kind nicht mehr die Schwiegertochter eines anderen schwerreichen Unternehmers oder gar Adligen werden würde.

Als hätte ich das jemals gewollt!

Ich kannte die meisten Söhne dieser Männer, die meine Eltern für mich als zukünftigen Partner geplant hatten. Derart eingebildete Gockel, die glaubten, etwas Besseres zu sein, als der Rest der Menschheit, wollte ich nicht an meiner Seite wissen. Und die wenigen, die wirklich in Ordnung waren – nun… verliebt hätte ich mich trotzdem in keinen. Aber ich wollte Romantik. Tiefe, echte Liebe.

Damals zumindest.

Jetzt tendierte ich dazu, keinen Mann mehr in mein Leben lassen. Auf den Schmerz einer Trennung konnte ich sehr gut verzichten. Aber hin und wieder … nur manchmal … hätte ich gern eine Schulter zum Anlehnen gehabt. Ab und an wünschte ich mir, dass Frederick eine männliche Bezugsperson hätte. Jemand, der ihm beibrachte, wie man einen Nagel in die Wand schlug, ein Loch bohrte, an einem Auto schraubte oder – für den Anfang – eine Seifenkiste baute.

„Mama, der Wecker.“ Freddy bohrte mir lachend einen Zeigefinger in den Arm. „Jawohl, junger Mann. Die Rettung der Plätzchen vor der totalen Vernichtung wird sofort in Angriff genommen.“ Ich salutierte, was Freddy noch lauter lachen ließ. Ich liebte sein Lachen. „Wir vernichten sie aber trotzdem, oder Mama?“ Ich kitzelte ihn kurz durch. „Und ob. Uns können sie nicht entkommen!“

Die Zeit in der Küche verging rasend schnell. Wir stachen Plätzchen aus und lachten, während Freddy dabei ununterbrochen redete. Einige seiner Fragen konnte ich nur mit sehr viel Fantasie beantworten. Bis Freddy endlich im Bett lag – nach einem sehr ausgiebigen Bad, das seiner Meinung nach noch endlos hätte dauern können – fiel ich ausgepowert auf die Couch. Es war anstrengend alleinerziehende Mutter, Hausfrau und berufstätig zu sein. Auch das hatte meinen Eltern nie gepasst. Weder, dass ich eine Ausbildung gemacht, noch, dass ich mir eine Anstellung gesucht hatte. Allerdings konnten sie meinen Chef nicht bestechen. Er war ein Vampir. Ein alter Vampir. Mit altem Geld und viel Macht.

Müde massierte ich meine leicht pochenden Schläfen und kuschelte mich an die Lehne. Nur fünf Minuten die Augen schließen.

Aus den fünf Minuten wurden fast zwei Stunden. Ächzend hievte ich mich von der Couch, was mein Rücken mit einem dumpfen Schmerz kritisierte. Ich streckte mich; mein Rücken knackte. An Tagen wie diesen fühlte ich mich nicht wie 29. Mehr wie 79. Aber das Chaos in der Küche nahm keine Rücksicht auf meine Wehwehchen. Die Plätzchen waren alle ausgekühlt und in kleine Blechdosen einsortiert. Ein paar davon würden wir morgen zusammen glasieren und verzieren. Wie ich Freddy kannte, würde er Punkt sechs vor meinem Bett stehen und nörgeln, wann wir endlich weitermachten.

Schon komisch: In der Woche würde er am liebsten gar nicht aufstehen. Am Wochenende war er dafür schon in aller Herr Gotts Frühe wach.

Ich wusch die wenigen Küchenutensilien gleich per Hand, säuberte die Anrichte, die Bleche, den Ofen; kehrte und wischte den Boden. Nach einer guten Stunde glänzte meine Küche wie neu – und roch nach Advent. Obwohl ich soweit war, beinah im Stehen einzuschlafen, setzte ich mir noch einen Kaffee an. Mit der Padmaschine ging das ruck-zuck.

Während ich an dem heißen Getränk nippte, dachte ich über den Plan für das Wochenende nach. Vielleicht war es gar nicht so schlecht, wenn Freddy beizeiten munter war. Nach dem gemeinsamen Frühstück könnten wir damit beginnen, die Weihnachtssachen aufzustellen. Schon jetzt freute ich mich auf seine leuchtenden Augen, wenn ichdie Figuren aus dem Papier auspackte und er sie dann ganz vorsichtig an den dafür vorgesehen Platz stellte. Am Nachmittag könnten wir die Plätzchen verzieren. Oder am Abend. Uns hetzte schließlich niemand. Mit einem Lächeln trank ich den Kaffee leer, stellte die Tasse in die Spüle und machte mich bettfertig.

Homo sapiens movere ~ geschenkt

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