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Von der Geoinformation zur politischen Entscheidung

Gerhard Bukow

Ministerium für Soziales, Integration und Gleichstellung des Landes Mecklenburg-Vorpommern

gerhard.bukow@sm.mv-regierung.de

Abstract. Die Sozialverwaltung verknüpft Geoinformationen mit Sozialinformationen, z. B. in Sozialentwicklungsplänen. In Zeiten knapper Ressourcen und schneller Entscheidungen ist es wünschenswert, die Folgen der Entscheidungen und ihre politische Akzeptanz rasch ohne größere Hilfsmittel und Personalstab abschätzen zu können. Das trifft besonders auf die Pandemie zu, in der eine vermehrte Einbindung des obersten Willensbildungsorgans (z. B. Rat, Kreistag oder Parlament) wünschenswert ist. Eine vom Autor für interne Zwecke erstellte Pipeline von der Geoinformation über die Sozialinformation bis zur politischen Akzeptanzprüfung wird vorgestellt und diskutiert.

1 Sozialverwaltungsentscheidungen in der Krise treffen

Politische Entscheidungen werden zwar häufig öffentlich getroffen, aber selten öffentlich vorbereitet. Die Sozialverwaltung führt komplexe räumliche und soziale Informationen zusammen, die gewöhnlich in einem Rückkopplungsprozess mit der politischen Entscheidungsebene erst nach und nach verfeinert werden. Beispiele hierfür sind mittelfristige Sozialplanungen.

In Zeiten der Corona-Pandemie – aber auch in anderen Krisen – treffen die politischen Entscheidungsbedingungen auf noch knappere Personal- und Zeitressourcen als üblich, die unter Wahrung informationeller Interessenlagen teilweise erst spät öffentlich werden. In Krisensituationen müssen aber schnelle Entscheidungen vorab getroffen werden, beispielsweise die gefährdungsbedingte Schließung von Einrichtungen der offenen Jugendarbeit oder Kindertagesstätten. Diese Folgen müssen sodann abgeschätzt und so „verpackt“ werden, dass sie auf politische Akzeptanz stoßen.

Es ist aber in unserer repräsentativen Demokratie gesetzlich verankert und geboten, die obersten Organe der Willensbildung möglichst viel zu beteiligen. Das führt auch zu einer höheren Akzeptanzbildung, um den Eindruck einer Exekutivregierung zu vermeiden. Beteiligt werden beispielsweise Gemeinderat, Kreistag oder Landesparlament.

Eine besondere Schwierigkeit liegt nun darin, dass weder die Informationen noch die Entscheidungswege im Allgemeinen zugänglich sind und auch nicht immer das nötige Fachpersonal zur Verfügung steht. So werden meist leicht zugängliche Informationen von fachlichen Laien genutzt, etwa aus einem Online-Kartendienst, und dann händisch verknüpft. Politische Entscheidungen im Sozialwesen werden häufig in sozialen Netzwerken bzw. Nahräumen verortet, die sich durch solche bearbeiteten Karten repräsentieren lassen.

Anschließend wird „intuitiv“ die Passung zur mehrheitsfähigen Politik eingeschätzt, z. B. durch Büroleitungen. Dabei fließen zahlreiche Informationen ein, beispielsweise Wahlprogramme. Die Verwaltung bereitet dann in der Regel Entscheidungsalternativen in Form von Beschlussvorlagen vor, die durch die Regierung eingebracht werden. Hierbei sollte das Willensbildungsorgan nicht durch zu viele, unzugängliche oder zu teure Entscheidungsalternativen „lahmgelegt“ werden. Es sollten möglichst die Alternativen präsentiert werden, die fachlich legitimierbar, zugänglich repräsentierbar und politisch akzeptierbar sind.

Dieser sukzessive Prozess kann mithilfe moderner Technologien aus dem Feld des Maschinellen Lernens und der Künstlichen Intelligenz unterstützt werden. Einerseits hilft dies bei der Einsparung von Ressourcen, andererseits können damit die intuitiven Arbeitsanteile teilweise formalisiert und informationell angereichert werden. Hierbei sind jedoch auch Fragen des Einflusses (Papakyriakopoulos, 2021), der Transparenz und der strukturellen Voreinschränkung (Bias) durch die benutzte Technologie zu diskutieren (Shresta et al., 2021).

2 Von der Geoinformation zur politischen Entscheidung

Der gerade geschilderte Prozess von der Geoinformation bis zur politischen Entscheidung im Sozialwesen kann auf drei Schritte heruntergebrochen werden:

i. Identifizieren von (sozialen) Punkten von Interesse in einer (geographischen) Karte,

ii. Verarbeiten netzwerkbasierter Informationen zwischen diesen Punkten unter Hinzunahme weiterer Informationen, eventuell mit einer Simulation verschiedener Parameterkonstellationen, um Entscheidungsalternativen zu generieren, und

iii. Abschätzen der potenziellen politischen Passfähigkeit/Akzeptanz einer oder mehrerer Entscheidungsalternativen.

Ein Anwendungsbeispiel eines solchen Prozesses in der Corona-Pandemie ist die Veränderung des generationenübergreifenden sozialen Nahraums zwischen Kindertagesstätten und Senioreneinrichtungen, abhängig von der eingeschränkten Mobilität. Pandemiebedingt könnten so generationenübergreifende Netzwerke leiden und es müssten Maßnahmen getroffen werden, um die gewünschte und gesundheitsnotwendige Kommunikation aufrechtzuerhalten.

Für die nachfolgend dargestellte technische Umsetzung wurde die Programmiersprache Python 3.6.5 (Python, 2021) mit entsprechenden Bibliotheken verwendet (Tensorflow 1.8, Keras, Matplotlib, Numpy, Skimage, Statistics, Lime).

Zur Unterstützung des Identifikationsschrittes wurde eine Threshold-basierte Template-Suche implementiert, die für die automatisierte Identifizierung von Punkten von Interesse etwa in Google Maps genutzt wird. Hierfür können bei Karten mit vielen Symbolen zum Beispiel unterschiedliche Templates mit Paint ausgeschnitten werden, die dann in der Masse gefunden werden. In vielen Fällen wird das erfahrungsgemäß schon ausreichen, z. B. wird eine Karte mithilfe eines Bildschirmausschnitts intern weitergeleitet. In einigen Fällen wird das erfahrungsgemäß auch nicht anders gewollt sein, denn sonst müsste man durch die Nutzung eines Dienstes oder weiteren Personals entsprechende Informationen über geplante Vorhaben „preisgeben“.


Abbildung 1: Thresholding auf Basis eines Online-Kartendienstes

Im Verarbeitungsschritt können dann die auf dieser Basis gewonnenen Punkte miteinander in Graphen vernetzt werden, um beispielsweise Spannbäume oder dichtebasierte Cluster zu generieren. Die Kanten können mit Kosten versehen werden; in vielen Fällen mit sozialpolitischer Bedeutung dürften dies einfache räumliche Distanzen oder daraus abgeleitete Wegekosten sein, um die Erreichbarkeit zu erfassen. Die Punkte können mit Informationen angereichert werden, z. B. die Anzahl der Pflegeheimplätze oder die Anzahl der Kinderbetreuungsplätze. Sozialplanerische Varianten können hiermit automatisiert generiert und über lokalisierte Verteilungsinformationen gelegt werden, z. B. quadratisch eingeteilte Gefährdungsgebiete (etwa Kriminalitäts- oder Erkrankungsrisiko). Werden diese Informationen etwa mit einem Spannbaum verknüpft, so können Sozialplanänderungen hinsichtlich ihrer sozialen Kosten beurteilt werden. Hieraus kann anschließend eine Visualisierung des Graphen erstellt werden – zwei- oder dreidimensional, um Informationen auch vor Publikum zugänglich zu machen.


Abbildung 2: Cluster von Einrichtungen mit minimalem Spannbaum

Ein wesentlicher Punkt ist nun die Passfähigkeit der Alternativen zur Politik. Welche Alternativen sind eher politisch akzeptabel, welche nicht? Um die politische Entscheidungsfindung zu befördern, müssen diese gewonnenen Entscheidungsalternativen daher für die Politik sinnhaft bewertet werden. Diese Bewertung kann nicht nur die rein fachliche oder haushalterische Bewertung sein. Denn eine politische Bewertung zeichnet sich nicht durch die Erfüllung bestimmter Wirtschaftlichkeitsaspekte aus, sondern durch die Passfähigkeit einer Alternative zum eigenen politischen Programm. Wer sich beispielsweise für generationenübergreifendes Wohnen einsetzt, wird einer Entscheidungsalternative mit einem größeren sozialen Nahraum zwischen Pflegeheimen und Kindertagesstätten eher zustimmen.

Dabei kommen den Fortschritten der Bild-zu-Text-Verarbeitung und Topic-Modellierung besondere Bedeutung zu. Die generierten Cluster auf Karten können automatisiert textlich beschrieben werden. Mithilfe eines anhand von Bildern räumlicher Verteilungen trainierten LongShortTermMemory-Netzwerkes werden die Cluster hinsichtlich ihrer räumlichen Eigenschaften klassifiziert, z. B.: „Kitas und Pflegeeinrichtungen sind mit hohen Kosten untereinander verbunden.“ Zugunsten der Robustheit – also des Arbeitens mit „einfach so“ herauskopierten Kartenbildern – wurde so eine Lösung gewählt.

Die aus den Bildern abgeleiteten Aussagen können Entscheidungsalternativen zugeordnet werden. Diese nun textlich beschriebenen Alternativen können final auf ihre textliche Passung zum jeweiligen Parteiprogramm hin geprüft werden. Hierfür bietet sich eine vektorbasierte Darstellung („Word2Vec“) von Beschreibung und Parteiprogrammen an. Die textliche Passfähigkeit zwischen Aussage und Wahlprogramm ist ein Indikator für die zu erwartende politische Akzeptanz, wobei hier vereinfachend die binäre logistische Regression zur Klassifikation benutzt wurde. Abschließend kann diese Passfähigkeit auch auf einzelne Wortbausteine zurückgeführt und grafisch repräsentiert werden.


Abbildung 3: Textliche Passung einer abgeleiteten Aussage zum Wahlprogramm

3 Chancen und Risiken des Technologieeinsatzes

Eine solche Pipeline bietet – professionell und robust ausgebaut – viele Vorteile, von denen gerade kleinere Organisationseinheiten profitieren. So können unter Wahrung informationeller Interessen schnell Entscheidungsalternativen generiert, präsentiert und abgeschätzt werden. Das macht Entwicklung und Einsatz auch für größere Verwaltungen interessant, da nicht immer ein Interesse an kostenintensiven Programmlösungen besteht.

Gerade die Betrachtung von Alternativen wird teilweise in Entscheidungsvorlagen vernachlässigt. Durch einen eher alltäglichen Einsatz – etwa mal eben etwas auf dem Smartphone ausschneiden, variieren und abschätzen – könnte auch ein Bewusstsein für Entscheidungsalternativen im politischen Entscheidungsprozess erreicht werden.

Risiken bestehen grundsätzlich entlang der Pipeline. Falsch ausgewähltes Kartenmaterial (z. B. veraltet) kann zur falschen Clusterung führen. Falsch gewählte Kosten (z. B. zu hohe Mobilitätskosten) können ein unrealistisches Bild vermitteln. Der Passungsindikator – die textliche Passung – kann nicht die politische Bewertung durch das Willensbildungsorgan ersetzen. Die ermittelte Passung hängt von Textmodell und Korpus ab.

Schließlich sind die verhaltensbezogenen Auswirkungen der Technologienutzung auf die politischen Entscheidungsträger zu berücksichtigen. Formen des Maschinellen Lernens und der Künstlichen Intelligenz können auch genutzt werden, um in psychologisch gut greifbaren kooperativen Entscheidungsaufgaben das Verhalten vorherzusagen. Es wäre nur ein weiterer Schritt, das bisherige Entscheidungsverhalten rekurrent in die Pipeline einfließen zu lassen (Nay & Vorobeychik, 2016). Das könnte jedoch ethische Fragen aufrufen, da hierdurch zunehmend einseitig auf die aktuellen Entscheidungsträger angepasste Entscheidungen produziert werden könnten.

4 Zusammenfassung und Ausblick

Die hier dargestellte Pipeline von der Geoinformation bis zur politischen Entscheidung stellt einen Ansatz dar, um auf einfache Weise den Entscheidungsprozess unter knappen Ressourcen zu befördern. Dabei kann es nicht darum gehen, den Willensbildungsprozess selbst zu ersetzen oder auf abweichende Weise neu zusammenzusetzen. Vielmehr soll der Dreischritt aus Identifizieren, Verarbeiten, Abschätzen erleichtert werden. Zukünftig sollten robuste Alltagsprogramme gefördert werden, die auch aktuelle Probleme wie politische Biases in Sprachmodellen aufgreifen.

Literatur

Python 3: https://www.python.org, April 2021.

Shresta, Y. R., Krishna, V., von Krogh, G. (2021): Augmenting organizational decisionmaking with deep learning algorithms: Principles, promises, and challenges. Journal of Business Research, Ausgabe 123, S. 588-603.

Nay, J. J., Vorobeychik, Y. (2016): Predicting Human Cooperation. PLoS ONE, Ausgabe 11/5.

Papakyriakopoulos, O. (2021): Political machines: a framework for studying politics in social machines. AI & SOCIETY.

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