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Unruhe an den Pforten

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Am flackernden Kaminfeuer sah Rabon, dass ihr Sohn nicht mehr das Kind war, das sie einst in ihren Armen gewiegt hatte. Tiefe Furchen hatte das Leben in Conns Stirn gegraben. Es war offensichtlich, dass er sich große Sorgen machte, und er starrte gedankenverloren in das Feuer. Er trat langsam hinter den Sessel von Rabon. Seit sie Hohepriesterin in Avallon war, war ein Bruch in ihrer Beziehung eingetreten. Den unbefangene Umgang zwischen Mutter und Sohn gab es nicht mehr. Es spielte auch ihre Rolle, die sie in diesem Leben übernommen hatte, in das Netz der Liebe zwischen den beiden hinein. Sanft legte Conn seine Hand auf ihre Schulter: „Rabon, Mutter, du musst etwas unternehmen. Die Übergriffe von Colleen und seiner Bagage werden zunehmend unerträglicher.“

Nun runzelte auch Rabon die Stirn: „Ach Conn, begreife doch, die Zeiten von Joseph und Padraigh sind vorbei. Die Christen zählen Hunderttausend, und wir sind nur wenige. Die Fürsten nehmen die neue Religion des Gekreuzigten an. Selbst der Hochkönig ist Christ geworden. Wir müssen uns irgendwie mit ihnen arrangieren. Krieg würde zu unserem Untergang führen. Was klagst du, Conn? Ist etwas geschehen?“ Conn setzte sich auf den kleinen Absatz vor dem Herdfeuer. Für Rabon war er nunmehr nur noch eine schwarze Silhouette.

„Colleen hat heute Morgen einen Fährmann bestochen, ihn nach Avallon überzusetzen Er hatte einen jungen Novizen und ein langes Seil bei sich. Als ich bei den Fährleuten meine Kräuter abliefern wollte, erzählte man mir, dass Colleen und ein Novize auf der Insel seien. Nachdem ich dann hörte, dass sie ein Seil mitgebracht hatten, begab ich mich zur heiligen Quelle. Und tatsächlich, an der Quelle fand ich dann Colleen mit dem Seil in der Hand und seinen Novizen tauchend in der Quelle. Ich fragte Colleen, was er dort mache und er sagte mir, er wolle endlich den Abendmahlskelch von Joseph von Arimathea aus dieser Schweinekuhle bergen und dahin bringen, wohin er gehöre: auf den Altar einer Kirche. Daraufhin habe ich ihn mit dem Grabstock zur Fähre zurückgetrieben, und die beiden haben wieder übergesetzt aufs Festland. Ich glaube aber nicht, dass es bei diesem einen Versuch bleiben wird.“

Schwerfällig erhob sich Rabon aus ihrem Sessel, leise schleifte ihr dunkelblaues Priesterinnengewand über den Boden und ihr Halbmond auf der Stirn leuchtete im Herdfeuer. „Ach Conn, das weiß ich doch alles längst, Branwnn hat mir die Geschichte bereits erzählt. Das Gezeter des Priesters war über die ganze Insel zu hören und du hast ihn keineswegs so friedfertig zur Fähre gebracht, wie du das hier schilderst. Der arme Mann wird wahrscheinlich in den nächsten Tagen nur gebückt gehen können, Branwnn erzählte mir, du habest den Grabstock auf ihm zerschlagen.“

Langsam ließ sich Rabon neben Conn auf dem Feuersims nieder. So sehr sich Conn auch bemühte, ein kleines Lächeln konnte er nicht verbergen. „Ja, Hohepriesterin von Avallon, mögen deine Beine auch schwer geworden sein, deine Augen nicht mehr den Blick eines Falken haben und deine Ohren nicht mehr so gut sein wie in deiner Jugend - nichts von dem, was auf der Insel geschieht, kann dir verborgen bleiben. Trotzdem, wir müssen dieser Christenbande auf unserer Insel Einhalt gebieten, sie entweihen unsere Tempel, sie besudeln unsere heiligen Orte und sie schmähen die Anhänger der alten Religion.“

Sich eine Strähne ihres ergrauten Haares aus der Stirn streichend, sagte Rabon: „Du hast Recht, Sohn. Wir müssen eine neue Art des Umgangs mit den Christen finden. Ich werde mich mit Math besprechen, dann werden wir die anderen Priester und Priesterinnen hören und nach einem Kompromiss suchen. Geh jetzt, es ist bereits spät.“

Sanft nahm Conn seine Mutter in den Arm, drückte ihr einen Kuss auf die Stirn und verließ wortlos das Haus der Priesterin. Als er hinaustrat in die warme Sommernacht, schob sich gerade eine dunkle Wolke vor den Vollmond. „Göttin, du verbirgst dein Angesicht vor dieser Welt und ziehst dich hinter einer Wolke zurück“, dachte er, „willst du nicht mit ansehen, was die Christen aus deiner Erde machen?“

Am nächsten Morgen wurde Conn durch die Seherin Righru geweckt. Mit einem strahlenden Lächeln sagte sie: „Du sollst zur großen Halle kommen. Rabon und Math bitten alle Priester und Priesterinnen zu einer Zusammenkunft. Es soll über den weiteren Umgang mit den Christen beraten werden.“ Righru war eine der jüngeren Novizinnen in Avallon. Kaum achtzehn Sommer hatte sie bisher erlebt. Sie trug ein schlichtes braunes, grob gewebtes Gewand, wie alle Novizinnen, und keinerlei Schmuck; aber an ihrem Gürtel blitzte bereits das Priesterinnenmesser, das alle Priesterinnen in Avallon trugen. Wie sie so in der Tür des Priesterhauses stand und von hinten durch die Morgensonne angestrahlt wurde, erschien sie Conn fast göttlich. „Ach Righru, weißt du, statt mit diesen Alten über ein so unerfreuliches Thema zu reden, wüsste ich einen wesentlichen besseren Zeitvertreib für diesen Morgen“, meinte Conn anzüglich.

„Da wirst du dich wohl noch einige Tage gedulden müssen, Conn. Meine Priesterinnenweihe ist erst in zwei Tagen“, lachte Righru und lief davon, um weitere Priester zu wecken.

Ächzend erhob sich Conn von seinem Felllager. Immer zur Zeit des vollen Mondes schmerzte ihn sein linkes Bein, das er sich bei einem Sturz vor Jahren mehrfach gebrochen hatte, besonders. Er humpelte, nackt wie er war, hinüber zur Quelle und wusch sich. Das kalte Wasser der Quelle weckte in vollends auf. Bibbernd vor Kälte rannte er zum Priesterhaus zurück und warf sich seinen aus schwarzer Schafwolle gewebten Umhang über. Im Vorbeigehen griff er sich einen Kanten Brot, der vom Vortag liegen geblieben war und verspeiste ihn auf dem Weg zum Versammlungshaus.

Das Versammlungshaus war das größte Haus in Avallon. Es war ein großer Rundbau, in dem leicht alle zwanzig Priester und Priesterinnen Platz finden konnten. Es bestand aus einem massiven Tragegestell aus naturbelassenen Holzbalken, deren Zwischenflächen mit einem Geflecht aus Weiden geschlossen waren. In monatelanger Arbeit hatte Oengus mit seinen Helfern die äußere Seite des Hauses mit Lehm verputzt und das Dach fast zwei Fuß dick mit Reetgras gedeckt. Schon von weitem sah Conn, dass aus der Mitte des Daches hellgrauer Rauch in den strahlend blauen Morgenhimmel aufstieg. „Ah, wenigstens gibt es etwas zu Essen“, dachte Conn, als er den Rauch sah. Inzwischen war er beim Eingang des Versammlungshauses angekommen. Neben dem Eingang der Tür standen Mhorgaine, die stellvertretende Hohepriesterin und Segda, ein uralter Priester, der in seiner Jugend für die römischen Legionen gekämpft hatte und keinen Tag verstreichen ließ, ohne die alten Geschichten aus dieser Zeit jedem, der es nicht hören wollte, zu erzählen. Sowohl Mhorgaine als auch Segda trugen einen Spieß in der Hand. Lachend wandte sich Conn an Mhorgaine: „Nun, Mhorgaine, so schwer bewaffnet? Glaubst du, die christlichen Mönche wollen unsere Versammlung überfallen?“

Mhorgaine war offensichtlich nicht zu Scherzen aufgelegt an diesem Morgen. „Tritt ein, Conn! Segda und ich werden der Versammlung von der Tür aus folgen. Die Mönche versuchen immer wieder, Gefolgsleute unter den Fährleuten zu finden und könnten auf die Idee kommen, einen der Fährleute als Spion hierher zu schicken. Das werden wir zu verhindern wissen.“

Conn trat in das Halbdunkel des Versammlungshauses ein und sah, dass er wohl der letzte gewesen war, der noch zur Vollständigkeit der Versammlung fehlte. Für Conn war es immer wieder überraschend, obwohl er sich im Laufe der Jahre daran hätte gewöhnen können, seine Mutter in ihrer Funktion als Hohepriesterin zu sehen. Rabon saß auf einem leicht erhöhten Podest in einem mit Schaffellen ausgepolsterten Holzsessel. Sie war in ihrem Amt alt geworden. Ihr vormals leuchtend rotes Haar war nunmehr ergraut. Tiefe Falten durchzogen ihre Wangen. Ernst und blass saß sie in ihrem Sessel, und als Conn eintrat, ruhten ihre nachtschwarzen Augen kurz auf ihm. Sie erhob sich und sprach mit ihrer dunklen, kräftigen Stimme: „Nun, da wir alle vollzählig sind, kann unsere Versammlung beginnen. Wie ihr alle wisst, ist es in der Vergangenheit immer häufiger zu Übergriffen durch die Mönche von jenseits des Sees gekommen. Math und ich sind der Ansicht, dass wir dies nicht weiter eskalieren lassen können. Es sieht so aus, als wollten sie ihre bisher liberale Haltung uns gegenüber aufgeben. Die Zeiten von Joseph von Arimathea, in denen zwei Religionen gleichberechtigt nebeneinander bestehen konnten, scheinen zu Ende zu sein. Da auch die sanfte Art der Missionierung, wie der Mönch Padraigh sie anstrebte, nicht zu unserem Verschwinden geführt hat, suchen sie nun nach neuen Wegen, um die Macht Avallons zu erschüttern. Der neue Abt Colleen ist ein hirnloser Hitzkopf, der nun versucht, mit Gewalt zu vollenden, was Joseph und Padraigh mit Milde nicht geschafft haben.

Hinzu kommt, dass unsere Lage in ganz Britannien nicht die Beste ist. Seit dem Tod des Großkönigs Uther Pendragon vor siebzehn Sommern und der Thronbesteigung durch den Römer Riotamus, der sich jetzt Artus nennt, ist das Christentum auf der ganzen Insel im Vormarsch.

Die Römer haben genug mit sich selbst zu tun und kümmern sich nicht mehr um die Geschehnisse in Britannien. Artus, der auch bei seiner Thronbesteigung nach alter Sitte die Ehe mit dem Land einging und sich den Thron mit dem Vorwand erschlichen hat, zwischen den Stämmen als Vermittler zu wirken, folgt nunmehr seiner ihm christlich anvermählten Ginevra in die Tempel der Christen. Obwohl er die Macht dazu hätte, hebt er nicht den alten römischen Erlass zur Verfolgung der Druidenschaft auf. Wie für die Druiden ist es für uns inzwischen ein gefährliches Unterfangen, uns in der Öffentlichkeit als Kinder der alten Religion zu erkennen zu geben. Hat jemand von euch Vorschläge, wie wir weiter verfahren sollen?“

Langsam setzte sich Rabon wieder auf ihren Stuhl. Es war ihr deutlich anzusehen, dass ihr selbst diese kurze Rede erhebliche Mühe bereitet hatte und ihre Beine sie nicht mehr viel länger getragen hätten. Mhorgaine, die noch immer mit ihrem Spieß neben der Tür stand, rief laut in die Versammlung hinein: „Last uns einen Zauber wirken, der die Christen auf ewig aus unserem Land vertreibt!“

Nun redeten alle Anwesenden wild durcheinander, bis Rabon mit einer Ruhe gebietenden Handbewegung die Versammelten zum Schweigen aufforderte. Erst als vollkommene Stille eingekehrt war, sagte Rabon: „Gut, einen Vorschlag haben wir gehört. Math, was sagst du zu der Situation?“

Der alte Math, der nunmehr schon über sechzig Winter erlebt hatte und dennoch in seinen Bewegungen keinem alten Mann glich, erhob sich geschmeidig und musterte die Anwesenden. Dann sagte er mit seiner rauen, voluminösen Stimme: „Ihr Lieben! Ich war schon Hohepriester in Avallon, als im Jahr der Christen 440 unser noch von den Römern eingesetzter Hochkönig Aurelius Ambrosius starb und als zwei Jahre später Uther Pendragon den Thron bestieg. Wie ihr alle wisst, war meine Mutter eine Römerin und die Tochter von Aurelius Ambrosius. Nicht aus diesem Grund möchte ich nun Klage erheben. Die Römer haben viel Leid über unser Land gebracht, aber ihnen war letztlich gleichgültig, welcher Religion wir anhängen. In ihrem eigenen römischen Reich wurden zu allen Zeiten viele Religionen ausgeübt und viele Götter verehrt. Für sie war Christus nur ein weiterer Gott im großen Pantheon. Dies war auch die Einstellung meines Großvaters Aurelius Ambrosius. Solange die Stämme ihren Tribut an das römische Reich zahlten, keine Aufstände organisierten, die Handelswege nicht störten und nicht gegen das römische Reich aufbegehrten, war es ihm egal, welcher Religion die Briten anhängen. Sein Nachfolger Uther Pendragon war ein Mann der Stämme, rein britischen Geblütes und aus alter Familie. Er bestieg den Thron unter dem Banner des roten Drachens und verkündete, dass er keiner Religion angehören wolle, außer der seiner Art. Dies war die Zeit, in der die Briten die alten Tempel wieder aufbauten, die Druiden wieder von Ort zu Ort zogen, den Göttern und Göttinnen der Stämme wieder gehuldigt wurde und das Land in Frieden und Wohlstand lebte. Leider hinterließ Uther Pendragon keinen Erben, und so gelang es dem Emporkömmling Riotamus, der einst ein kleiner Feldherr gewesen war, sich zum Hochkönig aufzuschwingen. Er nannte sich fortan Artus, Großkönig von ganz Britannien. Nach seiner Thronbesteigung im Jahr vierhundertneunundfünfzig der Christen bereiste er das ganze Land. Überall tat er kund, dass er der König aller Briten sein wolle: der König der Anhänger der alten Religion und der König der Christen. So kam er auch nach Avallon und wurde durch die damalige Hohepriesterin Viviane freundlich empfangen. Auch ihr gegenüber bekräftigte er, dass der König und sein gesamtes Heer stets Avallon schützen wolle. Was ist nun aus diesem Schutz geworden? Nicht Heere, nicht Soldaten, nicht bewaffnete Söldner greifen uns an, es ist eine fremde Kultur, eine fremde Religion, die versucht, die Vormacht zu erreichen. Selbst wenn Artus zu seinem Wort stünde und uns mit seinem Heer schützen würde, was ich nicht glaube, so könnte er doch hiergegen nichts ausrichten. Wir müssen die Lösung für unser Problem selbst finden. Mhorgaine schlug nun vor, einen Zauber über das Land zu werfen, der die Christen besiegt. Wollen wir das wirklich? Wollen wir, dass die Menschen in Britannien sich zur alten Religion bekennen müssen? Wollen wir, dass die Menschen Britanniens keine Wahl mehr haben? Dann sind wir genauso geworden wie die Christen. Nein, das kann unser Weg nicht sein! Ich schlage vor, wir treffen uns in Frieden mit den christlichen Mönchen und legen mit ihnen gemeinsam Grenzen fest, jenseits derer sie nicht tätig werden dürfen.“

„Nur mit dem Schwert in der Hand, wirst du das erreichen können“, rief Segda von der Tür her. Beschwichtigend hob Math die Hände und sagte: „Segda, alter Kämpfer, nicht im Schwert liegt die Lösung. Mit dem Schwert sind die Christen uns überlegen. Unser Verstand und die Hilfe der Göttin sollen unsere Waffen sein.

Oengus meldete sich zu Wort: „Wir werden es nicht erreichen, dass Colleen mit seinen Mönchen zu uns kommt und ich weigere mich, einen Fuß in diese christliche Siedlung jenseits des Sees zu setzen.“

Math sah lange auf Oengus hinab und meinte dann: „Nun gut, du hast recht Oengus, wir wollen diese Mönche auf unserem heiligen Berg auch nicht sehen. Ich schlage ein Treffen auf Wearyall Hill vor, am dritten Tage nach dem Vollmond, der auf das Lughnasadh-Fest folgt, also in ungefähr einem Mond.

Math setzte sich wieder zu Füßen von Rabon nieder und sein Vorschlag fand allgemeine Zustimmung. Wenn auch viele der Priesterinnen und Priester der Meinung waren, dass dies keine Lösung auf lange Sicht bringen würde, so verschaffte es ihnen doch zumindest eine Verschnaufpause. Es wurde beschlossen, dass eine Botschaft an Colleen abgefasst und durch Mharha, die Herrin der Fährleute, an Colleen überbracht werden sollte.

Am nächsten Morgen bereitete Mharha sich sorgfältig auf ihr Treffen mit Colleen vor. Ihr war bewusst, dass sie als Botin der Hohepriesterin von Avallon dem Abt nicht in ihrer Alltagskleidung gegenüber treten sollte. So streifte sie nicht ihr grob gewebtes braunes Gewand über, in dem sie normalerweise ihren Verrichtungen nachging. Über ein fein gewebtes weißes Flachskleid legte sie sich sie sich ihren nachtblauen Priesterinnenmantel um die Schultern. Sie gürtete sich mit einem schwarzen Ledergürtel, der mit wunderschönen silbernen Schmiedeornamenten verziert war. An diesem Gürtel, der das Geschenk einer Fürstin war, deren Tochter sie vor Jahren erzogen hatte, befestigte sie ihr Priesterinnenmesser. Zum Schluss schob sie den Haarreif, den alle Avallon-Priesterinnen besaßen, und der im Wesentlichen aus einer dünnen Silberspange bestand, in ihre Haare. Somit prangte nunmehr auch der Halbmond als Zeichen der Priesterschaft von Avallon auf ihrer Stirn. Von einem ihrer Bootsleute ließ sie sich zur Christensiedlung hinüberrudern. Wie alle Priesterinnen von Avallon verließ sie selten die heiligen Inseln, und so sah sie zum ersten Mal die Christensiedlung, obwohl diese in nicht allzu großer Entfernung vor den heiligen Inseln lag. Armselig und schmutzig kam ihr die Siedlung vor. Im Wesentlichen bestand sie nur aus fünf kleineren Steinhütten, die mit Reetgras gedeckt waren; weder Türen noch Fenster verschlossen die Hütten. In der Mitte stand eine größere Holzbaracke, aus der leise Gesänge zu hören waren. Neben dieser größeren Hütte stand ein Holzgestell, einem Galgen nicht unähnlich, an dem eine kleine Glocke befestigt war. Nachdem sie in die kleineren Hütten hineingeschaut hatte und in keiner einen der Mönche angetroffen hatte, begab sie sich zur zentralen größeren Hütte und spähte durch den recht großen Eingang hinein. In dieser Hütte knieten die Mönche der Siedlung, und an der ihr gegenüber liegenden Stirnseite stand der Mönch Colleen unter einem großen hölzernen Kreuz aus Balken, an dem ein Abbild des christlichen Gottes befestigt war. Colleen breitete gerade die Hände aus und richtete Worte in der Sprache der Römer, die Mharha nicht verstand, an das Abbild seines Gottes. Die Mönche nahmen keine Notiz von Mharha. So hatte sie Gelegenheit, das Abbild des Gottes näher zu betrachten. Sein Gesicht war schmerzverzerrt, der Körper offensichtlich von vielen Strapazen ausgemergelt. Um die Lenden trug der Gott ein Tuch, das seine Männlichkeit vollkommen verdeckte. Wäre nicht der Bart in seinem Gesicht gewesen, man hätte zweifeln müssen, ob es sich überhaupt um einen Mann handelte. Seine Hände und Füße waren von Nägeln durchbohrt, und in seiner Brust klaffte ein großes blutendes Loch. Mharha war fasziniert von diesem Anblick. Welch ein Unterschied zu den Göttern, die in Avallon verehrt wurden. Dieser christliche Gott strahlte Tod, Angst und Verzweiflung aus. Wie lebensfroh waren im Gegensatz hierzu doch die Götter in Avallon. Sie dachte an Cernnunos, den muskulösen Herrn der Wälder. Sein Haupt gekrönt von einem Geweih, und der Phallus in Erregung dem Betrachter entgegen gestreckt. Sein Gesicht drückte Kraft, Leben und Stolz aus. Männlich bis in die letzte Faser trat er seinen Anhängern gegenüber. Aus ihren Gedanken wurde sie aufgeschreckt durch den Ruf eines jungen Mönches: „Brüder seht, eine Teufelspriesterin!“

Die Mönche unterbrachen ihren Singsang, und Colleen rief Mhara durch den Raum zu: „Verlasse diesen heiligen Raum, Teufelspriesterin, und warte, bis wir mit unserer Andacht fertig sind!“

Mharhas erster Impuls war es, sich auf Colleen zu stürzen und ihm die Kraft und die Gewandtheit einer Avallonpriesterin zu demonstrieren. Rabon hatte ihr jedoch eingeschärft, sich nicht provozieren zu lassen, und so ließ sie sich vor dem Haus auf einem Stein nieder. Von drinnen hörte sie weiterhin den monotonen Singsang der Mönche, den diese inzwischen wieder aufgenommen hatten. Nach einer Weile verstummte der Gesang, die Mönche verließen das Haus und begaben sich in die umliegenden Hütten. Keiner von ihnen schaute Mharha im Vorübergehen an, alle hielten den Blick zu Boden gewandt. Als Letzter verließ Colleen den Raum. Als er auf Mharha zutrat, erhob sie sich und erwartete den Mönch. Als sie sich gegenüber standen, stellte Mharha fest, dass sie Colleen fast um Haupteslänge überragte. So nah war sie ihm bisher noch nie gekommen. Ihre dunklen Augen musterten den Mönch und sie stellte eine gewisse Ähnlichkeit zu seinem Gott fest. Auch Colleen hatte einen ausgezehrten Körper, sein Gesicht war von tiefen Falten durchzogen, und er machte auf sie keineswegs den Eindruck eines freien, offenen, ehrbaren Mannes. Mit einer krächzenden und lauten Stimme sprach er Mharha an: „Was willst du hier, Sklavin des Teufels?“

Mharhas Hand suchte unwillkürlich den Griff ihres Priesterinnenmessers. Eingedenk der Worte, die ihr Rabon mit auf den Weg gegeben hatte, blieb sie jedoch äußerlich vollkommen ruhig und antwortete mit fester Stimme: „Mein Name ist Mharha und ich bin Priesterin der Göttin in Avallon. Zügle deine Worte, Priester, denn ich bin hier als Gesandte der Hohepriesterin von Avallon, Rabon. Im Namen der Herrin soll ich dir eine Botschaft überbringen. Diese Botschaft ist aber nicht für jedermanns Ohr bestimmt. Lass uns in deine Hütte gehen.“

Colleens Hände zeichneten abwehrend das Zeichen des Kreuzes in die Luft, und mit sich überschlagender Stimme rief er: „Niemals wird ein Geschöpf des Teufels meine Hütte betreten!“ Etwas ruhiger fügte er hinzu: „Dennoch bin ich bereit, die Botschaft deiner Herrin entgegenzunehmen. Komm mit, dort hinüber, unter den großen Lindenbaum.“

Gemeinsam gingen sie zu der hoch gewachsenen alten Linde, die etwas abseits der Hütten der Priester stand. Unter dem Baum hatten die Priester eine Bank aus grob behauenen Holzstämmen gezimmert. Colleen ließ sich auf dieser Bank nieder. Er tat dies in einer Art und Weise, dass weder rechts noch links von ihm so viel freier Platz übrig geblieben wäre, dass auch Mhara sich hätte setzen können. Offensichtlich wollte er, dass sie ihm die Botschaft stehend überbrachte. Mharha schoss, angesichts dieser so offen zur Schau getragenen Unhöflichkeit, die Zornesröte ins Gesicht und sie dachte: „Jetzt ist wohl der Moment gekommen, diesem widerlichen Wurm eine kleine Kostprobe der Macht der Göttin zukommen zu lassen.“ In den Falten ihres Gewandes zeichnete sie mit dem Finger eine Spirale in die Luft, als Zeichen für den tödlichen zerstörerischen Aspekt der Göttin. Sie konzentrierte alle ihre Energien auf die Bank, auf der Colleen saß. Mit einem lauten Krachen brach diese in der Mitte entzwei und Colleen fand sich unversehens höchst unmajestätisch zwischen den Trümmern der Bank im Gras sitzend wieder. Noch ehe der Verdutzte hierzu noch irgend etwas sagen konnte, ließ sich Mharha langsam ihm gegenüber im Gras nieder und sprach: „So, nun ist es an der Zeit, dass du die Botschaft meiner Herrin hörst, jetzt, da wir uns Auge in Auge gegenüber sitzen. Rabon, die Hohepriesterin von Avallon lässt dir folgendes ausrichten: Mit Sorge beobachten wir deine Missionsbemühungen auf der alten geheiligten Insel der Göttin, die Schändung unserer heiligen Quelle durch dich und deine Anhänger oder deiner Priester wiederholtes Eindringen in unsere geheiligten Bezirke. Wir befürchten, dass erboste Anhänger der Göttin in naher Zukunft die Geduld verlieren und den Frevlern aus deiner Gemeinde Leid antun werden. Wir möchten aber nicht, dass auf unserem heiligen Boden dein Blut oder das Blut deiner Untertanen vergossen wird; und so schlägt dir die Herrin ein Treffen am dritten Tage nach dem Vollmond, der auf Lughnasadh folgt, also in ungefähr einem Mond, auf dem Wearyall Hill unter dem Baum von Joseph von Arimathea vor, um dort Regelungen zu finden, die ein friedliches Nebeneinander der Menschen in diesem Gebiet ermöglichen.“

Während ihrer gesamten Rede hatte Mhara die Augen geschlossen gehalten, um sich voll und ganz auf die ihr von Rabon übergebenen Worte konzentrieren zu können. Als sie nun die Augen öffnete, blickte sie Colleens wutverzerrtes Gesicht. Mit gepresster Stimme erwiderte er: „Sage deiner Herrin, dass es mir auf das Äußerste widerstrebt, sie zu treffen, und dass ich auch keinerlei Angst vor ihr oder ihren Untertanen habe, da ich unter dem Schutz meines Gottes absolut unverwundbar bin. Da aber nicht alle mir anvertrauten Schäfchen den gleichen unerschütterlichen Glauben haben und ich eine Verantwortung für sie trage, werde ich mich mit meinen Ordensbrüdern beraten und dir eine Nachricht für deine Herrin mit auf den Weg geben. Warte hier.“ Ächzend erhob sich Colleen. Offensichtlich hatte er sich bei dem Zusammenbruch der Bank oder dem gestrigen Treffen mit Conn eine Verletzung zugezogen. Er hinkte ungelenk zu einer der Mönchshütten hinüber. Mhara griff nach einem Beutel, der an ihrem Gürtel befestigt war, und öffnete ihn. Sie hatte sich etwas Käse und Brot eingesteckt und verzehrte beides mit Genuss. Hierbei betrachtete sie das Treiben zwischen den einzelnen Hütten und stellte fest, dass die Gerüchte, die in Avalon umgingen, offensichtlich stimmten: es gab hier keine Frauen. Auf keinen der Männer, die sie hier zu Gesicht bekam, wäre ihre Wahl bei der Suche nach einem Partner für die Beltane-Nacht gefallen. Die Männer machten einen eigenartig kraftlosen, willenlosen und gedrückten Eindruck, und ihren Gesichtern war nicht zu entnehmen, dass ihr Dienst an ihrem toten Gott sie in irgendeiner Art mit Freude erfüllte.

Seit Colleen sie verließ, hatte die Sonne hatte mehr als ein Viertel ihrer Tagesbahn zurückgelegt und noch immer war er nicht aus der Hütte herausgetreten, in der er verschwunden war. Mharhas Geduld war nahezu am Ende und sie wollte sich gerade erheben, um den Rückweg anzutreten, als Colleen aus dem Eingang der Hütte ins Tageslicht trat und den Platz hinkend überquerte. Als er bei ihr angelangt war, erhob sich Mharha, wischte einige Grashalme weg, die an ihrem Umhang haften geblieben waren und sah dem Mönch in die Augen. Colleen senkte sofort den Blick zu Boden und sprach: „Die Führung der Brüdergemeinde hat beschlossen, den Vorschlag deiner Herrin widerwillig zu akzeptieren; zusammen mit zweien meiner Brüder werde ich am vorgeschlagenen Tag dort sein, wenn die Sonne die ersten Zweige von Joseph von Arimathea´s Strauch berührt. Sage deiner Herrin, dass auch sie höchstens zwei Begleiter oder Begleiterinnen mitbringen darf, und so wie wir ohne Waffen dort erscheinen soll. Wenn sie sich nicht an diese Absprache hält, werden wir nicht mit ihr reden.“

Mharha erwiderte: „Gut, ich werde deine Worte meiner Herrin übermitteln, und wenn sie mit den Regularien einverstanden ist, werde ich dir als Boten einen meiner Fährleute übersenden. Der Segen der Göttin sei mit dir, Colleen.“

Ohne eine Antwort abzuwarten, wandte sie sich ab und ging hinunter zum Seeufer, wo ihr Boot auf sie wartete. Als der Fährmann sie kommen sah, stakte er das Boot noch näher ans Ufer, damit sie trockenen Fußes einsteigen konnte. Die Überfahrt nach Avallon dauerte nicht lange, trotzdem ließ sich Mharha auf der Sitzbank nieder und grübelte über Colleens Bedingungen nach. Sie konnte sich nicht vorstellen, dass Rabon diese Maßgaben annahm. Nur selten geschah es, dass die Priesterinnen ihre Hütte ohne das Priesterinnenmesser am Gürtel verließen. Dann jedoch musste Mharha innerlich grinsen. Selbst wenn Rabon auf diese Bedingungen eingehen würde, wäre es ihr wahrscheinlich vollkommen unmöglich, waffenlos vor Colleen hinzutreten. Die stärkste Waffe der Priesterinnen war nicht das Messer, sondern ihr Verstand, die Magie und der Beistand der Göttin.

Diese Waffen würde Rabon wohl kaum ablegen können. Allerdings würde Colleen auch nicht feststellen können, dass sie diese dauernd bei sich trug, sie täglich schärfte und auch durchaus bereit war, sie einzusetzen. Inzwischen war das Boot am Strand der Insel angekommen. Mharha bedankte sich beim Fährmann für seine Dienste und machte sich auf den Weg zu den Priesterinnenhäusern, die auf einer kleinen flachen Fläche zwischen dem heiligen Berg und der Kelchquelle lagen, etwas oberhalb der weißen Quelle. Auch hier musste Mharha, wie so oft, im Innern schmunzeln. Diesen Weg war sie gewiss schon tausendmal gegangen und als junge Priesterin hatte sie ihn oft genug im Laufschritt zurückgelegt. Jetzt ging sie gemessenen Schrittes. Die Fährleute mochten denken, dass dies eben der gravitätische Schritt der Avallonpriesterinnen sei. Mharha wusste aber, dass sie in ihrem Alter diesen Weg nicht anders zurücklegen konnte, ohne nach wenigen Schritten völlig außer Atem zu sein. Die letzten Strahlen der Abendsonne wärmten ihren gebeugten Rücken, und was sie unter anderen Umständen vielleicht als Wohltat empfunden hätte, trieb ihr nun den Schweiß aus jeder Pore. Bei den Priesterinnenhütten angekommen, hielt sie eine junge Anwärterin am Ärmel fest, die gerade lachend an ihr vorbeilaufen wollte und mit anderen Novizinnen ein Fangspiel spielte. „Sag mir“, fragte Mharha, „ist Rabon in ihrer Hütte?“ Das Mädchen verneigte sich vor Mharha und sagte: „Verzeih, Herrin, ich hatte dich nicht kommen sehen, ich war so in das Spiel vertieft. Nein, Rabon ist mit Math, Mhorgaine, Maeva und Conn zum Gipfel des Tor aufgestiegen, um einen Blick in die Zukunft zu tun. Righru ist schon sein den frühen Morgenstunden dort oben. Von den Priesterinnen ist im Moment nur Branwnn da, sie bereitet in der Küche das Abendmahl zu.“

Sanft lächelte Mharha und sagte: „Ist schon gut, mein Kind, spiel nur weiter, ich werde zu Branwnn gehen.“

Wie so oft, wenn sie Branwnns Küche betrat, musste sie staunen, wie jemand sich in diesem Durcheinander von Fleisch, Gemüse, Gewürzen, Töpfen, Tiegeln und Pfannen noch zurecht finden konnte. Branwnn bereitete es aber scheinbar keinerlei Mühe, mit ihren Helferinnen jeden Tag eine gemeinsame Mahlzeit für alle Priesterinnen und Priester herzustellen. Schwitzend und mit entblößtem Oberkörper stand Branwnn vor einem der Backöfen und zog mit einem langen Haken die frisch gebackenen Brotlaibe aus der Röhre. So bemerkte sie Mharhas Ankunft zunächst scheinbar nicht. Erst, als Mharha unmittelbar hinter ihr stand, fragte Branwnn, ohne sich umzudrehen: „Na Mharha, du suchst wohl Rabon? Ich soll dir von ihr ausrichten, dass sie wahrscheinlich erst spät in der Nacht vom heiligen Berg heruntersteigen wird und danach vermutlich nicht in der Lage sein wird, mit dir über deine Verhandlungen zu diskutieren. Du sollst morgen früh zu ihr kommen und mit ihr gemeinsam frühstücken.“

Am folgenden Morgen betrat Mharha, jetzt wieder in ihr übliches Arbeitskleid gewandet, Rabons Hütte. Auf den weichen Sitzfellen aus schottischem Lammfell, die Rhynan für alle Priesterinnen aus seiner schottischen Heimat mitgebracht hatte, saßen neben Rabon noch Righru, Math und Conn und tranken heißen Kräutertee, der mit seinem Aroma die gesamte Hütte füllte. Rabon begrüßte Mharha kurz und bat sie, ebenfalls Platz zu nehmen und sich einen Becher mit Tee zu nehmen. Mit einer hölzernen Kelle schöpfte sich Mharha aus dem dampfenden Kessel ihren Tee und füllte ihn in einen smaragdgrünen Specksteinbecher. Dann nahm sie zwischen Rabon und Math platz. Als Mharha sich in der Runde umschaute, stellte sie fest, dass die übrigen sehr übernächtigt wirkten und besonders Righru, die Seherin, tiefe Schatten um die Augen hatte. Lächelnd sagte Mharha: „Auch wenn ich den Kräutertee offensichtlich nicht so notwendig habe wie ihr, so danke ich dir doch sehr Rabon. In meinem Alter tut es immer wieder gut, etwas Warmes zu trinken.“

Müde abwinkend und mit leiser Stimme fragte Rabon: „Nun, was hat Colleen zu unseren Vorschlägen gesagt? Auch wenn wir die letzte Nacht auf dem heiligen Hügel verbracht haben, um einen Blick in die Zukunft zu tun und daher schon einiges wissen, möchten wir von dir doch die genaue Antwort des Christenpriesters hören.“

Mharha schloss die Augen und wiederholte wortwörtlich, was Colleen ihr als Antwort gegeben hatte. „Was meint ihr dazu“, fragte Rabon in die Runde, „wie sollen wir weiter verfahren?“ Conn antwortete als Erster: „Mutter, Hohepriesterin, was soll das Ganze? Schicken wir doch Segda und fünfzehn oder zwanzig von den Bootsleuten zu der Christensiedlung hinüber und schaffen uns dieses Problem ein für allemal vom Hals! Fünfzehn Grabhügel würden unsere Aussicht nicht stören, es wäre wieder Friede um die heilige Insel, und Mutter Erde erhielte Dünger!“

Rabon wollte gerade antworten, als Righru die Stimme erhob: „Ach Conn, Conn, du warst doch gestern mit auf dem heiligen Berg, du hast die Zukunft gesehen, was soll es nutzen, diese Priester zu erschlagen? Du hast doch gesehen! Auch wenn sie im Moment noch wenige und machtlos sind, ihre Zahl wird schnell wachsen, und ganz egal, was wir auch tun, das Land wird ihnen für zehn mal zehn mal fünfzehn Winter unterworfen sein!“

Nun mischte sich Math in die Diskussion: „Conn, du vergisst außerdem, dass sie ebenfalls, wie wir, Kinder der einen Göttin sind. Ihre Füße berühren dieselbe Erde, ihre Nasen atmen die gleiche Luft, ihr Herz schlägt wie unseres, und ihr Blut ist so rot wie das unsere. Vielleicht sollten wir sie als Herausforderung an uns auffassen. Ist die Religion unserer Mütter und sind die Göttinnen und Götter, verkörpert durch uns, stark genug, ihrem Gott die Stirn zu bieten, ohne dass wir seine verwerflichen Methoden anwenden, so wird die alte Religion auf ewig bestehen und der Christengott eines Tages aus unserem Land verschwinden. Ist dies nicht der Fall oder werden wir wie sie, so ist das Todesurteil über uns und unsere Göttinnen und Götter gesprochen. Für mich stellt sich die Frage, wie wir uns der Herausforderung stellen wollen und uns ihrer als würdig erweisen können.“

„Ja Math“, erwiderte Conn, „aber wir brauchen Zeit, wir müssen uns auf die veränderte Situation einstellen können. Und diese Zeit gewinnen wir am leichtesten, in dem wir uns das Mönchsgesindel schnellstmöglich vom Halse schaffen. Wenn auch noch so viele von ihnen nachrücken, sie werden immer in kleinen Gruppen kommen, und mit kleinen Gruppen werden wir fertig. Ehe sie sich zu einem großen Heer formieren können, haben wir Zeit genug, alle möglichen Vorbereitungen zu treffen, um ihnen dann entgegentreten zu können.“

Rabon lächelte sanft und wandte sich zu Conn: „Mein Sohn, schon als du noch ein kleines Kind warst, wolltest du immer alles gleich und sofort. Daran hat sich nichts geändert. Ja, wir haben die Macht, diese Mönche zu vernichten. Ja, wir haben die Macht, auch eventuell nachrückende Mönche zu verjagen. Aber irgendwann werden es zu viele sein, und sie werden so stark sein, dass alle unsere Macht nicht ausreichen wird, um sie auf Dauer von den heiligen Stätten fern zu halten. Je mehr wir ihre Methoden anwenden, desto ähnlicher werden wir ihnen, und desto schneller werden sie uns besiegen. Das kann nicht die Lösung sein. Andererseits haben wir kaum eine Alternative. Wir müssen sie so lange zurück drängen, bis wir eine Lösung gefunden haben, die ihnen keine Herrschaft über uns ermöglichen wird. Ich hoffe, dass uns wie jedes Jahr zu Lughnasadh der alte Myrddin besuchen wird und denke, dass er ein guter Ratgeber in dieser Angelegenheit sein wird. Das Denken der Druiden liegt dem der christlichen Mönche viel näher als unseres. Insofern wird er uns hoffentlich Ratschläge geben können, wie wir Zeit gewinnen. Wenn er dazu bereit ist, möchte ich auch, dass er an der Besprechung mit Colleen teilnimmt.“

Mit ernstem Gesicht war Righru den Gesprächen gefolgt. Nun beugte sie sich vor und sagte: „Sind nicht alle eure Überlegungen vollkommen sinnlos? Letzte Nacht auf dem heiligen Berg habt ihr selber gesehen, wie die Zukunft aussehen wird. Die Christen werden auf dem Gipfel des heiligen Berges einen steinernen Tempel ihrer Religion errichten. Und auch wenn sich der Berg gegen dieses Monument des fremden Gottes wehren wird, so haben wir doch gesehen, dass zumindest der Turm dieses Tempels über Jahrhunderte auf unserem Berg thronen wird. Was sollen also all unsere Gedanken, wie wir Zeit gewinnen könnten, wie wir mit den Christen umgehen sollten, wie wir sie zurückdämmen könnten. Wir wissen, wie die Zukunft aussieht, und es ist nicht die unsere. Dies ist die Zukunft der Christen.“

Bei diesen Worten rannen Righru dicke Tränen über die Wangen, und sie verbarg ihr Gesicht schluchzend in den Händen. Sanft nahm Rabon sie in den Arm und strich ihr tröstend über ihr langes, glänzend braunes Haar. „Righru, niemand unter den Priesterinnen und Priestern von Avallon kann die Zukunft so klar sehen wie du, aber auch dich hat die letzte Nacht sehr viel Kraft gekostet. Und vielleicht bist du heute nicht in der Lage, die Konsequenzen aus dem, was du gesehen hast, mit scharfem Verstand zu ziehen. Wir alle haben die von dir beschriebene Zukunft gesehen: den Christentempel auf dem Berggipfel, die Einsiedelei auf unserem heiligsten Platz, die Kreuze und die singenden Mönche auf unserem Berg. All dies haben wir gesehen, und die Bilder und Eindrücke waren klar und eindeutig. Was wir aber auch wissen ist, dass der christliche Tempel auf dem Berggipfel nur sehr kurzen Bestand haben und nur der Turm als Ruine stehen bleiben wird. Bedeutet nun das Vorhandensein dieser Ruine, dass die Christen auf Dauer Macht über den Berg haben werden? Wie lange werden die Gesänge der Mönche auf unserem Berg erklingen? Wird all dies die Göttin, den Tor, unsere Religion, und nicht zuletzt uns selbst überhaupt berühren? Das sind die Fragen, die hinter den Bildern noch unbeantwortet stehen. Und ohne die Beantwortung dieser Fragen sind die Bilder deines Gesichtes nicht zu deuten.“

„Wenn dies auch alles richtig ist, was du sagst, Rabon, und ich zweifle nicht daran, so finde ich doch, dass wir diese Fragen nicht durch eine Zukunftsschau zu erhellen versuchen sollten“, warf Math ein. „Stattdessen sollten wir uns darum bemühen, die Zukunft nach unseren Wünschen und Fähigkeiten zu gestalten. Die Stärke der Göttin und des Gottes lag immer darin, durch ihre Priesterinnen und Priester zu agieren und nicht zu reagieren. Ich finde auch, wir sollten es nicht dem Zufall überlassen, ob der alte Myrddin dieses Jahr zu Lughnasadh zu uns kommt. Wir sollten einen Boten zu ihm senden und ihn bitten, uns zu unterstützen. Conn wäre der beste Bote, den wir uns nur wünschen könnten, da er in der Lage ist, weite Strecken schnell zurückzulegen, sich gegen Wegelagerer zu behaupten und sich außerdem sehr gut mit Myrddin versteht“, warf Math ein.

Rabon nickte zustimmend zu diesem Vorschlag und Righru, die inzwischen ihre Tränen getrocknet hatte, meinte: „Auch wenn der Schlafplatz an meiner Seite dann für mindestens zwölf Sonnenaufgänge verwaist sein wird und ich in Furcht um das Wohlergehen von Conn lebe, so sehe ich doch, dass dies ein guter Vorschlag ist und bitte Conn, diesen Vorschlag anzunehmen.“

Conn nickte bedächtig und lächelte: „Ja, ich werde diese Reise gerne unternehmen, es wird mir eine Freude sein, meine alten druidischen Lehrer auf Ynys Môn wieder zu treffen. Außerdem habe ich im vergangenen Jahr einiges neue gelernt, über das ich gerne mit dem obersten Druiden, Amergin, reden möchte. Noch ehe die ersten Walderdbeeren gereift sind, werde ich wieder in Avallon sein. Ich werde gleich heute packen und morgen bei Sonnenaufgang die Reise antreten.“

Bei diesen Worten verdüsterte sich die Miene von Righru und man sah ihr die Enttäuschung deutlich an. „Conn, mein Lieber, du wirst also an unserem Mondfest heute Nacht nicht teilnehmen? Du möchtest nicht dabei sein, wenn ich vollwertige Priesterin der Göttin werde?“

Jetzt lachte Conn schallend und sprach mit übertrieben theatralischer Mine: „Oh Righru, Seherin von Avallon, vergiss niemals, dass ich ebenfalls Priester der Göttin bin und der Sohn der Hohepriesterin Rabon! Aus freiem Willen werde ich niemals einem Mondfest mit dir und den Priestern und Priesterinnen von Avallon entsagen.“

Nun lachten alle fünf so laut, dass die ganze Hütte von ihrem Lachen widerhallte. Als sie sich wieder beruhigt hatten fragte Mharha: „Soll ich dir einen meiner Fährleute als Begleitung mit auf den Weg geben Conn?“

„Nein danke, Mharha, ich kann recht gut auf mich selbst aufpassen, und dein Mann würde meine Reise nur verzögern und gefährlicher machen. Ich alleine finde überall Unterkunft. In keinem Hause ist alles so perfekt geregelt, als dass man nicht einen Schamanen brauchen könnte und ihm als Dank für seine Hilfe ein Nachtlager und ein Mahl zukommen ließe.“

Math grinste: „Und außerdem wird niemand einem Schamanen die freundliche Bitte um ein Bett und ein Nachtmahl abschlagen, weil man auch den nächsten Tag noch gesund und munter erleben möchte.“

Mit gespielter Entrüstung ereiferte sich Conn: „Math, das ist eine böswillige Unterstellung Du weißt genau, dass ich niemandem ein Leid zufügen würde! Ich bin tief gekränkt.“ Math ließ sich auf dieses Spiel ein und erwiderte: „Ja, ich weiß es, aber wissen das auch die Leute draußen im Lande?“ Wieder lachten alle herzhaft, verabschiedeten sich voneinander und jeder ging den Beschäftigungen des Tages nach, um sich abends zum Mondfest auf dem Gipfel des Berges wieder zu treffen.

Als die Dämmerung heraufzog, sandte Rabon eine der Anwärterinnen zu Mhorgaine, um sie zu bitten, gemeinsam mit ihr auf den heiligen Berg zu steigen. In letzter Zeit ließ sich Rabon immer häufiger von jungen Priesterinnen auf diesem beschwerlichen Weg begleiten. Als Vorwand nach außen und auch als Rechtfertigung für sich selbst, diente diese Begleitung als willkommene Gelegenheit, um mit den Frauen Gespräche zu führen und ihnen das altüberlieferte Wissen Avallons weiterzugeben. Rabon war sich selbst gegenüber jedoch ehrlich genug, um sich einzugestehen, dass sie nicht mehr die Kraft ihrer Jugend besaß und gerne die helfende Hand einer Priesterin in Anspruch nahm, die sie an den besonders steilen und beschwerlichen Stellen des Weges stützte.

Nach kurzer Zeit betrat Mhorgaine Rabons Hütte. Sie trug ihr nachtblaues Festgewand und einen großen Lederbeutel, in dem sich die Utensilien für das Fest befanden, an einem geflochtenen Strick über der Schulter. Zusammen machten sich Mhorgaine und Rabon an den Aufstieg zum Gipfel des heiligen Berges. Das erste Stück des Pfades war eine lange, sanft ansteigende Gerade, und der Weg war in regelmäßigen Abständen durch in den Boden eingelassene Holzbohlen sehr gut gangbar. Schon nach wenigen Schritten wurde das Murmeln der Kelchquelle vom lauten Plätschern der weißen Quelle abgelöst, die am Fuß des heiligen Berges entsprang. Die weiße Quelle hatte ihren Namen daher, dass das Wasser, das dort in einem kräftigen Strahl aus dem Boden hervor sprudelte, milchig weiß war. Aus diesem Born bezog die Priesterinnen- und Priestersiedlung von Avallon ihr gesamtes Trinkwasser. Die Fährleute kamen selten hierher, um Wasser aus der Quelle zu schöpfen, da weiter unten, in der Nähe ihrer Siedlung, ebenfalls eine Quelle entsprang. Das Wasser des Sees war zum Trinken wenig geeignet, da es sich immer wieder mit Meerwasser mischte und daher einen leicht salzigen, brackigen Geschmack hatte. Das rötliche Wasser der Kelchquelle war ebenfalls nicht als Trinkwasser zu gebrauchen, da es einen sehr intensiven Eigengeschmack besaß. Alles, was damit in Berührung kam, nahm sofort sein herbes Aroma an.

Nachdem die beiden Priesterinnen die weiße Quelle hinter sich gelassen hatten, stieg der Pfad steil an zum ersten Plateau des heiligen Berges, das sich ungefähr auf halber Höhe des Weges befand. Wandte man sich von diesem Plateau aus in Richtung der aufgehenden Sonne, so erreichte man nach weniger als hundert Schritten den heiligen Platz der Priesterinnen von Avallon. An diesem Ort wurden ausschließlich Rituale zu Ehren der Göttin gefeiert, und ausschließlich Priesterinnen und Priester hatten Zugang zu diesem Ort. Da diese Stelle jedoch ringsum von hohen Bäumen umgeben war, wurde dort niemals ein Mondfest begangen. Der Blick auf den Mond wäre hier stark beeinträchtigt gewesen, zum einen durch den Berg selbst, zum anderen durch die Bäume. Nach einer kurzen Rast auf dem mittleren Plateu machten sich Mhorgaine und Rabon an den besonders steilen Aufstieg zum Gipfel. Der Berg bestand aus mehr als fünfzig ineinander verschachtelte Stufen. Einem steilen Anstieg folgte stets eine kurze flache Ebene, die zu einer Erholungsphase einlud.

Inzwischen war es vollkommen dunkel geworden, und Mhorgaine konnte den rötlichen Widerschein des Feuers auf dem Gipfel bereits sehen. Tief schwarz hoben sich die Balken des Tempels und die Umrisse der Anwärterinnen, die dort die Vorbereitungen trafen, gegen die hellen Flammen ab. Ihre Arbeit bestand im Wesentlichen darin, den Platz mit Wasser von der Kelchquelle und mit Rauch von Holunderbeeren zu reinigen, die Feuerstelle herzurichten und das Feuer zu entzünden. Mit dem Eintreffen von Rabon würden sie den Tempelbereich verlassen, und die Priesterinnen würden für die Vorbereitung des Altares und die Versorgung des Feuers selbst Sorge tragen. Den Schülerinnen war es nicht erlaubt, an den Mondfesten teilzunehmen. Dies hatte zu einem Teil auch damit zu tun, dass einige von ihnen noch sehr jung waren und ihr erstes Monatsblut noch nicht geflossen war. Bei den Priesterschülern, denen die Teilnahme ebenfalls verwehrt war, hatte dies den Grund, dass sie sich ihrer Männlichkeit noch nicht bewusst waren, beziehungsweise noch nicht damit umgehen konnten. Im Gegensatz zu den Mädchen, durften die Jungen allerdings nicht einmal zur Reinigung des heiligen Bezirkes zugegen sein. Sie hatten lediglich die Aufgabe, das Feuerholz in den umliegenden Wäldern zu sammeln und zum Gipfel zu tragen.

Als Rabon und Mhorgaine die Bergkuppe erreichten, kamen ihnen die Schülerinnen, die den Abstieg zu ihren Behausungen angetreten hatten, in ihren grob gewebten rotbraunen Gewändern in einer langen Reihe entgegen. Im Vorübergehen grüßten sie die beiden Priesterinnen mit einem kurzen Kopfnicken.

Der eigentliche heilige Bezirk auf dem Berg war durch acht tief in den Boden eingegrabene Baumstämme gekennzeichnet, die kreisförmig um einen quaderförmigen Felsbrocken, der als Altar diente, angeordnet waren. Die Balken waren über und über mit geschnitzten Symbolen und Ogamschriftzeichen verziert. Einige dieser Schnitzereien waren so alt, dass selbst die ältesten Priesterinnen ihre genaue Bedeutung nicht mehr erklären konnten. Auf ihrer Oberseite waren die Baumstämme durch quer gelegte Stämme in Form von Triliten untereinander verbunden. Lediglich in Richtung des Sonnenaufgangs waren zwei Baumstämme nicht durch einen quergelegten Stamm verbunden. Diese Stelle markierte den Eingang zum heiligen Bereich. Neben dem rechten Stamm hatten die Schülerinnen eine große Holzschale bereit gestellt, in der sich Wasser aus der Kelchquelle befand. Neben dem linken Baumstamm stand eine bronzene Feuerschale, in der Holzkohle glimmte. Neben diesem Kohlebecken lag sich eine weitere Schale, in der sich Räucherharze befanden. Rabon trat vor die Wasserschale, entledigte sich ihrer Kleidung und reinigte sich von Kopf bis Fuß mit dem Wasser der heiligen Quelle. Anschließend trat sie vor das Kohlebecken, warf eine Hand voll Räucherharz in die glühenden Kohlen, hielt die Hände in den Rauch und wusch sich symbolisch in dem aromatisch duftenden Brodem. Dann nahm sie ihre Kleidung wieder auf und betrat den geheiligten Bezirk. Vor dem Altar war durch die Schülerinnen ein kleiner Schemel abgestellt worden, der mit Schaffellen bedeckt war. Auf diesem ließ sich Rabon nieder und legte sich ihren Priesterinnenmantel um die Schultern. Sie hatte nun keine weiteren Aufgaben wahrzunehmen, und so konnte sie Mhorgaine, die sich inzwischen in gleicher Art und Weise gereinigt hatte und in den heiligen Bezirk eingetreten war, bei den weiteren Vorbereitungen des Festes zusehen. Wie Rabon, hatte sie sich ihrer Kleidung entledigt und trug nun lediglich den lose um die Schultern gelegten Priesterinnenumhang, der auf der rechten Schulter durch eine Bronzefibel zusammengehalten wurde. Mhorgaine öffnete ihren Lederbeutel und entnahm ihm einen sehr fein gewebten Wollsack. Als sie auch diesen geöffnet hatte, kam ein Kelch zu Vorschein, der später bei dem Mondfest als Symbol für die Göttin stehen würde. Von Generation zu Generation war in Avallon überliefert, dass dieser Kelch aus dem Schädel der ersten Hohepriesterin von Avallon gefertigt und die fein geschmiedeten silbernen Einfassungen für diese Knochenschale durch die besten Schmiede des Feenvolkes hergestellt worden seien. Sehr behutsam trug Mhorgaine den Kelch zum Altar und platzierte ihn in der Mitte des Altars. Rechts und links des Kelches waren Löcher in den Steinquader gebohrt. In diese steckte Mhorgaine je einen harzgetränkten und mit Flachs umwickelten Ast, der später zur Beleuchtung entzündet werden sollte. Schließlich entnahm sie ihrem Lederbeutel noch einen sorgfältig mit Wachs verschlossenen Kürbis, in dem sich Apfelmost befand und goss diesen Trank in den Kelch. Sie förderte einen Brotlaib aus ihrem Lederbeutel, den sie mit ihrem Priesterinnenmesser in sechzehn Teile zerteilte. Da an diesem Abend je acht Priesterinnen und Priester an dem Mondfest teilnehmen würden, lag nun für jeden ein Stück Brot zum Verzehr bereit. Als letzte Aufgabe verblieb nunmehr für Mhorgaine, in die dafür vorgesehenen Halteschlaufen an den vier exakt nach den Himmelsrichtungen Sonnenaufgang, Mittagshitze, Sonnen-untergang und sonnenlos, ausgericheten Baumstämmen, je eine Pechfackel einzustecken. Während dieser Vor-bereitungen waren auch die anderen Priesterinnen und Priester am Tempel eingetroffen und warteten nun vor dem Eingang darauf, dass Rabon aufstand, um das Zeichen zum Beginn des Festes zu geben. Langsam erhob sich Rabon von ihrem Sitzplatz und trat hinter den Altar. Wie es vorher Rabon und Mhorgaine getan hatten, entledigten sich die wartenden Priesterinnen und Priester ihrer Kleider, wuschen sich mit Wasser und Rauch, , legten sich die Umhänge lose um die Schultern und traten in den heiligen Tempel. Als alle sich im Heiligtum befanden, stellten sie sich im Kreis um den Altar auf, fassten sich bei den Händen und schlossen die Augen. Rabon selbst hatte sich nicht in den Kreis integriert und trat nun, mit einem Kienspan in der Hand, zu dem Kohlebecken am Eingang, um ihn an der glühenden Kohle zu entzünden. Dann begab sie sich zu der Pechfackel, die in Richtung Sonnenaufgang zeigte. In der rechten Hand ihr Priesterinnenmesser, in der linken den brennenden Kienspan, hob sie die Arme und rief mit voll tönender Stimme: „Mächte des Sonnenaufgangs, rote Glut der frisch erwachenden Kraft, Licht unserer Gedanken, kommt in diesen heiligen Tempel. Segnet diesen Tempel mit euerem Geist. Schützt diesen Tempel und verleiht ihm euere Kraft. Mächte der aufgehenden Sonne, kommt herbei, wir bitten euch.“ Nachdem sie dies gesprochen hatte, entzündete sie mit dem Kienspan die Pechfackel.

Gemessenen Schrittes begab sie sich nun zu der in Richtung Mittagshitze weisenden Fackel. Auch hier breitete sie die Arme aus und sprach:

„Mächte der Hitze, Mächte der rohen Gewalt, Mächte der versengenden und der segnenden Kraft, Mächte des Wachstums und des Todes, segnet diesen Tempel mit euerem Geist, verleiht ihm euere Kraft und verleiht allem, was sich in ihm befindet, euer gleißendes Licht. Mächte des Lichtes, seid willkommen.“ Mit diesen Worten entzündete Rabon auch diese zweite Pechfackel

Nun schritt sie zu der in Richtung des Sonnenuntergangs angebrachten Pechfackel. Sie breitete wieder die Arme aus und sprach: „Auf deinem Weg von der roten Sonne des Sonnenaufgangs, über die weiße Sonne der Mittagshitze, erreichst du hier am Sonnenuntergang den Ort deines Todes. Mächte des Todes, Mächte der Vollendung und zugleich Mächte der Endlosigkeit, verleiht diesem Tempel eure Kraft der unendlichen Weite und Weisheit. Mächte, der Ahnen, behütet diesen Tempel und alle die sich darin befinden, seid willkommen.“

Sie entzündete die Pechfackel und ging zu der letzten verbliebenen Fackel in Richtung sonnenlos. Nochmals erhob sie die Hände und sprach: „Nicht beziehst du deine Kraft aus der Sonne, hier ward sie nie gesehen. Funkelndes Licht der Sterne umspielt hier dich, die Mutter von allem, den heiligen Boden, der unsere Füße trägt, unsere Körper nährt und unser Anfang und unser Ende ist. Mächte der Nacht, seid willkommen.“

Nach dem auch diese Fackel brannte, befestigte Rabon ihr Priesterinnenmesser wieder am Gürtel und schritt mit dem Kienspan in der Hand zum Altar, entzündete die beiden harzgetränkten Äste rechts und links des Kelches und verlöschte ihren Kienspan, indem sie ihn in das weiche, feuchte Erdreich steckte. Dann hob sie beide Hände gegen den Himmel, so, dass ihre Handflächen zu den Sternen zeigten, und rief laut: „Chailleach, große Mutter aller Zeiten, Göttin des Mondes und der Sterne, sieh, diesen heiligen Tempel haben wir dir zu Ehren errichtet. Erfülle unsere Herzen mit deiner Kraft und Weisheit. Sei das Zentrum unseres Denkens und der Mittelpunkt unseres Tempels. So sei es.“

Nach diesen Worten ließ Rabon die Hände sinken und drehte sich um, so, dass sie mit dem Rücken zum Altar stand und sie direkt in den gerade aufgegangenen Vollmond schauen konnte. Das sanfte Mondlicht ließ die Muster auf ihrem Priesterinnenumhang schillern, und die aufgestickten Figuren erschienen seltsam lebhaft. Da der Umhang vor ihrer Brust offen klaffte, bildete ihr heller Körper im sanften Mondlicht einen scharfen Kontrast zu dem dunklen Stoff. Nun trat Math ihr entgegen. Lange sahen die beiden sich tief in die Augen, dann sprach Math: „Chailleach, große Mutter, große Göttin, siehe am heiligsten Platz dieser Welt steht deine Priesterin Rabon. Sie ist bereit, dir für die heutige Nacht ihren Körper zu leihen, damit du auch körperlich unter uns anwesend sein kannst. So bitte ich dich nun, nimm diesen Körper deiner Priesterin Rabon, beseele ihn mit deinem Geist, wohne in ihm und lass uns deine Kraft spüren.“

Während diese Worte durch Math gesprochen wurden, schien ein Ruck durch Rabon zu gehen. Ihre vom Alter leicht gebeugte Gestalt straffte sich, sie erschien auf einmal größer und kräftiger, fast wie in ihrer Jugend. Von ihrem Körper ging ein sanftes, helles Leuchten aus.

Nun sprach wieder Rabon: „Gwyn ap Nudd, Herr der Welt, die unter diesem Berg liegt, mächtiger Herrscher der Anderswelt, der Toten und der unterirdischen Lebewesen, ich rufe dich! Sieh diesen Priester Math, der bereit ist, dir seinen Körper für diese Nacht zu leihen, damit du auch körperlich unter uns anwesend sein kannst und deine Göttin mit Lust, Liebe und Glück erfüllen kannst. So kehre nun ein in diesen Körper, erfülle ihn mit deinem Licht, deiner Stärke, deiner Kraft und deiner Wildheit. So sei es.“

Im silbrigen Mondlicht erschien auch Math nun wesentlich größer und kräftiger. Sein Rücken streckte sich und seine Beine erschienen wie im Boden verwurzelt. So mochte er einst als junger Krieger ausgesehen haben. Mit tiefer, voller Stimme sprach nun Chailleach durch den Mund der Rabon: „Seht her, ich bin es Chailleach, Mutter von Anbeginn der Zeit, Mutter des Sees, Mutter des Windes, Mutter der Sonne und Mutter des Mondes, Mutter des Morgens und Mutter der Abenddämmerung, Mutter der Nacht, Mutter der Berge und Mutter aller Lebewesen auf der Erde.

Und ich sang das Lied der See und ich hörte das Seufzen des Windes, ich kenne die versteckten Geheimnisse der Sonne und ich trank von den Tränen des Mondes, ich sah die Schönheit des Morgens und die Trauer des Sonnenunter-ganges. Ich lag in der schwärzesten Dunkelheit der Nacht und ich sah die Macht der Berge. Denn seht, ich bin stärker als der See, ich bin freier als der Wind, ich bin heller als die Sonne und ich bin veränderlicher als der Mond und ich bin die Hoffnung des Morgens und der Frieden des Abends, ich bin geheimnisvoller als die Nacht und älter als die Berge, älter als die Zeit selbst, denn ich bin sie, die war, sie, die ist und sie, die sein wird. Denn seht, ich bin Chailleach, eure Mutter.“

Nun hub Gwyn ap Nudd in der Gestalt von Math an zu sprechen. Er sprach mit einer rauen, tiefen Stimme: „Siehe, Chailleach, ich bin es. Ich bin die strahlende Sonne und der finstere Tod, ich bin der Herr der Winde und der Herr des Tanzes, ich bin die Sonne und ich bin was ich immer war. König der Wälder bin ich, wilder Erwecker der Herzen, König der Anderswelt, unbändig und unbezähmbar, König in vielen Gestalten, Hirsch und Hengst, Geißbock und Stier, Falke und Forelle, Bär und Katze, war ich und bin ich. Ich segle auf den unendlichen Meeren zwischen den Welten und hüte das Tor, ich bin der Herr des anderen Reiches, ewig sterbend und ewig lebend.“

Nach diesen Worten standen die Götter in Menschengestalt einander schweigend gegenüber und sahen sich in die Augen. Die anwesenden Priester und Priesterinnen hatten sich zwischenzeitlich paarweise zusammen gefunden, ein jeder seinem Gegenüber zugewandt, und sprachen nun die gleichen Worte, die vorher Rabon und Math und Chailleach und Gwyn ap Nudd gesprochen hatten. Als sich schließlich tiefes Schweigen über den Ritualplatz senkte, legte Chailleach sich auf den Boden, löste die Fibel von ihrem Gewand und entblößte ihren Körper. Gwyn ap Nudd im Körper von Math öffnete ebenfalls seine Gewandfibel und warf den Priesterumhang ab. Zu Füßen von Chailleach kniete er nieder und küsste sanft ihre Fußoberseiten. Ganz langsam arbeitete er sich weiter nach oben und küsste die Knie der Göttin, dann die weichen Innenseiten ihrer Schenkel. In Höhe ihres Schosses verweilte er länger, küsste das gelockte Vließ und ließ dann seine Zunge zwischen die weichen Lippen ihrer Pforte des Lebens gleiten. Er tat das so lange, bis ein Zittern durch den Körper von Chailleachs Körper lief. Nun küsste er zärtlich ihre Brüste, knabberte an den sich aufrichtenden Spitzen und leckte sie. Zu guter letzt fanden sich zwei göttliche Lippenpaare in einem tiefen, alles verschlingenden Kuss.

Nach einiger Zeit wechselten sie die Position, und Chailleach küsste nun nacheinander die Füße, dann die Knie von Gwyn ap Nudd. Zart glitten ihre Hände an den Innenseiten seiner Schenkel weiter nach oben. Eine Hand massierte nun sanft die warme Schwere seiner Hoden, die andere umschloss mit festem Griff seinen Penis. Dieser ragte inzwischen steif wie ein Stock zwischen den leicht gespreizten Beinen von Maths hageren Körper empor. Dann nahm Chailleach den Phallus in ihrem geöffneten Mund auf und saugte leicht daran, während sie weiterhin seine Hoden liebkoste und mit der Hand sanft auf und ab an dem steifen Symbol seiner Männlichkeit entlang fuhr. Nach kurzer Zeit hob und senkte sich Maths Brustkorb stoßweise, während er erregt um Atem rang. Chailleach ließ von seinem Penis ab, küsste Gwyn ap Nudds Brust, und wieder fanden sich ihre Zungen in wildem Spiel.

All diese Handlungen Chailleachs und Gwyn ap Nudds wurde von den anderen anwesenden Priesterpaaren in gleicher Weise aufgenommen, und hätte sich im Tempelbereich ein Beobachter befunden, so hätte er lauter innig ineinander verschlungene Leiber sehen können. Die Luft war erfüllt vom lustvollen Keuchen und Stöhnen der Götter und Göttinnen.

Die Spiele der Liebe wurden immer heftiger, und schließlich drang Gwyn ap Nudd in seine geliebte Göttin Chailleach ein. Immer mehr gerieten die Körper in Ekstase, die sich schließlich in einem kollektiven Höhepunkt entlud.

Nach einer Weile erhoben sich Math und Rabon. Math legte der Hohepriesterin mit seinen eigentümlich fließenden Bewegungen den Priesterinnenmantel um die Schultern. Anschließend warf er sich seinen eigenen Mantel über. Hand in Hand ging das Hohepriesterpaar zum Altar. Gemeinsam ergriffen sie den mit Apfelwein gefüllten Kelch. So begaben sie sich zu jedem einzelnen Paar und reichten jeweils Priester und Priesterin den Kelch mit den Worten: „Gott und Göttin fanden sich in Liebe. Möge Fruchtbarkeit und Kraft daraus erwachsen. So trinkt denn aus dem Gefäß der Göttin den Trank aus ihren heiligen Früchten.“

Nachdem sie auf diese Weise alle sieben Paare abgeschritten hatten und vom Trank der Göttin nur noch eine kleine Neige im Kelch übrig war, begaben sie sich wieder zum Altar und stellten den Kelch zurück an seinen Platz. Inzwischen hatten sich alle am Ritual beteiligten Priester und Priesterinnen wieder ihre Gewänder übergezogen und standen im Halbkreis um den Altar. Rabon sprach: „Mhorgaine und Arawn, geht nun und holt Conn und Righru. Auf dass Righru eine von uns werde, so Conn sie ausreichend vorbereitet hat.“

Die beiden Angesprochenen lösten sich aus der Gruppe. Zwischen der östlichen und südlichen Fackel verließen sie den heiligen Bezirk und gingen gemessenen Schrittes bergab. Nach einer Weile, in der niemand im geheiligten Bereich gesprochen und alle regungslos im Halbkreis um den Altar gestanden hatten, erschienen Mhorgaine und Arawn wieder zwischen den beiden Fackeln. Mhorgaine führte Conn an der Hand, und Arawn folgte zwei Schritte hinter den beiden und führte Righru an der Hand. Während Arawn und Mhorgaine sich in den Kreis der Priesterinnen und Priester einreihten, trat Conn mit Righru in den Kreis ein und ging mit ihr zum Altar. Dort entledigte er sich seiner Kleidung. Anschließend entkleidete er Righru. Ein aufmerksamer Beobachter hätte feststellen können, dass Righru leise zitterte, und dass ihre Pupillen unnatürlich groß waren. Dies war auf einen Trank zurückzuführen, den Conn ihr eingeflößt hatte, kurz bevor sie die Priesterinnensiedlung verließen. Conn legte die Hand um Righrus Hüfte und führte sie entlang der Fackeln im Kreis herum. Bei jeder der Fackeln hielt er inne und sprach: „Hört ihr Mächtigen, ihr Kräfte der Erde und des Alls, ihr, die ihr immer ward und immer sein werdet, hier steht Conn, der Priester der Göttin. Die Frau an meiner Seite ist Righru, die begehrt, Priesterin zu werden. Helft ihr, leiht ihr eure Kraft und Stärke immer dann, wenn sie sie benötigt.“

Nachdem sie den Kreis vollendet hatten, traten sie wieder vor den Altar, und Conn sprach, beide Arme gegen den Himmel erhebend: „Chailleach, Chailleach, Chailleach, sieh die Frau an der Seite deines Priesters Conn. Sie heißt Righru und möchte deine Priesterin sein. Sie ist wohl vorbereitet und hat alles gelernt, was sie hierzu benötigt. Prüfe sie und du wirst finden, dass sie würdig ist. So nimm sie als deine Priesterin, auf das sie dir diene, deinen Willen Wirklichkeit werden lasse und auf deine Kraft vertrauen kann.“

Ein warmer Wind strich über den Hügel, und die Fackeln schienen heller zu lodern. Righrus Lippen bewegten sich, als führe sie ein Gespräch. Sie trat näher an den Altar heran, legte ihre Hände um den Kelch, hob diesen hoch über ihren Kopf und rief mit lauter Stimmer nur das eine Wort: „Ja !“ Dann stellte sie den Kelch wieder auf den Altar.

Conn breitete Righrus Novizinnenmantel auf dem Boden unmittelbar vor dem Altar aus und umfasste Righrus Hände. Er sah ihr lange in die Augen und Righru konnte sich des Gefühls nicht erwehren, dass der Priester bis in die geheimsten Winkel ihrer Persönlichkeit schaute. Wieder durchlief ein Zittern ihren schmalen Körper als Conn sprach: „Die Göttin akzeptiert dich, Righru, als ihre Priesterin. So sollst du nun mit der Göttin in dir und dem Gott in mir bekannt gemacht werden.“

Er zog sie herunter auf ihren Novizinnenmantel, und ganz unbekümmert, ohne auf die weiteren anwesenden Priesterinnen und Priester zu achten, taten sie das, was die anderen Paare vor kurzer Zeit ebenfalls getan hatten. Jeder Bewegung von Conns muskulösem Körper antwortete der junge biegsame Körper Righrus in gleicher Weise, und ihre Bewegungen flossen ineinander über, um eine Einheit zu bilden. Immer heftiger wurden ihre Bewegungen und sowohl Conns als auch Righrus Atem entrang sich stoßweise der Brust. Mit einem lauten „Ja!“ erschlaffte Righrus Körper. Sie klammerte sich an Conn, als sei er das Einzige, das sie auf dieser Welt noch hielt. Eng umschlungen blieben beide liegen.

Als das Gras vom beginnenden Frühtau feucht zu werden begann, erhob sich Rabon, trat vor den Altar und nahm einen großen Lederbeutel auf, den sie seitlich darunter abgestellt hatte. Diesem entnahm sie einen sauber gewebten und besonders bestickten Priesterinnenmantel und ging zu Conn und Righru. Als die beiden das leise Rascheln des Grases unter Rabons Füßen vernahmen, öffneten sie die Augen. Conn stand auf und zog Righru zärtlich in die Höhe. Wortlos reichte Rabon den Mantel an Conn weiter. Conn ließ Righrus Hände los, nahm den Mantel entgegen und trat hinter Righru. Er hängte ihr den Mantel um die Schultern. Dann nahm er den Kelch vom Altar und überreichte ihn mit den Worten: „Righru, Priesterin von Avallon, Dienerin der Göttin Chailleach und Geliebte des Herrn der Wälder, nimm diesen Kelch und trinke ihn bis zur Neige. Er enthält alles, Liebe und Hass, Freude und Leid, Glück und Kümmernis, er enthält das Leben. So trinke ihn nun aus, bis kein Tropfen mehr in ihm ist.“

Und Righru nahm den Kelch, leerte ihn und stellte ihn zurück auf den Altar. Nachdem dies geschehen war, führte Conn Righru abermals im Kreis zu jeder, der immer noch brennenden, Fackeln. Vor jeder Fackel sprach er: „Seht ihr Mächtigen, hier steht Righru, Priesterin von Avallon, Dienerin der Göttin Chailleach und Geliebte des Herrn der Wälder. Sie hat sich würdig erwiesen, und die Göttin hat sie als Ihre Priesterin akzeptiert. Ihr Mächte und Kräfte der Erde, seid ihr zu Diensten !“

Als sie den Kreis vollendet und sich wieder in den Halbkreis der Priesterinnen und Priester begeben hatten, erhoben sich alle, und jeder Priester und jede Priesterin küsste Righru zunächst die Füße, dann die Knie, dann den Schoß, die Brüste und schließlich den Mund. Nachdem auch dies geschehen war, stießen alle Versammelten ein lautes Jubelgeschrei aus und herzten und umarmten Righru, beglückwünschten sie zu ihrer Berufung als Priesterin von Avallon, und jeder überreichte ihr ein kleines Geschenk zur Erinnerung an diesen Tag.

Anschließend wurde der Kelch erneut mit Apfelwein gefüllt. Zusammen mit der Schale, in der Rabon das Brot vorbereitet hatte, wurde beides im Priesterkreis herumgereicht, und jeder aß und trank. Als ein schmaler Streifen fahlen Lichtes über den Hügeln das Herannahen des kommenden Tages ankündigte, sprach Rabon: „Righru, du hast die Schönheit der Göttin gesehen. Du hast ihre Kraft in dir gespürt und die Wildheit des Herrn der Wälder kennen gelernt. Wir brachten dir Geschenke, auf das du dich an uns erinnern mögest. Das schönste Geschenke machtest du dir aber selbst, indem du dich mit Gott und Göttin verbunden hast. Nun ist es an der Zeit, zu erkennen, dass das Leben einer Priesterin von Avallon nicht nur aus Freude besteht, sondern auch aus Arbeit. Gehe hin, bedanke dich bei den Mächten der Erde und verlösche die Fackeln.“

Righru tat wie ihr geheißen, sammelte die abgebrannten Fackeln ein und legte sie vor dem Altar zu Boden. Nun brannte nur noch das Feuer in der Rauchschale am Eingang des geheiligten Bezirkes. Rabon nahm den immer noch am Boden liegenden Novizinnenumhang von Righru auf und legte ihn ihr in die Hände. Dann umfasste Rabon Righrus Schulter und führte sie zu der Feuerschale. Dort sprach sie: „Righru, Priesterin von Avallon, das Erste, was du als Priesterin lernst ist, dass du nichts Neues erhalten kannst, ohne von etwas Altem Abschied zu nehmen. So nimm deinen alten Novizinnenumhang und verbrenne ihn in dieser Schale.“

Righru gehorchte, aber ihr traten hierbei Tränen in die Augen. Diesen Mantel hatte sie unter der Anleitung von Mharha hergestellt. Sie hatte die Wolle gesponnen, das Tuch gewebt und den Umhang genäht. Sie erinnerte sich noch gut, dass sie dafür Wochen gebraucht hatte. Und wie ihr Mharha damals gesagt hatte, hatte sie alle ihre Wünsche und Hoffnungen in diesen Umhang hinein gewebt. Nun wurde ihr endgültig bewusst, dass nichts mehr so sein würde, wie es gestern noch war, und dass sie in dieser Nacht einen vollkommen neuen Lebensweg eingeschlagen hatte. Die Novizin, die sie gestern noch war, verglimmte langsam mit ihrem Novizinnenumhang in der Feuerschale. Erhobenen Hauptes stand sie neben der Feuerschale die, in einen neuen Priesterinnenumhang gehüllte Priesterin der Göttin Chailleach.

Righru wischte sich die Tränen mit ihrem Umhang ab, während Rabon die letzten glühenden Reste des Mantels und der Kohlen in dem Feuerbecken mit dem Wasser aus der heiligen Quelle löschte. Anschließend begaben sich alle Priesterinnen und Priester bergabwärts zur Siedlung, um den in der letzten Nacht versäumten Schlaf nachzuholen.

Nur Conn begab sich nicht zur Ruhe. Er führte Righru in seine Hütte, bettete sie auf sein Lager und deckte sie mit den wärmenden Fellen zu. Dann nahm er seine am Vortag gepackten Reiseutensilien auf, küsste Righru auf die Stirn und verließ, ohne ein weiteres Wort zu sagen, seine Hütte.

Avallon

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