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Vorwort

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Vorwort

Die »Restbiografie« umfasst die Zeit, die uns noch bleibt. Auch diese schreiben wir – als Entwurf, nicht als Schilderung. Dabei entstehen die Kapitel, die – wie in einem Roman – nach Auflösung drängen. In ihnen legen wir uns fest, ohne die grundlegenden Geschichten, Bewegungen und Entscheidungen beständig umschreiben, umdeuten oder am Ende noch einmal rückblickend retuschieren zu können. Der Sinn dieser Kapitel wird sich uns nicht erst im Rückblick erschließen, er kann bloß im Vorgriff entschieden und Schritt für Schritt gestaltet werden. In diesen geben wir mehr von uns preis als in den Geschichten, die wir zuvor über uns erzählten – drücken diese doch meist und oft unverhohlen ein Marketinganliegen aus. »Jeder Mensch erfindet sich früher oder später eine Geschichte, die er für sein Leben hält«, lässt Max Frisch in seinem Roman »Mein Name sei Gantenbein« die Hauptfigur sagen (Frisch 1976, S. 45). Er wandelt dabei einen frühen Hinweis des dänischen Philosophen Kierkegaard ab, der wusste, dass jedes Selbst »eine Geschichte hat, eine Geschichte, in welcher er sich zu der Identität mit sich selbst bekennt« (Kierkegaard 1957, S. 229). Zu welcher Identität wollen und können wir uns noch bekennen? Dies ist die restbiografische Frage, um die es in dem vorliegenden Essay geht.

Um seine eigene Restbiografie zu entwerfen, ist gründliche Suche und tiefes Denken wichtig, wenn auch nicht tröstend. Wir können unsere Restbiografie bloß ungetröstet gestalten, denn es bedarf der Vorbereitung auf Abschiede. Diese verlangen aber nach Tröstendem – auch wenn dieses nicht zu haben ist. Zumindest bleibt es so lange unzugänglich, wie wir uns nicht eilends in die seichteren Gewässer von Ontologien flüchten, die uns den Sinn und Zweck unseres Seins zu erklären vorgeben. Diese Gewässer sind verseucht. In ihnen lauert die Gefahr, Glauben, Meinung oder auch Esoterik an die Stelle eines nüchternen Blicks treten zu lassen und dadurch die restbiografische Reflexion zur bloßen Fortsetzung der betäubenden Trance eines Und-so-weiter verkommen zu lassen. In dieser Trance bleibt alles sicher unsicher, weil ausgeblendet. Es muss auch weniger durchspürt, gedacht und entschieden werden, und die restlichen Kapitel klingen wie die ersten – eine Telenovela, die von Geschichte zu Geschichte gleitet, ohne letzte Fragen wirklich zu berühren. Sie werden nicht im Lichte der Unsicherheit gedacht, gedeutet und gestaltet, sondern bleiben ausgeblendet.

Der vorliegende Essay setzt sich mit dem biografischen Umgang mit drohenden Risiken und Abschieden sowie den noch möglichen Beginnen unserer persönlichen Zukunft auseinander. Er klärt nichts, aber kann zu einer bewussteren Positionierung, d. h. einer Haltung anregen, die uns hilft, auch die letzten Kapitel unserer Biografie bewusster zu inszenieren – durch Entscheidung, Fokussierung, Übung und Lösung. Am Ende wissen wir nicht unbedingt mehr über die letzten Fragen, aber wir haben ihnen nachgespürt und uns Möglichkeiten eines selbstverantwortlichen Umgangs mit diesen Fragen erarbeiten können. Damit stärken wir unsere Autonomie und öffnen uns gegenüber den Optionen, die unser Leben noch bereithält, während wir auch in Phasen der drohenden Einschränkungen einzutauchen beginnen.

Rolf Arnold

Kaiserslautern, im Februar 2017

Es ist später, als du denkst

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