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Chotors Traum

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Chotor lag im Dämmerzustand zwischen Schlaf und Wachen. Traum und Wirklichkeit konnte er noch nicht voneinander trennen. In seinem Traum befand er sich soeben noch am Ufer des Göttersees. Das Licht drang nur spärlich durch das dichte Laubwerk. Wo es die Wasseroberfläche erreichte, tanzten sekundenlang goldene Reflexe. Sie verschwanden und tauchten an anderer Stelle wieder auf. Die Stimme, die Chotor eben noch deutlich vernahm, verstummte langsam. Sie war scheinbar aus den Tiefen des Gewässers gekommen. „Baue die Götterburg zu deinem Ruhm und deiner Ehre, Chotor“, flüsterte sie. „Du wirst der Erste und der Mächtigste unter den Göttern sein! Die ganze Welt liegt dann nur dir allein zu Füßen!“ Das Hauchen der Stimme vermischte sich mit dem leisen Blubbern des Wassers: „Baue die Burg! Baue die Burg…“

„Wer…, wer bist du?“ Chotor war fasziniert und argwöhnisch zugleich.

„Ich bin die Göttin der Tiefe! Ich sehe die Vergangenheit und die Zukunft, besonders deine Zukunft.“ Es war nur ein Raunen, das an Chotors Ohr drang.

„Ich höre nur deine Stimme. Aber ich sehe dich nicht. Zeige dich!“

„Diesen Wunsch kann ich dir nicht erfüllen. Da müsstest du zu mir in die Tiefe hinabsteigen.“

„In die Tiefe hinab? Was heißt das? Meinst du auf den Grund des Göttersees?“

„Genau! Das meine ich. Das wird dir aber nicht gelingen. Du nennst dich zwar Gott, aber du würdest sofort in den Fluten umkommen! Hier bei mir stößt du an die Grenzen deiner Allmacht.“

„Ich bin einer der Weltenlenker und beherrsche mit 36 anderen Göttern die Welt. Uns müssen alle Lebewesen gehorchen, und wir sorgen außerdem dafür, dass Bagh jeden Tag Licht und Wärme spendet!“

„Ja, ja, das weiß ich alles. Aber so wie ihr die Götter dieser Welt seid, die vom Felsmassiv bis zu den Sümpfen reicht, bin ich die Göttin der Tiefe, die sich außerhalb eurer Welt befindet.“

„Und du willst, dass ich eine Burg baue, eine Götterburg? Und, dass ich der Mächtigste unter den Göttern sein werde?“

„Es ist nicht mein Wille. Ich sende dir nur die Botschaft.“

„Die Botschaft? Von wem?“

„Das zu verraten, bin ich nicht befugt.“

„Göttin der Tiefe, ich will dich nicht weiter zu einer Antwort drängen. Aber eines verrate mir. Was hat es mit dieser Götterburg auf sich. Wie soll diese aussehen?“

„Ich will dir eine Vorstellung geben, wie dieses grandiose Bauwerk aussehen könnte. Sieh es dir genau an. Dann wirst du erkennen, wie du zum mächtigsten aller Götter aufsteigen könntest. Es liegt allein bei dir. Ich selbst werde nun wieder in mein Reich der Tiefe zurückkehren.“

Die letzten Worte der Göttin waren kaum noch verständlich. Sie gingen im sanften Plätschern der Wellen unter. Chotor konnte nur noch erahnen, dass es sich wieder um ihren Appell handelte: „Baue die Burg! Baue die Burg!“

Gleichzeitig schlug Chotor eine Erscheinung in Bann, die sich ihm für immer einprägen sollte. Die Wasseroberfläche des Göttersees glättete sich. Im Wasser wurden plötzlich Konturen sichtbar. Mächtige Mauern mit Zinnen, gewaltige Türme und ein goldenes Tor bildeten ein harmonisches Ganzes, das die Schwärze des Sees verdrängte und in gleißendem Licht erstrahlte. Chotor kam es so vor, als ob er in dieses Bild eintauchte. Er begab sich auf eine virtuelle Reise ins Innere der Burg. Prunk und Glanz in riesigen Sälen, edle Gemächer, festliche Gelage und tanzende Nymphen verzückten Chotor. Ein unbeschreibliches Glücksgefühl erfüllte den Gott. Und der Wunsch, dies alles zu besitzen. Nicht nur diese Götterburg, sondern als oberster Burgherr auch die Macht über alle anderen Götter!

Mit diesen Bildern im Kopf erlangte er allmählich wieder sein volles Bewusstsein. Es war, als ob er durch einen langen Tunnel vom gleißenden Licht zurück ins Dunkel marschieren müsste. Die Wirkung der Kristalle ließ langsam nach. Und er wünschte sich, er wäre niemals aus diesem Rauschzustand erwacht. Nun fand er sich in seiner Felsenwohnung auf dem Hochplateau wieder. Sein Schlafsaal, obwohl von beeindruckenden Ausmaßen, kam ihm plötzlich schmucklos und bescheiden vor. Und überhaupt, waren die Wohnungen der Götter hier zwischen den Felsen des Hochplateaus überhaupt angemessen? Die Schöpfer und Lenker der Welt hausten in Felsenwohnungen, die von außen alles andere als eindrucksvoll waren.

Chotor richtete sich langsam auf, strich seine lange weiße Mähne nach hinten und atmete tief durch. Der Gott besaß eine beeindruckend kräftige Gestalt. Seine Physiognomie drückte in früheren Zeiten feste Entschlossenheit und eisernen Willen aus, auch eine gewisse Aggressivität gepaart mit Verschlagenheit. Als Folge seines Drogenkonsums waren diese Charakterzüge nicht mehr so offenkundig erkennbar. Dennoch stellte Chotor immer noch eine charismatische Erscheinung dar.

Die Übelkeit, die ihn früher beim Erwachen überkam, war durch die Gewöhnung an den regelmäßigen Drogenkonsum verschwunden. Es lag nahe, nach neuen Kristallen zu verlangen, um die schöne Illusion aufrecht zu erhalten. Aber er widerstand mit allen mentalen Kräften, die er noch besaß. Neue Halluzinationen, die vielleicht von völlig anderer Art gewesen wären, hätten diese schöne Imagination zerstört. Chotor wollte diese verlockenden Bilder in seinem Bewusstsein erhalten. Und nicht nur diese. Macht, Ruhm und Ehre, die Vorstellung, der Erste unter den Göttern zu sein, wie ihm die geheimnisvolle Stimme suggerierte, dies alles bildete die Begleitmusik, die nicht von den Bildern zu trennen war und Chotor verzückte. Welch süße Sphärenklänge! Die Welt, die ganze Welt! Nur für ihn!

„Baue die Burg! Baue die Burg“, hämmerte es immer wieder in seinem Bewusstsein. Die Göttin der Tiefe – nur ein Traum oder Wirklichkeit? Wenn es nur ein Traum war, so war es doch ein Wink des Schicksals. Eine Götterburg! Mächtigster unter den Göttern. Sie alle werden ihm zu Füßen liegen! Es lohnte sich diesen Gedanken weiterzuverfolgen.

Nala, die schöne Götterfrau, die eingerollt neben ihm lag, sollte noch nichts von seinem Traum erfahren. Sie befand sich selbst noch in tiefem Schlaf. Ihr Gesichtsausdruck schien etwas ängstlich, zumindest besorgt zu sein. Wer weiß, in welchen Traumsphären sie sich gerade befand. Wohl in keinen besonders positiven. Chotor ließ sich dadurch nicht seine gehobene Stimmung verderben. Bald würde er ihr zeigen können, welchen außergewöhnlichen Göttergatten sie besaß. Sie würde seine Einzigartigkeit be-wundern. Chotor brauchte diese Art der Bestätigung genauso wie die Rauschkristalle.

Transformation! Transformation, schrie es in seinem Innern. Eine neue Weltordnung! Ein neues Machtgefüge! Und er, Chotor, sollte die tragende Rolle spielen.

Die imaginäre Götterburg musste in der realen Welt Gestalt annehmen. Doch wie? Darüber hatte die Göttin der Tiefe kein Wort verloren. Die Götter besaßen hochentwickelte Waffen und Geräte. Sie kannten nur deren technische Grundlagen nicht mehr. Sie wussten aus jahrtausendelanger Erfahrung, wie man Waffen und alle Maschinen, die das tägliche Leben erleichterten, bediente. Alles funktionierte. Aber wie und warum? Dieses Wissen war schon längst verloren. Nur die Vorstellung darüber, dass Bagh nicht nur Licht und Wärme spendete, sondern auch alle benötigte Energie lieferte, war latent vorhanden.

Man war unsterblich. Der Tod war längst überwunden und damit auch der Kreislauf von Geburt und Tod. Die Götter waren zwar nicht asexuell, aber es gab keinen Nachwuchs mehr, kein frisches Götterblut, keine neuen Ideen, keine Entwicklung. Ewiges Leben bedeutete nicht nur Stillstand, sondern auch Rückschritt und Verlust. Wie sollte Chotor dann etwas aufbauen? Eine Götterburg von unbeschreiblicher Größe und Dominanz? Er musste sich fremde Hilfe zunutze machen.

Zunächst tat er gut daran, seine Gedanken für sich zu behalten, auch wenn die Versuchung groß war, mit dieser Idee im Kreise der Götter aufzutrumpfen. Erst wenn seine Pläne Gestalt annahmen, konnte er daran gehen, die nötigen Schritte einzuleiten. Und dann kam der schwierigste Teil des Vorhabens. Chotor musste alle anderen 36 Götter und Göttinnen ins Vertrauen ziehen. Nicht nur das. Bis zur letzten Gottheit mussten alle von dem Projekt überzeugt werden, ohne das Gefühl zu bekommen, dass Chotor sich über sie erheben wollte. Denn ansonsten würden die alten Zeiten wieder anbrechen, und zwar schlimmer als jemals zuvor.

Das Regenbogentor

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