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Kapitel II

Seelenbruder

Es war ein kühler Herbstmorgen. Der Ordonanzoffizier des Generals klopfte an die Türe des schmalen Dorfhauses, das ich mit Madame du Fief und einer jungen Waise aus Nantes teilte, die der Ritter unter seine Fittiche genommen hatte. Der Elsässer geleitete mich zum Haus des Generals, wo er mir den Luxus eines echten Kaffees anbot: seit Monaten begnügten sich alle mit faden Malzgetränken, selbst der Teepreis war unerschwinglich geworden! M. Pfeiffer wies grinsend darauf hin, dass es sich dabei um die eiserne Reserve des grausamen General Turreau handelte: die Truppe hatte einen Transport edler Kolonialwaren aus Sables d’Olonne abgefangen. Der Kaffee schmeckte wunderbar.

Die Nachrichten, die mir M. de Charette vorlas, waren ebenfalls delikat: ein Bote der Republik war am Vortag in der Nähe von Nantes ergriffen worden. Er hatte eine Depesche des General Canclaux, Kommandant der westlichen Armeen bei sich:

„Wir wollten die Vendee vernichten, doch der Triumpf gebührt ihr. Unsere Truppen sind erschöpft, sie brauchen Ruhe. Deshalb denke ich, dass es mehr denn je notwendig ist, einen friedlichen Weg einzuschlagen. Allerdings muss die Nation den ersten Schritt machen.“

Der Ritter war sichtlich stolz auf seine Lektüre und ging zu seinem Schreibtisch, auf dem beeindruckende Stapel Papiere lasteten. Er kramte nach einem weiteren Dokument mit dem er zurückkam. Er rückte seinen Stuhl näher zu mir und sagte, indem er auf das Blatt tippte:

„Diese Nachricht ist weniger frisch, aber ebenso interessant: sie stammt vom 13. Oktober. Meine Schwester, Anne-Marie, ließ uns die Abschrift zukommen und lässt Sie herzlich grüßen. Dies ist ein Schreiben von Beaupuy, dem Chef des Generalstabs im republikanischen Hauptquartier in Nantes. Es enthält einen Bericht über Ihren Angriff auf das Givre-Schloss. Ich zitiere:

„Kaum hatte der Bataillonskommandeur die vorgesehenen Arbeiten ausführen lassen, attakierte die Amazone „Bucly“ die Festung. Diejenigen unter den Republikanern, die das Pech hatten, ihr in die Hände zu fallen, wissen, dass sie berüchtigt ist für ihre Grausamkeit. Ihre zahlreiche Räuberbande konnte trotz ihrer furchterregenden Entschlossenheit zweimal zurückgeschlagen werden. Wir hatten ihr eine Reihe von Hindernissen in den Weg gelegt: Barrikaden, Gräben, Schießscharten, etc.“

Der General legte die Notiz zurück auf seinen Schreibtisch und fügte mit einem breiten Lächeln hinzu:

„Meine Glückwünsche an Sie und Ihre Soldaten! Meine liebe Celeste, Sie sind fast so gefürchtet wie meine Wenigkeit! Aber nehmen Sie sich in Acht: selbst wenn der Feind Ihren Namen falsch buchstabiert, so hat er Sie nichtsdestotrotz identifiziert!“ Ich bedankte mich höflich und er tätschelte kumpelhaft meine Schulter. Dann sagte er:

„Ich habe Neuigkeiten von Ihrer Frau Schwester. Sie verbirgt sich in einem unzugänglichen Raum ihres Schlosses. M. Sapinaud de la Rairie hat sie auf einer Messe im Wald angetroffen. Diese gute Nachricht wollte ich Ihnen persönlich verkünden. Es scheint, dass Madame de Sapinaud hofft, ihre Besitztümer vom Staat zurückzufordern.“

„Wie denn“, fragte ich mit steinernem Ausdruck, „ihr Eigentum zurückfordern – das scheint mir unmöglich. Sie hat doch nicht etwa den Verstand verloren?“ Der General hob die Augenbrauen und fuhr fort:

„Ich habe sie diesen Sommer getroffen und nur äußerst zusammenhängende Bemerkungen aus ihrem Munde gehört. Ich wusste gar nicht, dass Madame de Sapinaud Ihre Schwester ist, ihr Schwager hat es mir erzählt. Sie scheint sehr viel älter zu sein als Sie…, aber sagen Sie mir viel lieber, Celeste, es ist Ihnen doch sicher zu Ohren gekommen, dass man in Paris über eine allgemeine Amnestie redet?“

„In Paris wird viel geredet, Herr General. Sie werden mich vielleicht eines Besseren belehren, aber ich glaube, dass bislang noch keine Entscheidung über das Eigentum der adeligen Royalisten getroffen wurde. Wussten Sie, dass die zwei emigrierten Söhne meiner Schwester die Republik in der Armee der Prinzen bekämpfen? Deshalb hege ich Zweifel daran, dass sie ihre Besitztümer zurückfordern kann – es sei denn, sie steckt sich die dreifarbige Kokarde an – doch wie ich meine Schwester kenne, würde sie das nie tun.“

Charette erwiderte:

„Nun ja, Sie kennen doch sicher das alte Sprichwort, dass man niemals nie sagen sollte?“

Seine Anmerkung hatte mich aufhorchen lassen. Ich sah ihn irritiert an, doch angesichts seines anzüglichen Lächelns verstand ich, dass diese letzte Anspielung nicht das Geringste mit der Familie Sapinaud zu tun hatte! Trotzdem beschloss ich, Jeanne einen Besuch abzustatten, sobald ich vom Hauptquartier wegkommen konnte, wie ich es meinem Bruder einst versprochen hatte. Ein langes Schweigen breitete sich aus, während ich darüber nachsann. Der Ritter beobachtete schmunzelnd meine Finger, die nervös auf den Tisch trommelten, ohne dass ich es bemerkt hatte. Dieser Mann besaß eine einzigartige und seltene Aura, die sicherlich mit seiner Charakterstärke zusammenhing. Eine merkwürdige Spannung nahm Besitz von mir und ich sah nicht auf und spürte dennoch, wie sein Blick auf mir brannte und dabei war, alle meine edlen Vorsätze zum schmelzen zu bringen.

Glücklicherweise klopfte es in diesem Moment an der Tür; es war Madame de Montsorbier, gefolgt vom allgegenwärtigen Leutnant des Chefs. Charette erhob sich wütend und bellte:

„Hatte ich nicht die Anweisung gegeben, nicht gestört zu werden?“ Madame de Montsorbier blieb errötend auf der Schwelle stehen, während Pfeiffer hinter ihr hervorlugte.

Ich hörte ihn erwidern:

„Awer Herr General, med Verlaub, Sie müsse mit dem Lieferande von de Gerbereie des Anjou verhondle! Er will, dass Sie des beschdellde Büffelleder bezohlet, aber es weigert sich, unsere Assignade anzonehme und verlongd Bapiergeld!*“

Der Feldherr erhob sich und brüllte mit puterrotem Gesicht: „Jetzt hab ich aber genug von diesen Papiergeld-Geschichten! Dieser Stofflet hat uns in höllische Schwierigkeiten gebracht.., für wen hält er sich eigentlich? Wenn alle anfingen, Banknoten zu verteilen, dann bräuchten wir uns nicht mehr darüber zu wundern, dass der Staat uns als Banditen bezeichnet. Und überhaupt, der wird noch von mir hören, dieser… Ach, was weiß ich!“

Ich war mir nicht sicher, ob sich diese letzte Bemerkung auf den Lieferanten oder General Stofflet bezog. Jedenfalls beschloss ich, mich zurückzuziehen. Als ich aufstand, kam Madame de Montsorbier auf mich zu, um mich zu begrüßen, wenn auch weniger herzlich als gewöhnlich. Wer den König der Vendee kannte und von den vielen Damen wusste, mit denen er sich zu umgeben pflegte, hatte Nachsicht mit den Eifersüchteleien der jungen Frau.

Die Vorboten eines strengen und frühen Winters kündigten sich während des ersten Adventsgottesdiensts an. Die Kälte drang uns in alle Glieder. Schon bald würde sie uns dazu zwingen, neben unseren Pferden herzugehen, die mit ihren Hufeisen auf den gefrorenen Pfaden zu nichts mehr zu gebrauchen waren. Eine außerordentliche Versammlung der Chefs der drei Armeekorps war am Nikolaustag geplant, sämtliche Ortskapitäne wurden im Hauptquartier des Zentrums erwartet. Stofflet sollte bei dieser Gelegenheit seine Taten rechtfertigen. Doch der General des Anjous blieb der Sitzung fern und schickte einen Abgesandten, um seine Abwesenheit zu entschuldigen und die Anführer vorzuwarnen: zahlreiche, neue Truppen trafen aus Paris ein und marschierten durch seine Territorien. Als der General de Charette sich auf den Rückweg nach Belleville machte, schloss sich Stofflets Bote den Offizieren des Ritters an.

Bei der Ankunft der Reiter war ich, wie so oft, in den Ställen, um die Rationen zu überprüfen, die von Stalljungen verteilt wurden. Mehr als hundert Pferde waren wegen der eisigen Witterung eingestellt worden. Die geräumigen Scheunen grenzten an niedrige Dorfhäuser, in denen die Soldaten untergebracht waren. Belleville hatte nur geringen Schaden durch die Brandkolonnen von Turreau erlitten, was den Ritter Charette dazu veranlasst hatte, dort sein Hauptquartier zu errichten. Ich hörte einen der Offiziere den Stallburschen zurufen:

„Geht das nicht schneller? Kommt schon, die Pferde erkälten sich noch! Sie müssen getrocknet werden, reibt sie ausgiebig mit Stroh ab.“ Es war die Stimme von M. de la Robrie. Ein großer Mann kam auf mich zu, den ich in der schlecht beleuchteten Stallgasse nicht identifizieren konnte. Erst als er vor mir stand, erkannte ich Luc, unseren Schweizergarden! Ich war sehr gerührt, den Freund wiederzusehen, den ich während der Kämpfe nördlich der Loire aus den Augen verloren hatte. Er hatte von meiner Entlassung gehört und daraufhin die Armee des Anjou verlassen, in der immer noch Überlebende der ehemaligen königlichen Garde kämpften. Der talentierte Kommandant der Eliteeinheit, Baron Keller, war in der Schlacht um Pontorson gefallen.

Ich begleitete ihn in die Offiziersmesse, die ich sonst mied. Dort wurde Luc just von einigen unserer älteren Soldaten erkannt und sogleich gefeiert. Mit seinem leichten, schleppenden Walliser Akzent begann er, seine berühmten Geschichten zu erzählen, und ich verweilte lange in dem Kreis, der sich um ihn gebildet hatte, ganz im Gegensatz zu meinen Gewohnheiten. Ich vernahm so manches Abenteuer, das er mit den Soldaten des Anjou bestanden hatte. Bevor ich mich verabschiedete, lud ich ihn für den folgenden Tag zum Souper ein, was er mit Freude annahm.

Am nächsten Morgen erzählte ich Madame du Fief von der überraschenden Ankunft des Offiziers. Als ich meine Einladung erwähnte und ihr sagte, ihre Anwesenheit sei bei dem Essen erwünscht, protestierte sie und entschuldigte sich im Vorhinein mit dem Vorwand einer Migräne. Ich wünschte ihr eine gute Genesung und machte mich auf die Suche nach vorzeigbarem Wintergemüse für die Suppe. Dank meiner Louis d’Or*, ergatterte ich ein Stück Ziegenkäse und einen Hefezopf zum Nachtisch. Als ich vom Markt zurückkam, begann ich die Geschichte einer Frau zu lesen, die von den revolutionären Ideen angetan und trotzdem auf dem Schafott geendet war. William hatte mir von den modernen Überlegungen über Sklaverei der Olympe de Gouges erzählt, an dessen Titel ich mich nicht mehr erinnern kann. Das Buch, das meine Vertraute mir empfohlen hatte, hieß Das Kloster** und drehte sich um die Lage der Frauen. Die Visionärin eröffnete mir ungeahnte Perspektiven und half mir, die neuen Ideen besser zu verstehen. Später würde ich mir all ihre Veröffentlichungen beschaffen, natürlich mit Ausnahme derer, die im Namen der Republik vorsorglich verbrannt worden waren!


In Ermangelung eines Aperitivs bot ich dem Offizier Pfefferminztee an. Er schilderte mir die schreckliche Schlacht von Savenay, nachdem ich eine kurze Zusammenfassung meiner acht Monate Haft und der Rückkehr zum Partisanendasein geliefert hatte. Luc verstand mich ohne lange Erklärungen, er war mehr als ein Waffenbruder: für mich war er ein Seelenbruder. Bevor ich die Suppe servierte, entschuldigte ich mich und ging mit einem Tablett zur Kammer von Madame du Fief. Als sie mir öffnete, stellte ich ein einfaches Mahl auf einem Beistelltisch ab: es bestand aus einer kleinen Schüssel Suppe, zwei Scheiben Brot, etwas kaltem Rinderbraten, einem Brocken Käse und einem Glas Wasser. Meine Freundin war dabei, ihr langes, seidiges Haar zu bürsten und sah weniger blass aus. Ich drängte sie, sich zu uns zu gesellen, denn ich hatte große Lust, sie mit dem Helveten bekanntzumachen, und sie versprach, später am Abend herunterzukommen.

Während des Essens fragte ich Luc nach den Ergebnissen, die bei dem Treffen unserer Anführer in Beaurepaire erreicht worden waren. Er klärte mich auf:

„Stofflet konnte nicht kommen, weil er einen Angriff auf das Lager befürchtete, das er in den Wäldern von Maulevrier geschaffen hatte. Es gibt dort eine große Anzahl von Verwundeten und Kranken, und ganze Familien haben sich in den Wald geflüchtet. Neben den Zivilisten hat der General zwei Pulvermühlen zu verteidigen. Als die Wachen in nur einer Meile Entfernung von den Hütten Patrouillen gesichtet hatten, verließ sich der General darauf, das die anderen Anführer Verständnis für sein Fehlen zeigen würden. M. de Charette könnte ihn womöglich für einen Rivalen halten, aber M. Sapinaud hatte den Plan unterstützt, die täglich an Wert verlierenden Assignaten durch Papiergeld zu ersetzen. Die Händler haben kein Vertrauen mehr in Wertbriefe, die bei der Rückkehr zur Monarchie erstattet werden könnten. Ich muss Sie wohl kaum darauf hinweisen, dass diese täglich unwahrscheinlicher wird.“

Ich erkundigte mich neugierig:

„Also hatte General de Sapinaud von dem Papiergeld gewusst?“

„Ja, genau wie der Ritter Charette. Wenn die Boten zwischen unseren Lagern auch nicht immer ihr Ziel erreichen, das Papiergeld war vom Rat der königlichen Armee bestätigt worden. Es sollte den lokalen Handel stärken, bis die Chefs beschlossen, es als wertlos zu deklarieren und damit in der Bevölkerung Konfusion stifteten.“ Ich füllte eine Schüssel mit dampfender Suppe und fragte:

„Aber aus welchem Grund, Ihrer Meinung nach? Wenn das Papiergeld eine für den Handel einträgliche Idee war..“

„Vielleicht lag es an dem Wort „Generaloberst“, das unter dem Namen Stofflet auf dem Dekret erschien? Ich denke, es muss gewisse Empfindlichkeiten bei Charette wachgerufen haben, denn der Chevalier strebt diesen ehrenvollen Titel schon seit Langem an.“

Ich war niedergeschlagen von seiner Antwort, zumal ich die Bewunderung des Schweizers für den ehemaligen Schiffskommandanten kannte und wusste, dass er diese Erklärung nicht aus Boshaftigkeit gemacht hatte. Demnach war alles nur eine Frage des Ehrgeizes und der Macht? Luc lobte die einfachen Speisen und bemerkte:

„Sagt man nicht, Abwesende seien immer im Unrecht?*

Stofflet hatte mich als Kurier geschickt, aber ich sollte nicht zu seiner Verteidigung eingreifen - der Abt Bernier hatte es ausdrücklich untersagt. Ich war nur als Zuhörer bei dieser Versammlung. General Charette stellte mir auf dem Rückweg viele Fragen, doch ich gab keine Vertraulichkeiten heraus, nachdem er während des Treffens einem Offizier beigepflichtet hatte, der die Degradierung Stofflets vorgeschlagen hatte.“

Ungläubig bemerkte ich:

„Es scheint höchst widersinnig, General Stofflet so zu erniedrigen.“

Der Walliser zuckte mit den Schultern.

„Nun ja, es wäre eine Lösung, um seinen Fehltritt zu bestrafen, aber Sapinaud legte heftigen Widerspruch ein. M. Launay, den ich als ziemlich ehrgeizig bezeichnen würde, erklärte sich sogar bereit, Stofflet zu exekutieren. Er wollte damit sicherlich das Kommando der Armee von Angers übernehmen. Aber zum Glück weigerten sich die anderen Offiziere, den wackeren General in seiner Abwesenheit zu verurteilen und forderten eine Verschiebung des Treffens, um ihm eine Gelegenheit für Erklärungen zu geben. Schließlich wurde die Aufteilung der Territorien besiegelt, die den Eid aufhob, der auf Schloss Boulaye abgelegt worden war. Dies hatte den Vorteil, alle drei Generäle in ihren Gebieten für souverän zu erklären. Charette behielt den Befehl über die Küste und den Bocage, Sapinaud das Zentrum, Stofflet das Anjou. Meiner Meinung nach hatte diese Versammlung vor allem unangenehme Erinnerungen an die Verurteilung des General de Marigny wachgerufen..“

Ich rief ungläubig dazwischen:

„Wollen Sie damit etwa sagen, dass die königliche Armee für den Tod des Kommandanten verantwortlich ist?“

Luc hatte eine Scheibe Brot aus dem Korb genommen und verharrte in seiner Bewegung. Er warf mir einen verwirrten Blick zu, während er weiterhin an den Walnusskernen kaute, die ich in einem Schüsselchen neben dem Teller mit kaltem Rinderbraten angerichtet hatte. Die Abwesenheit unseres Artilleriechefs war mir seit meiner Ankunft in Belleville nicht entgangen, doch niemand hatte mir gegenüber Einzelheiten über sein Verschwinden erwähnt. Endlich sagte er langsam:

„Jawohl. Es überrascht mich, dass Sie nicht auf dem Laufenden darüber sind, wo Sie doch als Vertraute des General Charette gelten.“ Bei diesen Worten versuchte Luc vergeblich, ein Grinsen zu unterdrücken und sah mich unverhohlen an. Ich betrachtete seine Bemerkung nicht als Indiskretion seinerseits, sondern als Beweis, dass wir uns nahe genug standen und wohl auch einen Appell an mich, das Andenken meines lieben Gemahls in Ehren zu halten. So gab ich in aller Offenheit zurück:

„Ja, ja, ich weiß, ich kenne die Gerüchte – manche betrachten mich allem Anschein nach sogar als seine Geliebte!“ Ich sah ihm ruhig in die Augen und Luc hielt es für ratsam, nicht weiter darauf einzugehen.

Er kauf auf den lächerlichen Prozess zu sprechen, der dem tapferen General de Marigny gemacht worden war:

„Die vier Feldherren der Vendee hatten sich im April im Schloss von Boulaye getroffen, um einen Gesamtplan für unsere Armee zu verabschieden. Die Herren Charette, Stofflet, Sapinaud und Marigny legten am Ende der Sitzung einen feierlichen Eid ab. Es wurde einstimmig beschlossen, fortan alle Entscheidungen im gegenseitigen Einvernehmen oder zumindest mit einer Mehrheit der Stimmen zu treffen. Sie schworen, „nur eine Seele, einen Willen zu haben“. Der Artilleriechef sollte daraufhin nach Cerizay zurückkehren, um seine Soldaten zu sammeln und seine Truppen in Stofflets Gebiete zu führen, während die anderen Armeekorps direkt Richtung Osten marschierten. Wir durchquerten die verwüsteten Landstriche um Mortagne und Cholet. Als wir in Chemille eintrafen, wurde General Stofflet der Oberbefehl über die geplanten Angriffe anvertraut: damit war er jetzt für die Entscheidungen der königlichen Armee verantwortlich. Die Truppe Marignys sollte auf Saint-Florent zuhalten, denn wir hofften damit, uns des linken Ufers der Loire zu bemächtigen. Doch M. de Mariginy traf nicht ein und nach langem Warten beschlossen die anderen Generäle, den Ansturm ohne ihn zu beginnen. Leider ging diese Schlacht zu unseren Ungunsten aus und wir sahen uns gezwungen, uns nach Jallais zurückzuziehen, welches zwei Meilen von Chemille entfernt lag. Als wir uns am Abend um die Biwakfeuer versammelt hatten, stieß plötzlich General de Marigny mit zweitausend Mann zu uns.“

Luc hielt inne, um den Ziegenkäse zu probieren, den ich auf den Tisch gelegt hatte. Ich entschuldigte mich dafür, keinen Wein zu dem Gericht anbieten zu können, doch er winkte ab. Ich wollte wissen, wie M. de Marigny seine Verspätung gerechtfertigt hatte, und Luc fuhr fort:

„Er hat keine konkrete Erklärung abgegeben. Er sagte, er sei unterwegs aufgehalten worden, was ihn später dazu zwang, einen regelrechten Gewaltmarsch von seinen Soldaten zu fordern. Sie waren erschöpft und hungrig angekommen und Marigny verlangte nach den Essensrationen, doch man gab ihm nur unzureichende Reste.“ Mir schwante Böses, denn ich kannte die ungestüme Natur des ehemaligen Seemanns, und erkundigte mich:

„Ist er aus der Haut gefahren?“ Der Schweizer zog ein rotes Taschentuch aus der Tasche, mit dem er sein Messer polierte und erwiderte:

„Zunächst suchte er die anderen Generäle auf, die in der ausgebrannten Burg lagerten. Ich glaube, er war sich seines Eidbruchs bewusst, aber anstatt sich zu entschuldigen, forderte er die Rationen ein, die seinen Soldaten zustanden. Stofflet bemerkte trocken, dass nichts für seine Männer vorbereitet worden war, da niemand mehr mit seiner Ankunft gerechnet hatte. Also begann Marigny, seiner Unzufriedenheit freien Lauf zu lassen. Charette warf seinem ehemaligen Marine-Kameraden vor, dass sein Fehltritt das geplante Manöver in Frage gestellt hatte. Schliesslich goss der Abt Bernier noch etwas Öl ins Feuer, und Stofflet befahl Marigny, das Kommando seiner Truppen an Sapinaud zu übergeben, wobei er ihm zugestand, weiterhin die Artillerie zu befehligen. Natürlich waren sich alle Anwesenden der Tatsache bewusst, dass diese Verantwortung mittlerweile eine wenig ruhmvolle, um nicht zu sagen nutzlos gewordene Funktion war, denn unser Heer besaß zu dieser Zeit praktisch keine Kanonen mehr. Marigny stürmte wütend von dannen, stieg auf sein Pferd und nahm im Galopp die Straße nach May. Wir konnten alle hören, wie einer der Kavallerieoffiziere den Befehl „Erschießt den Deserteur!“ gebrüllt hatte…“

Ich hörte mich ausrufen:

„Um Himmels Willen!“ Luc fuhr fort: „Oh, die Schützen haben nicht gehorcht! Einer der Robrie-Brüder folgte ihm mit ein paar Reitern. Bei seiner Ankunft in May erzählte M. de Marignys seinen Offizieren von den Ereignissen, die sich freilich weigerten, ihren Anführer herauszugeben.“ Luc zog eine kleine Ledertasche mit Tabak aus der Tasche, und schon bald beschwor der stechende Tabakgeruch das Andenken an meinen verstorbenen Gatten herauf. Ich war ungeduldig, mehr zu erfahren, und fragte:

„So kam M. de la Robrie mit leeren Händen zurück?“

„Bei seiner Rückkehr in die Burg beriefen die Generäle einen Kriegsrat ein, bei dem vierzig Offiziere anwesend waren. Charette bestand auf die Wahl eines neuen Generaloberst, bevor er das Todesurteil seines ehemaligen Kameraden vorschlug, aber Sapinaud verteidigte seinen Gefährten aus Zuneigung zu ihm. Ein Dutzend Offiziere sprachen sich für eine weniger strenge Strafe aus und es folgten ausgiebige Debatten. Kurz vor der Abstimmung wurde Pater Bernier das Wort erteilt, der konterte: ‘Wenn ein solches Verbrechen ungestraft bleibt, sind dies die ersten Anzeichen des Verfalls der königlichen Armee!’ So sprach sich die Mehrheit für den Tod Marignys aus.“

Luc hatte Tränen in den Augen, genau wie ich. Auch er hatte den ehemaligen Kommandanten der Seekanoniere zu schätzen gewusst. Ich fragte:

„Sagen Sie, Luc, warum hat niemand darum gebeten, dieses schreckliche Urteil aufzuheben? War es nicht aus der Enttäuschung über den gescheiterten Angriff heraus getroffen worden?“

„Nun ja, General Stofflet hat das Urteil im Nachhinein bedauert, aber er steht unter dem ständigen Einfluss dieses hinterhältigen Intriganten von Priester und hat sich am Ende der tückischen, meisterhaften Manipulation des Abts Bernier gefügt. Jedenfalls wurde Marigny auf Stofflets Befehl hingerichtet. Es scheint, dass die Deserteure, denen er die schmutzige Arbeit befahl, dem degradierten General nicht einmal mehr Gelegenheit gaben, seine letzte Beichte abzulegen.“ Ich erhob mich ruckartig und legte Feuerholz im Kamin nach, um mich irgendwie zu beschäftigen, denn ich war außer mir vor Zorn. Wenn unsere Anführer sich daran machten, sich gegenseitig umzubringen, war dies meiner Meinung nach das Anfang vom Ende der royalistischen Armee. Ich fragte Luc, ob er die Hinrichtung als notwendige Folge von Marignys Versagen betrachte, worauf er zögernd einräumte, dass die Verurteilung des Generals in einer regulären Armee durchaus als normale Bestrafung angesehen würde. Ein Kriegsgericht war gebildet worden und die Mehrheit der anwesenden Offiziere hatte sich gegen den ehemaligen Seemann ausgesprochen.

Es wäre jedoch möglich gewesen, das grausame Urteil nicht zu vollstrecken und damit den Einsatz und die Vorzüge dieses Generals zu berücksichtigen. Ich dachte mit Nostalgie an diesen schönen Mann, der einst von seinen Waffenbrüdern respektiert und geschätzt worden war. Der in Luzon, der Stadt Richelieus, geborene Vendeer war zur Ritterwürde des Ordens von St. Louis erhoben worden und hatte sein Engagement für unsere Sache seit Beginn der Aufstände vielfach unter Beweis gestellt. Luc schien genauso entrüstet wie ich über diese Ungerechtigkeit. Sie würde die Annalen des großen Vendee-Krieges für immer beflecken. Der Offizier fügte hinzu:

„Die Exekution des General zog schlimme Folgen nach sich: nach dem Urteil von Jallais zerstreuten sich die Bauern, die unter der Flagge Marignys gekämpft hatten und erschienen nicht mehr zu den Versammlungen. Ihre Gesamtzahl wird auf immerhin vierbis fünftausend Mann geschätzt.“ Nach einem nachdenklichen Augenblick der Stille sagte ich zu Luc:

„Ich bin empört über die Fakten, die Sie mir gerade beigebracht haben, mein Freund, ich danke Ihnen. Ich werde nicht zögern, Charette bei der ersten Gelegenheit auf diesen Missstand hinzuweisen.“

„Selbst Madame de Sapinaud hatte versucht, ihren Einfluss zugunsten Marignys geltend zu machen.“

„Jeanne de Sapinaud? Meine Schwester? Sind Sie sich dessen sicher.., ich meine, waren Sie dabei?“ Luc widersprach:

„Nein, nein. Ich habe zufällig davon gehört, weil ich zur der Leibwache des Mannes gehört habe, der in der ganzen Vendee am besten informiert ist: Pater Bernier!“

Mit seinem sprichwörtlichen Humor gelang es meinem fidelen Leutnant, meine Wut zu mäßigen. Dann erfuhr ich von den niederen Verleumdungen des Abtes, den Luc nur als „perfiden Priester“ bezeichnete. Nach Angaben des Helveten hatte der Kleriker unauffällig auf die Spaltung unserer Armeekorps hingearbeitet. Der Helvete behauptete, dass man die Intrigen, zu denen der Prediger fähig war, nicht unterschätzen sollte. Den jeweiligen Umständen entsprechend nutzte dieser jede Gelegenheit, seine Macht zu festigen, sei es durch Schmeicheleien oder durch das Säen von Zwietracht.

Wie Luc meinte, hatte der Abt Bernier dem Chevalier Charette nur aus dem Grund den Rücken gekehrt, weil unser General sich dank seines unabhängiges Charkaters geweigert hatte, dem Diktat des Priesters zu gehorchen. Dies war wahrscheinlich der Grund, warum der zweifelhafte Diener Gottes, der anfänglich im Quartier von Lege mitgewirkt hatte, zum Maulevrier-Lager wechselte, wo er seither auf die Entscheidungen Stofflets einwirkte. Ich kann mich noch genau daran erinnern, dass ich am Schluss seiner Tirade anmerkte:

„Mein lieber Freund, ich muss schon sagen, die legendäre Neutralität der Schweizer hat in Ihrem Fall offensichtlich nicht durchgeschlagen!“ Er grinste nur.

Madame du Fief klopfte zaghaft an die Küchentür. Ich stellte sie dem Leutnant vor, der sie lange betrachtete, bevor er einen leichten Handkuss auf die feingliedrige Hand hauchte, die sie ihm reichte. Ich stellte Tassen auf den Tisch und befüllte sie mit Rosmarinaufguss. Wir hatten keine Bediensteten mehr und taten nichts, um welche zu finden: Madame du Fiefs Hausmädchen war Opfer einer Schießerei geworden, der sie selbst auf wundersame Weise entkommen war. Meine Vertraute trug ein wunderschönes, hellblaues Kleid mit silbernen Beschlägen und hatte das rote Haar in einem langen Zopf um ihr hübsches, mit diskretem Rouge geschminktes Gesicht gewunden.

Luc stellte erneut seine Erzähltalente unter Beweis, indem er uns einen Feldzug unter dem Befehl Stofflets erläuterte. Er berichtete vom Überfall auf einen republikanischen Posten, bei dem die siegreichen Soldaten der weißen Armee sich darüber gewundert hatten, auf dem Kirchplatz einen Wagen vorzufinden, an dem ein riesiger Besen befestigt war. Der Griff war mit dreifarbigen Bändern geschmückt worden, und auf einem Schild an seiner Vorderseite konnte man die Worte lesen: Besen, um die Vendee leerzufegen! Die Bauernsoldaten hauten das lächerliche Werkzeug in Stücke und zündeten damit ein Freudenfeuer an, in das sie alle offiziellen Dokumente warfen, die sie im Rathaus vorfanden. Der Karren wurde konfisziert, um die erbeuteten Vorräte aufzuladen und bei unserem Abmarsch lachten wir über einen riesigen Ascheberg, aus dem ein alter Rechen hervorlugte, dem ein paar Zähne fehlten. Bevor wir abzogen, hängten die Männer das Schild daran, dessen Rückseite sie mit den Worten beschriftet hatten:

„Rechen, um die Henker durchzuharken!“

Madame du Fief fand den hochgewachsene Bergsteiger sympathisch und wir widmeten uns interessanten Themen. Der Leutnant war ein sehr kultivierter Mann. Wir setzten uns vors Feuer und konnten jetzt frei sprechen; denn die Schutzbefohlene des Generals, Mademoiselle de la Rochette, wohnte jetzt im Haus des Ritters. Madame du Fief berichtete uns von den unglaublichen Abenteuern des Priesters Barbedette: „Dieser Pfarrer hatte sich in einem Haus seiner Pfarrei in Lucssur-Boulogne versteckt, nachdem er es abgelehnt hatte, den republikanischen Eid abzulegen. Eines Tages im Februar wurde eine Gruppe von Brandstiftern auf ihrem Weg nach Petit-Luc von einem Angriff der Männer Charettes überrascht. Die von den Kämpfen beunruhigten Dorfbewohner flüchteten sich in die Kirche, als ein intensives Handgemenge zwischen den Kolonnen und den Vendeern entstand. Die Letzteren zerstreuten sich in alle Richtungen, was die Patrioten dazu veranlasste, zurückzukehren, um sich an der Bevölkerung zu rächen. Der konventionelle, neue Priester rannte auf die Soldaten zu, um sie zu mäßigen: er wurde getötet, bevor sie die Dorfbewohner erschossen. Schreckliche Massaker wurden in der Umgebung verübt und die alte Notre-Dame-Kirche des Dorfes komplett zerstört. Nach dem Durchmarsch der Brandkolonnen kam der tapfere Priester aus seinem Versteck und begann, eine Liste der Opfer zu erstellen. Er war unermüdlich, segnete und begrub die Leichen, wobei ihm die wenigen Überlebenden halfen. Die Aufzählung enthielt die Namen vieler Frauen und mehr als hundert Kinder. Pater Barbedette machte mehrere Abschriften davon und deponierte sie an geheimen Orten, auf dass die Tötungen nie in Vergessenheit geraten mögen.

Er wurde schon bald von den Soldaten der Nation gesucht und bewies unglaubliches Geschick, um seiner Festnahme zu entgehen. Eines Tages wurde ihm berichtet, dass einer der Soldaten Charettes von den Blauen gefangengenommen worden war. Der Bauer sollte von einem Husaren, der im Lager von Freligne erwartet wurde, nach Nantes gebracht werden. Der fromme Barbedette kleidete sich mit einer republikanischen Uniform, die er bei einer Übernahme beschlagnahmt hatte - denn Sie müssen wissen, dass er an den großen Schlachten teilgenommen hatte! Als Husar getarnt, galoppierte er die fünf Meilen zum republikanischen Lager, wo er mit dem Worten eintrat:

„Es lebe die Republik! General Cordellier schickt mich. Man bringe mir den Briganten, denn ich bin dafür verantwortlich, ihn nach Nantes zu geleiten, und zwar schnell, ich bin in Eile!“ Die Wärter holten eilig den Gefangenen und brachten ihn zu dem verkleideten Priester, ohne eine schriftliche Anordnung zu verlangen. Sie gingen sogar so weit, dem Geistlichen ein schnelles und frisches Pferd zu holen, das gegen seinen müden Gaul ausgetauscht wurde. Und der Bauernsoldat, der von nichts ahnte, wurde von Barbedette in einer Meile Entfernung freigelassen!

Ein anderes Mal warnte man ihn vor der Annäherung eines Geschwaders, das nach ihm suchte. Diesmal verkleidete er sich als Bettler und erwartete die Blauen auf den Stufen zur Kirche der Grands-Lucs, die zwar beschädigt, aber nicht zerstört war. Auf ihre Bitte hin gab er vor, den Ort zu kennen, an dem sich die Person, nach der sie suchten, versteckte und führte die Brigade zu einem Hof, wo er von den Patrioten Abschied nahm. Natürlich vergaß er dabei nicht, die Münze, die der Offizier ihm als Belohnung überreichte, einzustecken, ohne mit der Wimper zu zucken!“

Ich erinnere mich noch heute an unser ausgelassenes Gelächter und den Frohsinn, der die Schatten unserer traurigen Vergangenheit vertrieb. Ich befand mich in so guter Gesellschaft, daß ich Madame du Fief und unseren lieben Schweizer Offizier zum Jariette-Schloss begleitete, wo wir Loire-Weine tranken. Ich schlug die Einladungen zum Tanz der Offiziere aus und näherte mich stattdessen dem Orchester. Einer der Geiger war bereit, mir sein Instrument zu borgen, und zur Überraschung meiner Freunde begann ich, eine irische Melodie zu spielen. Die anderen Musiker fielen rasch ein, bis wir uns, mitsamt den Tänzern, in eine verrückte, musikalische Raserei steigerten! Zurück an unserem Tisch, bemerkte ich, wie mein Vertrauter der jungen Dame, die ich sehr schätzte, den Hof machte, und zog mich lächelnd zurück.


Der Beschluss der Teilung der königlichen Armeekorps und des Verbotes der Geldscheine wurde gedruckt, öffentlich verkündet und im gesamten eroberten Land plakatiert. Nur wenige Tage später verwüstete ein Reitertrupp das Hauptquartier von M. de Sapinaud. Dieser war von dem ehemaligen Wildhüter ausgesandt worden, der sich von seinem Freund betrogen fühlte, denn Sapinaud hatte zunächst der Herstellung des Papiergeldes zugestimmt und sich dann, unter dem Einfluss Charettes, davon distanziert.

In einer schriftlichen Depesche übersandte Stofflet seine Rechtfertigung mit Hilfe langer, honigsüsser Wendungen, die auf die schlaue Feder des Abt Bernier zurückgingen. Letzterer hatte weiterhin großen Einfluss auf die Soldaten. Stofflet beharrte auf den Umstand, dass die Initiative für das Papiergeld den lokalen Handel fördern sollte und ursprünglich selbst vom Chevalier Charette befürwortet worden war. Er protestierte ebenfalls gegen die Entscheidung, die königliche Armee zu teilen. Eine weitere Nachricht kam von der Schwester des General Charette, die bereits seit einigen Wochen in Nantes lebte. Anne-Marie war denunziert worden und hatte mehrere Tage im Kerker verbracht. Sie war auf Wunsch einer gewissen Madame Gasnier freigekommen. Diese bemerkenswerte Frau war nach den Aufständen der Sklaven von den Antillen nach Nantes geflohen, wo sie sich im Hotel de la Villestreux eingerichtet hatte. Dort waren auch die Vertreter der Republik beherbergt. Sie pflegte bald freundschaftliche Beziehungen mit den Offizieren der Nation, die auf ihren Kaffee schworen. Dank ihres großen Einflusses konnte sie mehrere Royalisten befreien, und Mademoiselle de Charette de la Contrie freundete sich mit der Witwe an. Madame Gasnier hatte sich bereit erklärt, zwischen den beiden feindlichen Lagern zu vermitteln. Anne-Marie hatte ihrer Botschaft einen Zeitungsartikel beigefügt, den sie aus der Zeitung Porte-feuille Nantais ausgeschnitten hatte. Darin wurde bekanntgegeben, dass die Regierung soeben eine Amnestie für alle Rebellen beschlossen hatte, die bereit waren, ihre Waffen niederzulegen und sich der Republik zu unterwerfen. Die ersten Bauern kamen dem Aufruf nach. Beim ersten republikanischen Wachposten wurden sie in den Büros empfangen. Nachdem sie ihre Waffen niedergelegt hatten, mussten die Bauern das charakteristische Symbol der Konterrevolutionäre ablegen: die Nationalgarden bestanden darauf, die Embleme der Vendeeherzen von ihren Jacken zu reißen und die Gänsefedern von ihren Hüten zu entfernen. Der erste Schritt zu einem Frieden, den ich für mehr als ungewiss hielt, war getan. Es war eine gute Neuigkeit für die ausgehungerten Mägen, aber ein vergifteter Pfeil in unsere traurigen Herzen.

Weihnachten näherte sich seinen vielen tragischen Erinnerungen, die ich mit ständiger Beschäftigung bekämpfte. Ich besuchte meine Freunde im Wald von Grasla, wo trotz einer gigantischen Suche, die während des Sommers stattgefunden hatte, immer noch über dreitausend Seelen lebten. Meine berittenen Wachen begleiteten mich auf die Patrouillen, doch alles schien sehr ruhig, seit eine dicke Schicht Schnee die Landschaft bedeckte. Im Hauptquartier hatte ich mir zur Gewohnheit gemacht, mich bei der Pflege der Pferde nützlich zu machen. Die langen Abende verbrachte ich vor dem Kamin über Lektüren. Madame du Fief hatte mir ein Buch besorgt, das mich stark beeindruckte. Es war eine neue Übersetzung der vom großen Goethe erfundenen Tragödie Werthers. Der deutsche Schriftsteller war damit ein Autor von großem Renommee geworden, auch jenseits der deutschen Grenzen. Ich sprach mit Mademoiselle Rochette, der jungen Schülerin des Generals darüber, die mir sehr sympathisch war. Von Zeit zu Zeit kam sie in den Genuss einer Lektion im Damensattel und wurde dadurch bald zu einer geübten Reiterin. Aber momentan wurde alles vom Frost beherrscht.

Einige Offiziere der Anjou-Armee schlossen sich unserer Küstentruppe an, gefolgt von einem Dutzend Soldaten. Der Konflikt mit Stofflet hatte dazu geführt, dass der General des Anjou ein paar Männer verlor, doch was schlimmer war, er hatte eine Mauer der Antipathie zwischen den beiden Lagern errichtet. Boten trafen ein: General Canclaux, der neue Kommandant der republikanischen Armee des Westens, hatte beschlossen, sogenannte Friedensstifter in unsere Ländereien auszusenden. Ich war misstrauisch, als ich davon erfuhr, aber Charette kannte den Feldherren, den er als gemäßigt bezeichnete. Er hatte während des alten Regimes an der Seite des Marquis gekämpft. Und doch blieb ich skeptisch: Nachdem man unsere Gutshäuser zerstört, unseren Besitz geplündert und die Zivilisten massakriert hatte, wollte die Republik sich nun mit uns versöhnen? Es konnte sich für mich nur um eine Falle handeln!

Ein Angriff war für Weihnachten geplant. General Charette überprüfte fast 3.000 Soldaten und die gesamte Kavallerie in einer Heerschau. Der Gachère-Park in der Nähe von Les Sables d’Olonnes wurde ins Visier genommen: seine Mauern umschlossen Munitionsreserven und wichtige Vorräte. Er ritt ein herrliches Rassepferd und trug einen langen, violett bestickten Mantel mit einem breiten Band aus weißer Seide um die Taille, das mit schwarzer Spitze umgarnt war. An seiner Seite hing ein goldenes Schwert. Mit seinen gelben Ledergamaschen und dem großen Hut im Stile Heinrich des Vierten, der von einer riesigen weißen Feder gekrönt war, erinnerte der Ritter an die Musketiere alter Zeiten. Er stachelte seine Männer mit gut gewählten Worten an und erregte ihre Wut. Er erinnerte sie an ihren Treueeid an Gott und den König und an die Ehre, für unsere hehren Ideale zu kämpfen. An der Spitze seiner Kavallerie stand er kurz davor, das Lager zu verlassen, als eine Kutsche angeholpert kam, die von Hyacinthe de la Robrie und seinen Reitern begleitet wurde.

Das brüchige Gefährt kam in der Nähe der Avantgarde zum Stehen, zu der meine Reiter und ich gehörten. Ein Herr, dessen Gesichtszüge mir bekannt vorkamen, stieg aus und kam hoch erhobenen Hauptes auf den General zu. Erst sein markanter Tenor liess mich den Freund meines Vaters erkennen, der einst an den Fuchsjagden auf der Cartrie teilgenommen hatte, Louis Bureau-Batardiere. Wie meine verblichenen Vorfahren hatte der Magistrat vormals als Rat der Rechnungskammer der Bretagne fungiert. General de Charette stieg ab, ging auf ihn zu und die beiden Herren reichten sich die Hand. Sie tauschten leise ein paar Sätze aus, dann wandte sich der Chef an seine Offiziere und kündigte an:

„M. de Couetus, Sie werden den Angriff in meinem Namen führen; ich werde später zu Ihnen stoßen, wenn die Umstände es zulassen. Monsieur de Fleuriot, Sie rahmen den linken Flügel ein. Halten Sie sich strikt an die erhaltenen Anweisungen. Bereit zum Abmarsch!“

Charette ging zu seinem Pferd zurück, saß auf und rückte an die Spitze der Divisionen vor, die er bis zur Straßenecke begleitete, um die vorbeiziehenden Truppen zu salutieren. Die Männer schwangen ihre Waffen und riefen:

„Lang lebe der König! Es lebe General Charette!“ Die meisten von ihnen hatten die Befehle, die der Anführer gerade ausgesprochen hatte, nicht gehört und paradierten mit geschwellter Brust unter seinen Augen vorbei.

Mit einer auffordenden Geste bedeutete er mir, näher zu kommen, denn ich wartete mit meinen Reitern und Madame du Fief darauf, mich hinter Couetus’ Kavallerie einzureihen. Die mutige Kriegerin, die meine Vertraute war, nahm an allen Kämpfen teil, um ihr Kind zu rächen, das von den Patrioten in ihrer Gegenwart getötet worden war; sie hatte mir die Einzelheiten dieser schrecklichen Szene anvertraut, mit denen ich den Leser lieber verschonen möchte. Charette kam auf uns zu, stieg von seinem Ross, das vor Ungeduld piaffte und befahl: „Meine Damen, Ihre Anwesenheit im Hauptquartier wird erforderlich sein, denn ich muss dringend abreisen. Ich bevorzuge, Sie in Belleville zu wissen, deshalb werden Sie nicht in diese Schlacht ziehen. Die Umstände verpflichten mich, Sie mit anderen wichtigen Missionen zu betrauen; wenn Sie mir bitte diskret folgen würden!“

Madame du Fief und ich tauschten überraschte, wenig begeisterte Blicke aus, bevor ihre Aufmerksamkeit sich auf den vorübermarschierenden Luc zog. Er verließ die Soldatenschlange, um auf unserer Höhe anzuhalten. Er saß auf einem eleganten, braunen Wallach, nickte uns beiden zu und hob lächelnd seine behandschuhte Hand auf das heilige Emblem, das sein Herz bedeckte. Mir blieb nichts anderes übrig als ihm den Befehl der Jäger zu übertragen, wie es der Generaloberst verlangt hatte.

„Zu Befehl, Madame“, antwortete er, warf einen anerkennenden Blick auf meine Freundin und eilte zu unseren Reitern.

Charette hatte befohlen, ihm unauffällig zu folgen, doch wie wir dies angesichts der gegenwärtigen Verhältnisse bewerkstelligen sollten, hatte er nicht gesagt. Vor den langen Reihen Soldaten folgten alle Blicke seiner weißen Hutfeder, die sich über der Menge wölbte; es war ein Ding der Unmöglichkeit. Als er sein Pferd einem Stallburschen übergab, sah ich M. Bureau vor den Toren des Königspalastes stehen. Der Jurist hatte mich nicht erkannt, unser letztes Treffen ging auf die Beerdigung meines Vaters zurück und war zwanzig Jahre her. Bevor er auf ihn zuging, sprach Charette zu uns:

„Meine werten Damen, ich wünsche Ihnen, dass Sie über das, was ich Ihnen zu sagen habe, absolute Diskretion walten lassen. Meine Schwester erwartet mich mit einer Vertrauten, die gute Beziehungen zu den neuen Vertretern der Nation hat, in zwei Meilen Entfernung. Ich muss diese Person so bald wie möglich treffen. Sollte uns die Republik wirklich einen Waffenstillstand anbieten, könnten wir dessen Bedingungen diktieren, und die Vertraute meiner Schwester könnte als Vermittlerin bei den Verhandlungen auftreten, wodurch wir Zeit gewännen.“ Der Feldherr blickte uns mit gewinnendem Lächeln an, in Erwartung unserer Reaktionen.

Ich wusste nicht, was ich davon halten sollte. Madame du Fief, die sich in ihrem Nerz vermummt hatte und noch immer bis an die Zähne bewaffnet war, erwiderte knapp: „Wenn Sie gestatten, Herr General, ziehe ich es vor, mich zurückzuziehen, denn wenn ich meinen Gedanken freien Lauf lassen würde, wäre ich imstande, Ihren Gast zu beleidigen. Der einzige Vorschlag, den ich den Vertretern der Nation zu machen habe, lässt sich im Prinzip auf eine gut gezielte Kugel reduzieren!“

Charette wich einen Schritt vor dem Reitstock zurück, den sie bei diesen Worten energisch schwang, ich aber kämpfte mit dem geheimen Wunsch, sie dafür zu umarmen, dass sie mir aus dem Herzen gesprochen hatte! Der General starrte sie einen Augenblick düster an und suchte nach passenden Worten, dann zuckte er mit den Schultern, ohne auf weitere Erklärungen zu bestehen. Der unschlüssige Monsieur Bureau hatte sich uns langsam genähert und Chevalier Charette sah mich voller Zuneigung und Dringlichkeit an. Als ich mein Pferd zur Straße umwandte, hörte ich mich sagen:

„Machen Sie das Beste daraus, Herr General! Meine Empfehlung an Ihr Fräulein Schwester.“ Wir schritten davon, ohne den ehemaligen Rat des Königs, der so blitzartig den Siegelring der Lilienblume gegen die Jakobinerkappe einge-tauscht hatte, eines Lächelns zu würdigen. Frieden…? Wir glaubten nicht für eine Sekunde an ihn.

Wie sollten wir an den Frieden glauben, ohne uns vorstellen zu können, unter welchen Bedingungen wir ihn erlangen könnten? Ich gebe zu, dass ich starke Zweifel am Erfolg der Verhandlungen hegte, denn das Unrecht war angerichtet, die widerspenstigen Priester deportiert oder, schlimmer noch, hingerichtet, unser Volk dezimiert, unsere Kirchen entweiht worden. Mann hatte sich sogar an den hundertjährigen Bäumen des Grasla-Waldes vergriffen, deren geschwärzte Äste wie Kruzifixe in den Himmel zeigten. Das also waren die Gesetze des Krieges? Alles niederwälzen und als nächstes Friedensangebote machen?

Ich stellte mir an diesem Tag viele Fragen und beobachtete den grauen Himmel durch die staubigen Fenster meines bescheidenen Zimmers. Dabei durchfuhr mich ein merkwürdiger Gedanke: ich sass auf einem fremden Sessel im Haus eines Unbekannten: seine Familie war, wie wir, aus ihrem Heim vertrieben worden, war womöglich von Räubern bedroht worden – war nicht alles nur eine Frage des Standpunktes? Im Grunde hatte mich das Verhalten unseres Generals genauso tief enttäuscht wie Madame du Fief. Er hatte in einer Stimmungsschwankung seine Soldaten ihrem Schicksal überlassen, anstatt sie in die Schlacht zu führen. Und ich verstand nicht, warum er es für nötig befunden hatte, uns im Lager aufzuhalten. Ich bereute es, nicht an der Spitze meiner Soldaten kämpfen zu können. Um ehrlich zu sein, verspürte ich einen unbändigen Zorn – manchmal hindern uns heftige Gefühle daran, die Dinge so zu sehen, wie sie sind!

Unsere Männer kamen mit leeren Händen wieder, die Bauern kehrten in ihre Dörfer zurück. Der General traf bei Einbruch der Dunkelheit ein, in Begleitung seiner Schwester, was mir besondere Freude bereitete, denn ich hatte sie vermisst. Anne-Marie war eine liebenswerte, großzügige Person von seltener Güte. Am selben Abend klopfte der General mit Anne-Marie an unsere Tür, um uns von seinen Plänen in Kenntnis zu setzen. „Meine werten Damen, hören Sie: Ich bin nicht etwa seit heute Morgen Republikaner geworden, aber ich halte es momentan für angebracht, mit den Abgesandten der Nation zu verhandeln, und will Ihnen sagen, aus welchem Grund. Zum ersten mal kommen konventionelle Soldaten mit weißer Fahne auf uns zu und richten sich an mich. Geben wir ihnen zumindest das Wort, um zu wissen, was sie vorzuschlagen haben.“

Er hielt inne und sah abwechselnd von Madame du Fief zu mir. Dann fuhr er mit einem komplizenhaften Lächeln auf den Lippen fort: „Ich will Ihnen ein Geheimnis verraten, das Sie bitte für sich behalten mögen. Ich setze einem Waffenstillstand den Austausch des jungen Königs voraus. Die Verhandlungen können uns nur nützlich sein, da wir die Bedingungen festlegen. Ich spreche von einer freien Vendee, die ihre eigene Wache und eigene Gerichte bilden wird und die, sobald das Königskind ausgeliefert ist, genug Gewicht haben wird, um alle unzufriedenen Menschen der Nation zu überzeugen, sich unserem Kampf anzuschließen – Sie wissen, dass diese zahlreich sind. Wenn Seine Majestät, Louis XVII, erst unter dem Schutz der alten Ritter Frankreichs steht, werden wir den Sansculotten und Jakobinern zeigen, dass Sie sich mit der Wiederherstellung der Monarchie befassen müssen!. Aber für den Augenblick..“, und er legte seinen Zeigefinger auf den Mund, „still! Wir sind offen für Vorschläge, das ist alles, was ich versprach. Es wird Anfang des Jahres ein Treffen geben, M. de Bruc wird mit Abgesandten der Armeen des Zentrums und des Anjous daran teilnehmen. Die Anführer der katholischen, königlichen Armee werden nicht in die Höhle der Wölfe eintreten, seien Sie beruhigt. Aber es ist möglich, dass die Amnestie wirklich allen, sogar den Generälen, gewährt wird. Außerdem werden wir die Erstattung von Kriegsschäden und die Rückgabe des Privateigentums verlangen. Ich möchte Sie daher dringlichst bitten, über all diese Elemente nachzudenken und insbesondere über Ihre persönliche Lage. Ausnahmsweise bitte ich Sie, Ihnen selbst den Vorrang zu geben, noch bevor Sie über unsere gemeinsame Sache meditieren. Ich weiß, welch bedeutenden Platz diese in Ihren Herzen einnimmt und war immer stolz auf meine teuren Amazonen! Es liegt mir sehr an Ihnen, meine Damen, und ich wollte deshalb sicher sein, Sie bei meiner Rückkehr anzutreffen. Ich habe in diesem Krieg so viele liebe Freunde verloren, so viele Mitglieder unserer grossen Familie sind gefallen, dass mir der Verlust einer von Euch beiden unerträglich erscheint. Wir haben kaum noch Munition und unsere Soldaten sind heute gezwungen, mit blanker Waffe zu kämpfen, ich wollte Sie nicht in dieses Gemetzel schicken, denn sie gehören zu den tapfersten meiner Soldaten…“, und mit einem Zwinkern in meine Richtung beeilte er sich, hinzuzufügen:

„…ganz zu schweigen von meinen Offizieren!“

Ich lächelte, ein wenig ungeschickt unter dem strengen Blick Madame de Fiefs, unfähig, eine angemessene Antwort zu finden, und er fuhr fort: „Sie werden mich entschuldigen, werte Damen, ich muss zu meinen Kameraden zurückkehren. Lassen sie uns morgen Abend darüber reden, ich lade Sie ein, die guten Neuigkeiten morgen Abend im Schloss Jariette zu feiern.“ Und schon war er auf den Beinen und beugte sich galant über unsere zugestreckten Hände, um sie zu küssen. Wir hörten seine entschlossenen Schritte, unter denen die Bodenplanken vibrierten, gefolgt vom Rasseln der Sporen, die er an den Stiefeln behalten hatte. Anne-Marie hatte die Vertraulichkeiten ihres Bruders mit einer Mischung aus Überraschung und Wohlwollen verfolgt, und erläuterte ausführlich das Treffen mit Madame Gasnier im Chateau de la Roche-Boulogne. M. de Charette hatte Bureau die Bedingungen für die Befriedung unseres verwundeten Landes vorgelegt. Wir saßen noch lange vor dem Kaminfeuer und ich erfuhr aus Mademoiselle de Charettes Mund, dass der Freund meines verstorbenen Vaters, Monsieur Bureau, nicht den geringsten Posten in den Instanzen der Republik innehatte, ganz im Gegenteil! Er war wie so viele entbehrungsreiche Adlige in das Land der Loire gewandert, um bei Freunden in Nantes Zuflucht zu finden. Erst als er von der Amnestie erfuhr, entschied er sich, freiwillig auf die Vertreter von Canclaux zuzugehen, um sich als Botschafter des Friedens einzusetzen. Wir hörten ebenfalls interessante Einzelheiten über Madame Gasnier: sie war eine üppige, schöne Kreolin, Witwe eines mächtigen Pflanzers in Gouadeloupe, wo sie sich durch ihre vielen Werke der Nächstenliebe einen guten Ruf erworben hatte. Wir kosteten mit kindlicher Freude von dem Konfekt, das Anne-Marie aus Nantes mitgebracht hatte. Aber ich konnte in den Zügen meiner Freundin auch die Schatten sehen, die ihre schreckliche Erfahrung, der Freiheit beraubt zu sein, in ihr Antlitz gegraben hatte.

Wer noch nie eingesperrt wurde, kann sich die seltsame Verwirrung des Gefangenen nicht vorstellen, die ihn in eine Mischung von rasender Wut, Ohnmacht und des Verlusts jeglicher Hoffnungen stürzt. Die Befürchtung, dem Wahnsinn ausgesetzt zu sein, schwebt ständig über den Häftlingen. Hinzu kommen die Schuldgefühle gegenüber Verwandten, die Schamgefühle, Gewissensbisse, Selbstverleugnung. Doch es gibt keine Worte, die mächtig genug wären, den Eindruck zu beschreiben, unterdrückt, kontrolliert und verunglimpft zu werden, der schwer wie ein Joch auf den Schultern des Gefangenen lastet…


Wer hätte das gedacht? Die Friedensverhandlungen werden vom General persönlich geführt, oder, um im Jargon der Militärs der Nation zu sprechen, vom großen Briganten selbst. Kein einziger der blauen Generäle nennt ihn noch so! Nach zwei ersten Treffen mit seinem Vertreter und dem Sapinauds wird die Zusammenkunft auf den 11. Februar 1795 beraumt.

Parallel dazu korrespondierte der General noch immer mit den Bourbonen. Der Comte d’Artois hatte sich bereit erklärt, sich mit einem Geschwader englischer Schiffe zur Küste der Vendee zu begeben. General de Charette berief alle Kapitäne der Pfarreien zu einer großen Versammlung ein, in der er seinen Plan vortrug, um alle Gerüchte im Sand zu ersticken. Die meisten der Offiziere plädierten für den Waffenstillstand: die Männer waren des Kampfes müde. Wir waren erschöpft, die Preise für Nahrungsmittel, Feuerholz oder Eisenwaren waren drastisch angestiegen. Die Bauern sehnten sich danach, zu ihren Pflügen zurückzukehren und die Noblen träumten davon, ihre Häuser aufzusuchen; jeder hoffte auf seine Weise auf ein leichteres Leben, auf ein Dasein, das nicht mehr von der Angst beherrscht wurde, wieder verjagt zu werden.

Der General stellte eine Liste der Forderungen der Bevölkerung der Vendee auf. Religionsfreiheit stand an erster Stelle, die Freilassung der Gefangenen, die Rückkehr unserer guten Priester und der Emigranten in ihre Ländereien, die Herausgabe des beschlagnahmten Eigentums und die Übernahme der vielen Kriegsschäden zur Wiederherstellung der Wind- und Wassermühlen. Ich stand mit Madame du Fief, den jungen Damen und einigen Pfarreikapitänen im Hintergrund der öffentlichen Sitzung, und verfolgte neugierig die Forderungen der Landbevölkerung.

Nachdem ich lange über die ungewisse Zukunft meiner Mannschaft gebrütet hatte, beschloss ich, mich meinen Soldaten anzuvertrauen, die mir eifrig und treu gedient hatten. Ich versammelte am nächsten Tag meine Jäger um den großen, runden Tisch der Offiziersmesse. Ich hatte nach wie vor sehr viel weniger Vertrauen in die Friedensverhandlungen als der Ritter Charette, aber falls es meine Soldaten bevorzugten, ihre Waffen niederzulegen und ein neues Leben zu beginnen, hatten sie die freie Wahl, auf die ich sie bei dieser Gelegenheit aufmerksam machte. Doch keiner von ihnen wollte die Truppe verlassen!


*„Aber Herr General, mit Verlaub, Sie müssen mit dem Lieferanten der Gerbereien des Anjou verhandeln. Er will, dass Sie das bestellte Büffelleder bezahlen, aber er weigert sich, unsere Assignaten anzunehmen und verlangt Papiergeld!“

* Louis d’Or – Goldmünzen des „Ancien Régime“ (der Monarchie)

** das Original der 1792 erschienenen Veröffentlichung von Olympe de Gouges hieß „Le Couvent“

* aus dem Französischen übersetztes Sprichwort: „Les absents ont toujours tort“

Celeste

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