Читать книгу Der letzte Monarch - Simone Lilly - Страница 1

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 1.

„Bitte, gehen wir lieber wieder zurück.“

„Unsinn!“, barsch brachte er den spärlich gebauten Jungen, der ihn bei jedem seiner Ausritte begleitete, zum Schweigen.

„Gibt es Probleme, Eure Majestät?“

Lügend schüttelte Louis den Kopf, warf dem Stallburschen noch einen warnenden Blick entgegen und folgte einigen anderen Männern die lange Gasse entlang.

Der Weg von Versailles nach Paris war nicht sonderlich lang. Mit einer schweren Kutsche, vielen Pferden und Gefolgsleute, die einem auf Schritt und Tritt begleiteten, wurde er aber zu einer sich endlos hinziehenden Qual, einem Pfad, der niemals enden wollte. Genau aus diesem Grund sagte Louis beinahe niemandem im Schloss, wohin er wollte. Hatte er Lust auszureiten, aus dem Gefängnis an Festlichkeiten und Regeln zu entkommen, so unterrichtete er nur Dámien davon. Zwar hatte er keine tiefere Bindung zu ihm. Er war arm und stammte seines Wissens nach von einer einfachen Bauersfamilie ab. Doch Dámien war nett, nett unterwürfig und verschwiegen. Der Junge von achtzehn Jahren hatte erst vergangenen Sommer zu ihnen gefunden, dort seine Arbeit verrichtet. Da Louis es liebte, sich sämtlichem Einflusses zu entziehen, hatte er schnell die undankbare Aufgabe übernommen den jungen Prinzen wann immer es nötig war und wann immer er es ihm befahl, zu decken. Niemandem zu sagen, dass er sich sein Pferd ausgeliehen hatte, damit ausritt. Schon wenige Monate später, als die Winterfeierlichkeiten in der pariser Innenstadt ihren Lauf nahmen, hatte Louis es als sehr hilfreich empfunden, Dámien auch persönlich zu seinen Vorhaben mitzunehmen. Damals war Louis dermaßen betrunken gewesen, dass er, wäre er alleine gewesen, den Weg sicherlich nicht hätte nachhause zurückfinden können. Räuber lauerten überall, ein wehrloser, betrunkener Prinz von Frankreich stellte mit Sicherheit eine willkommene Beute dar.

Die Gasse wurde enger, mieser Gestank stieg in seine Nase und Louis musste sich die kräftige und mit goldenen Ringen besetzte Hand davor halten. Jeder der Jungen bemerkte es. Doch sie sagten nichts. Obwohl er sich so gut wie jede Woche mit ihnen traf, ein einfaches Münzspiel spielte, dabei wettete, hatten sie immer noch gebührenden Respekt vor ihm. Etwas, das sich auch gehörte.

Dámien war blass geworden, es schien, als wäre er plötzlich erkrankt, als müsste er sich übergeben, einfach nach vorne beugen und unheilverkündend würgen. Was möglicherweise auch der Fall war. „Ist alles in Ordnung?“

Dámien nickte kurz angebunden, wischte sich die schwarzen Haare aus dem Gesicht und biss sich auf die Lippen. „Louis? Ich würde aber wirklich gerne wieder gehen.“, jammernd beschleunigte er seinen Schritt, um ihm und den anderen hinterherzukommen, durch den Spalt zweier modernder Häuser schlüpfte und eine kleine Treppe, die er stolpernd übersehen hatte, hinuntersprang. „I … ich finde nicht, dass Sie weiterwetten sollten, heute abend ist auch die Feier …“

„Jaja.“, nichtssagend winkte er ab. Die Feier seines Vaters war ihm egal. Ziemlich egal. Er hatte Geburtstag. Na und? Er hatte schließlich jedes Jahr Geburtstag. Warum sich also extra um diesen Tag sorgen? Wo noch so viele weitere kommen würden.

Gérard, ein kleiner, schlaksiger Junge, etwa in seinem Alter, rollte ein kleines Fass, das immer, tag ein tag aus an genau derselben Wand eines Hauses lehnte, an sie heran, setzte sich darauf und schlug die Beinde übereinander. Er hatte sich lange nicht mehr rasiert, wirkte ungepflegt und rüpelhaft. Doch Louis mochte ihn, lediglich sein Name, jagte ihm einen Schauer über den Rücken. Jemand mit derartigem Aussehen, mit derartigem Auftreten wagte es sich Gérard zu schimpfen?

„Kanns‘ losgehen?“, fragte Gérard herausfordernd, rümpfte die Nase und legte seine Finger auf die fettigen blonden Haare, welche schon eher wie braune aussahen.

Bestimmt nickte Louis. Klar konnte es losgehen. Um was wetteten sie überhaupt?

Gérard wies einen anderen, noch viel kleineren Jungen – zufällig wusste Louis, dass es sein zwöfljähriger kleiner Bruder war – an, sich hinzuknien, überreichte ihm eine Münze, die er sorgfälltig auf den dreckigen, gepflasterten Boden legte.

„Zahl?“

„Kopf“, hielt Louis streng dagegen und klatschte in die Hände. Wie sehr er dieses Spiel nur liebte. Es machte ihm Spaß, andere verlieren zu sehen, machte ihm allerdings nichts aus, etwas an die viel ärmeren Männer geben zu müssen. Immerhin hatte er von allem genug.

„Bist du dir sicher?“

Ab und an durfte Dámien ihn duzen. Er war ihm ein richtiger Freund geworden, auch wenn Louis mit dem Wort „Freund“ mehr als vorsichtig umging, denn er kannte es nicht, wollte es eigentlich auch nicht kennenlernen. Aber er mochte Dámien. Mochte seine unbekümmerte Art, seine tollpatschige Ausdrucksweise, wenn manchmal Louis‘ Vater ein Pferd verlange und er ihm gegenüberstehen musste. Wann immer das geschah, schaffte er es nur unverständliches Gemurmel von sich zu geben, wurde hibbelig und kreidebleich. Louis genoss diesen Moment, genoss den Einfluss, den er auf Dámien ausüben konnte.

Die schillernde Münze drehte sich, wirbelte zwischen den schmutzigen und schwarz umrandeten Fingernägel umher, schnellte immer wieder um dessen eigene Achse, wurde schneller und verschwommener. Ihr Atem stockte.

„Aus dem Weg …“ Ein betrunkener Mann rumpelte aus einem der engen Hauseingänge heraus, spie ungelenk auf die Straße, wischte sich kurz über den Mund und taumelte an ihnen vorüber. „Weg‘ da.“, schrie er matt und presste Louis eng an die kalte Wand hinter ihm. Sie stank streng nach Urin und ihm wurde übel. Der Mann erkannte ihn nicht, ging einfach weiter und fiel dann gebrechlich in sich zusammen. Hier draußen, wenn er sich nach Paris begab, verzichtete er auf seine königliche Robe, hier brauchte er sie nicht. Hier wäre es Selbstmord, sich zu erkennen zu geben.

Louis‘ Finger zogen sich zusammen, verkrampften sich und ihm wurde hieß. Das angelaufene Metall der Münze begann zu wackeln, sie turdelte, schlug immer weitere Kreise.

Komm‘ schon, fall um … fall um … , seine Gedanken verstummten, sein Flehen blieb ungehört. Alle starrten auf die Erde. Eine laute Kutsche fuhr an der Hauptstraße neben ihnen vorüber, die Straßen vibrierten von den schweren Pferdehufen. Es war ihnen egal. Gérards‘ kleiner Bruder war aufgesprungen, schlug die Hände über dem Kopf zusammen und wollte seinem großen Bruder gratulieren. „Zahl. Es ist Zahl.“

Alle lachten. Auch Louis. Er hatte verloren, was machte es ihm? Nichts. Sportlich kam er auf seinen Rivalen zu und reichte ihm die Hand. „Was willst du?“

Kurz überlegte Gérard, begann dann zu lächeln und deutete dann auf das Ende der Gasse, von welchem sie gekommen waren. „Euer Pferd?“

Louis stutzte. Das war gar nicht seine Art, sonst verlangte er nur Geld oder Schmuck von ihm. Etwas Gewinnbringendes.

„Na gut. Mein Pferd?“

„Hm.“, leise räuspernd rückte Dámien näher an ihn heran, wagte es aber noch nicht ihn zu berühren.

„Was ist denn?“ Aus seinen bisherigen Erfahrungen wusste Louis, dass es durchaus ratsam war, auf seinen Stallburschen zu hören, auch wenn er das nicht gerne zugeben wollte.

Verlegen kratzte Dámien sich am rabenschwarzen Hinterkopf. „Das ist eines der Kutschenpferde Ihres Vaters, des Königs. Ich würde … es nicht raten, genau dieses weiterzugeben.“

Überlegend verschränkte er die Arme. „Rede weiter.“

„ … ich würde eher vorschlagen, ein anderes, „normales“ zu nehmen.“

„Kein Anderes.“, brach Gérard unsanft zwischen ihr Gespräch, betrachtete abschätzend seine fauligen Nägel und rutschte ungalangt vom modrigen Fass. „Dieses, kein anderes. Ihr wollt doch Eure Wette einhalten, nicht wahr?“

Gérard besaß ein großes Mundwerk, für die Art und Weise wie er mit ihm sprach, konnte Louis ihn mit Leichtigkeit verhaften lassen, doch er verzichtete darauf. Er war ein Ehrenmann, hielt sein Versprechen. Sich des Zorns seines Vaters sicher, nickte er in Dámiens Richtung. „Hole das Pferd.“

Der letzte Monarch

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