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Ben riss die Waffe hoch und zielte in Richtung der Augen.

In dem Moment, als sich der Zeigefinger um den Abzug krümmte, erkannte er, dass die Augen vor dem Fenster keine Gefahr bedeuteten. Er befand sich schätzungsweise zweihundertfünfzig Meter über dem Flussbecken. Außer einem Vogel konnte da draußen niemand sein.

Er nahm die Beretta wieder runter und entspannte sich.

Auf der anderen Seite der Glasscheibe flog ein Rabe, dessen Federkleid feucht glitzerte.

Das Vieh starrte ihm direkt in die Augen. Wie ein Helikopter schwebte es auf der Stelle.

Ben hatte nie daran geglaubt, dass Tiere eine Seele oder gar Intelligenz besaßen. Für ihn waren sie nichts anderes als Fleisch.

Aber in den Augen des Raben lag etwas Forschendes, Neugieriges. Etwas Wissendes.

Er glotzte Ben mit den schwarzen Knöpfen an. Der Blick schien Ben zu durchdringen, stach direkt in seine Seele und entblößte ihn auf einer tieferen Ebene, die ein menschlicher Geist nicht wahrzunehmen vermag.

Ben fühlte sich, als hätte man ihm einen Kübel Eiswasser ins Hemd geschüttet.

Was hatte das zu bedeuten?

Plötzlich flatterte ein zweiter Rabe heran. Nebeneinander schwebten sie vor dem Fenster und beobachteten ihn.

Ben machte einen Schritt zurück.

Da drehten die Vögel plötzlich ab, einer nach links, einer nach rechts - wie Kampfjets - und verschwanden in der Nacht.

Ben trat wieder an das Glas heran. Nichts.

Die Tiere waren weg. Waren sie überhaupt da gewesen?

Wieder gingen ein paar Lichter in der Stadt aus. Ein Riss in der Wolkendecke schloss sich und plötzlich wurde es verdammt dunkel. Nur ein paar weit entfernte Fenster und Straßenlaternen glommen noch in nebligen Dunst der Nacht.

Ben hielt den Atem an. Seine Hoden kribbelten.

Das taten sie immer, wenn Gefahr drohte.

Als Marvin bereits in seinem Zimmer auf dem Bett hockte und in von Ketamin geschwängerten Träumen weilte, fuhr Familie König unter die Schlei.

Von der Landstraße bog eine Abfahrt direkt in den Tower-Tunnel ab, der unterhalb des Flusses auf die gegenüberliegende Landseite führte und dabei auf halber Strecke das unterirdische Eingangsportal und das Parkdeck des Hotels passierte.

In einem Moment prasselte der Regen noch laut und dumpf auf das Wagendach, im nächsten herrschte plötzlich Stille und sie fuhren durch eine hell erleuchtete Röhre. Sie erreichten eine Abfahrt, die sie in einer Kurve noch tiefer hinabführte.

Sandras Blick huschte zwischen den Schildern im Parkhaus und dem Zettel auf ihrem Schoß hin und her. »Wir müssen auf Deck B, Parkplatz 345.«

»Weiß ich doch, Liebes.« Kai würgte die Worte hervor, aber was er dachte, war: Habe ich mir den Mann nur eingebildet? Verliere ich den Verstand?

Er hatte bei der Urlaubsplanung nichts dem Zufall überlassen, sodass er trotz der Panik nicht den Überblick verlor. Der hoteleigene Stellplatz kostete zwar täglich zwanzig Euro zusätzlich, aber das war es ihm wert gewesen, nicht jeden Tag in der Stadt nach einem Parkplatz suchen zu müssen, um dann auf den Shuttle-Verkehr zum Hotel angewiesen zu sein.

»Da vorne«, sagte er und bog in die Parklücke.

Kurze Zeit später marschierte Familie König über das Parkdeck auf den Fahrstuhl zu und fuhr schließlich ins Erdgeschoss hinauf.

Lautlos glitten die Fahrstuhltüren auseinander und entließen sie ins kreisrunde Foyer.

»Wow«, staunten die Kinder zeitgleich.

Selbst Sandra entglitt ein leiser Pfiff des Erstaunens.

Einzig Kai interessierte sich nicht im Geringsten für die Umgebung. Kann es sein, dass ich wirklich jemanden umgebracht habe?, fragte er sich, während ihm Magensäure die Speiseröhre hinaufstieg. Vielleicht habe ich mir nicht den Mann auf der Straße eingebildet, sondern dass das Auto unversehrt ist und niemand auf der Straße lag.

In der Mitte der Eingangshalle thronte ein Aquarium, das einer Säule gleich dem Boden entwuchs und an die fünf Meter hohe Decke stieß. Im Inneren schwebten Fische und glotzten durch das Glas, kleinere huschten nervös hin und her; wieder andere hatten sich zu einem Schwarm gruppiert und segelten gemeinsam über den Sandboden hinweg, während aus den Nischen eines Steinhaufens in der Beckenmitte vereinzelte Flossen und Fischmünder herauslugten. Pflanzen wogten in der Strömung und Luftblasen schillerten innen über das Glas.

Von dem Anblick angezogen steuerten die beiden Kinder darauf zu.

Kai stand reglos da. Erst, als die Hand seiner Frau in seine glitt und ihn sanft in Richtung Rezeptionstresen zog, setzte er sich in Bewegung.

Die Kinder hatten nur Augen für das Wasserbecken. Kai hatte den Blick auf sein erschüttertes Innenleben gerichtet. Und Sandra war voll damit beschäftigt, alles zusammenzuhalten und den Gedanken an den Mann auf der Straße zu verdrängen, von dem sie sich nicht sicher war, ob sie ihn tatsächlich überfahren hatten. Sie hatte gesehen, wie sie mitten in ihn hineinfuhren. Aber da hätte doch ein Aufprall sein müssen, oder?

So bemerkte auch sie die beiden Raben nicht, die über ihren Köpfen auf einem Fahnenmast hockten und sie beobachteten.

Die Rezeptionistin hatte Ränder unter den Augen. Sie kämpfte offensichtlich gegen die Müdigkeit an und würde diesen Kampf auch bald verlieren, da die Kaffeemaschine im Personalraum mal wieder defekt war. Selbst wenn sie die schwarzen Vögel gesehen hätte - sie würde eher an der Realität zweifeln als an ihrem Urteilsvermögen.

Und so bohrten sich die Krallen der Raben in das Holz des Mastes, an dem die blau-weiß-rote Landesflagge Schleswig-Holsteins herab hing.

Die kleinen, schwarzen Äuglein musterten Familie König und die Hotelangestellte, nahmen das Aquarium ins Visier und betrachteten schließlich die Fahrstuhltüren.

Es heißt, Raben seien schlaue Tiere. Schlauer als Affen, wenn auch nicht so clever wie Menschen.

Aber dies waren keine gewöhnlichen Raben. Es waren Kundschafter einer göttlichen Existenz, Vorboten eines Ereignisses, das die Weltordnung auf den Kopf stellen sollte.

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