Читать книгу Populismus, Hegemonie, Globalisierung - Stuart Hall - Страница 5

Vorwort

Оглавление

Der Anspruch, theoretische Arbeit mit politischem Eingreifen zu verbinden, lag nicht nur dem Selbstverständnis der frühen Cultural Studies zugrunde, deren Pionierphase eng mit der Entwicklung der britischen New Left verbunden war, sondern auch der Arbeit am 1964 gegründeten, legendären Birmingham Centre for Contemporary Cultural Studies, dem Stuart Hall ab 1968 elf Jahre lang vorstand. Auch der vorliegende fünfte Band der Ausgewählten Schriften Halls trägt dem »politischen Anliegen intellektueller Arbeit« (Hall 1999: 16) Rechnung und ist demnach geprägt von einer Theoriebildung, die im Befreiungsinteresse sich stets politisch eingreifend versteht. Stuart Hall selbst hat wiederholt davon berichtet, wie ganz unmittelbar versucht wurde, »innerhalb der Cultural Studies eine institutionelle Praxis zu entwickeln, die organische Intellektuelle produzieren würde« (2000a: 41). Diese gramscianische Perspektive prägt nicht nur sein politisches Verständnis intellektueller Arbeit, sondern bekanntermaßen Halls ganzes Werk, das, anknüpfend an Gramscis »Erneuerung des Marxismus« (Hall 1989), Kulturanalyse als Gesellschaftsanalyse begreift und Fragen von Ökonomie und Ideologie, Identität und Alltag stets mit jener nach Macht verknüpft. Die hier versammelten Texte nun richten diese spezifische Perspektive auf Staat und Demokratie und gruppieren sich folgerichtig – auch dort, wo sein Name nicht fällt – um Antonio Gramscis Hegemoniekonzept.

Halls Texte zu Staat, Populismus und Globalisierung nehmen die zentralen Elemente und Wirkungsweisen von Hegemonie in den Blick, handeln somit von Herrschaft und Macht, Ideologie und Alltagsverstand, Repräsentation und Partizipation und setzen diese in Bezug zu den wesentlichen strategischen und institutionellen Akteuren in der Gesellschaft: Staat, Parteien, Intellektuelle, kulturelle Szenen usw. Die Arbeit Stuart Halls bewegt sich demnach bis in die Gegenwart nicht nur in »Hörweite des Marxismus« (Hall 2000a: 38), sondern macht sich – nachdem Hall schon vor Jahrzehnten neben Raymond Williams wesentlich zur Verbreitung Gramscis außerhalb Italiens beigetragen hat – auch um dem Nachweis verdient, dass das Hegemoniekonzept, sorgfältig angewendet, heute alles andere denn eine veraltete Kategorie ist. Wenn damit das Gerede von vorgeblich »posthegemonial« gewordenen Machtverhältnissen Lügen gestraft wird, wonach das Konzept lediglich »für eine bestimmte Epoche großen Wahrheitswert besessen hat«, die sich nun jedoch »ihrem Ende zuneigt« (Lash 2011: 96), stehen Halls Schriften gleichzeitig gegen post-strukturelle Verflachungen und Ideologisierungen und treten neu sich herausbildenden Herrschaftsverhältnissen und -weisen kritisch entgegen.

Damit lässt sich das Erbe der als ›politisches Theorieprojekt‹ angetretenen Cultural Studies mit Hall gegen seine Nachfolger verteidigen. Die hier zusammengestellten Texte verweisen anhand einer bis ins Jetzt reichenden Theoriegeschichte auf den heute minoritären Teil der Cultural Studies, der nicht wie ihr Mainstream »weitgehend in den Sog der neoliberalen Hegemonie geraten« ist (Ampuja/Koivisto 2012: 446). Sie nehmen das gesellschaftliche Ganze in den Blick, bringen »die gelebte Erfahrung von Individuen und sozialen Gruppen mit gesellschaftlichen Prozessen, Diskursen und Kämpfen in Zusammenhang« (ebenda) und analysieren deren Vermittlung. Die Kategorie der Hegemonie erweist sich für eine solche Analyse gesellschaftlicher Kämpfe und politischer Konjunkturen als unverzichtbares Instrument.

Die in diesem Band versammelten Texte wurden im Zeitraum zwischen 1980 und 2011 verfasst. Stuart Hall ist in seinen Analysen besonders an »historischen Differenzierungen« (siehe insbesondere Zur Deutung der Krise in diesem Band) interessiert. Mit der vorliegenden Textsammlung haben wir versucht, diesem Interesse in zweierlei Hinsicht Rechnung zu tragen. Zum einen bewegen sich die Texte im zeitlichen Maßstab von historischen Rekonstruktionen hin zu aktuelleren Entwicklungen. Erst die Kenntnis des Vergangenen legt die Spezifik des Neuen offen. Zum anderen sind sie in einer groben chronologischen Reihenfolge geordnet, die es möglich macht, die Entwicklung von Halls Forschungsarbeit nachzuvollziehen. In diesem Vorwort folgen wir nicht der Reihenfolge der Texte, sondern Halls analytischer Arbeitsweise, um herauszustellen, wie er bestimmte Themen und Positionen im Laufe der Zeit immer wieder aufgreift, kritisch umschreibt und erneuert fortschreibt; und wie er danach strebt, Zusammenhänge und Verknüpfungen zwischen seinen verschiedenen Analysen begründet und mit Nachdruck herzustellen.

Ein durchgehendes Anliegen ist die Analyse bestehender und sich verschiebender Kräfteverhältnisse, insbesondere in Perioden grundlegender Krisen bzw. bestimmter Konjunkturen. Auch wenn Krisen immer eine ökonomische Grundlage haben, interessiert Hall das komplexe Gefüge von ökonomischen und sozialen, politischen und kulturellen Verhältnissen und Wechselwirkungen, er fragt nach den darin wirkenden Institutionen und Akteuren, ihren herrschaftssichernden ideologischen oder herrschaftskritisch-emanzipatorischen Strategien und den sich dabei wandelnden Haltungen und Praxen. Ein Beispiel für eine umfassende Krisen- und Hegemonie-Analyse findet sich in Die Entstehung des repräsentativen/ interventionistischen Staates (1984). Hall rekonstruiert die Transformation politischer und industrieller Repräsentation im Zeitraum von 1880 bis 1920 im Kontext des Niedergangs spätviktorianischer Repräsentationsverhältnisse und der sich durchsetzenden Massendemokratie; hegemoniepolitisch ortet er in dieser Zeitspanne die erfolgreiche Durchsetzung der Interessen der popularen Klassen und Bewegungen und zugleich ihre kontrollierte Einpassung in eine neue ökonomische und gesellschaftliche Entwicklungsstufe. – In Die Stadt zwischen kosmopolitischen Versprechungen und multikulturellen Realitäten (2003) wird die Frage diskutiert, wie sich die neoliberalen Globalisierungs- und neueren Migrationsprozesse in der zeitgenössischen ›globalen/multikulturellen‹ Stadt aufeinander beziehen. Hall analysiert die Verschiebung der Kräfteverhältnisse am Beispiel der Stadt London und identifiziert die globale/multikulturelle Stadt als Möglichkeitsraum für »multikulturelle Diversität« und als »Übergangszone« zwischen »komplexen Interaktions- und Verteilungsmustern der Aktivitäten, Ressourcen und Haltungen«; zugleich sieht er aufgrund der sich vertiefenden ökonomischen, politischen und kulturellen Ungleichheiten und Trennungen potenziell explosivere Konflikte auftreten, die insbesondere durch einen ›differenziellen Rassismus‹ angetrieben werden. – In Eine permanente neoliberale Revolution (2011) legt Hall eine aktuelle Krisenanalyse vor: er blickt auf die spezifische britische Konstellation nach der Finanzmarktkrise, dem Ende von New Labour und dem Machtantritt einer Koalition aus Konservativen und Liberaldemokraten. Er schreibt dem derzeitigen Neoliberalismus die herrschaftsmächtige Fähigkeit zu, die Gesellschaft mittels einer ideologischen Arbeit der »Desartikulation und Reartikulation« zu transcodieren, gestützt durch »kulturelle Praxen der Inwertsetzung und des Individualismus« wie auch durch den Zugriff auf eine autoritäre Staatsgewalt und globale militärische Einsätze, um die Märkte und Investitionen zu schützen und die Erfolgsbedingungen für das globale kapitalistische Unternehmertum zu gewährleisten. – In Zur Deutung der Krise (2010) entfalten Stuart Hall und Doreen Massey den Hegemonie-Begriff, um damit historische und aktuelle Konjunkturen bzw. Krisenperioden, die Verknüpfung von ideologischen Strategien zur Eroberung des Alltagsverstandes sowie die bestehenden und sich verschiebenden Kräfteverhältnisse genauer zu verstehen.

Ein wiederkehrendes Untersuchungsfeld ist die Auseinandersetzung mit der Labour Party und New Labour. Ihre besondere Bedeutung erhält die Partei für Hall, weil sie einst die Repräsentation breiter popularer Klassen und Bewegungen im Staat ermöglicht und später ihre emanzipatorische Wirkungskraft im Dunst der Anpassung an Marktideologien und -politiken verloren hat. Während in Entstehung des repräsentativen/interventionistischen Staates der Aufstieg der Labour Party als organisatorische Kraft zu Beginn des 20. Jahrhunderts nachzuvollziehen ist, bietet die Krise der politischen Repräsentation seit den 1970er Jahren Anlass zu einer grundlegenden Kritik des »sozialdemokratischen Managements« der kapitalistischen Krise. In Popular-demokratischer oder autoritärer Populismus (1980) kontrastiert Hall den Hegemonieverlust sozialdemokratischer Regierungspolitiken und -diskurse mit den Strategien des aufsteigenden Thatcherismus. Dem Thatcherismus sei es gelungen, sich in der Phase einer sozioökonomischen Krise auf dem Feld der popularen Ideologien als reorganisierte Kraft darzustellen. Auf der Grundlage bereits existierender Law-und-Order-Politiken der herrschenden Sozialdemokratie artikulierte der Thatcherismus einen nach rechts gewendeten ›autoritären Populismus‹, der die traditionalistischen Elemente des Alltagsverstandes der Volksmoral zu aktivieren vermochte und einen Prozess der ›passiven Revolution‹ von unten konstituierte. – Die Regierungspolitik von New Labour in den 1990er Jahren, nach der neoliberalen Transformation von Gesellschaft und Ökonomie durch den Thatcherismus, ist Kern der Analyse in den Texten Bewegung ohne Ziel (1998), New Labours doppelte Kehrtwende (2003) und »Die soziale Frage soll nicht mehr gestellt werden« (2005). Halls Diskursanalysen durchforsten die Hegemonie der neoliberalen Doktrin in Sprache und Diskursen, in Haltungen der Labour-Politiker und ihrer spezifischen Regierungsweise, in Verwaltungsmodalitäten, Kampagnen und gesellschaftspolitischen Interventionen von New Labour. Die Durchsetzung der ›Modernisierung‹ von Staat, Gesellschaft und Politik im Sinne von New Labour wurde für Hall durch eine zwingende ›Transformation der Sozialdemokratie‹ ermöglicht, die durch semantische Beliebigkeit und (passive) Zustimmung zum ›Markt-Fundamentalismus‹ zugleich eine Deformation der Partei und des Alltagsverstands der Bevölkerung war. Die ideologische Kompetenz hierfür identifiziert er in der hybriden ideologischen Strategie von New Labour: die Propagierung der kapitalistischen Marktwirtschaft, gestützt durch das Anknüpfen an den thatcheristischen ›autoritäten Populismus‹, und die untergeordnete Berücksichtung der Interessen der traditionellen Parteiflügel und der sozial Benachteiligten in der Bevölkerung.

Der Staat ist für Stuart Hall ein zentraler, strategischer Akteur und zugleich ein komplexes, institutionelles Gefüge in hegemonialen Konstellationen und Krisen-Perioden: In Der strittige Staat (1984) rekonstruiert er die Herausbildung des ›liberal-demokratischen‹ Staates und geht dabei bis auf die Ursprünge der Herausbildung staatlicher Merkmale in der Antike zurück. Das Interesse bezieht sich auf den Einfluss bereits bestehender politischer, sozialer und kultureller Hegemoniemerkmale im Zuge der Durchsetzung einer kapitalistischen Ökonomie; und Hall ergänzt diese gramscianische Analyse um die grundlegende Bedeutung patriarchaler Geschlechterverhältnisse. Im Ringen um Hegemonie veränderten sich die Diskurse um die Legitimitätsform der Staatsgewalt genauso wie die um die Reichweite der demokratischen Partizipation der ›Staatsbürger‹. Hall geht hier auch auf den Einfluss der konkurrierenden liberalen, pluralistischen und marxistischen staatstheoretischen Ansätze ein, deren Entwicklungs- und Hegemoniefähigkeit sich an den empirisch stattfindenden Veränderungen ›des Staates‹ messen müssten.

Wissenschaftlich fundierte Positionierung und Kritik ist für Hall grundlegend für eine kritisch fortzuschreibende und zu erneuernde Begriffsbildung, aber auch für ein kritisch-eingreifendes gesellschaftspolitisches Engagement. Stuart Hall nutzt 1980 eine Rezension von Nicos Poulantzas’ Buch Staatstheorie, um dessen kritisch erneuerte Positionierungen in der Auseinandersetzung mit anderen theoretischen Ansätzen, mit historischen Materialanalysen und mit empirischen Untersuchungen sich verändernder Staatsformen zu prüfen. Hall würdigt die neuen Dimensionen in Poulantzas’ Begriffsbildung, die dieser aus der Auseinandersetzung mit Michel Foucault erarbeitet habe, kritisiert aber auch, dass er die theoretischen Probleme und Widersprüche, die sich aus der Kreuzung divergenter Theorieströmungen ergeben, nicht offen dargelegt und diskutiert habe. – In Die Bedeutung des autoritären Populismus für den Thatcherismus (1985) stellt sich Hall selbst der Kritik, und zwar jener, die Bob Jessop u. a. an seiner Begriffsbesetzung von ›autoritärer Populismus‹ geäußert haben. Hall nimmt diese Kritik an und nutzt sie offen, um seine Prämissen zu überdenken, seine politische Haltung zu reflektieren und neue Erkenntnisse für eine fortzuschreibende Begriffsbildung aufzunehmen. Er weist die Kritik aber auch zurück, indem er darlegt, dass einige wesentliche Argumente von Jessop u. a. theoretisch verkürzt, verfehlt oder überbewertet sind, was Hall dazu veranlasst, seine eigenen ideologie- und hegemonietheoretischen Argumentationen zum ›autoritären Populismus‹ bekräftigend darzulegen.

In dem Interview »Jeder muss ein bisschen aussehen wie ein Amerikaner« greift Stuart Hall sein zentrales Anliegen der Theoretisierung und Politisierung des Kulturellen wieder auf und äußert sich zur Bedeutung des Kulturellen fürs Verstehen der Gesellschaft (2007): Eine Analyse historischer und umbrechender ökonomischer und politischer Verhältnisse und der entsprechenden Veränderung der Haltungen und Praxen gesellschaftlicher Akteure ist ohne Einbeziehung des Kulturellen nicht zu denken, ebensowenig die Formulierung menschenwürdiger Lebensperspektiven und demokratischer Gestaltungsverhältnisse, die Gerechtigkeit und Diversität zusammendenken. Hall hebt insbesondere die Bedeutung des Imaginären für das Verstehen des subjektiven Alltagsverstandes und kollektiver Handlungsbegründungen heraus; und diskutiert die für ihn bedeutende Verknüpfung von Kultur bzw. von Cultural Studies und politischer Sujektivität, die durch den neoliberalen Konsumismus umgeformt, gar zersetzt werde.

Wir danken allen Übersetzerinnen und Übersetzern für ihre Beiträge, ohne die das Buch nicht zustande gekommen wäre. Für ihre Unterstützung bei der Planung und Umsetzung des fünften Bandes der Ausgewählten Schriften von Stuart Hall danken wir Thomas Barfuss und Ines Langemeyer.

Hamburg, Tampere und Wien, November 2013

Die Herausgeber

Populismus, Hegemonie, Globalisierung

Подняться наверх