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Kapitel 1

Geschichten von Jar Der Wanderer und die Krone

1 1. Die Begegnung

„Johanna, aufstehen.

Johanna öffnete verwirrt ihre Augen. Die Stimme ihrer Mutter klang leise aus der Küche zu ihr herüber. Das erste was sie roch, waren der Kaffee und die frischen Brötchen. So langsam spürte Johanna, wie sie wach wurde. Immer noch schlaftrunken, richtete sie ihren Oberkörper im Bett auf. Ein blonder Kurzhaarschopf spähte durch die Türöffnung in ihr Zimmer.

„Nun, was ist, du alte Schlafmütze? In einer Stunde kommt Tom und dann wollen wir los.

Johanna musste lächeln als sie an Tom dachte. Was war das für ein seltsames Jahr gewesen? Seitdem sie Tom kannten, hatte sich so viel in ihren Leben verändert. Nicht nur bei ihr, sondern ebenso bei ihrer Mutter Ricarda und ihrer kleinen Schwester Katja. Ihre Mutter ist 41 Jahre alt und sie selber wird in einem halben Jahr 19. Sie hat schwarze lange Haare und, wie sie immer wieder hört, ist sie eine wahre Schönheit. Etwas, was sie schon gar nicht mehr hören konnte. Ihre Mutter, ja, ihre Mutter ist wunderschön. Blonde kurze Haare, ein hübsches Gesicht mit wunderbaren blauen Augen, die immer wieder funkelten, wenn sie gerne und herzlich lachte. Johanna schmunzelte, denn sie selber, hatte ein grünes und ein braunes Auge.

Es fiel nur selten jemanden auf, aber Tom hatte es sofort bemerkt. Vor allem aber hatte ihre Mutter eine herrliche Figur. Die perfekte Bikinifigur, wie Johanna immer wieder bewundernd feststellen musste. Sie selbst fand, dass ihre Figur nicht so perfekt wie die ihrer Mutter war. Klar, auch sie hatte eine schöne Figur, aber Johanna fand sich selber nicht so perfekt. Sie fand immer etwas an sich, was sie störte.

Die Jungen in der Schule sahen es anscheinend aber anders, denn es gab viele, die mit ihr mal weggehen wollten, doch Johanna hatte keinerlei Interesse daran. Sie wollte erst ihre Schule zu Ende bringen, daher hatte sie auch kaum Zeit sich damit zu beschäftigen.

Einerseits war sie eben wegen ihres Aussehens sehr begehrt, andererseits konnte sie nur wenig mit Gleichaltrigen anfangen. Sie empfand die meisten ihres Alters als viel zu kindisch. Die kümmerten sich mehr um ihr Aussehen und um solche Nebensächlichkeiten, wie ihre Onlinespiele und Handys, als um wirklich wichtige Dinge. Wenn sie da nur an Julia dachte, ihre beste Freundin. Anstatt sich um ein vernünftiges Zeugnis zu kümmern, hatte die nur im Kopf, wie sie Daniel beeindrucken konnte. Was Johanna echt nicht verstand. Klar, Daniel sah verdammt gut aus, aber das war auch wirklich das einzige, was an ihm positiv war. Er war strohdumm und dabei so eingebildet, dass es schon beängstigend war. Vor allem, weil sich ihre Noten seitdem nach unten bewegten. Was Johanna aber am meisten an Julia auffiel, war der Umstand, das sie seit längeren immer müde wirkte. Julia selber schob es auf eine Grippe. Johanna war sich da nicht sicher, aber Julia beruhigte sie dann immer.

Sie sah in den Spiegel und dachte sich, dass sie doch wieder zum Friseur sollte. Ihre Haare waren etwas, worauf sie wirklich sehr stolz ist. Sie trug sie lang. Sehr lang! Ihre Mutter meinte immer, so etwas wäre doch unpraktisch, denn sie hatte ihre Haare immer kurz getragen. Johanna konnte sich nicht daran erinnern, ihre Mutter jemals mit langen Haaren gesehen zu haben. Nun überlegte sie, wie es aussehen würde, wenn sie ihre Haare nur bis kurz über die Schultern tragen würde. Seltsamerweise fand sie diese Vorstellung gar nicht so übel. Sie muss unbedingt mit ihrer Mutter darüber reden. Und mit Tom. Nur, der sagte sowieso zu allem Ja und Amen, was Johanna wollte.

Sie musste lächeln. Sie mochte Tom sehr und fand sogar, dass er auch ihrer Mutter gut tat. Seitdem ihre Mutter ihn kannte, ist sie ganz anders geworden. Am Anfang dachte Johanna ja noch, Tom würde einen Keil zwischen sie und ihre Mutter treiben, aber genau das Gegenteil ist eingetreten. Sie sind sogar noch enger zusammengekommen und er hatte einmal bemerkt, dass Johanna und ihre Schwester, das Wichtigste auf der Welt für ihre Mutter wären. Daran würde er auch nie etwas ändern wollen. Seltsamerweise glaubte sie es ihm sofort. Es war irgendwie aber auch komisch. Jeden anderen Mann, den ihre Mutter bisher kennen lernte, war Johanna mit großem Misstrauen begegnet. Sie hatte bisher immer Recht behalten. Es dauerte nie lange und es war wieder Schluss. Jeder ihrer bisherigen Freunde spielte sich nach kurzer Zeit auf wie ein Pascha. Zwar waren es bisher nur vier an die sich Johanna erinnern konnte, aber das reichte ihr auch. Vor allem waren sie sehr gewalttätig ihrer Mutter gegenüber. Dem einen hatte ihre Mutter sogar mit einer Anzeige gedroht.

Ganz anders Tom. Irgendwie hatte Johanna bei ihm ein absolut gutes Gefühl. Sie weiß nicht warum, aber bei ihm fühlte sie etwas, was sie noch nie bei einem der anderen Männer fühlte. Genauso ging es auch Katja, ihrer kleinen Schwester. Sie war absolut vernarrt in Tom. Katja ist aber auch erst 11 Jahre jung und der absolute Mittelpunkt der Familie. Nicht, dass sie sich aufdrängte, aber sie war einfach nur knuddelig und Johanna war absolut vernarrt in ihre kleine Schwester. Leider war auch ihr Vater ein Desaster für ihre Mutter.

Ricarda warf den Vater irgendwann hinaus, weil er Johanna anfassen wollte. Wie ein Derwisch ging sie dazwischen. Er behauptete zwar, dass dem nicht so sei, wie es aussieht, dennoch ging sie mit dem großen Küchenmesser auf ihn los.

Seltsamerweise hatte Johanna nicht das Gefühl, dass er log. Aber für ihre Mutter war es offensichtlich.

Der Mann, der dann in ihr Leben trat, war das Schlimmste, was ihrer Mutter je passiert ist. Johanna war entsetzt als sie ihn mit nach Hause brachte und wenn Julias Vater Torben nicht gewesen wäre, dann wäre wohl schlimmeres passiert. Er hatte die Polizei gerufen, als dieser Kerl mal wieder ihre Mutter verprügelte. Zum Glück kam Torben zufällig vorbei um etwas zu bringen. Ansonsten wäre es böse ausgegangen.

Sie erinnerte sich wie sie Tom kennengelernt hatten. Sie waren vorletztes Jahr im Urlaub auf Mallorca und Tom war ihr Tischnachbar. Zuerst war er sehr zurückhaltend und es kam ihnen so vor als würde er sie meiden, doch Katja hatte ihn schon nach 2 Tagen so um den Finger gewickelt, das sie fast nichts mehr ohne ihn unternahmen. Vor allem sein Beruf faszinierte Johanna sehr. Tom war Schmied. Kunstschmied, denn er stellte alte Waffen und Rüstungen her. Sie selber liebte das Mittelalter über alles und sehr oft ging sie mit ihrer Mutter zu alten Märkten und Veranstaltungen rund um diese Zeit. Sie half ihm immer sehr gerne in der Werkstatt, seit sie wieder in Bremen waren. Er hatte ihnen sogar beigebracht wie man ein Schwert führt. Sie selber war ganz gut, wie Tom anmerkte, aber Katja schien dafür ein besonderes Talent zu haben, denn selbst Tom fiel es immer schwer gegen Katja anzukommen. Aber das interessierte sie weniger, denn was für Katja wichtiger war, Toms Nachbarn hatten 3 Pferde, auf denen Katja reiten durfte. Das war für sie das Größte.

„Was ist nun, Johanna? Kommst du jetzt? Das Frühstück ist schon fertig.

Johanna wurde aus ihren Erinnerungen gerissen, als Ihre Mutter wieder den Kopf ins Zimmer steckte, um Johanna zu holen.

„Ja, ich komme ja schon. Ich will nur noch eben schnell duschen.“ „Gut, aber mach aber nicht zu lange.

Ihre Mutter grinste vergnügt. Johanna musste lächeln, als ihre Mutter die Tür wieder verschloss.

Tom tat ihrer Mutter sehr gut. Und, nicht nur ihr. Auch Johanna war von ihm begeistert, sie fühlte sich immer etwas aufgeregt, wenn sie mit ihm zusammen war. Sie wusste zwar nicht genau was es war, aber jedes Mal wenn er bei ihnen war, fühlte sich Johanna komisch.

Mama neckte sie dann immer, denn sie fragte Johanna ob sie verliebt sei. Johanna wurde dann immer verlegen und Tom schimpfte mit Ricarda, dass sie ihre Tochter nicht immer ärgern solle. Aber Johanna wusste, dass ihre Mutter recht hatte. Vor allem, weil ihre Mutter in Tom nur einen guten Freund sah. Einen sehr Guten. Als Johanna sie einmal fragte, ob es nicht mehr wäre, hatte ihre Mutter gesagt, dass ein guter Freund mehr wert sei als ein Ehemann.

Erst verstand es Johanna nicht, aber im Laufe der Zeit wurde es ihr immer deutlicher. Noch nie hatte ihre Mutter jemanden so vertraut wie Tom. Katja, also Katja, wich ihm ja überhaupt nicht mehr von der Seite, wenn er da war. Für sie war er sowieso der Größte.

Johanna nahm ihre Sachen und ging langsam in Richtung Dusche.

Als Ricarda in die Küche kam, duftete es herrlich nach frischen Brötchen und heißem Kaffee. Katja saß schon ungeduldig am Tisch.

„Wann kommt Tom denn endlich?

Ricarda sah sie an.

„Gar nicht, denn er hat genug von dir, du kleine Nervensäge.

Ricarda musste lächeln. Tom besaß eine Engelsgeduld, was Katja betraf. Sie schaffte es immer wieder ihn um den kleinen Finger zu wickeln. Ab und an musste sie schon mit ihm schimpfen, weil er Katja alles durchgehen ließ. Aber wirklich ernst, meinte sie es wirklich nie.

Auf einmal drang ein lauter Schrei durch die Wohnung. Johanna!

Ricarda ließ ihre Tasse fallen und rannte durch den Flur zur Dusche. Katja war direkt hinter ihr. Ricarda riss die Tür zur Dusche auf. Dort stand Johanna, oben ohne und starrte wie gebannt in den Spiegel. Ihre Augen waren riesengroß.

„Was hast du, Kleines? Was ist passiert?

Johanna starrte immer noch wie gebannt in den Spiegel. Ricarda riss sie herum und dann sah sie es. Direkt unter Johannas rechter Brust war auf einmal ein großes Muttermal. Nein, eher eine Tätowierung. Ja, es war ein Tattoo. Es stellte einen stilisierten Baum mit drei Ästen und jeweils drei Blättern da.

„Was ist das? Woher hast du denn das Tattoo?

„Ich habe keine Ahnung Mama. Gestern Abend war es noch nicht da. Mama, was ist das? Ich habe Angst.

Johanna lag in Ricardas Armen und zitterte wie Espenlaub.

„Ist ja gut. Du hast dir das Tattoo wirklich nicht selbst machen lassen?

„Nein. Ganz bestimmt nicht. So etwas würde ich nie tun.

Ricarda wusste, dass ihre Tochter nicht log. Aber unbestritten, unter Johannas rechter Brust war eben genau dieses Tattoo. Von alleine konnte es doch auch nicht gekommen sein, oder?

„Das ist verrückt.

Johanna schaute dabei ihre Mutter an.

„Was ist verrückt, Johanna?

„Nun, das Tattoo sieht genauso aus, wie das Symbol, welches ich immer kritzel. Du kennst doch meine Zeichnungen. Dieses Symbol habe ich doch auf fast jeder Zeichnung.

„Cool, so was will ich auch haben.

Katja schaute fasziniert auf das Tattoo unter Johannas Brust.

„Katja, das ist nicht lustig. Ich habe Angst, denn ich weiß nicht, wie es da hingekommen ist.

Johannas Stimme klang jetzt gereizt.

In diesem Moment klingelte es an der Tür. Tom. Ricarda wusste nicht, was sie tun sollte. Ihr war jetzt überhaupt nicht danach mit Tom und den Kindern einkaufen zu gehen. Vor allem wollte sie Johanna in dieser Verfassung nicht alleine lassen.

„Katja, geh bitte mal zur Tür und lasse Tom herein. Sag ihm, dass wir gleich kommen.

„Gut. Tom wird bestimmt wissen, was Johanna dort hat. Tom weiß alles.

Normalerweise bewunderte Ricarda Katjas bedingungsloses Vertrauen in Tom. Auch Johanna schien Tom sehr zu vertrauen. Was eigentlich ein Wunder ist, wenn sie bedachte, dass Johanna bisher alle männlichen Wesen in ihrer Nähe nur ablehnte. Ihr war bewusst, dass Johanna in Tom verliebt war. Sie selber vertraute ihm ja auch. Aber jetzt nervte Katja wirklich.

„Was weiß ich?

Toms Stimme drang durch den Flur.

„Hanna hat ein cooles Bild unter ihrer Brust. Ich will auch so etwas.

Katjas Stimme klang begeistert.

„Mist, das ist viel zu früh. Irgendetwas muss passiert sein!

Toms Stimme klang erregt. So kannte Ricarda ihn überhaupt nicht. Die Tür zur Dusche ging auf und Tom schaute hinein. Er sah zu Johanna und erblickte das Tattoo. Seltsamerweise bedeckte Johanna ihre Brust nicht, sondern zeigte Tom das Tattoo sogar.

„Ich denke, du ziehst dir etwas an und dann kommt mit in die Küche. Eigentlich dachte ich, dass ich dir erst in drei Jahren eine Geschichte erzählen muss. Das hier war nicht so geplant.

„Was war nicht geplant? Kannst du mir mal erzählen, was das soll?

Ricardas Stimme klang wütend.

„Ganz ruhig, Ricarda. Ich werde es dir und deiner Tochter in aller Ruhe erzählen. Was Johanna da hat, ist schon lange da, nur sollte es erst in drei Jahren sichtbar werden, wenn sie 21 Jahre alt wird.

Seltsam, aber Johanna wurde auf einmal ganz ruhig. So, als ob alles in Ordnung sei, nahm sie ihren BH, machte ihn sich um und zog ihren Pulli über. - Tom weiß alles -. Ricarda dachte, sie müsste durchdrehen. Tom in allen Ehren, aber, wie Johanna sich nun verhielt, das war doch nicht normal.

„Was soll das? Johanna hat auf einmal ein Tattoo, und niemand weiß, woher es ist. Dann kommst du und sagst alles ist in Ordnung und jeder meint, es muss so sein. Tom, wer bist du?

Gleich, im nächsten Moment, bereute Ricarda schon, dass sie Tom so scharf angriff. Aber der schien das gelassen hinzunehmen. Er nahm sie in den Arm und drückte sie sanft an sich.

„Meine Liebe, du musst mir jetzt vertrauen. Glaube mir, ich will euch absolut nichts Böses. Weder dir, noch den Kindern. Lass es mich bitte in Ruhe erklären. Ich denke, Johanna wird schon wissen, was jetzt kommt. Zumindest ahnt sie schon eine ganze Menge.

Er nahm Ricarda an seine Hand und führte sie in die Küche. Sie merkte, wie sie ihm willenlos folgte. Johanna stand schon an der Küchenzeile und schenkte heißes Wasser in zwei Becher. Sie nahm zwei Beutel Tee, die sie hineinfallen ließ. Einen Becher stellte sie vor Ricardas Stuhl, den anderen behielt sie in der Hand. Johanna wirkte ganz ruhig. Selbst Katja saß stumm auf ihren Platz. Tom zog Ricardas Stuhl vom Tisch und führte sie vor diesem. Sie nahm Platz.

Tom setzte sich auf die Küchenzeile. Alle schauten ihn an.

„Nun, wie soll ich anfangen? Es ist nicht einfach. Vor allem, weil Johanna noch nicht ganz so weit ist. Stopp, Ricarda. Bitte stelle noch keine Fragen. Ich werde alles der Reihe nach erklären. Auch, wenn es dir vielleicht sehr unwahrscheinlich vorkommt.

Erinnerst du dich noch an deine erste Schwangerschaft? An all die Komplikationen? Als du ins Krankenhaus kamst und dort vor der Geburt dein Bewusstsein verloren hast? Nun, um es kurz zu machen, das Bewusstsein wurde dir genommen. Mit voller Absicht. Aber niemals, um dir zu schaden. Ich denke, du hast damals gedacht, dass Johanna nicht deine Tochter ist. Mütter spüren ja immer so etwas. Man hatte dir eingeredet, dass du dich täuschst. Aber, bevor ich weiter rede...

Er drehte sich zu Johanna um.

„Johanna, weißt du, was dieses Tattoo darstellt?

Johanna nickte mit dem Kopf.

„Ja. Die drei Äste stellen die drei Provinzen von Jar dar. Die Blätter symbolisieren die drei Länder der Provinzen. Der Stamm ist das Königshaus, der alles dieses verbindet und die Krone, die noch nicht erschienen ist, die bin ich.

Johannas Stimme klang sehr fest, als sie die Worte sprach. Ricarda blickte ihre Tochter fragend an.

„Aber…

Toms Handbewegung brachte Ricarda zum Schweigen.

„Ich bin die rechtmäßige Erbin des Thrones von Jar. Ich bin ….“ „Stopp!

Toms Stimme unterbrach Johanna.

„Bevor du dir deinen Namen gibst, solltest du dir Gedanken darüber machen, wem du alles zu verdanken hast.

Johanna lächelte Tom an.

„Keine Angst, Kel-Nor. Ich weiß genau, was ich tue. Ich bin mir bewusst, dass mein Name eine große Verantwortung ist und ich werde ihn nicht ändern.

Tom, den Johanna Kel-Nor nannte, lächelte. Er schaute wieder zu Ricarda.

„Ich mache es kurz, denn ich befürchte, wir haben nicht mehr viel Zeit. Ricarda, auch wenn es dich jetzt erschüttert. Das Kind, das du damals entbunden hattest, war eine Totgeburt.

Auf Jar herrschte ein blutiger Bürgerkrieg. Der König war gefallen und die Königin lag im Sterben.

Daher wähnten einige weise Frauen und Männer die Prinzessin nicht mehr in Sicherheit. Sie wurde mit einem Notfalltor von Jar gebracht. Eigentlich sollte sie gar nicht hier landen, sondern in einem sicheren Versteck, auf einem ganz anderen Planeten.

Aber Irgendetwas ist bei der Anrufung des Tors schief gelaufen. Ich denke, auch hier hatten die Verräter wohl ihre Hände im Spiel.

Es blieb daher nicht viel Zeit. Wir erfuhren von deiner Totgeburt. So haben wir dich bewusst ins Koma gesetzt und dir die Erinnerung daran genommen.

Wir haben dir Johanna als dein Kind gegeben. Und ich muss gestehen, es war die beste Wahl, die getroffen wurde. Ihr wart immer durch Wächter beschützt. Vielleicht ist dir ja auch schon der Gedanke gekommen, warum manches so einfach lief. Aber, das ist ja jetzt auch egal.

Vor drei Jahren bin ich von Jar hierher gekommen, um Johanna, und auch euch beide, auf eben dieses Ereignis in Ruhe vorzubereiten.

Leider scheint irgendetwas dieses Vorhaben vorgezogen zu haben. Was es ist, entzieht sich zurzeit leider meinem Wissen und meines Blickes. Es befindet sich auch leider kein weiterer Beobachter auf der Erde. Ich werde daher Wächter von Jar zu eurem Schutze hierher ordern.

Tom öffnete seine Hände und es erschien ein seltsames Leuchten darin. Nur sehr kurz und ein kleiner, silberner Kreis entstand über seinen Händen. Dann fiel es wieder zusammen und Tom drehte sich zu Johanna um.

„So, nun sollte die Prinzessin ihren Namen preisgeben.

Johanna stand auf. Sie sah auf einmal merkwürdig verändert aus. Sie war nicht mehr das kleine Mädchen, das Ricarda in ihr sah. Johanna wirkte auf einmal so reif und erwachsen. Nichts war mehr von ihrer Unsicherheit oder ihren Zweifeln zu sehen und mit fester Stimme hörte sie Ricarda sprechen.

„Mein Name soll von nun an Johanna Valise con Jar lauten. Valise con Jar - als Zeichen meiner königlichen Herkunft

-und Johanna - als Zeichen einer wundervollen Kindheit und in Dankbarkeit an meine Mutter.

Auch, wenn sie nicht meine leibliche Mutter ist, so ist und wird sie immer meine Mutter bleiben. So wie du...

und damit drehte sich Johanna zu Katja um,

„.... immer meine Schwester sein wirst. Du sollst den Namen Katja Valis con Jar tragen. Das bedeutet Prinzessin von Jar. Obwohl ich die Vorahnung habe, dass es bis dahin noch ein langer und schwieriger Weg sein wird.

Johanna wendete sich Ricarda zu.

„Dir wage ich es nicht einen Titel zu geben, denn dir würde keiner gerecht werden. Du hast schon den wichtigsten Titel. Du bist meine Mutter.

Bitte komme mit mir und sei weiterhin meine Mutter. Ich werde dich immer brauchen. Jetzt sogar dringender, als bisher.

Johanna schaute zu Kel-Nor.

„Ist es erlaubt, dass ich diesen Wunsch ausspreche, Kel-Nor? Ihr seid einer der weisesten Männer auf Jar, obwohl ihr niemandem dient.

Tom lächelte.

„Nun, ihr seid die Prinzessin. Ihr seid es, die es entscheiden kann. Ich bin nur ein bescheidener Wanderer. Ich werde aber jede Eurer Entscheidungen für gut heißen, denn ich habe Euch lange beobachtet und mit Euch gelebt. Ihr seid, obwohl die Zeit noch nicht gedacht war, reif für diese Würde.

„Stopp. Ich verliere irgendwie den Faden in dieser Geschichte.

Ricarda war mit hochrotem Kopf aufgesprungen.

„Irgendwie glaube ich, dass ich nicht so ganz kapiere. Als ob ich unter Drogen stehe oder zu viel getrunken habe? Beides habe ich nicht genommen. Was läuft hier ab? Johanna, was redest du da? Und warum nennst du Tom, Kelnore oder so ähnlich?

Tom stand auf und ging auf Ricarda zu, aber sie wich nur vor ihm zurück.

„Halt. Ich bin im Moment echt verwirrt. Was soll dieses Jar und die Geschichte über eine Totgeburt?

Ich bin in ein Koma gesetzt worden? Johanna ist eine Prinzessin? Ist das hier irgendeine Folge von versteckte Kamera, oder was ähnliches? Wer bist du? Das Ganze fängt an mir Angst zu machen. Johanna, was redest du da?

Du bist meine Tochter. Du bist nicht irgendeine Prinzessin. Was soll das? Tom, ich bekomme Angst vor dir. Johanna ist meine Tochter. Das ist total verrückt was du da erzählst. Du kannst doch nicht einfach in unsere Familie eindringen und mir dann so etwas auftischen. Ich glaube dir kein Wort!

In diesem Moment baute sich hinter Ricarda ein Leuchten auf. Ricarda erschrak und sprang nach vorne. Direkt in Toms Arme. Auch Katja, die bisher nur staunend zusah und zuhörte, lief mit einem leisen Schrei zu Tom und Ricarda. Nur Johanna blieb ruhig stehen und schaute erst lächelnd auf Tom und dann zu dem Leuchten.

Das Leuchten wurde zu einer ca. zwei Meter hohen, blassen blauen und ellipsenartigen Wand. Auf einmal traten sechs Männer in seltsamen Rüstungen aus dieser Wand. Hinter den sechs Männern fiel die Wand wieder in sich zusammen. Ricarda und Katja drängten sich eng an Tom. Die Männer wandten sich zu Tom und dieser nickte. Nun sah Ricarda sie genauer.

Sie trugen silberfarbene Hemden. So ähnlich wie Rüstungen, aber alles war viel zu filigran, um eine Rüstung zu sein. Ihre Hosen waren in einem matten Rot. An den Füßen trugen sie feine Stiefel. Sie sahen aus wie Leder, aber irgendwie wusste Ricarda, dass es ein Leder war, das es hier nicht gab.

Auf dem Kopf trugen die Männer silberfarbene Kappen, die wie Helme aussahen. Aufgrund von Toms Arbeiten wusste sie, dass Helme viel größer und vor allem viel robuster sein müssen. Jeder der sechs Männer trug an seiner Seite ein Schwert. Die Männer sahen zu Johanna und auf einmal zogen sie die Schwerter aus ihrer Scheide.

Die Schwerter waren ca. 1 Meter lang. Plötzlich stellten sie die Schwerter mit der Spitze auf den Boden und knieten sich dahinter.

„Fall tie ma reser ter to Jar.

Ricarda verstand nicht ein Wort, aber sie verstand, dass diese Männer ihrer Tochter Ehrerbietung leisteten.

Ter to Jar karella tie jewalla. Ehawa in Kel-Nor watella Ricarda semana solan ener Katja Valis con Jar.

Johanna sprach diese Worte so selbstverständlich, als hätte sie nie etwas anderes gesprochen. Als wäre es ihre Muttersprache. Auf einmal drehten sich die Männer zu Ricarda, Tom und Katja um. Tom ließ sie beide los und trat zur Seite, so dass Ricarda unbeholfen mit Katja alleine dastand.

„Seid gegrüßt, Mutter der Prinzessin und Prinzessin Katja Valis con Jar.

Die Männer knieten sich erneut hinter ihre Schwerter und verbeugten sich vor Katja und Ricarda. Sie sprachen nun Deutsch. Ricarda kam aus dem Staunen nicht heraus und blickte gebannt auf sie.

„Die Mutter der Prinzessin und die Prinzessin danken für die Begrüßung und eure Treue.

Ricarda blickte Katja erstaunt an. Diese hatte eben diese Worte gesprochen. Sie wurde immer verwirrter. Dann wurde ihr klar, dass sie nur das wiederholte, was Tom immer im Spiel mit ihr übte, wenn sie ihn in seiner Werkstatt besuchten.

Einer der Männer wandte sich an Johanna.

„Prinzessin, seid Ihr bereit den Weg nach Jar einzuschlagen? Euer Thron ist nicht sicher und eurem Volk sinkt der Mut. Es wäre gut, wenn es wieder ein Ziel hat. Es steht schlecht auf Jar.

Der Mann, der mit Johanna sprach, hatte eine Zeichnung auf seinem Hemd, die genauso aussah wie das Tattoo unter Johannas Brust. Dieser Mann hatte ein silbernes Bild, die anderen Männer trugen es in Rot. Johanna schaute zu Tom und dann zu Ricarda und Katja.

„Ich werde erst einmal mit meiner Mutter und meiner Schwester darüber sprechen. Dann muss ich mich noch mit Kel-Nor beraten. Ihr werdet meine Antwort bald bekommen.

Der Mann nickte und drehte sich zu Tom um.

„Wanderer, wir mussten leider früher kommen, da Malos Truppen immer stärker werden.

Den Rest verstand Ricarda nicht mehr, denn Johanna zog sie und Katja ins Nebenzimmer.

Dort drückte sie Ricarda und Katja sanft auf das Sofa und blieb vor den Beiden stehen. Sie schaute sie mit festem Blick an.

„Mama, ich weiß, dass es für dich schwer zu verstehen ist und auch ich verstehe noch nicht alles. Aber ich weiß, dass ich mit Kel-Nor und der Palastwache zurück nach Jar muss.

Ich möchte allerdings nicht alleine gehen. Kel-Nor ist ein Wanderer. Er ist einer der Freien. Er wird mir zwar helfen, aber ich bin nicht sicher ob er bei mir bleiben wird, doch ich weiß, dass ich ihn brauche.

Mama, ich liebe ihn! Aber noch mehr brauche ich dich und Katja. Bitte kommt mit mir. Auch, wenn ich nicht deine leibliche Tochter bin, so bist du meine Mutter und wirst es immer sein.

Johanna schaute Ricarda jetzt beinahe flehend an.

„Wir werden zwar in einen Krieg gehen, aber du brauchst dir darum keine Gedanken machen, wir werden weit davon entfernt sein. Kel-Nor wird dafür sorgen. Jetzt weiß ich auch, warum ich ihm immer vertraut habe. Was ich jetzt noch weiß, ist dass er uns mehr mag, als er zu gibt. Er würde sein Leben für uns geben, wenn es darauf ankommen würde.

Trotz der ganzen vertrackten Situation musste Ricarda lächeln.

„Also, auch wenn ich das alles hier nicht ganz durchschaue und es keine versteckte Kamera ist, habe ich seltsamerweise das gleiche Vertrauen in Tom, wie du. Aber, was noch wichtiger für mich ist. Meinst du etwa wirklich, ich lasse dich alleine in solch eine Sache gehen? Also, da solltest du mich besser kennen. Glaube mir, ich werde genauso wie Tom auf dich und deine Schwester aufpassen!

Johanna fiel Ricarda um den Hals und auch Katja blieb nicht vor ihren Umarmungen verschont. In diesem Moment ging die Tür auf und Tom trat hinein. Ricarda staunte nicht schlecht. Das war nicht der Tom, den sie kennen gelernt hatte.

Dieser Tom war ganz anders. Er trug nicht wie die anderen Männer eine silberfarbene Rüstung, sondern er war ganz in dunkelbraunem Leder gekleidet. Auf seinem Rücken hing ein riesiges Schwert, wie sie bemerkte. Sie konnte nur den Griff sehen, aber sie sah das Ende der Scheide hinter seinem Rücken hervorschauen.

Sein Schwert schien nicht so filigran zu sein, wie die Schwerter der Soldaten. Im Knauf steckte ein blauer Edelstein. Er war direkt in den Griff eingearbeitet. Ansonsten sah der Knauf recht schlicht aus, aber irgendwie schien dieser Edelstein zu leuchten.

„Prinzessin, ich weiß, dass dies nicht leicht für Sie ist, aber wir müssen leider los. Also, kommt ihr drei? Ansonsten werden hier bald andere erscheinen, die nicht zum Tee eingeladen sind.

Johanna nickte und sah Ricarda und Katja an. Sie gingen in die Küche zu den sechs Männern. Tom sagte:

„Kommt. Ihr braucht keine Angst zu haben. Was Euch erwartet, wird Euch mit Sicherheit umhauen. Jar ist wunderschön. Zwar ist es noch wie im späten Mittelalter, aber es verbirgt viele Geheimnisse und es wartet auf eine Thronfolgerin und auch auf seine Prinzessin.

Er schaute Ricarda fest in die Augen.

„Auch erwartet Jar eine wunderschöne und starke Mutter der beiden Prinzessinnen. Kommt mit und nehmt euch am besten an die Hand. Das erste Mal durch ein Portal zu treten, ist schon sehr seltsam.

Er streckte seine Hände zu Ricarda und Katja aus. Die Kleine sprang vom Sofa hoch und nahm, ohne zu Zögern Toms rechte Hand. Dann schaute sie auf ihre Mutter, so, als ob sie fragen wollte, warum sie noch nicht zugegriffen hatte.

Ricarda erhob sich wie bleiern vom Sofa. Sie konnte noch immer keinen klaren Gedanken fassen.

„Tom, oder Kel-Nor, wie immer du auch heißen magst, was erwartet uns?

Tom lächelte.

„Kel-Nor. Diesen Namen habe ich schon lange nicht mehr gehört. Ich gebe zu, an Tom habe ich mich sehr gewöhnt, vor allem, weil sehr schöne Erinnerungen mit ihm verbunden sind. Na egal, welcher Name auch immer, ich bin der Mann, den du kennen gelernt hast.

Sie folgten Johanna in die Küche.

Ricarda staunte erneut. Johanna stand in der Mitte der Küche. Tom ging zu ihr und er legte seine Hände zusammen. Als er sie wieder öffnete, trat eine leuchtende Kugel aus ihnen hervor. Sie formte sich zu dem Portal wie jenes, durch das die Männer vorhin getreten waren. Johanna lächelte Tom an. Sie wollte schon vortreten und hindurchgehen, aber die Männer stellten sich vor dem Portal auf. Ricarda erschrak.

„Prinzessin, bei allem Verständnis für Eure Sehnsucht nach Jar. Die Wachen passieren zuerst das Tor. Kommt zu uns, damit Ihr zusammen gehen könnt.

Toms Worte klangen fest und bestimmend. Johanna zuckte zusammen und hakte sich bei ihrer Mutter unter. Tom drehte sich zu den Männern um.

„Geht und bereitet den Empfang für die königliche Familie vor. Sendet dann ein Portal, um zu zeigen, dass die Ankunft vorbereitet ist.

Die Männer nickten stumm und stiegen, einer nach dem anderen, durch das Portal. Katja schaute fasziniert um das Portal herum. So, als ob sie erwartete, dass sie auf der anderen Seite des schimmernden Lichtes wieder hervorkommen würden. Aber, sie blieben verschwunden. Das Portal verschwand und Tom zog sie wieder zu sich in die Ecke der Küche. Auf einmal erschien ein neues Portal.

„Kommt, das Volk erwartet euch.

Tom löste seine Hand von Katja und Ricarda und hielt deren Hände Johanna hin. Diese nahm ihre Mutter an ihre rechte Hand und Katja an die linke. Ricarda blickte Tom an und er verstand, was dieser Blick fragen will.

„Ich gehöre nicht zur königlichen Familie. Durch das Portal müsst ihr zunächst alleine gehen. Ich folge Euch aber und schließe dann das Tor.

Johanna zog Ricarda und Katja in das schimmernde Licht.

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