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Erde, Mond & geolunarer Raum

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Die Weltraum-Exploration ist eine auf die wissenschaftliche Forschung, aber auch auf langfristige Nutzung und dauerhafte Präsenz der Menschheit im Weltall ausgerichtete Aktivität mit dem Ziel, den gegenwärtig begrenzten Zugang zum Sonnensystem mit Robotern und Menschen zu erweitern und nach neuen Fragen, Anwendungen und Möglichkeiten des Kommerzials zu suchen, Weltraumressourcen zu erschließen und dem Tourismus neue Möglichkeiten zu erschließen.

Die Vision für eine wissenschaftliche Erkundung des Weltraums im 21. Jahrhundert sieht die Entwicklung einer logischen, systematischen und evolutionären Architektur vor, die bemannte und robotische Systeme nutzt, durch die eine permanente Erkundung des Sonnensystems möglich wird, die als globale Unternehmung konzipiert ist und nicht als Plan oder Produkt einer Raumfahrtagentur, also einer Nation. In der Raumfahrt werden zukünftig erst Ziele definiert werden und dann die Zielorte; das heißt warum eine Gesellschaft solche Unternehmungen fördern sollte und dann, welche Ziele den Imperativen genügen. Davon wird das "wie" und "wo" abgeleitet, um diese Ziele zu verwirklichen. Roboter sollten dann überall genutzt werden, wo es möglich ist; Astronauten dagegen, wo diese nötig sind.

In der ersten Phase der Industrialisierung des Weltraums machen Vakuum und Schwerelosigkeit vielversprechende neuartige Produktionsverfahren möglich. Das Vakuum etwa ermöglicht die Herstellung ultrareiner Materialien. Die Schwerelosigkeit im Erdorbit sind bei genauer Betrachtung kleinste Gravitationswirkungen vom 10-5 fachen der Erdanziehungskraft, die sich in kleinen Bereichen von etwa 1 m noch um das 100fache verringern lassen. Durch diese zwei Umweltfaktoren werden Produktionsverfahren möglich, die auf der Erde nicht vorhandene Chancen erschließen. Eine Raumstation ist nötig, um Weltraumproduktionsanlagen dauernd betreiben zu können. Sie ist ein bemannter (Erd)Satellit, der regelmäßig von der Erde angeflogen wird (ein Mars- oder Venussatellit würde regelmäßig vom Mars oder von der Venus angeflogen werden), um Nachschub zu bringen, Mannschaften, Verbrauchsmaterial und Geräte auszutauschen. Der Flug von der Erde zur Raumstation ist energiemäßig aufwendiger als von der Raumstation zum Mond oder zu den Planeten - das sogenannte "1. astronautische Paradoxon". Weiterhin benötigt der Start von der Erde eine höhere Schubbeschleunigung als der Flug im All. Somit funktioniert die Raumstation auch als Umsteigebahnhof für Fernreisen, deren Bahn am besten über dem Erdäquator liegt; um die Erde zu beobachten, empfiehlt sich eine polnahe Raumstation. Die Bahnhöhe der Bahnhofstation sollte möglichst niedrig sein - etwa 450 km; ein gelegentliches Hochschieben durch Raketen oder durch das Erdmagnetfeld gleicht die Nachteile aus. LEO-Raumstationen eignen sich für eine Vielzahl von Zwecken: als wissenschaftlicher Stützpunkt für das Erdstudium, als schwereloses Labor für Experimente und zur Materialforschung, als Zwischenstation für die Treibstoffversorgung und die Wartung und Reparatur von Satelliten und anderen Raumfahrzeugen und zukünftig auch als Werft für riesige Raumschiffe, die unter Umständen wesentlich größer sind als die Raumstation selbst, die beim außerirdischen Besiedlungsprogramm inklusive der lunaren Vorhaben eingesetzt werden sollen. Durch den Shuttlebetrieb zur ISS ist es möglich, größere Objekte im All zusammenzubauen und von dort aus zu starten; dadurch brauchen die zusammengesetzten Raumschiffe die Erdanziehungskraft nicht nochmals zu überwinden. Eine frühere Mondstrategie der NASA beruhte darauf, dass alle bei den lunaren Missionen verwendeten Raumfahrzeuge im LEO nahe der Raumstation gebaut, betankt und gewartet werden, um die Kosten für die Starts von der Erde zu sparen. Dazu wollte sie eine HLLV (Heavy Lift Launch Vehicle), eine neue Schwerlastfähre mit einer LEO-Nutzlast von gut 100 t entwickeln, weiterhin OMVs (Orbital Maneuvering Vehicle), also Transporter für den Bereich der Raumstation und OTVs (Orbital Transfer Vehicle) als Transferfahrzeuge, die Nutzlasten zwischen LEO und dem Mond befördern. Alle diese Raumfahrzeuge hätten chemische Triebwerke. Mit der Saturn V oder der Energija-Rakete ließen sich allerdings ENAs oder sogar der Mars erreichen, ohne dass man auf einer Raumstation ein interplanetares Raumschiff zusammenbauen muss; vielleicht bietet sie doch keine idealen Bedingungen für wissenschaftliche Forschung. Aber sie ist mindestens eine gute Möglichkeit, Erfahrungen zum langfristigen Aufenthalt im All zu sammeln und die Beziehungen zwischen den Raumfahrtnationen zu festigen. Letztlich ist die Entsendung von Menschen (und Robonauten) zu ENAs, zum Mars und darüber hinaus ihr einziger nachvollziehbarer Zweck. Für die nächsten 50 Jahre wird sich die bemannte Raumfahrt voraussichtlich auf folgende Zielorte konzentrieren: den Sonne-Erde-Librationspunkt (SEL)2, den Mond, ENOs und Mars - inklusive Phobos und Deimos. EML1-5 und SEL1 und 2 werden zukünftige Wegstationen beziehungsweise Stufungsorte zum Wechsel von Raumschiffen sein. Nahe SEL1 und 2 sind bis 2020 mindestens 8 neue Weltraumteleskope vorgesehen, unter anderem Herschel, Planck, Gaia, Darwin - sie alle sollen das Sonnensystem und das Universum in allen Spektralbereichen untersuchen und Bildungsprozesse von Galaxien und Planeten erforschen, sowie nach Exoplaneten und nach Lebensanzeichen in deren Spektren suchen. Möglicherweise ergeben sich daraus auch Rückschlüsse auf nichttechnische ETIs. Um all das und noch mehr umzusetzen, sind GEVs (Geospace Exploration Vehicle) nötig, die zwischen LEO - etwa von der ISS - und SEL2 pendeln. Sie können entweder von der LEO oder direkt von der Erde zum SEL2 auf sogenannten "Halo-Orbits" fliegen. Halo-Orbits sind Umlaufbahnen um Librationspunkte herum; durch gravitationsunterstützte Manöver von Erde und Mond sind sie auch Ausgangsorbits für energieeffiziente interplanetare Reisen auf Hohmannbahnen. Die Erfahrungen mit dem HST (Hubble Space Telescope) zeigen, dass bemannte Missionen zur Wartung beziehungsweise Rettung von sehr teuren Observatorien sinnvoll sind, wenn sie schon bei der Konzeption der Instrumente eingeplant werden. Reisen und andere Transporte zwischen Erde und Mond sind an keine Startfenster gebunden; im Raum zwischen Erde und Mond gibt es himmelsmechanisch ausgezeichnete Punkte, die relativ leicht vom Mond aus zu erreichen sind. Der Transportaufwand für Materialien vom Mond zu einer Erdaußenstation wäre wesentlich geringer als der Aufwand für den Transport zur Erdoberfläche. Auch wenn für Mondmissionen ein direkter Einschuss in einen niedrigen Mondorbit energetisch am günstigsten ist, hat dieses Szenario jedoch mehrere Nachteile im Vergleich zu EML1 als Ziel: für die schnelle Rückkehr von Astronauten und dem Eingreifen bei Not- oder Reparaturmaßnahmen, für den Transport von großen Modulen zur Mondoberfläche oder anderen Zielen im translunaren Raum, für die Einrichtung eines Umschlagplatzes. Und für Mondoberflächenmissionen und Missionen zu ferneren Zielen wie die Erde-Mond-Librationspunkte EML1-5, NEOs (erdnahe Objekte, zum Beispiel Asteroiden), den Asteroidengürtel und Mars - unter Ausnutzung gravitationsunterstützter Bahnmanöver, die energetisch günstiger sind, jedenfalls solange bis Antriebe mit größerem Delta-V verfügbar sind, die auf Hyperbeln zu ihren Zielen fliegen. Für all das eignet sich EML1 bei einem etwas höheren Delta-V-Bedarf besser als das Apollo-Transportszenario - eben der direkte Einschuss in einen niedrigen Mondorbit. Also würde eine Raumstation in EML1 geolunare beziehungsweise cislunare und translunare Explorationsmissionen und die Monderforschung unterstützen und stark erweitern; speziell im Zusammenhang mit einem GEV kann sie nachhaltig und effizient betrieben werden und als Stufungsplattform für robotische und bemannte Missionen dienen.

Raumfahrt - wohin und wozu

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