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Der ganz normale Wahnsinn

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Security? 1995 machte ich mir zum ersten Mal richtig darüber Gedanken. Ich war damals noch bei der Legion. Man hatte uns zum uniformierten, bewaffneten Dienst nach Paris geschickt. Das war ungewöhnlich, doch Befehl ist Befehl. In Paris herrschte der absolute Ausnahmezustand. Der französische Anti-Terror-Plan Vigipirate war Tagesordnung. Unsere Jungs rieben sich bereits im Vorfeld die Hände, denn Paris kannten sie bestens. Es bedeutete gute Bars in der Rue Saint-Denis. Attraktive Frauen in bunten, kurzen Röcken am Place Pigalle. Pinard, der einen herben Geschmack von Rauch und Leder im Mund hinterließ und exzellente Restaurants Rue Saint-Nicolas. Doch das alles musste warten. Die Arbeit rief. Was war 1995 geschehen? Am 25. Juli explodierte in einer Pariser S-Bahn am Bahnhof Saint-Michel Notre-Dame eine von Hand fabrizierte, mit hässlichen Metallsplittern versehene Bombe. Durch die Explosion wurden acht Menschen getötet über hundert verletzt. Rasch wurde klar, dass Terroristen am Werk waren. Im Rahmen des Antiterrorplans wurde auch die Fremdenlegion eingesetzt, um für Ruhe und Ordnung zu sorgen und um weitere Gefahren abzuwenden. Die Armee, insbesondere die Legion für die Wahrung der öffentlichen Ordnung und für die Innere Sicherheit einzusetzen, war ein starkes Signal von Präsident Chirac. Für uns Legionäre war die Zeit gekommen, die von den Kämpfen in Afrika und auf dem Balkan durchgerüttelte Seele etwas baumeln zu lassen. Ich war Sergent-chef und verantwortlich für die Aufstellung mehrerer kleiner Teams. Jedes Team war drei Mann stark und sollte im Einsatz von einem Gendarmen begleitet werden. Die Aufgabe, so meinte mein Kompaniechef, sei extrem wichtig, also nur keine Fehler machen. Alles perfekt, das war sein Anspruch. Schwerbewaffnet sollten wir Tag und Nacht in den düsteren Gängen der Pariser Metro und der Pariser S-Bahn Streife laufen. Kurzfristig über diesen Auftrag informiert, war die Zeit knapp, denn nach unserer Ankunft sollte es sofort losgehen. In weniger als zwei Stunden mussten wir die uns zugewiesenen Unterkünfte beziehen. Das gesamte spezifische Material sollte von den Vorgängern übernommen werden. Und es galt, schnellstens Kontakt zu den Gendarmen und zu den zivilen Organisationen herzustellen. Alles am besten gleichzeitig. Bevor unsere Teams dann zum ersten Mal loszogen, gab ich in meinem Befehlszentrum in der Metro ein Briefing mit allen Teilnehmern. Vor versammelter Mannschaft detaillierte ich den Einsatzbefehl von A bis Z. Kaum das letzte Wort gesprochen und die letzte Frage beantwortet, gaben meine Sergents die Waffen aus. Sie bestückten die Legionäre mit Lampen, Schlagstöcken, Handschellen, Munition und diversen anderen sicherheitsrelevanten Gadgets. Die Teamchefs bekamen Fahrpläne der Metro ausgehändigt, nahmen Karten entgegen, überprüften die Funkgeräte, erhielten Details über die Ablösepunkte und darüber, wann die Ablösung stattfand. Und natürlich gravierten wir jedem Soldaten einzeln die Richtlinien für die Gewaltanwendung, ähnlich der Rules of Engagement, auf die Stirn. Als die Teams ausschwärmten, wusste nicht nur ich: Paris würde diese Nacht gut schlafen! Immerhin war die Legion Symbol der Abschreckung. Viel später ließ ich mir aus allen Richtungen sagen, dass das Verhalten der einzelnen Legionäre profihaft war. Das ging runter wie Öl, zeigte mir, dass ich alles richtig gemacht hatte, denn schließlich waren es meine Jungs, von denen man in höchsten Tönen sprach. Ich hatte sie ganz nach unserem Ehrenkodex, dem ´code d'honneur du légionnaire` ausgebildet. Den Zeigefinger am Abzug der FAMAS, misstrauische Blicke in die Runde und eine fast gelassen wirkende Anspannung in den Augen, versahen sie ihren Dienst zuverlässig und neutral. Diese absolute Neutralität war den Männern eigen. Man sah sie ihnen an. Man vertraute ihnen. Dem ungewöhnlichen Job zum Trotz, hatten sie ein freundliches Wort für jeden und ein super Ambiente untereinander. An Hand der ein- und ausgehenden Funksprüche und den installierten Überwachungsmonitoren verfolgte ich in einem speziell dafür eingerichteten OPS-Raum (Leitzentrale) den Einsatz meiner Männer. Meine Batterien waren leer. Ich schlief fast im Stehen, konnte in der Leitzentrale kaum mehr einen klaren Gedanken fassen. Aber ich war neugierig geworden. In jenen Tagen hatte ich gelernt, dass Sicherheit kein Selbstläufer ist und dass ´Security` sorgsamer geplant werden muss als ein Einsatz mit Sturmtruppen auf ein gut bewachtes Wüstenfort. Das war jetzt an sich nichts Neues. Aber es war anders. Wir waren nicht auf dem Schlachtfeld. Nur mit ran, drauf und drüber, mit Schnelligkeit und dem gnadenlosen Ausnutzen der Schockwirkung kamen wir nicht weit. Schließlich standen wir im Fokus der Öffentlichkeit. Bereits damals keimte in mir der Gedanke, nach der Legion in der Sicherheitsbranche tätig zu werden. Die Jahre vergingen und in Sachen Security nahm ich hier was mit, sammelte dort Erfahrung, wurde anderswo klug. Und plötzlich begann das Jahr 2002. Den Koffer in der Hand, stand ich vor den Toren der Kaserne Viénot in Südfrankreich: Adieu Légion! Ich musste mich nun im Zivilleben zurechtfinden. Hatte damit so meine Startschwierigkeiten. Es entbehrte keiner Ironie, dass ich zunächst in Würzburg am ´Theater am Neunerplatz` landete, dort Licht- Tontechnik für ´Guten Tag kleines Schweinchen` von Janosch übernahm. Und ich muss gestehen: Es gefiel mir. Das alles geschah im Rahmen der Wiedereingliederung ins Zivilleben. Sicherlich hatte ich das Waffentragen, die Entfernung, sprich Trennung, die lange Abwesenheit und die teils mörderischen Einsätze in der Legion einfach nur satt. Alles, was auch nur entfernt mit Waffen, Uniformen, oder mit irgendeiner Form von Gewalt zu tun hatte, lehnte ich ab. Doch es war nicht leicht. Die Leere nach den Einsätzen und nach dem turbulenten Leben in der Legion machte mir zu schaffen. Das Vorher- nachher war einfach zu krass. Vorher, das verkörperte zwei Jahrzehnte lange Aktion. Immer auf der Hut sein. Schießen und auf sich schießen lassen. Adrenalin und Gänsehaut. Ausbildung, die so hart war, dass sie sich von der Realität kaum unterschied. Und nun? Nun war ein plötzliches Umschalten gefragt. Der banale Alltag wollte gut gemeistert werden. Leben im sichern Augsburg, in Koblenz oder wie in diesem Fall, in Würzburg. Babysitten und Einkäufe im Supermarkt, Kinder zur Schule bringen, Nachbarn, die sich als langweilige Normalos entpuppten. Da fehlte unvermittelt was. Ich kapierte nicht, was in mir vor- und um mich herum so alles abging. Was war wichtig, was nicht? Ganz besonders krass erlebte ich folgende Szene. Meine Frau hatte mich mit einem langen Einkaufszettel in den Supermarkt geschickt. Unter anderem stand auf dem Zettel: Weichspülmittel und Hundefutter. Manometer! Ziel- und auftragsorientiert wie ich als ehemaliger Elitesoldat nun mal war, fuhr ich los. Als ich vor dem Regal mit Weichspülmitteln stand und mir die Produkte ansah, bekam ich urplötzlich Bauchschmerzen. Ich drehte am Rad. Hatte die Qual der Wahl zwischen ungefähr zwanzig verschiedenen Weichspülern, rote, blaue, weiße und gelbe. Ein Liter, fünf Liter, Lenor, Ariel, Perwoll. Das grelle Licht der Neonröhren und die hektischen Bewegungen der Menschen um mich herum, gaben mir den Rest. Am liebsten hätte ich ganz laut geschrien. Menschen, die an mir vorbeigingen, sahen mich verwirrt an. Ich schloss die Augen. Wünschte mir frischen Wind im Gesicht, während harte Männer in meiner Spur dem Feind entgegenmarschierten. Ich vermisste die grandiosen Sonnenaufgänge in der Tibesti Wüste. Ich sehnte mich danach, das unablässige Regengetrommel des Urwaldes zu hören, dessen feuchte nasse Erde zu riechen. Mir fehlten das Adrenalin, die Angst, der Schweiß und die Kameradschaft unter Männern … nach all den Dingen eben, die es im Zivilleben kaum gab. Und mir fehlte der trunken machende Geruch von Kerosin, der immer dann präsent ist, wenn die Transall anfängt zu stottern und zu spucken und wir, den Fallschirm und das schwere Sprunggepäck auf dem schon wunden Rücken, fluchend die Maschine beschuffeln. Das alles schoss mir innerhalb von zwei Minuten durch den Kopf. Zwei Minuten, die ich vor proppenvollen Regalen stand und die Welt nicht mehr begriff. Weichspüler und Hundefutter? Welche Knöpfe wurden da in mir gedrückt? Was hatte mich befallen? War es Wahnsinn? Ein PTBS womöglich? Es ging, so denke ich heute, um die Empörung meiner Psyche einer Situation gegenüber, die sie nicht verstehen oder wahrhaben wollte. Sicherlich spielten Existenzängste eine Rolle. Fragen drängten sich mir auf. Wie sieht mein zukünftiges Leben von nun an aus, wie kann ich in einer Gesellschaft, mit der ich mich nicht unbedingt identifizieren konnte, meinen Platz finden? Einer Gesellschaft, der ich damals als junger Mann entflohen bin? Unterschwellig nagte in mir wohl die Angst, ein allzu ´normales` Leben führen zu müssen. Diese Angst wurde von Monotonie begleitet. Langeweile und Unterforderung machten mich krank. Kurz nach meinem Abschied vom Theater nahm ich einige leichte Security Jobs an, doch ich wusste sofort, dass die Dinge nie wieder so sein würden, wie sie vorher mal waren. Es war also nur eine Frage der Zeit, bis die alten Teufel mich wieder riefen. Als es soweit war, warf ich meine Bedenken kaltschnäuzig über Bord und knüpfte mit alten Gepflogenheiten an, die waren: Koffer packen und ab zum bewaffneten Dienst! In den Jahren zwischen 2002 und 2016 war ich in Sachen Security an vielen Punkten dieser Erde tätig. Die Arbeit machte es mir nicht immer möglich, hinter mich zu sehen. Meine Frau war während dieser ganzen Zeit das so wichtige Zwischenstück, die Brücke zu meinen Kindern. Sie besänftigte sie, stand ihnen an meiner Stelle Rede und Antwort und sie begründete meine Abwesenheit mit Worten, die die damals jungen Sprösslinge eben verstanden. Mit anderen Worten, sie hielt mir den Rücken frei, indem sie die Menge der anfallenden Alltagsprobleme von mir fernhielt, sodass ich mich ganz auf meinen Beruf konzentrieren konnte. Dass sie dabei ihre eigene Person stets hintanstellte, war mir, zumindest in den Anfängen, nicht immer bewusst.

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