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Opas Geheimnis

Als Kinder durften wir den Opa ab und zu begleiten, wenn er mit einem Handwagen alte Balken und sonstiges Holz aus den Ruinen des zweiten Weltkrieges, die es in Berlin am Ende der Fünfziger und Anfang der Sechziger Jahre noch gab, abholte.

Opa war etwa einen Meter fünfundachtzig groß, der Handwagen war grau gestrichen und mit bestimmt einem Meter hohen Speichenrädern aus Holz mit Eisen beschlagen versehen und hatte zwei Handgriffe an lang ausladenden Stangen. Die Seiten waren mit Brettern verkleidet, vorne und hinten war der Karren offen. Dieses Gefährt hatte seinen Platz in einem Durchgang im Hinterhaus zum ehemaligen zweiten Hof zum zweiten Hinterhaus. Dieses zweite Haus gab es nicht mehr und so wurde der Durchgang wie eine Art Garage genutzt, auch teilweise als Lager für einen Gewerbebetrieb im Nebenhaus.

Opa, mit einem grauen Kittel arbeitsmäßig gekleidet und farblich dem Handkarren angepasst, schob die Karre, während wir Kinder auf der Ladefläche sitzen konnten und die Fahrt natürlich total klasse fanden. Man wurde richtig durchgeschüttelt, weil es zu dieser Zeit fast keine richtig asphaltierte Straße gab. Fast nur Kopfsteinpflaster. Das war nicht nur ein Rütteln und Schütteln, das war auch richtig laut.

Opa, der auch Versicherungen verkaufte, kundschaftete bei seinen Versicherungstouren immer wieder neue Objekte aus, die nun abgerissen und durch Neubauten ersetzt werden sollten. Das dabei als Abfall anfallende Holz war genau nach Opas Geschmack.

In den Straßen fuhren meist noch verschiedene Linien der Straßenbahn, teilweise auch schon Busse. Das waren mitunter noch Doppeldecker der BVG mit weit ausladender Motorhaube, aber mitunter fuhren auch schon die neueren sogenannten D2U Busse. Das hieß Doppeldecker, zwei Achsen, Unterflurmotor. Am Heck der Busse, wo es über eine kleine Treppe zum Oberdeck ging, gab es anfangs keine Tür. Diese Plattform war komplett offen und man konnte und durfte dort auch noch darauf stehen. Später wurden Falttüren zur Sicherheit der Fahrgäste eingebaut.

Jedenfalls war der Verkehr noch so gering, dass Opa mit dem Handwagen locker auf der Straße fahren konnte. Autos gab es in der Menge wie heute auch noch nicht. So hoppelten und polterten die Holzsammler also vor sich hin und hatten teilweise ganz ordentliche Entfernungen zu bewältigen.

Diese Sammeltouren fanden meist in den Sommermonaten oder im Herbst statt, weil das Holz ja auch noch von Opa zubereitet werden musste.

Auf den Baustellen hatte Opa meist auch noch Hilfe von den Bauarbeitern, die ihm dabei halfen, die von ihm ausgespähten langen, dicken und schweren Balken aufzuladen. Wir Kinder durften kleinere Holzstücke sammeln und auch auf den Wagen laden.

Staubig und verschwitzt schob Opa mit all seiner Kraft den Handwagen von der Baustelle in Richtung Heimat. Das war richtige Ackerei. Der Wagen war schwer und der Untergrund hart und holperig. Wir hatten bei der Rückfahrt nicht mehr das Vergnügen der kostenlosen Mitfahrt und mussten den Weg laufen, ebenso wie Opa. Besonders schwierig war es für ihn, wenn er die Straßenbahnschienen queren musste, oder versehentlich mit einem der Räder in die Schiene geriet. Da wieder heraus zu kommen, war alles andere als einfach.

Wenn sich die Gelegenheit ergab, wurde kurz gehalten, damit Opa einen Schluck eines mitgeführten Getränks zu sich nehmen konnte. Ich glaube, für uns gab es nichts und das, was Opa trank, hätten wir wahrscheinlich ohnehin nicht vertragen.

Opa war Jahrgang 1900 und Oma wurde 1901 geboren. Er war schon eine stattliche Erscheinung. Schlank, graues nach hinten gekämmtes Haar, und mit Brisk, einem Haarfett oder Pomade befestigt. Starker Raucher. Sein eigentlicher Beruf war Dreher, Schweißer oder Werkzeugmacher. Das hat er nie erwähnt. Als er 14 Jahre alt war begann der erste Weltkrieg mit seinen Entbehrungen. Mit 39 erlebte er den Beginn des zweiten Weltkrieges. Nie hat Opa und auch Oma viel über diese Zeit berichtet. Opa war auch nicht beim Militär. Das nur mal so nebenbei.

Wenn dann die Fuhre Holz mit Opa, dem Handwagen und uns in der Exerzierstraße angekommen war, wurde die schmiedeeiserne kleine Tür zur Kellertreppe geöffnet und die ganze Holzladung auf die Treppe nach unten geschüttet. Man konnte kaum nach unten kommen, aber Opa schaffte das in einer artistischen Meisterleistung und öffnete die untere Tür zu den Mieterkellern.

Wir begannen also das Holz, welches wir als Kinder so bewältigen konnten in den ersten von drei Kellern, die Opa benutzen durfte, zu tragen. Opa schleppte die Balken und wenn sie zu lang waren um die Ecken in den Kellergängen zu passieren, holte Opa die Grünsäge und zerschnitt sie.

War das gesammelte Holz im ersten Keller, dem Arbeitskeller, verstaut, gönnte sich Opa einen Schluck aus der Flasche, die offensichtlich Limonade enthielt.

In Opas Arbeitskeller befanden sich zwei alte Küchenschränke, die heute - aufgearbeitet - bestimmt eine Menge Geld einbringen würden. Dann gab es einen ziemlich großen Hauklotz aus einem Baumstumpf, auf dem Opa das Holz hackte, nachdem er es mit der Säge auf die von ihm gewählte Länge geschnitten hatte.

Das war alles in allem eine harte Arbeit. Dazu kam noch, dass er alle erkennbaren Nägel aus dem Holz zog und sie nebenan beim Lumpensammler verkaufte.

Damit Opa im Keller Licht hatte, wurde eine sehr eigenartige Konstruktion einer Stromleitung nach unten gelegt. Ein einfaches Kabel mit einem Stecker oben und einer Steckdose unten, wo Opa die Lampen anschließen konnte. Dieses Kabel blieb nicht dauerhaft am Haus hängen, sondern wurde immer wieder eingezogen. Oma nutzte dieses Kabel, um Opa zu signalisieren, wann er zum essen kommen konnte. Dazu zog sie mehrmals den Stecker und Opa wusste Bescheid.

Er war eigentlich immer lustig und ich glaube, es konnte ihn so richtig nichts aus der Ruhe bringen. Allerdings war er einmal beim Holz hacken mit einer kleinen Axt durch das abgeschaltete Licht so irritiert, dass er den Schlag nicht mehr bremsen konnte und sich die Axt in das linke Schienbein haute. Zum Glück gab es keine schweren Verletzungen, also keine Knochenbrüche oder größere Blutungen, so dass Opa nach dem Essen seine Arbeit fortsetzen konnte und das auch unbedingt wollte.

Gegenüber unseres Wohnhauses gab es einen kleinen Lebensmittelladen der Firma Meyer. Davon gab es in West-Berlin einige in den verschiedenen Bezirken. Bei Meyer wurde eine Orangenlimonade verkauft, die hieß M8. Das Getränk hatte eine schöne gelbe Farbe und schmeckte auch vorzüglich nach Apfelsine.

Da ich schon früh in die Schule kam, also mit fünfeinhalb, 1960, und meinen Schulweg zu Fuß erledigen musste war klar, ich kann schon größere Straßen überqueren und wusste halt, erst nach links und dann nach rechts schauen. Irgendwie gab es dazu noch einen Reim. Ich weiß aber nicht mehr, wie der ging.

Jedenfalls war ich für Opa der Einholer. Ich musste mehrmals in der Woche eine Flasche M8 für den Opa holen. Ich durfte mir auch immer etwas zum Naschen mitbringen. Wie viele Flaschen M8 ich für Opa holte, blieb unser Geheimnis.

Als Kind machte ich mir über den hohen M8 Verbrauch keine Gedanken. Opas Arbeit im Keller war anstrengend und staubig und dass er dabei Durst bekam, war doch ganz natürlich. Denn mit der Sägerei und der Holzhackerei war die Arbeit nicht erledigt.

Es wurden noch für den Winter Kohlen, also Briketts, geliefert. Für zwei Wohnungen. Unsere und Opas. Die mussten auch noch in einen Keller gestapelt werden. Das Brennholz ebenfalls und Opa machte das sehr akkurat. So waren die Keller vor Beginn des Winters bis zur Tür voll mit Kohlen und Holz. Und der Arbeitskeller war voll mit M8 Flaschen, obwohl ich manchmal auch leere mitnahm, wenn ich neue holte.

Opa war immer wieder unten im Keller ständig irgendwie am Ackern, wenn er nicht auf seinen Touren für die Versicherungen unterwegs war.

Im Laufe der Jahre gab es nicht mehr so viel Holz zu holen bei den Ruinen, die ja auch immer weniger wurden. Meine Oma starb 1966 bei einer Reise mit Opa in Trier. Opa starb 1977.

Erst jetzt wussten die Eltern und auch wir Kinder, warum Opa so viel Zeit im Keller verbrachte. Beide Küchenschränke im Arbeitskeller waren gefüllt mit leeren Flaschen Doppelkorn. Jetzt war auch klar, wofür er die Mengen an M8 Limonade brauchte. Zum Mischen.

Hat er eigentlich gut verheimlicht, der Opa, der Max hieß und bei mir noch immer ganz hoch im Kurs steht.

Aufgewachsen im Berliner Wedding

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