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Auf den Spuren des Meisters.
Wachstumsimpulse für den Glauben

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Michael Herbst

Einen der ältesten Weltrekorde in der Leichtathletik hat der Brite Jonathan Edwards am 7. August 1995 in Göteborg aufgestellt: Er sprang damals 18,29 m weit – im sogenannten Dreisprung, einer der ältesten Disziplinen unter den olympischen Sportarten. Der Dreisprung besteht aus drei nacheinander ausgeführten Sprüngen („Hop“, „Step“ und „Jump“). Erst mit dem dritten Sprung ist die Übung vollendet: Der Springer landet in der Sandgrube, die Weite wird gemessen. Sehr seltsam sähe es aus, wenn ein Athlet nach dem Hop oder dem Step abbräche und nicht auch den Jump vollführte. Erst der dritte Sprung macht aus der Übung etwas Ganzes. Wäre es anders, so würden die Kampfrichter die rote Fahne heben; der Versuch wäre ungültig.

Das ist im Sport völlig klar, in der Welt des Glaubens aber nicht. In der Welt des Glaubens gibt es – unabhängig von den verschiedenen kirchlichen Beheimatungen – Defizite beim „Step“ und „Jump“. Ohne Bild:

 Wir sind in der Kirche oft zufrieden, wenn Menschen getauft sind, treu zu ihrer Kirchenmitgliedschaft stehen und gelegentlich den Kontakt zum Gemeindeleben suchen, z. B. wenn eine Lebenswende zu bewältigen ist, ein hoher Feiertag ansteht oder ein guter Kindergartenplatz gesucht wird. Ob unsere getauften Gemeindeglieder Anreize und Möglichkeiten bekommen, den christlichen Glauben als Erwachsene tiefer kennenzulernen und seine formende Kraft für das ganze Leben zu erproben, ist nicht immer im Sinn.

 Aber ebenso: Missionarische Gemeinden mühen sich gerade um Menschen, die zwar getauft sind und Glieder der Kirche wurden, aber dem Leben der Gemeinde weitgehend fernstehen, obwohl doch der Glaube davon lebt, regelmäßig von Wort und Sakrament gespeist zu werden. Sie lassen sich einiges einfallen, u. a. auch Kurse zum Glauben (wie z. B. „Emmaus“), aber auch hier kann man beobachten, dass „Step“ und „Jump“ nicht recht funktionieren. Anders gesagt: In die Zuwegung zur Welt des Glaubens wird viel investiert, in die Einführung in das Leben in der Welt des Glaubens hingegen zu wenig. Es wird in Grundkursen der Grund gelegt, aber dann zu wenig getan, um Wachstum im Glauben anzubahnen (mehr als das könnten wir ja sowieso nicht, denn Wachstum selbst ist ja eine Gabe des Heiligen Geistes).

Im Neuen Testament ist das hingegen ein zentrales Thema. Schauen wir beispielsweise in den Brief an die Epheser. Der Apostel Paulus versorgt uns hier mit inspirierenden Bildern, worum es bei unserem Thema eigentlich geht.

 Er spricht zu Menschen, die den ersten Schritt schon getan haben: „Auch ihr gehört jetzt zu Christus.“ Warum? „Ihr habt die Botschaft der Wahrheit gehört, das Evangelium, das euch Rettung bringt.“ Und was geschah, als sie das hörten? „Und weil ihr diese Botschaft im Glauben angenommen habt, hat Gott euch (…) durch Christus den Heiligen Geist gegeben.“ (Eph 1,13 NGÜ).

 Ist es damit getan? In einer Hinsicht „ja“: Jetzt sind sie Menschen, die zu Christus gehören. Das ist nicht mehr steigerbar und im Blick auf das Heil nicht steigerungsbedürftig. In anderer Hinsicht aber „nein“, denn jetzt darf sich ja das Neue im ganzen Leben heilsam entfalten. Es geht nicht mehr um das Heil, aber um die Heiligung. Die ist sicher ein Zickzackkurs mit stetem Auf und Ab, und immer wieder werden die Christen allzu deutlich merken, dass sie nur durch Christus vor Gott recht dastehen können – und nicht etwa durch ihre beachtlichen Fortschritte im Glauben und Leben. Und doch werden sie gerne, dankbar, neugierig, manchmal sehnsüchtig, manchmal durch inneren Widerstand und äußere Krisen hindurch, wachsen wollen.

 Das wird im Epheserbrief für nötig und möglich gehalten. Und das formuliert Paulus eben mit einem inspirierenden Bild. An einer persönlich gehaltenen Stelle in seinem Schreiben schildert er den Ephesern, wie und worum er für sie betet. „Es ist mein Gebet, dass Christus aufgrund des Glaubens in euren Herzen wohnt und dass euer Leben in der Liebe verwurzelt und auf das Fundament der Liebe gegründet ist“ (Eph 3,17 NGÜ). Das geschieht offenbar nicht automatisch, wenn Menschen „die Botschaft im Glauben“ annehmen.

 Später in seinem Brief wird der Apostel praktischer. Er schildert, wie Christus seine Gemeinde leitet. Dazu gehören begabte Führungspersonen wie Hirten, Evangelisten und Lehrer. Sie haben eine vornehme Aufgabe: „… diejenigen, die zu Gottes heiligem Volk gehören, für ihren Dienst auszurüsten, damit die Gemeinde, der Leib von Christus aufgebaut wird.“ (Eph 4,12 NGÜ). Das bedeutet, dass den verschiedenen Führungskräften in der Gemeinde eine Aufgabe besonders ans Herz gelegt wird: für den Dienst auszurüsten.

 Es ist schließlich hilfreich zu sehen, wie sich das große Ziel übersetzen lässt in kleinere Zielvorstellungen. Das große Ziel redet von Christus, der im Herzen wohnt (also dauerhaft residiert und regiert), und von der Verwurzelung in der Liebe zu Gott, zur Gemeinde und zu anderen Menschen. Die kleineren Zielvorstellungen werden präziser: im Glauben und in der Erkenntnis „Reife erreichen“ (Eph 4,13 NGÜ), negativ gesprochen: „keine unmündigen Kinder mehr sein“ , sich „nicht mehr durch jede beliebige Lehre vom Kurs abbringen lassen“ (Eph 4,14 NGÜ). Es gibt also eine zunehmende Klärung der Gedanken über den Glauben und ein festeres Wissen über den Glauben. Weiter geht es um eine neue Verlässlichkeit und Dienstbereitschaft untereinander im Geist der Liebe: „Jeder einzelne Körperteil leistet seinen Beitrag entsprechend der ihm zugewiesenen Aufgabe.“ (Eph 4,16 NGÜ). Menschen, die im Glauben wachsen, erkennen ihre Begabung und damit auch ihre Berufung in Gemeinde und Gesellschaft. Darüber hinaus treten alte Verhaltensweisen zurück, es gibt auch eine Bildung von Charakter und Verhalten, etwa hinsichtlich des Umgangs mit Zorn und anderen starken Emotionen, hinsichtlich persönlicher Integrität, einer gesunden Schlichtheit des Lebenswandels, einer Konfliktfestigkeit, die auch zu vergeben vermag, einer Verlässlichkeit und Selbstbeherrschung beim Reden und Schweigen oder auch einem geklärten und vor Gott verantworteten Umgang mit Ehe und Familie (so etwa in Eph 4 und 5). Schließlich wird auch eine einfache Form geistlicher Disziplinen einzuüben sein, wenn Paulus den Ephesern z. B. erklärt, wie wichtig Gebet und Fürbitte sind (vgl. Eph 6,18f).

Dieses Beispiel aus dem Epheserbrief mag hier genügen. Es ist die Übersetzung dessen, was Jesus selbst in den kurzen Jahren seines gemeinsamen Lebens mit den Jüngern tat und einübte. Er unterrichtete sie durch Lehre, Übung und lebendiges Vorbild. Er war der große Mentor, der den Jüngern zeigte, wie man „auf den Spuren des Meisters“ geht und im Alltag als Jünger lebt. Dazu spornte er sie immer wieder an – und darauf verwandte Jesus nach dem Bericht seiner Biografen einen erstaunlichen und erheblichen Anteil seiner Zeit.

Hier haben wir als Gemeinden in der Regel erheblichen Nachholbedarf. Wir sollen begreifen: Es geht im Glauben nicht nur um gute Anfänge, es geht darum, Christen jedes Alters zu ermuntern und anzuleiten, wie sie lebenslang wachsen können. Man kann, wenn man sich jetzt sorgt, es gehe um geistlichen „Leistungssport“ (der Vergleich zu Beginn könnte das ja nahelegen), sich klarmachen, was die Alternative wäre: ein ungeformter Glaube, der beim kleinen Einmaleins stehen bliebe, verwirrt über alles, was an religiösen Impulsen publik würde, unsicher in allem, was zu glauben oder zu bezweifeln wäre, unverändert in der gesamten Lebenspraxis, sprachlos gegenüber dem Nächsten und wortkarg im Gespräch mit Gott, unaufgeklärt über die eigene Begabung und die persönliche geistliche Platzanweisung. Nicht dass es immer so sein müsste, nicht dass es immer durch gemeindliche Bemühung verhindert werden könnte! Aber im Großen und Ganzen ist das die Alternative.

Wer hier zu schnell argwöhnt, es ginge um eine „geistliche Elite“, müsste sich mindestens fragen, ob das zurzeit die größere Gefährdung unserer Gemeinden darstellt – und nicht doch eher eine Unterversorgung der Christenmenschen im Blick auf normales, gesundes geistliches Wachstum.

Schaut man sich etwas um, so kann man sehen, dass die Probleme und entsprechende Lösungen an vielen Stellen bedacht werden. Die Willow Creek Gemeinde hat durch die „Reveal-Studien“ herausgefunden, dass es viele Christen in der Gemeinde auf Dauer hemmt und unzufrieden stimmt, wenn sie keine Wachstumsimpulse bekommen. In der französischen Diözese Poitou-Charente wurde das kirchliche Leben durch kleine lokale Teams ehrenamtlicher Führungskräfte belebt, aber das funktionierte nur, weil diese Ehrenamtlichen gezielte Angebote zum geistlichen Wachstum, zu theologischer und praktischer Bildung bekamen. Die neuen Ausdrucksformen gemeindlichen Lebens in der Church of England („fresh expressions of church“) zogen bald ein einjähriges Trainingsprogramm für zukünftige ehrenamtliche Führungskräfte nach sich: „mission-shaped ministry“.

Der bekannte amerikanische Pastor Gordon MacDonald schildert in seinem Buch „Tiefgänger“ (Asslar 2012) ein einjähriges Programm, das persönliches Mentoring mit einem gezielten „Wachstumsimpuls“ verknüpft: 40 Wochen lang treffen sich 12-15 Menschen verbindlich zu etwa dreistündigen Treffen. Sie lernen viel über die eigene Persönlichkeit, sie lernen, ihre Lebensgeschichte aufzuschreiben, zu erzählen und zu reflektieren. Sie üben sich im Lesen und im Dialogisieren. Sie lernen etwas über biblische Leitungsvorbilder wie Josef oder Timotheus und erforschen das Handwerk guter Leitung. Sie tauschen sich über Merkmale eines christlich geformten Charakters und über geistliche Übungen im Alltag aus. Sie reflektieren ihre persönliche Begabung und fragen nach einer persönlichen Berufung für Gemeinde oder Gesellschaft. Die Zielvorstellung von MacDonald passt vorzüglich zu den weiterführenden Materialien des Emmaus-Kurses: Menschen sollen wachsen können. Dazu brauchen sie ein anregendes Klima, Mentoren, Impulse und Herausforderungen. Es gibt kaum Referate; vieles wird im Gespräch entdeckt und jeder weiß, dass seine Beteiligung erwünscht und notwendig ist. Eine reine Vortrags-Diskussions-Veranstaltung, ein purer Gemeinde-Hörsaal würde kaum Erwachsenen in ihren Bildungsprozessen gerecht werden. Leitend war ein Satz des amerikanischen spirituellen Lehrers Richard Foster: „Was wir heute am nötigsten brauchen, sind nicht mehr intelligente und begabte Leute, sondern mehr Menschen, die aus der Tiefe heraus leben.“ (R. Foster: Nachfolge feiern. Wuppertal 21997, 9).

Vielleicht war es früher einmal so, dass sich solches Wachstum im gemeindlichen Leben eher „unter der Hand“ ereignete. Das konnte daran liegen, dass bestimmte Mechanismen einfach noch selbstverständlicher funktionierten: Christliche Familien sorgten für einen höheren „Grundwasserspiegel“ in der Erziehung getaufter Kinder. Die eigene Lebensgeschichte verband sich immer wieder mit intensiven Lernerfahrungen im Glauben, auch durch Religions- und Konfirmandenunterricht. Die regelmäßige Teilnahme an christlichen Gottesdiensten legte für manches den Grund. Wer zum Glauben fand, fand auch rasch den Weg in eine Kleingruppe, einen Hauskreis oder ein Mitarbeiterteam. Das alles gibt es natürlich noch. Aber es ist für viele Menschen brüchiger und unregelmäßiger geworden. Immer mehr Menschen haben solche grundlegenden Erfahrungen gar nicht oder nur kaum gemacht. Die Wege zum Glauben, aber eben auch die Wege im Glauben werden länger.

Darum hat man das Konzept des Emmaus-Kurses auch erst verstanden, wenn alle drei Phasen im gemeindlichen Leben verwurzelt sind: die Einübung der guten, authentischen Kontakte, der Basiskurs und eben auch die Arbeit mit den weiterführenden Materialien, die wir hier neu und in hoffentlich besser zugänglicher Form vorlegen. Im gemeindlichen Leben gehört es zu den Führungsaufgaben, die Zurüstung im Glauben zu fördern. Das ist nun der Ansatz: Es bedarf einer Prioritätendiskussion in der Gemeindeleitung, wenn mit dem Emmaus-Kurs gearbeitet werden soll. Es muss auch Raum für die beschriebenen Wachstumsimpulse geben. Führungskräfte sind dafür freizustellen, evtl. auch noch weiter zu schulen. In der Gemeinde sollen Vorfreude und Neugier geweckt werden: Es geht nicht um „noch ein Programm“, sondern um die Aussicht, in jeder Lebensphase und an jedem denkbaren Punkt der eigenen Glaubensbiografie, als Anfänger, Neueinsteiger, gerade Getaufter, langjähriges Gemeindeglied oder „alter Hase“ den eigenen Glauben vertieft kennenzulernen und im eigenen Leben vermehrt zur Wirkung kommen zu lassen. Es geht eben darum, auf den Spuren des Meisters zu leben und Nachfolge im Alltag einzuüben.

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