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Orientierung im Foodtrend-Stress

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Zusammengefasst ist dieses ganze Foodtrend-Dingens gar nicht so kompliziert. Mal grob obendrüber gesagt, ist alles an Essbarem möglich und erlaubt, wenn Sie die passenden Argumente dafür haben und diese überzeugend darstellen können. Die Auswahl ist derart individuell und mehr oder weniger tolerant (bis auf die Intoleranzen), da ist für jeden was dabei. Von der Free-from-Bewegung bis All-you-can-eat. Das Kind braucht nur einen definierten, möglichst hoffärtigen Namen, dann geht alles. Wie Flexitarier zum Beispiel. Ein Ernährungskonzept, das alles kann und nichts muss. Eine Rechtfertigung für eine entspannte Verkrampftheit, wenn Sie so wollen. Das Drüber-Reden scheint dabei wichtiger zu sein als der Geschmack. Die Fischstäbchen und das ordinäre Schnitzel essen wir heute eh nur noch heimlich und fotografieren für die Außenwelt den heimischen Bachsaibling in der Salzkruste und das schöne Gemüse aus der Region.

Du bist, was du isst. Auch so ne Sache, mit der man sich immer wieder auseinandersetzen soll. Ein vegan frittiertes Blumenkohlröschen aus dem eigenen Garten oder ein dry aged Ripperl aus dem Smoker? Ein fair trade Schokokeks mit palmölhaltiger Ganachefüllung oder ein glutenfreier Canihuapopper? Ich weiß nicht recht – was davon wären Sie denn gern?

Unter anderem ist die spontane Verfügbarkeit von so ziemlich allem bedeutsam. Schließlich haben wir alle reichlich zu tun mit unseren Selfies, die ja neuerdings Foodies heißen – man macht mehr Bilder vom Essen als von sich selbst. Vollkommen egal, ob selbstgekocht, von extern serviert oder fix und fertig ins Haus gebracht. Aber der Lebensmittel-Lieferservice muss selbstverständlich in Bioqualität funktionieren und Slow Food ist ein Riesenthema, aber schnell muss es gehen. Dass es dazu noch regional, saisonal und möglichst frei von CO₂-Belastung sein soll, wenn man sich peruanische Quinoa, vorgereifte Avocados aus Costa Rica, ganzjährige Bioerdbeeren und zwecks der ausgewogenen Ernährung ein bisserl Cashewmus im Glas ordert, da sieht der Genießer von heute keinen Widerspruch. Aus der ganzen Welt eingeflogen, im Premium-24h-Service und versandkostenfrei.

Trotzdem möchte die moderne Essgesellschaft stets informiert sein, wo alles herkommt und wers gemacht hat. Im Idealfall mit Foto vom glücklich dreinschauenden Plantagenarbeiter und mindestens drei gewissensberuhigenden Gütesiegeln auf der Versandschachtel. Ein mitgeliefertes Zertifikat, das von der Kuh persönlich geschwind unterschrieben wurde, bevor sie die eigenen T-Bones selbst mariniert hat, macht sich super hinter dem Treuepunktmagneten aus dem Lebensmitteldiscounter an der Kühlschranktür. Das Kleingedruckte mag keiner so genau lesen wegen dem Appetit.

Bäckereien im klassischen Sinne wird es bald auch nicht mehr geben. Den meisten Leuten reichts, die aufgewärmten Chinaböller im Discounter zu holen. Die Bäcker selbst haben zum Großteil ihren Handwerkerstolz mit einer wirtschaftlichen Beruhigung zwangsverrechnet und verzocken die auf amazoneske Gleichheit runterreduzierte Körnervielfalt eben gemäß Industriefertigmischung. Viel einfacher, viel rentabler. Dem Konsumenten ist das so gut wie egal. Eins von drei gekauften Gebäckstücken schmeißen wir ja sowieso weg.

Mit dem Brotmüll hantieren bereits ambitionierte Start-uppler und machen draus Schuhe und Fassadendämmungen. Andererseits gibts jetzt auch diese ganzen Alternativgetreidetypen und so Etablissements in denen Gebackenes mit Schrot und Bio und Super und alles angeboten wird. Eine Brotbackwelle mit elektrisch betriebenen Getreidemühlen für die chillig-nachhaltige Home-Bakery schwappt auch schon daher. Trifft aber nur die, die grad nicht auf Low Carb sind. Die anderen dürfen sich derweil vom Brot-Sommelier neue Kraftausdrücke anhören, die den Flauschfaktor und die Krumenbildung ausführlich beschreiben. Knusprig-malzig, tief-saftig, schwammig und sowas.

Wir essen jetzt häufiger im Stehen und im Gehen als im Sitzen und eher draußen als drinnen. Essen von der Imbissbude heißt jetzt Street Food und hat heute mehr Glamour als der Luxus-Italiener und das Steakhouse zusammen. Püriertes Gemüse mit Papier-Strohhalm zu schlürfen ist gerade noch moderner Lifestyle, wenngleich die Coffee-to-go-Becher politisch ins Unkorrekte abgedriftet sind. Dieses Thema wird sich sowieso bald von selbst erledigt haben, weil die Chinesen unseren Müll nicht mehr kaufen möchten. Wir ihren dagegen schon noch. Jedoch holen wir uns den einzeln und mundgerecht verpackt im Supermarkt und haben neuerdings stets ein heuchlerisches Textilsackerl aus fair trade Biobaumwolle und einen wieder befüllbaren Mitnahmebecher dabei.

Selbermachen ist wieder salonfähig und extrem hip, genauso wie eine ballaststoffreiche, gesunde Ernährung mit allerlei Werbesprechhintergrund. Das hört man sich gerne an und lechzt nach Anerkennung von seinesgleichen. Vegetarisch ist schon fast wieder out, weil zu halbherzig. Vegan ist cool, wenn es dafür dankbares Publikum gibt. Und der Gipfel der Glückseligkeit ist natürlich alles an Superfood, was wir kriegen können, wenn es denn auch noch kohlenhydratearm ist und sich gut fotografieren lässt.

Die Work-Life-Balance muss stimmen. Genau wie der Säure-Basen-Haushalt. Dazu macht jeder dauernd mindestens eine spannende, verjüngende, straffende, von innen reinigende, megagesund klingende Diät und alle zelebrieren parallel und publikumswirksam wenigstens drei medizinisch noch unerforschte Intoleranzen. Von Paleo bis zum gepflegten Bodyhacking nach DNA hungert man sich gen-optimiert geradewegs in die Ketose.

Woher ich das alles weiß? Hab ich im Facebook und auf Twitter gelesen, von meinen Nachbarn gehört, bei modernen Gastgebern selbst aushalten müssen, die Fotos in Instagram und Pinterest entdeckt, mich durch Foodblogs und YouTube-Kochshows gequält und bis zur #Überdosis alle Programme im Trash-TV geguckt.

Brutal regional!

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