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PROLOG

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ICH WILL, dass sie schweigt. Tatsächlich sagt sie für den Moment nichts. Doch ihr Lächeln ist voller Spott. Obwohl sie auf ihrem Bett sitzt und ich stehe, scheint sie auf mich herabzublicken. Das halte ich nicht aus. Ich gehe einen Schritt auf sie zu. Ihr impertinenter Papagei krächzt: «O das ist gut! Das ist gut.»

«Ruhe!», brülle ich so laut, dass ich mich selbst erschrecke.

Der Papagei flattert kurz in seinem Käfig hin und her. Dann ist es so still, dass der Straßenlärm durch die geschlossenen Fenster dringt. Das Lächeln verschwindet aus ihrem Gesicht.

Ich schließe die Augen. Alles könnte so schön sein. Wenn sie mich nur verstehen würde. Kann sie es nicht? Oder will sie es nicht? Dabei habe ich alles versucht. Mit Engelszungen habe ich auf sie eingeredet. Erklärt und erklärt. Doch sie hört mir überhaupt nicht zu.

«Du machst dich lächerlich», sagt sie.

Obwohl ich die Augen nicht öffne, weiß ich, dass sie grinst. Ich höre es an ihrer Stimme. Das geht zu weit. Ich will, dass sie schweigt!

«Geh jetzt», sagt sie.

«Geh jetzt! Geh jetzt!», wiederholt der Papagei.

Das ist zu viel. Ich öffne die Augen und sehe das Kissen. Mit einer schnellen Bewegung hebe ich es an und drücke es auf ihr Gesicht. Ich will, dass sie schweigt. Ich will ihr Grinsen nicht mehr sehen. Also drücke ich fest zu. Fester.

Sie wehrt sich, zappelt, schlägt um sich. Erwischt meinen Arm. Es schmerzt. Ich drücke das Kissen noch fester auf ihr Gesicht. Anscheinend versucht sie, etwas zu rufen. Der Hohn ist aus ihrer Stimme verschwunden. Ich will, dass sie schweigt.

Sie lässt meinen Arm los und schlägt um sich. Wie ein Käfer, der auf dem Rücken liegt und mit den Beinen strampelt. Die Schläge treffen meinen Oberkörper. So viele, dass es mir vorkommt, als hätte sie mehr als zwei Arme.

Wie lange drücke ich schon? Eine Minute? Zwei? Drei? Es kommt mir wie eine Ewigkeit vor. Und noch immer dringen ihre Laute durch das Kissen. Ich will, dass sie schweigt.

Endlich wird sie leiser. Unter dem Kissen kommt nur noch ein leises Röcheln hervor. Ihr Körper bäumt sich auf. Ich drücke fester, fester, fester. Noch einmal versucht sie sich zu wehren. Dann ist endlich Ruhe. Sie lässt mich los und schweigt. Es herrscht absolute Stille. Mir kommt es vor, als wäre nicht nur sie erstarrt, sondern auch die Zeit. Das Kissen in meiner Hand strahlt weiß und unschuldig. Meine Hände schmerzen und leuchten rot von der Anstrengung. Wie lange ist sie schon still?

Kaum lasse ich das Kissen los, dringt die Welt wieder in mein Ohr. Das Rauschen von draußen. Auch der Papagei krächzt wieder: «Geh jetzt!»

Ich hebe das Kissen an. Das Gesicht darunter ist verzerrt. Die Augen sind weit aufgerissen und starren nach oben. Jetzt sieht sie, wie es mir geht. Ich lasse mich auf das Bett fallen und nehme ihre Hand. Sie ist warm und verschwitzt. Sanft streiche ich über ihren Handrücken und sage: «Wir hätten auch vernünftig miteinander reden können. Ich wollte dir nicht wehtun.»

Sie bleibt ohne Regung, verzieht nicht einmal eine Miene. Das erscheint mir besser als ihr Hochmut vorhin.

«Ich hoffe, du hörst mir endlich zu», sage ich. Dabei ziehe ich an ihrer Hand und versuche, ihr aufzuhelfen. Doch sie regt sich nicht. Will sie mich mit Ignoranz strafen? «Nun komm», sage ich, «du brauchst nicht zu schmollen. Ich habe mich beruhigt.»

Das stimmt sogar. Auch wenn ich diesem Papagei am liebsten den Hals umdrehen würde. Denn der war nur einen Augenblick ruhig und krächzt nun schon wieder: «O das ist gut! Das ist gut.»

«Pst!», zische ich und wende mich wieder ihr zu. «Lass mich dir bitte noch einmal alles erklären!»

Doch sosehr ich auch an ihrem Arm ziehe, sie rührt sich nicht. Ihr Oberkörper scheint völlig verkrampft zu sein. Und ihre Augen – wenn ich mich bewege, folgen sie mir nicht. Ihr Blick bleibt völlig starr nach oben gerichtet. Ein kalter Schauer läuft mir den Rücken hinunter. Sie wird doch nicht … Was habe ich getan?

Ich lasse ihre Hand los, ergreife ihre Schultern, rüttle heftig an ihnen und rufe: «Nein!»

«O das ist gut!», krächzt der Papagei. «Das ist gut.»

Ich ohrfeige sie. Noch einmal und noch einmal. «Nein!»

«Geh jetzt!», krächzt der Papagei. «Geh jetzt!»

«Pst!» Ich muss nachdenken. Noch mehr Ohrfeigen werden nicht helfen. Es ist vorbei.

Sie starrt nach oben. So als wäre ich gar nicht hier. Vielleicht wäre es besser gewesen, ich hätte heute nicht ihre Wohnung betreten, um mit ihr zu sprechen. Doch ich kann die Zeit nicht zurückdrehen. Nichts ungeschehen machen. Was habe ich getan? Ich wollte doch nur, dass sie mir zuhört. Nun liegt sie da mit der Verzweiflung im Blick. Ansonsten sieht sie so zart wie ein zerbrechliches Stück Porzellan aus. Dabei ist sie die Sünderin. Nicht ich bin schuld. Ich wollte nur mit ihr sprechen.

Was nun? Soll ich die Polizei rufen? Wird mir jemand glauben, dass ich nichts Böses vorhatte? Nein. Hier stehe ich, und sie liegt da. Tot. Niemand wird mich verstehen. Niemand wird mir zuhören. Wenn die Polizei kommt, wird sie an einen Mord glauben. Vielleicht ist das die Lösung. Ich gebe den Herren, was sie wollen. Einen Mord. Da kommen viele als Täter infrage.

Also los. Zuerst das Bett. Ich reiße Decke und Kissen aus dem Bezug. Es soll so aussehen, als seien hier die Fetzen geflogen. Können die Polizisten irgendwo meine Fingerabdrücke finden? Ach was, bestimmt sind in der ganzen Wohnung Fingerabdrücke von Dutzenden Männern verteilt. Also was soll’s!

Als Nächstes ziehe ich sie aus. Das Hemdchen, den viel zu kurzen Rock, das bisschen Stoff, das ihre Scham kaum bedeckt. Nun trägt sie ihre Berufsbekleidung: nichts. Ich werfe die Kleidung in den brennenden Ofen.

«Das ist gut!», ruft der Papagei wieder.

Ich öffne die Tür des Käfigs. Wenn ich weg bin, kommt das Vieh hoffentlich heraus und macht noch ein bisschen zusätzliche Unordnung. Apropos Unordnung. Ich reiße die Kommode und den Tisch um. Plunder ergießt sich über den Boden. Mit ein paar Tritten verteile ich das Zeug im Zimmer. Ein paar Bücher rutschen unter das Bett. Ich bücke mich, gucke ihnen hinterher und entdecke einen Koffer. Den kann ich auch noch ausschütten. Ich ziehe den Koffer unter dem Bett hervor und öffne ihn.

O mein Gott, der Koffer ist voller Banknoten! Zehner, Zwanziger, Fünfziger, auch Hunderter. Wie viel Geld kann das sein? Zehntausend Mark? Oder hunderttausend? Keine Ahnung. Das zähle ich zu Hause nach.

Ich blicke mich um. Vor dem Bett liegt ein Taschenkalender. Ich öffne ihn und blättere zum heutigen Datum. Den Eintrag soll niemand finden. Ich reiße ein paar Seiten heraus.

«Geh jetzt!», krächzt der Papagei.

Er hat recht.

Rotlicht

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