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Fietes Start in Deutschland

Im beginnenden Advent 1947 fand Fiete wenige Tage nach der Entlassung aus der 3-jährigen französischen Kriegsgefangenschaft erst einmal einen Unterschlupf bei der Familie Kallerhof in Ulm. Es war sein Glück, dass er dort Gisela Krüger traf.

Fiete und Gisela hatten sich kurz kennen gelernt, als er mit seinen zwei Verwundungen 1944 in Bad Oeynhausen im Lazarett lag.

Jetzt lebte Gisela bei ihren Verwandten, der kinderlosen Familie Kallerhof, in der Schadstraße 11 in Ulm.

Aus dem Mädchen aus Gohfeld war jetzt, 1947, eine junge und erfahrene Frau geworden, sie wusste was sie wollte in ihren zwanziger Jahren.

Fiete war 1947 immer noch ein durch Krieg und dessen Folgen für einige Jahre aus dem Verkehr gezogener Abiturient.

Nach einer kleinbürgerlichen Kindheit hatte Fiete sich jetzt nach einer – unfreiwilligen – Pause von drei Jahren verspätet mit Menschen oft gleichen Alters in einer neuen Welt zurechtzufinden. Jahre die oftmals ihm nichts außer Verzweiflung gebracht hatten. Die weitgehend ohne Kultur durchgestandene Zeit klebte an ihm, und wehrte sich noch gegen das unbekannte Neue.

Was kannte Fiete vom sogenannten Leben, das er versäumt hatte?

Ja, als jungen Schüler von 16 Jahren hatte er zum ersten Mal ein Mädchen, die hübsche blonde Ulla Burmeister, geküsst, als sie zusammen mit ihren Rädern in den nahen Grabower Wald gefahren waren. Es war keine stürmische Liebe bei den beiden, es dauerte lange, bis sie sich zu küssen getrauten, es waren zarte Küsse auf die Stirn des jungen Mädchens von einem noch schüchternen Knaben. Erst als Fiete nach einem Theaterbesuch mit der 20 jährigen Nichte des lokalen Arztes im Anschluss im Grabower Schützenpark auf dem Mühlstein eines Aussichtplatzes sich niederließ, zeigte ihm Evchen, wie man küsst. Fiete war zuerst erschrocken. War das die Liebe? Er fand das Ganze leicht zu stürmisch. Dann war es Gisela, die Müllerstochter aus seiner Klasse, mit der ihn eine lange Kinderliebe verband, mit der er Küssen übte. Jetzt erfuhr er, dass Küssen mehr war als Schmusen. Danach war Pause, er landete als Unteroffizier an der Front und fing einen Splitter im Rücken und ein durchschossenes Gesäß, mit dem er Gisela für wenige drei Tage kennen lernen konnte, bevor er wieder an die Front musste. Eine Zeit, die sich dann unfreiwillig auf fast drei Jahre hinzog, bevor er jetzt in Ulm wieder für zwei Tage Gisela erleben durfte, immer noch als ein unreifer Mensch, geprägt vom Alleinsein als Gefangener in Frankreich.

Vom Leben im entstehenden neuen Deutschland, von den Funktionen der Truppen der Siegermächte, von dem Trümmerland Deutschland und von den Startversuchen der neuen Gemeinschaften hatte er bisher nur durch eine handgeschriebene Lagerzeitung erfahren.

Fiete hatte Frankreich in einem etwas anderen Aufbruch erlebt als das vor einer Spaltung stehende Deutschland.

In Frankreich hatte Fiete mit Erstaunen erfahren, dass es bei den Franzosen nicht selten war, dass sich die Bevölkerung bemühte, den gefangenen deutschen Menschen nahrhaftes Essen zu beschaffen. Fiete dachte an die Mme. Drezen im Finistère, mit deren regelmäßigen Lieferungen taufrischer Fischköpfe ihm und den Schicksalsgenossen gutes, eiweißreiches Essen ermöglicht wurde.

Fiete kannte die Dienstränge der französischen Armee.

Er war es gewöhnt, als gefangener Unteroffizier die Offiziere der Franzosen zu grüßen, die jeweils zurückgrüßten, ihn, den deutschen Unteroffizier. Sie nannten ihn Sergeant.

Das wäre in seiner Zeit beim deutschen Militär ungewöhnlich gewesen.

Fiete hatte die Chance abgelehnt, mit vollem Dienstgrad zur Fremdenlegion überzutreten. Es war verlockend, aber irgendetwas hinderte ihn, das Eintrittsdokument zu unterschreiben. Die von ihm und seinen Freunden abgelehnten SS-Soldaten gingen oft als geschlossene Einheit zur Légion étrangère, dort wurden ihnen ihre Schandtaten verziehen.

Irgendetwas war bei Fiete aus der Zeit der Gefangenschaft hängen geblieben, er konnte es nicht definieren, als er an der Loire arbeiten musste, als er im Lager an der Loir, an der Loire ohne „e“, lebte. Man konnte mit den Menschen Wein trinken. Wein trinken mit Menschen, die Kartoffeln und Fleisch getrennt zu essen pflegten. Sie, die Menschen, waren stolz auf die Schlösser, deren Name Fiete erst Jahrzehnte später erfuhr. Es waren freundliche Menschen, die ihm zutranken, mit denen er reden konnte, wenn auch sein Französisch schlecht war.

Als Fiete um 1990 hier mit Solvejg in seinem BMW vorbeifuhr, erzählte er ihr von seiner Zeit dort als Gefangener. Es war fast, als ob er dort einen Weg nach Daheim erlebte.

Jetzt in Ulm kam dieser verspätete Abiturient aus der Abgeschlossenheit – war es Abgeschiedenheit oder nur die andere Welt der Kriegsgefangenschaft? – in ein Haus, in dem Wohlstand und kulturelles Leben herrschte. Eine damals übliche Grammophontruhe spielte schon „neue“ Klassik, die er nicht kannte, und die doch alte deutsche Musik war. Gisela spielte US-Musik zur Unterhaltung und Schlager aus den USA. Keiner trauerte der Zarah Leander und dem Wagnerfimmel der Nazis nach.

Englische und amerikanische Presse zu lesen, gehörte neben dem Studium der Schweizer Presse zur täglichen Lektüre in diesem modernen deutschen Geschäftshaushalt im neuen westlichen Deutschland.

Die Kallerhofs kleideten den noch in alter Uniform mit amerikanischer Hose herumlaufenden gerade 20-jährigen, als französischen „Sergeant“ entlassenen ehemaligen deutschen Unteroffizier Fiete erst einmal neu ein. Er erhielt ein ordentliches Hemd mit Kragen und einen gut sitzenden, fast neuen Anzug angezogen. Die Uniformreste wurden eingepackt.

In der Unterhaltung mit dem Herrn Kallerhof erhielt Fiete sein erstes Wissen über die moderne Marktwirtschaft, die in der amerikanischen Zone im Entstehen war. Fiete erinnerte sich nur an Bezugscheine, als Kallerhof ihm sagte, in einigen Monaten ist wieder der 20 Mark Schein der Bezugsschein. Durch die befreundete Familie Kallerhof erhielt Fiete Einblick in die neue politische Struktur, die im westlichen Teil Deutschlands im Entstehen war, und in deren Rahmen die Familie Kellerhof erfolgreiche Warenhäuser konzipierte.

Fiete fand hier einen ersten Unterschlupf für sein neues Leben. Gisela führte ihn in die Gegenwart ein. Zwei Tage blieb er in Ulm, bis er bei seinem Onkel in Zorneding bei München eine mehrwöchige Bleibe fand.

Fietes Bemühen, zum Studium in München zugelassen zu werden, blieb ohne Erfolg. Als frisch entlassener Gefangener aus Frankreich stand er ganz hinten auf der Zulassungsliste für künftige Tierärzte. Länger als ein Jahr auf die Studiumszulassung warten zu müssen, sei nicht einmal lang, wurde ihm auf dem Unisekretariat gesagt.

Zunächst lebte Fiete vom Entlassungsgeld, dann erhielt er vom Onkel, dem früher mal sein Vater aus der Patsche geholfen hatte, etwas Geld kam von zu Hause auf Umwegen. Er kam zurecht. Als er in der Gemeinde in Zorneding nach Arbeit fragte, antwortete man ihm kühl, „Gehen Sie nach Hause, vielleicht finden Sie dort etwas“. Arbeit gab es in dieser Zeit auch nicht in München.

Die Umstellung auf das neue Deutschland, in dem er die ersten vier Wochen lebte, nahm ihn ganz in Anspruch.

Fiete wurde offiziell entnazifiziert, was für sein Fortkommen sehr wichtig war. Er erhielte den Bescheid „Nicht betroffen“ und bekam einen Westausweis mit „Student“ als Berufsangabe und Zorneding in Bayern als Wohnsitz.

Zwei Tage brauchte er, um ein Versprechen seines Mitgefangenen Wastl zu erfüllen. Wastl, der wie Fiete im Unteroffizierslager der US-Truppen schon in Rennes Anfangs 1945 dabei war, bat Fiete, nach der Zenz zu sehen, weil er noch nicht zu Entlassung anstand.

Fiete fuhr also mit der Bahn an den in Thorré vom Wastl angegebenen Bahnhof im Bayrischen Wald und marschierte brav die gut 12 Kilometer bis zu dem einsam gelegenen Ort, wo die Zenz wohnen sollte. Fiete fand tatsächlich die Zenz, und kam gerade zurecht, um am Vorabend der Verlobung der Zenz mit einem anderen Burschen teilzunehmen.

Man lud Fiete zum Essen ein und bot ihm Nachtquartier zum Schlafen im Bett in einem Raum mit Motorrad und getrocknetem Feuerholz. Dankbar war Fiete als Gast und verließ ausgeschlafen am nächsten Morgen wieder diese Stätte mit den so freundlichen Menschen, die ihm einen so herzlichen Empfang bereitet hatten.

Immer wieder war er von den Wirtsleuten nach dem Wastl gefragt worden. Und ausführlich berichtete Fiete den herzlichen Bayern über das Leben des Wastl in Frankreich. Wie das Leben eben so spielt.

Ende 1947 entschied sich Fiete, nach den ersten Wochen im Westen zunächst einmal eine Rückkehr ins Elternhaus in Grabow in Mecklenburg zu versuchen, um von dort seine Berufsplanung zu realisieren. Wenn auch voller Misstrauen gegenüber der Situation im Osten Deutschlands, konnte er nun mit einem amerikanischen Interzonenpass und Ausweispapieren aus der Amerikanischen Zone nach Grabow reisen, wo seine Eltern lebten.

Nach kurzem, vorsichtigem Einschätzen der dortigen Situation beschloss Fiete jetzt, von hier die ersten Schritte zu Realisation seines geplanten Berufes als Tierarzt zu beginnen.

Leider ging die so gute Beziehung zur Ulmer Gisela durch die Entfernung von seiner Heimat Grabow nach Ulm an der Donau in die Brüche. Die sehr kurze Freundschaft, beide waren knapp sechs Tage in ihrem Leben zusammen gewesen. Jetzt nur mit Briefen diese kurze Beziehung aufrecht zu erhalten, scheiterte. Beide, Gisela und Fiete, kannten sich kaum, auf jeden Fall zu kurz für die Zeit zur Festigung ihrer großen Liebe in einer wirren Zeit, wo die verschiedensten Eindrücke auf die jungen Menschen einprallten. Beide blieben treue Freunde und viele Jahre freundschaftlich verbunden. Nach Jahrzehnten, als beide verheiratet waren, trafen sie sich in Ulm, auch besuchte Gisela die Familie Fietes in Basel.

Fiete begann nun seine neuen Aktivitäten mit einer Reihe von Besuchen bei den lokalen Veterinärbehörden in seiner Heimat.

In der Kreisstadt Ludwigslust besuchte er den neu eingesetzten Kreistierarzt, in der Landeshauptstadt Schwerin den Landestierarzt und den Leiter des dortigen Schlachthofs. Alle neu im Amt befindlichen Veterinärbeamte zeigten – voller Angst, etwas Falsches zu tun – gegenüber dem nach einer Chance suchenden Fiete nur ein vorsichtiges Zuhören, offene Chancen – auch für einen zunächst ohne Verdienst arbeitenden Stagiaire – sah man nicht. Lediglich der Schlachthofdirektor in Schwerin stellte eine spätere Zusammenarbeit in Aussicht. Später, wenn sich die Lage und die Verhältnisse beruhigt hatten.

Immer, wenn es um feste Abmachungen ging, dominierte die Unsicherheit in der sowjetischen Zone. Es herrschte blanke Furcht bei den Behörden, etwas falsch oder wenigstens nicht im Sinne der neuen kommunistisch beherrschten Regierung zu regeln. Es war die Zeit, als die neuen linken „Demokraten“ die leeren Konzentrationslager der Nazis mit ihren Gegnern füllten. Sozialdemokraten, die nicht mit den Kommunisten in der neuen Einheitspartei fusionieren wollten, wurden eingesperrt, wie ehemalige Nazis. Kinder mit 12 bis16 Jahren wurden nach Neubrandenburg ins Lager geschickt und verhungerten dort.

Sozialdemokraten aus dem Westen halfen ihren Genossen bei der Flucht in den freien Teil Deutschlands. Noch als Fiete Jahre später in Lörrach Mitglied der SPD war, traf er Freunde aus Lörrach, die Mitgenossen aus den Fängen der Kommunisten gerettet hatten.

Die Geschichte von Sarah und Fiete

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