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Siebentes Kapitel

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Kaum waren die Barrieren geöffnet, so ritt er in die Schranken. Soweit man seine Gestalt nach der Rüstung beurteilen konnte, schien er nicht viel über Mittelgröße, eher schlank als stark. Seine Rüstung war von Stahl mit reichenGoldeinlagen, sein Wappenschild zeigte einen jungen, mit der Wurzel ausgerissenen Eichbaum, als Inschrift stand das spanische Wort Desdichado darauf, das zu deutsch der Enterbte heißt.

Er ritt einen stattlichen Rappen und grüßte im Hereintänzeln höflich den Prinzen und die Damen, indem er die Lanze senkte. Die Gewandtheit, mit der er sein Pferd lenkte, und eine unverkennbare Anmut und jugendfrische Forschheit in seinem Gebaren eroberten ihm im Sturme die Herzen der Menge, und aus dem Zuschauerraum der niederen Klassen schallten ihm Rufe entgegen wie: „Berührt den Schild von Ralph de Vipont, oder den des Ritters vom Orden der Hospitaliter, der sitzt am wenigsten fest, mit dem werdet Ihr am leichtesten fertig.“

Unter solchen wohlgemeinten Ratschlägen ritt der Kämpfer nach dem Plateau und hielt zum Erstaunen aller Anwesenden gerade vor dem mittelsten Zelte und berührte mit der Spitze seiner Lanze den Schild Brians de Bois-Guilbert, daß das Eisen laut erklang. Alles Volk erstaunte ob dieser Kühnheit, am meisten aber der gefürchtete Ritter, der zum Kampf auf Leben und Tod gefordert war.

„Habt Ihr gebeichtet, Bruder, und die Messe heute morgen gehört,“ fragte der Templer, „daß Ihr so keck Euer Leben aufs Spiel setzt?“

„Ich bin zum Tode mehr gerüstet als Ihr,“ versetzte der enterbte Ritter, denn mit diesem Namen hatte er sich ins Turnierbuch einschreiben lassen.

„So geh auf deinen Platz in den Schranken,“ sagte Bois-Guilbert. „Sieh noch einmal die Sonne an, denn diese Nacht wirst du im Paradiese schlafen.“

„Dank der großen Höflichkeit,“ sagte der Enterbte. „Ich will sie nicht unerwidert lassen, und so rate ich dir, nimm ein frisches Pferd und eine neue Lanze, denn bei meiner Ehre, du wirst beides brauchen.“ Sein Selbstvertrauen in dieser Weise aussprechend, lenkte er sein Pferd in die Schranken zurück und ließ es die ganze Strecke rückwärts gehen. Diese Probe seiner Reiterkunst trug ihm von neuem den Beifall der Menge ein.

Obwohl entrüstet über die ihm von seinem Gegner erteilten Ratschläge, machte Bois-Guilbert doch davon Gebrauch, denn seine Ehre stand auf dem Spiel, und es durfte kein Mittel außer acht gelassen werden, das dazu beitragen konnte, ihm den Sieg über seinen Gegner zu verschaffen. Er bestieg also ein frisches, kraftvolles Pferd und nahm auch eine neue Lanze, da seine alte bei den bisher ausgefochtenen Gängen leicht schadhaft geworden sein mochte. Auch den Schild, der beschädigt worden war, legte er beiseite und nahm den seines Knappen. Dieser neue Schild zeigte als Sinnbild einen fliegenden Raben, der einen Schädel in den Klauen hielt und die Umschrift trug: Gare le Corbeau. Als die beiden Streiter an den beiden Enden der Schranken einander gegenüber hielten, war die Spannung der schaulustigen Menge aufs höchste gesteigert. Wenige hielten es für möglich, daß die Sache für den Enterbten gut ablaufen würde. Aber sein Mut und sein Benehmen ließen alle Zuschauer die besten Wünsche für ihn hegen.

Kaum war das Trompetensignal erklungen, so rasten die beiden Reiter blitzschnell aufeinander ein. Mit donnerähnlichem Krachen prallten sie gegeneinander an. Bis zum Griffe zersplitterten die Lanzen, und im ersten Moment sah es so aus, als seien beide Reiter gestürzt, so jäh taumelten von dem Ansturm beide Rosse zurück. Aber die Reiter waren so behende, daß sie die Pferde mit Zaum und Sporn rasch wieder zur Ruhe gebracht hatten. Sie warfen sich in Eile Blicke zu, die durch das Visier hindurch Flammen zu sprühen schienen, dann drehten sie um und kehrten ans Ende der Schranken zurück, wo ein jeder eine frische Lanze erhielt.

Lauter Beifallssturm der Menge, die Schürzen und Tücher schwenkte, begrüßte diesen neuen Strauß. Was sie eben gesehen hatten, war bisher der beste und gleichmäßigste Zweikampf des Tages gewesen. Kaum aber standen die Ritter wieder an ihrem Platze, so folgte dem Jubelgeschrei die tiefste Stille. Die Menge, so schien es, wagte kaum zu atmen. Ein paar Minuten wurden den Kämpen und den Rossen gegönnt, daß sie sich verschnaufen konnten, dann gab der Prinz Johann von neuem mit seinem Stabe das Zeichen zum Angriff.

Abermals sprengten die Reiter von ihrem Platz weg und prallten in der Mitte der Arena aufeinander – ebenso blitzschnell, ebenso gewandt und gewaltig, aber nicht mit dem gleichen Erfolg. Der Templer traf seines Gegners Schild so sicher und wuchtig, daß seine Lanze zerbrach und der Enterbte im Sattel wankte. Aber auch sein Feind hatte die Lanze auf den Schild gerichtet, im Moment des Anpralls aber stieß er nach dem Helm – eine sehr schwere Finte, die aber, wenn sie gelingt, den Getroffenen unwiderstehlich darniederstreckt. Aber selbst dieses erfolgreiche Manöver hätte vielleicht den Templer nicht um den Ruhm des Sieges zu bringen vermocht, wäre nicht sein Sattelgurt geplatzt. Dies brachte ihn zu Fall, und Mann und Roß wälzten sich am Boden, eine Staubwolke aufwirbelnd. Im nächsten Augenblick aber war der Templer auch schon aus dem Wirrwarr heraus und schwang sein Schwert, den Gegner zum Kampfe fordernd. Der Enterbte sprang vom Roß und schwang das Schwert. Die Marschälle aber traten zwischen sie und erinnerten daran, daß ein solcher Kampf gegen die Bestimmungen des Turniers wäre.

„Wir treffen einander noch einmal!“ rief der Templer und warf seinem Gegner einen furchtbaren Blick zu, „dann soll uns niemand trennen.“

„An mir solls nicht liegen, wenn es nicht geschieht,“ antwortete der Enterbte. „Zu Fuß, zu Roß, mit Lanze, Streitaxt oder Schwert bin ich jederzeit bereit, dir gegenüber zu treten.“

Der Wortwechsel wäre vielleicht ausgeartet, wenn nicht die Marschälle mit gekreuzten Lanzen dazwischen getreten wären und die Streitenden gezwungen hätten, auseinander zu gehen. Der Enterbte kehrte auf seinen Platz zurück, und der Templer begab sich in sein Zelt, um den Rest des Tages in wilder Wut zu vergrollen. Der Sieger stieg nicht erst vom Pferd, sondern ließ ohne weiteres, nachdem er einen Becher Weines auf das Wohl aller englischen Herzen und den Untergang aller fremden Tyrannen getrunken hatte, durch seinen Trompeter alle Streiter zum Kampfe rufen, indem er ihnen gleichzeitig durch einen Herold sagen ließ, daß er sie erwarte, in welcher Reihenfolge es ihnen zu kommen beliebte.

Der riesenhafte Front-de-Boeuf war der erste, und in seiner schwarzen Rüstung sprengte er heran. Sein Schild trug einen schwarzen Ochsenkopf, halb verwischt schon durch manchen Kampf und die prahlerische Devise: Cave, adsum (hüte dich, ich bin da)! Der Enterbte errang über ihn einen mühelosen Sieg. Beide Kämpen brachen zierlich die Lanze, aber Front-de-Boeuf hatte einen Steigbügel im Kampfe verloren und wurde deshalb für besiegt erklärt.

Im Gange gegen Philipp de Malvoisin traf er den Baron so wuchtig gegen den Helm, daß die Schuppenketten platzten und der Helm herunterflog – nur diesem Umstande hatte es Malvoisin zu verdanken, daß er selbst nicht vom Pferde stürzte. Wie sein Vorgänger wurde auch er für überwunden erklärt.

Im dritten Gange gegen Grant-Mesnil bewies der Enterbte ebensoviel Galanterie wie bisher Mut und Gewandtheit. Grant-Mesnils Pferd war jung und wild und ging mit seinem Reiter durch, der Fremde aber verschmähte den Vorteil, den ihm dieses Mißgeschick seines Gegners bot, und ritt an ihm vorbei, die Lanze senkend, ohne ihn zu berühren. Dann drehte er um und Kehrte auf seinen Platz zurück. Er ließ Grant-Mesnil einen zweiten Kampf anbieten, der aber abgelehnt wurde, denn der Ritter betrachtete sich selber für überwunden, ebensowohl durch die Galanterie wie durch die Tüchtigkeit seines Gegners.

Der Gang mit Ralph de Vipont vervollständigte den Triumph des Enterbten. Vipont wurde mit solcher Wucht zu Boden geworfen, daß ihm das Blut aus Mund und Nase floß und er bewußtlos aus den Schranken getragen wurde.

Als der Prinz und die Marschälle einstimmig erklärten, daß dem Enterbten die Palme des Tages gebühre, brach allseitiger, vielstimmiger Jubel aus. William de Wywil und Stephan de Martival waren die ersten, die dem Sieger ihre Glückwünsche darbrachten. Gleichzeitig ersuchten sie ihn, den Helm zu lösen oder doch wenigstens das Visier hochzuschlagen, um aus den Händen des Prinzen Johann den Preis des Turniers zu empfangen. Mit ritterlichem Anstand schlug der Enterbte dieses Ansuchen ab, er könne jetzt sein Gesicht noch nicht zeigen, aus welchen Gründen, habe er bei seinem Eintritt in die Schranken den Herolden mitgeteilt. Die Marschälle erkannten ohne weiteres seine Weigerung an, denn es war damals ein sehr häufiges Vorkommnis, daß ein Ritter sich selbst wunderliche Gelübde leistete, und in der Regel lautete ein solches Gelübde dahin, eine Zeitlang unbekannt zu bleiben. Die Marschälle drangen daher nicht weiter in den fremden Ritter, sein Geheimnis preiszugeben, sondern zeigten dem Prinzen Johann an, daß sich der Sieger nicht zu erkennen geben wolle und baten seine Hoheit, ihn vortreten zu lassen und ihm den Lohn seiner Tapferkeit zu erteilen.

Der enterbte Ritter trat also an die Treppe heran, die zu dem Throne des Prinzen hinaufführte, und Johann spendete ihm das übliche Lob für seinen Sieg, und der Ritter, ohne ein Wort zu erwidern, verneigte sich tief. Dann wurde das Pferd, das ihm als Preis zufiel, in die Schranken geführt. Es war mit dem kostbarsten Zaumzeug bedeckt, aber der Kenner hätte auch ohnedies den Wert des Tieres richtig geschätzt. Der Enterbte legte die Hand auf den Sattelknauf und schwang sich ohne Bügel auf den Rücken des Arabers. Die Lanze schwingend, führte er es dann zweimal durch die Schranken, alle Vorzüge seines Pferdes und alle seine eigenen Künste als Meister der Reitkunst zeigend. Eine solche Parade mochte als Eitelkeit erscheinen, dies wurde aber dadurch wieder ausgeglichen, daß der Ritter den vollen Wert des Geschenkes zeigte, das ihm vom Prinzen zuteil geworden war, und so lohnte lauter Beifall seinen zierlichen Rundritt. Inzwischen hatte der Prior von Jorlvaux den Prinzen leise daran erinnert, daß der Sieger nun auch seinen guten Gefchmack zu beweisen habe und unter den versammelten Schönheiten die Königin des Liebreizes und der Minne erwählen müsse, die im Turnier des folgenden Tages den Preis austeilen solle.

Als der Ritter zum zweitenmal um die Schranken herumgeritten war, winkte ihm daher der Prinz mit dem Stabe, und sofort drehte der Ritter sein Pferd dem Throne zu, die Lanze zur Erde senkend, bis sie nur einen Fuß hoch vom Boden abstand. So hielt er regungslos, der Befehle des Prinzen harrend. Aller Augen staunten über die Gewandtheit, mit der er das Pferd, das eben noch im vollen Galopp begriffen war, mit einem Ruck zur Bewegungslosigkeit einer Statue brachte.

„Herr Enterbter!“ sagte Prinz Johann, „denn das ist der einzige Titel, den wir Euch geben können, Ihr habt nun die Pflicht, die schöne Lady zu ernennen, die dem Feste des kommenden Tages als Königin des Liebreizes und der Minne präsidieren soll. Wenn Ihr ein Fremder in unserem Lande seid und des Urteils eines anderen bedürft, so können wir Euch nur sagen, daß Lady Alicia, die Tochter des tapferen Ritters Waldemar Fitzurse, an unserem Hofe seit langem als die erste dem Range und der Schönheit nach gilt. Freilich ist es Euer unbestrittenes Recht, die Krone nach eigenem Belieben auszuteilen. Die Lady, der Ihr sie überreicht, ist nach Form und Recht die Königin des morgenden Tages. Hebt Eure Lanze hoch!“

Der Ritter geborchte und der Prinz heftete an die Spitze der Lanze eine Krone von grünem Atlas mit einem Goldreifen, dessen oberer Rand von Pfeilspitzen und Herzen besetzt war, die miteinander wechselten wie die Stachelbeerblätter und Kugeln an einer Herzogskrone.

Waldemar Fitzurse war der erste und einflußreichste unter den Ratgebern des Prinzen, sozusagen sein Premierminister, obwohl er noch nicht Monarch war. Sein Wink auf die die Tochter dieses Mannes entsprang dem Wunsche, ihn, den er fürchtete, sich zu Dank zu verpflichten. Außerdem hatte er es selber auf die Gunst der Lady abgesehen, denn Prinz Johann, der kein verworfenes Mittel scheute, seine Ehrsucht zu befriedigen, scheute ebenso kein Mittel, seiner Wollust Genüge zu tun. Im stillen hegte er auch den Zweck, dem enterbten Ritter, dessen geheimnisvolle Person ihm verdächtig erschien und der ihm mehr und mehr zu mißfallen begann, in Waldemar Fitzurse einen mächtigen Feind zu erwecken, denn er war der Meinung, daß dieser Edelmann nie die Kränkung verzeihen würde, wenn der Sieger in der Wahl der Königin des Turniers seine Tochter überginge. Und in der Tat traf der Enterbte eine andere Wahl. An der Tribüne neben dem königlichen Sitz, wo Lady Alicia im vollen Bewußtsein ihrer obsiegenden Schönheit saß, ritt er ohne Zaudern vorüber. Er ließ sein Pferd jetzt ebenso langsam durch die Schranken reiten, wie er es vorher rasch herumgetrieben hatte und schien sein Recht, die vielen schönen Gesichter, die den bunten Glanz des Kreises erhöhten, eingehend zu mustern, mit voller Muße ausüben zu wollen.

Recht spaßhaft war es zu schauen, mit wie verschiedenem Benehmen die Mädchen diese Prüfung über sich ergehen ließen. Die einen erröteten, die andern setzten eine stolze Miene auf, einige sahen still vor sich hin, als wüßten sie nicht, was eigentlich vor sich ginge, andere wieder verhielten sich mühsam das Lachen, und ein paar platzten gar laut lachend heraus. Andere auch hüllten sich in ihre Schleier, aber das waren solche, die schon zehn Jahre lang verschmäht waren und nun von den Eitelkeiten genug gekostet hatten, um den Jüngeren den Vorrang zu gönnen.

Endlich hielt der Held des Tages an dem Balkone, auf dem Lady Rowena saß, und die Spannung aller Anwesenden stieg aufs höchste. Wenn sich der Enterbte bei seinem Urteil davon beeinflussen ließ, welche Zuschauer eine lebhaftere Teilnahme an seinem Glücke bekundeten, so verdiente allerdings der jetzt vor ihm liegende Teil der Tribünen den Vorzug. Cedric der Sachse lehnte vor Freude über den Fall des Templers und über die Niederlage seiner boshaften Nachbarn Front-de-Boeuf und Malvoisin mit halbem Leibe über der Brüstung und war dem Sieger nicht nur mit den Augen, sondern auch mit dem Herzen und der ganzen Seele gefolgt. Lady Rowena hatte dem Erfolge des Tages wohl mit gleicher Aufmerksamkeit, doch nicht mit gleich herzlichem Anteil zugeschaut. Selbst der apathische Athelstane bekundete den besten Willen, sich aus seiner Gleichgültigkeit aufzuraffen, indem er sich einen großen Humpen Wein bringen ließ, den er auf das Wohl des Enterbten leerte. Nicht weniger Anteil an dem Verlauf des Turniers bekundete eine andere Gruppe von Zuschauern, die unter den Plätzen der Sachsen saßen.

„Vater Abraham!“ rief Isaak von York, als der erste Gang zwischen dem Ritter und dem Templer ausgefochten war. „Wie reitet der Heide so kühn! Das wackere Pferd hat den weiten Weg von der Berberei her gemacht, und er geht mit ihm um, als wäre es das Füllen eines wilden Esels! Die edle Rüstung ist manche Zechine wert – siebzig Prozent sind bei dem mailändischen Waffenschmied Joseph Pareira noch heruntergeschunden worden – und er sieht sich so wenig damit vor, als wäre sie auf der Landstraße aufgelesen worden!“

„Setzt er doch Leben und Glieder aufs Spiel, Vater!“ sagte Rebekka. „Wie sollte er in so furchtbarem Kampfe noch des Pferdes und der Waffen schonen!“

„Kind!“ versetzte Isaak ein wenig ungestüm. „Du weißt nicht, was du schwätzest! Wohl, der Hals und die Glieder sind sein eigen, aber Pferd und Rüstung – heiliger Jakob! was sage ich da – nun, trotz allem bleibt er ein braver junger Mann! – Doch schau, Rebekka! schon wieder fängt er einen Kampf mit dem Philister an. Bete, mein Kind, bete, daß der gute junge Mann nicht Schaden leide an seiner Gesundheit! Und auch, daß das Pferd und die seine Rüstung ja nicht ruiniert werden! – Gott meiner Väter!“ rief er wieder. „Sein ist der Sieg! Vor seiner Lanze ist gefallen der unbeschnittene Philister wie der König der Ammoniter vor dem Schwerte unserer Väter – gewiß werden ihm zufallen ihr Gold und ihr Silber und ihre Streitrosse und ihre Rüstungen von Erz und Stahl – als Beute und als Preis!“ Mit der gleichen ängstlichen Teilnahme verfolgte der würdige Jude jeden Gang, und immer berechnete er flüchtig, was wohl das erbeutete Pferd samt der Rüstung wert sein mochten.

Der Sieger des Tages blieb – ob aus Unentschiedenheit oder einem anderen Grunde eine Weile regungslos an derselben Stelle, dann endlich senkte er langsam und voller Grazie die Lanze und legte die Atlaskrone der schönen Rowena vor die Füße. Sogleich schmetterten die Trompeten, und die Herolde riefen Lady Rowena zur Königin der Minneund des Liebreizes aus. Wer sich ihrer Autorität widersetzen würde, dem stünde Bestrafung bevor.

Lange Hälse machten die normannischen Damen, höchlichst verwundert, daß eine Sächsin gekrönt worden war. Aber sie hatten auch schon lange Hälse gemacht, als ihre Edelherren einer nach dem andern besiegt worden waren. Aber wenn einzelne auch ihrer Unzufriedenheit Luft machten, diese Rufe gingen unter in dem allgemeinen Jubelgeschrei:

„Lang lebe Lady Rowena, die auserkorene Königin des Liebreizes und der Minne!“ Hin und wieder war auch der Zusatz zu hören: „Lang lebe die sächsische Fürstin! Lang lebe das Geschlecht des unsterblichen Alfred!“

Der enterbte Ritter war in seinem Zelt allein mit seinem Knappen, einem Burschen, der wie ein Bauer aussah und über Kopf und Gesicht eine normannische Pelzmütze gezogen hatte, als wünschte er ebenso unerkannt zu bleiben wie sein Herr. Er nahm ihm die schwere Rüstung ab und setzte ihm Speise und Wein vor, die ihm nach den Anstrengungen des Tages sehr erwünscht waren. Kaum hatte der Ritter in Eile seine Mahlzeit eingenommen, als ihm der Knappe die Ankunft von fünf Männern meldete, die jeder ein Berberroß am Zügel führten.

Der Enterbte hatte an Stelle seiner Rüstung ein langes Kleid angelegt, wie es bei den Leuten seines Standes zu jener Zeit allgemein in Gebrauch war, die Kapuze, die er trug, ließ sich über das ganze Gesicht ziehen, aber es war schon finster, so daß er einer Hülle nicht mehr bedurfte. So trat er denn vor sein Zelt und fand dort die Knappen der Herausforderer, die er an ihrer dunkeln oder ganz schwarzen Tracht leicht erkannte, jeder hielt das Pferd, das sein Herr an diesem Tage geritten hatte, und war mit der Rüstung beladen.

„Den Bestimmungen der Ritterschaft gemäß,“ sagte der erste dieser Männer, „biete ich, der Knappe des gefürchteten Ritters Brian de Bois-Guilbert, Euch, der Ihr Euch den Enterbten nennt, das Roß und die Rüstung an, mit denen mein Herr den Waffengang gegen Euch ausgefochten hat. Es ist Euch überlassen sie zu behalten oder Lösegeld dafür zu bestimmen.“

Die anderen sagten fast das gleiche und warteten auf den Bescheid, den ihnen der enterbte Ritter geben würde.

„Euch, Ihr vier Knappen,“ antwortete der Ritter, indem er sich an die wandte, die zuletzt gesprochen hatten, „und Euern ehrenfesten und tapferen Herren habe ich nur das eine zu erwidern: Empfehlt mich Euern Gebietern und sagt ihnen, es wäre unrecht von mir, wollte ich von ihnen Pferde und Rüstungen nehmen, die nie von besseren Rittern gehandhabt werden können. Ich wollte, das wäre das einzige, was ich durch Euch den tapferen Rittern zu bestellen hätte. Aber ich bin nicht nur dem Namen nach, sondern in vollem Ernste der Enterbte, und so muß ich insofern das Anerbieten Eurer Herren annehmen, als ich sie ersuchen muß, ihre Rüstungen auszulösen, da die, die ich trage, gar nicht einmal meine eigene ist.“

„Wir haben den Auftrag,“ sagte der Knappe des Front-de-Voeuf, „für Pferd und Rüstung hundert Zechinen zu bieten.“

„Das ist ausreichend,“ sagte der Enterbte. „Ich bin durch meine derzeitige Lage gezwungen, die Hälfte dieser Summe anzunehmen, die andere Hälfte mögt Ihr unter Euch, den Herolden und sonstigem Dienstvolk des Turniers verteilen.“ Mit tiefen Verbeugungen sprachen die Knappen ihren Dank für eine so seltene Freigebigkeit aus, und der Enterbte wandte sich nun an den Knappen des Bois-Guilbert.

„Von Euerm Herrn,“ sagte er, „nehm ich weder die Waffen noch ein Lösegeld an. Bestellt Euerm Herrn, unser Zweikampf sei noch nicht beendet, und wir müßten erst noch mit Schwert und mit Lanze, zu Roß und zu Fuß miteinander fechten. Zum Kampfe auf Leben und Tod hat er mich herausgefordert, und des werde ich eingedenk sein. Einstweilen sagt ihm, ich behandelte ihn nicht wie seine Gefährten, mit denen ich Höflichkeiten tauschte, sondern ich stünde mit ihm auf dem Fuße tödlicher Herausforderung.“

„Mein Herr,“ antwortete der Knappe, „weiß nicht nur Höflichkeit mit Höflichkeit zu erwidern, sondern auch Haß mit Haß und Stoß mit Stoß. Ihr verschmäht es, ein Lösegeld von ihm zu nehmen, ich muß aber gleichwohl Pferd und Rüstung hierlassen, denn an beide wird er die Hand nicht mehr legen.“

„Gut und kühn gesprochen, wackerer Knappe,“ erwiderte der enterbte Ritter. „So geziemt es sich, für den abwesenden Herrn zu reden. Doch laß nur Pferd und Rüstung nicht hier, sondern gib sie deinem Herrn wieder, und wenn er sie nicht haben will, so nimm du sie selber, mein braver Freund, soweit sie mir gehören, sind sie dir geschenkt.“

Balduin verneigte sich tief und ging mit seinen Gefährten ab, der Enterbte trat in sein Zelt zurück. „Gurth,“ sagte er zu seinem Diener, „bis hierher habe ich der englischen Ritterschaft keine Schande gemacht.“

„Und ich für mein Teil,“ antwortete Gurth, „hab ich nicht als sächsischer Schweinehirt meine Rolle als normännischer Schildknappe fein gespielt?“

„Jawohl,“ versetzte der Ritter. „Ich habe nur fortwährend Angst gehabt, daß du dich durch dein bäuerisches Wesen verraten könntest.“

„Ich hatte gar keine Angst, daß mich jemand erkennen könnte,“ sagte Gurth. „Nur vor meinem Kameraden Wamba ist mir bange gewesen. Mir ist überhaupt noch nie so recht klar geworden, was der mehr ist, Schelm oder Narr. Als mein alter Herr an mir vorüberging und all die Zeit in der Gewißheit war, daß Gurth in den Sümpfen und Wäldern von Rotherwood seine Schweine hüte, da hab ich kaum das Lachen verbeißen können.“

„Du weißt, was ich dir versprochen habe,“ sagte der Ritter.

„Das ist das wenigste,“ antwortete Gurth. „Aus Furcht vor Schlägen werd ich nie meinen gütigen Herrn verlassen. Ich hab'n dickes Fell. Das hält so gut die Peitsche aus, wie nur irgend'n Eber in meiner Herde.“

„Verlaß dich darauf, ich vergelte dir alles, was du aus Liebe zu mir wagst,“ sagte der Ritter. „Inzwischen nimm hier diese zehn Goldstücke an.“

„Nu bin ich reicher als irgend'n Schweinehirt oder Leibeigener,“ rief Gurth, das Geld in seinen Beutel steckend.

„Und hier diesen Beutel voll Gold,“ sagte der Ritter weiter, „nimm mit nach Ashby, suche Isaak den Juden von York auf und sag ihm, er solle dies als Leihgeld für sein Pferd und seine Rüstung annehmen. Er hat mir durch seinen Kredit beides verschafft.“

Gurth steckte den Beutel zu sich und ging hinaus.

„Es wird freilich schwer halten,“ sagte er vor sich hin. „Aber ich will doch versuchen, ob er sich mit'm Viertel seiner Forderung begnügt.“

Walter Scott: Ivanhoe

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