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Wohin mit dem Liebestöter?

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Er, sie, es ist ein Erbstück. Über viele Studenten-Generationen. Irgendein Betriebswirtschaftler soll diesen Porzellan-Tiger auf einem Flohmarkt erhandelt haben. Und den unpassenden Namen gleich mit. Die wahre Herkunft lässt sich nicht mehr ermitteln. Es sei denn, einer meiner Leser würde ihn, sie oder es wieder erkennen – den Porzellan-Tiger, den ich jetzt zwecks dieser Niederschrift unweit von mir auf den SAMSUNG-Drucker gestellt habe. Er glotzt Sie auf dem Cover dieses eBooks an. Der Künstler, dem „Phyllis“ seine anmutige Gestalt verdankt, gibt sich nicht zu erkennen. „Made in Italy“ ist anal eingeprägt. Sonst hätte ich irgendeine chinesische Massenfertigung in Verdacht. Aber Chinesen produzieren ja seit einiger Zeit auch schon in Italy.

Ist es ein Tiger? Ich vermute ja, obwohl mich manche Besucher meines Büros erstaunt fragen „Wo hast du denn den Löwen her?“ Gut, manche Stadtkinder wissen angeblich nicht, wie eine Kuh aussieht, allenfalls in Lila. Woher soll ein Mittersendlinger wissen, wie ein Löwe aussieht? Es stehen natürlich in Bayern Tausende davon rum, es gäbe auch Bilderbücher, in Hellabrunn einen Zoo, in Bahnhofsnähe den Circus Krone, also Bildungsstätten, die uns eine Safari ersparen, um zu erfahren, dass Löwen nicht so ein hübsches Gewand haben wie Phyllis. So jedenfalls hat sie gendermäßig meine Vorgängerin (?) getauft und ihr sogar ein silbernes Kettchen umgehängt, mit perlengeschmücktem Anhänger.

Phyllis ist hohl. Wer Reichtümer oder Haschisch in ihr verstecken wollte, könnte ein stattliches Vermögen darin verbergen. Man kennt das ja aus vielen, vielen „Tatorten“ und ähnlichen Tragödien, dass die Deppen von der KTU die entscheidenden Hinweise übersehen, bis die grandiose Kommissarin endlich Phyllis umstülpt, darin herumpopelt und ein kryptisches Zettelchen zutage fördert, das alle Fragen „Wo waren sie gestern zwischen acht und zehn?“ – „Wer kann das bestätigen?“ – „Haben Sie irgendwelche Auffälligkeiten am Toten in den letzten Tagen festgestellt?“ - „Hatte er Feinde?“ überflüssig machen. Ich stelle gerade ein Do-it-yourself-Spiel zusammen mit Sprüchen wie diesen, aus denen dann jeder seinen eigenen Tatort zusammen phantasieren kann.

Zurück zu Phyllis. Als sie mir übereignet wurde, um sie anlässlich einer Räumung vor dem Schutt-Container zu retten, waren weder Euronoten noch kryptische Zettelchen darin zu finden, was ich ein wenig schade fand. Meine Nachforschungen ergaben zumindest, dass Phyllis mal den Flohmarkt auf der Oktoberfestwiese aufgemischt haben muss. Ich stelle mir vor – und Sie müssten auf das Cover zurück klicken – dass sie von mancher Promenadenmischung angebellt und von vielen kleinen Mädchen mit „wie süß, ach Papi kauf mir doch den kleinen Tiger!“ angehimmelt wurde. Phyllis soll für sage und schreibe 5 Euro den Eigentümer gewechselt haben. Fünf – in Worten! Es gibt eine minimale Schadstelle an der rechten Vorderpfote. Nur Pfennigfuchser können sie entdecken. Ist Phyllis Diebesgut? Wo hielt sich Phyllis vor dem Schwabinger Flohmarkt auf? Bei einem Großwildjäger im Vestibül? In einer Zoohandlung? Einem Reisebüro? Ich fürchte, das wird sich nie herausfinden lassen. Doch das wahre Problem von Phyllis ist: Wohin mit dem Jungtiger?

Auch wenn Phyllis aus Porzellan ist und niemandem etwas zuleide tut, beherrscht sie mit ihren 51 Zentimetern spielend einen ganzen Raum. Stellt man sie in die Fensterbank, schlagen sich fürderhin keine Vögelchen mehr ihre Köpfe an der Scheibe ein. Schäferhunde knurren schon mal. Kinder amüsieren sich und wollen sie triezen. Und … ja jetzt kommen wir endlich zum Thema!

Einer der Vorbesitzer in der stattlichen Reihe der Vorbesitzer soll ein Student gewesen sein, der seine Bude mit Phyllis geteilt hatte. Gemäß dem Gender-Mainstream ist das biologische Geschlecht völlig Nebensache, aber weiblich, queer und trans jedenfalls wertvoller als männlich. Der Schöpfer offenbarte diesbezüglich sehr viel Zartgefühl. Wie man die Blicke des Jungtigers auch immer interpretiert: Er/sie schaut neugierig, interessiert, oder auch bedrohlich. Wacht der Student nach einer Party morgens mit Kopfweh auf, hört er leises Knurren: „Wie willst du jemals dein Examen schaffen?“ oder „Du weißt fei schon, dass morgen die Mathe-Klausur ansteht?“ Kommt er abends nach Hause, fragt er/sie „Wo warst du denn schon wieder so lange?“ und „Wen bringst du denn da schon wieder mit?“

Das ist der Vorteil eines solchen Schweige-Tigers: Er redet ständig! Hingucken – und schon sagt er was. Für fünf Euro eine phantastische Gegenleistung. Mich hat er ja gar nichts gekostet, dafür dass ich ihn vor dem Sperrmüll gerettet habe. Mir sagt er: „Das werde ich dir nie vergessen!“ Hoffentlich. Meist aber „Wie soll denn das mit uns zweien jetzt weitergehen? Ein Büro ist ja eine öde Landschaft, öder als die Savanne, kein Zebra in Sicht, kein Gnu!“

Zurück zum Studiosus. Der unterhielt außer Phyllis ja noch andere Liebschaften, weitaus lebendiger. Und eindeutiger in ihren Botschaften. Eines Tages – oder war es schon Nacht? – allzu eindeutig: „Also wenn du dieses Viech da nicht weg schaffst, krieg ich nie einen Orgasmus. Dauernd glotzt mich diese Bestie an. Entweder sie oder ich!“

In einer Einraumwohnung gibt es wenige Möglichkeiten, diesen Jungtiger zu verstecken, um erotischen Eskapaden nicht im Wege zu stehen. So kam es, dass der Liebestöter abermals auf Wanderschaft gehen musste. Und nun steht Phyllis bei mir und mahnt mich täglich: „Du könntest auch ein bisschen mehr Ordnung halten! Und mich ab und zu abstauben.“

Ich vermute: Phyllis ist eine bedrohte Art. Wer sie oder ihn haben will, soll sich bald bei mir melden.

Liebestöter

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