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2. Brief

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Marguerite also war meine Hoffnung. Gern wäre ich gleich zu ihr hinübergeeilt, hätte mich zu ihr ins Bett gedrängt, hätte gebeten oder gedroht, bis sie mich vollständig über all die seltsamen, verbotenen und aufregenden Dinge aufgeklärt hätte, die ich heute gesehen hatte; bis sie mich gelehrt, das nachzuahmen, was mich so unbeschreiblich lüstern gemacht hatte. Aber so jung ich war, hatte ich doch bereits denselben Verstand und dieselbe vorsichtige Berechnung, die mich später vor so vielen Unannehmlichkeiten bewahrt haben. – Konnte ich nicht durch irgendeinen Zufall ebenso belauscht werden, wie ich Marguerite und wie ich meine Eltern gesehen hatte? Ich empfand, daß es sich um Unerlaubtes handelte, und wollte ganz sicher sein. Obwohl ich ganz Feuer war, meine Gedanken ausschweiften, und mein Körper prickelte und zuckte, verhielt ich mich ruhig und zwang mich, zu überlegen. Als ich den Plan gefaßt hatte, meinen Onkel aufs Land zu begleiten, weil ich dort Gelegenheit finden würde, mit Marguerite ganz allein und unbelauscht zu sein, schlief ich ein. Es wurde mir nicht schwer, bei meinem Onkel und den Eltern meine Absichten durchzusetzen, und ich erhielt die Erlaubnis, acht Tage auf dem Lande zu verbringen. Das Gut meines Onkels lag nur wenige Meilen von der Stadt entfernt, und nach dem Mittagessen fuhren wir hinaus. Den ganzen Tag über war ich liebenswürdig und zuvorkommend gewesen, und auch Marguerite schien großen Gefallen an mir zu finden. Meine kleine Cousine war mir gleichgültig, und vor meinem Vetter fühlte ich eine unerklärliche Scheu. Da ich sonst keinen jungen Mann kannte, mit dem ich so nah und so unverdächtig hätte zusammenkommen können wie mit ihm, war er mein erster Gedanke gewesen, um über all die Rätsel aufgeklärt zu werden, die mich seit meinem Versteck im Alkoven quälten. Ich war gegen ihn so freundlich und auffordernd wie möglich gewesen, er war mir aber immer scheu ausgewichen. Bleich und mager, hatten seine Augen einen ganz sonderbaren, unsteten und trüben Ausdruck, und wenn ich ihn neckend berührte, schien ihm das unangenehm zu sein. Ich sollte bald den Grund dieser auffallenden Erscheinung kennenlernen, die ich um so weniger begriff, als ich immer gesehen hatte, daß Jünglinge seines Alters sich zur Gesellschaft junger Mädchen hin drängen. Es war gegen acht Uhr abends, als wir auf dem Gut ankamen, hoher Sommer und sehr heiß. Von der Fahrt ermüdet, eilte alles, sich bequemer zu kleiden. Es wurde Tee getrunken, und ganz unbefangen scheinend sorgte ich dafür, daß ich in das Schlafzimmer der Gouvernante gebettet wurde, weil ich vorgab, mich zu fürchten, wenn ich in einem fremden Zimmer allein schlafen solle. Man fand das ganz natürlich. Damit hatte ich meinen Willen durchgesetzt, so daß ich das übrige getrost meiner Schlauheit überlassen konnte. Ich sollte indessen nicht zu Bett kommen, ehe ich nicht noch eine andere Erfahrung gemacht hatte, an die ich aber jetzt beim Niederschreiben nur mit Widerwillen zurückdenke, wenn sie auch damals einen Eindruck ganz anderer Art in mir hervorrief. Nach dem Tee fühlte ich die Notwendigkeit, ein natürliches Bedürfnis zu befriedigen, und die Gouvernante wies mich an den dafür bestimmten Ort.

Es waren zwei Türen nebeneinander, die beiden Gemächer jedoch nur durch eine Bretterwand getrennt, die von der Hitze so ausgetrocknet war, daß einige der Fugen auseinanderklafften. Eben wollte ich wieder gehen, als ich jemand kommen hörte, der die Tür neben mir aufmachte und sogleich hinter sich verriegelte. Ich hielt mich mäuschenstill, um nicht bemerkt zu werden; ich wollte meinen unbekannten Nachbarn erst wieder fortgehen lassen, ehe ich mich entfernte. Nur aus ganz gewöhnlicher Neugier, ohne alle Nebengedanken, lugte ich durch eine Spalte und sah meinen Vetter, der sich entblößt hatte, aber völlig anders beschäftigt war, als ich erwartet hatte. So wenig mein unreifer Körper eines Vergleichs mit dem meiner Mutter würdig war, so wenig war es der meines Vetters mit meines Vaters Gestalt. Seine matten Augen nahmen nach und nach einen merkwürdigen Glanz an, dann sah ich ihn in Zuckungen geraten, sah seine Lippen beben und ihn endlich vornübersinken. Obgleich ich durch dieses sonderbare Schauspiel über vieles aufgeklärt worden war – namentlich reimte ich mir nun alles zusammen, was meine Eltern in ekstatischem Überschwang gesprochen hatten – , so war mir doch das, was ich hatte sehen müssen, unbeschreiblich widerwärtig – nicht während seines Verlaufs, denn da waren Neugier und erwachende Sinnlichkeit mit im Spiel gewesen. Aber jetzt, wo ich diese vollkommene Schlaffheit und Entkräftung eines noch so jungen Mannes sah, wo ich Zeuge sein mußte, wie er stier und gläsern aus den Augen blickte … Mein Vater und meine Mutter waren schön geworden, als sie die Erfüllung ihrer Zweisamkeit auskosteten. Mein Vetter aber häßlich, fahl und zerknickt. Daß Marguerite so etwas trieb, begriff ich, denn ein Mädchen ist überall auf Heimlichkeiten angewiesen, wenn es sich um Gefühl und Genuss handelt. Und sie hatte sich dem mit einer wahren Begeisterung, mit äußerster Heftigkeit und vollster Hingabe überlassen. Mein Vetter dagegen ohne alle Poesie, matt und tierisch. Was konnte einen kräftigen, jungen Mann dazu veranlassen, ein so elendes Vergnügen zu genießen? Ich wußte nun vieles und schloß daraus auf anderes, daß es nur noch der Bestätigung durch Marguerite bedurfte, um ganz aufgeklärt zu sein. Diese Bestätigung wollte und mußte ich haben, wollte wissen, weshalb man diese Dinge so sorgfältig verbirgt, wollte erfahren, was davon gefährlich, was erlaubt sei, und wollte an mir selbst erkennen, worin diese Verzückungen bestünden, von denen ich schon so viel gesehen hatte. Der Abend kam, und mit ihm zog ein schweres Gewitter herauf. Gegen zehn Uhr, als die ersten Blitze leuchteten, gingen wir zu Bett. Meine kleine Cousine war in das Schlafzimmer ihrer Eltern gebettet worden; so war ich mit Marguerite ganz allein. Mit größter Aufmerksamkeit beobachtete ich alles, was sie tat. Als sie die Tür verriegelt hatte, machte sie es sich erst bequem und packte dann sämtliche Sachen aus ihrer bis dahin verschlossenen Reisetasche in Kommoden und Schränke. Das bewußte Bündel sah ich zum Vorschein kommen, welches sie sorgfältig unter einen Stoß Wäsche legte. Auch das Buch, in dem sie gelesen hatte, verbarg sie dort. Sogleich war ich entschlossen, während der Zeit, die ich auf dem Gute bleiben würde, dieser Sachen habhaft zu werden und sie mir so aufmerksam wie möglich zu besehen. Beichten sollte mir Marguerite aber auch, ohne daß ich ihr mit der Entdeckung ihrer heimlichen Freuden drohte. Meine natürliche Schlauheit gefiel sich in dem Gedanken, sie durch Überraschung, Bitten und Überreden so zu bestricken, daß sich alles wie zufällig von selbst ergab. So schien es mir hübscher und versprach meiner Neugier ein größeres Vergnügen. Das Gewitter hatte unterdessen seinen Höhepunkt erreicht, der Donner rollte fast unaufhörlich. Ich stellte mich sehr ängstlich, und kaum hatte sich Marguerite ins Bett gelegt, als ich bei einem heftigen Donnerschlag aus dem meinen sprang und unter Ausrufen der größten Furcht mich zu ihr flüchtete. Ich bat sie, mich doch bei sich aufzunehmen, weil meine Mutter das bei jedem Gewitter auch getan hätte. Mit allerlei Trost und beruhigendem Zuspruch zog sie mich neben sich, ich umklammerte sie und drückte mich so fest wie möglich an sie, als wollte ich mich bei jedem Blitz in sie hineinverstecken. Alles mögliche zu meiner Beruhigung anwendend, küßte, streichelte und drückte sie mich an sich – jedoch gleichgültig und nicht, wie ich es eigentlich wünschte, so daß ich nun doch nicht recht wußte, wie ich es anfangen sollte, mehr von ihr zu erlangen.

Die Wärme ihres Körpers bereitete mir ein unbeschreibliches Vergnügen, und ich drückte mein Gesicht fortwährend zwischen ihre Brüste, wobei ich jedesmal einen eigentümlichen Schauer meine Glieder hinabrieseln fühlte. Dahin zu greifen, wo ich eigentlich wollte, getraute ich mich aber nicht; so fest ich auch zu allem entschlossen gewesen war, so hatte ich doch jetzt, wo ich der Erfüllung so nahe war, keinen Mut. Plötzlich kam mir der Einfall, über einen Schmerz zwischen meinen Schenkeln zu klagen. Ich wimmerte und erklärte, daß ich nicht wüßte, was das sein könnte, bis Marguerite dahin tastete und ich ihre Hand bald hierhin, bald dorthin schob. Ich versicherte, der Schmerz ließe nach, sobald ich nur die Wärme ihrer Hand fühlte, und wenn sie streichele, so höre das schmerzliche Gefühl vollkommen auf. Ich sagte das so unbefangen, daß sie damals gewiß noch nichts von meiner Absicht gemerkt hatte. Ihre Bemühungen waren auch nur dienstfertig, ohne irgendein Mitgefühl zu verraten. Als ich sie aber vor Dankbarkeit küßte, mich immer enger an sie schmiegte und ihre Hand zwischen meine Schenkel drückte, merkte ich, daß sich auch in ihr Gefühle zu regen begannen … Ich empfand ganz deutlich, daß bei ihr dieselben Begierden erwachten, die mich zu ihr geführt hatten, hütete mich aber sehr wohl, dies zu erkennen zu geben. Und wirklich war es etwas ganz anderes, eine fremde Hand zu fühlen, als die eigene. Eine wunderbare Wärme ergoß sich über meinen Körper, und als sie mich an einer bestimmten Stelle berührte, durchzuckte es mich so angenehm, daß ich sofort erklärte: da sitze der Schmerz, und da müsse ich mich wohl erkältet haben, daß es mir so weh tue. Offenbar machte es ihr Vergnügen, einen Vorwand dafür zu haben, mit der Hand die Erkältung vertreiben zu können … Unzweifelhaft regte sie das auf, und ich merkte an ihrer wachsenden Zärtlichkeit, an der Art, wie sie mich an sich preßte, daß ich meinen Zweck erreicht hatte. So wenig geistreich das Mittel auch war, klagte sie plötzlich an der gleichen Stelle über Schmerzen. Wahrscheinlich hatte sie sich nun ebenfalls »erkältet«. Ich bot ihr also treuherzig an, den schmerzhaften Fleck meinerseits zu wärmen, da mir das so vollkommen geholfen habe. Sie machte mir freie Bahn. Innerlich triumphierend, daß ich mit meiner List erreicht hatte, was ich gewünscht, faßte ich schüchtern und ungeschickt, um mich nicht zu verraten, an den Gegenstand meiner Neugier und fand schon bei der Berührung einen großen Unterschied zwischen ihr und mir …

Marguerite kam seufzend, küssend und zitternd in heftige Bewegung. Sie stieß heftige, unartikulierte Laute aus. Gleich darauf hörten ihre Bewegungen auf, und sie lag, schweratmend, still neben mir. Zufall und Schlauheit hatten mir geholfen, eine Vertraulichkeit herzustellen, die ich nun jedenfalls weiterführen wollte. Als sie wieder zu sich kam, war sie offenbar verlegen, wie sie mir ihr Benehmen erklären, ihre Wollust verbergen sollte. Auch ich überlegte, was nun das beste sei: ob ich mich unwissend stellen oder die Neugier meine Entschuldigung übernehmen lassen sollte. Tat ich das erstere, so konnte sie mir Falsches erzählen, mir irgend etwas aufbinden, was ich dann glauben mußte, wenn ich nicht verraten wollte, noch, mehr Lust als Neugier für die Sache zu haben. So entschloß ich mich, offen zu sein und nur zu verheimlichen, daß keineswegs der Zufall, sondern meine Berechnung die neue Lage herbeigeführt hatte, in der wir uns befanden. Als Marguerite völlig zu sich gekommen war, schien sie zu bereuen, daß sie sich so ganz ihrem Temperament überlassen hatte, und daß ich sie verraten könnte. Ich beruhigte sie aber bald, indem ich ihr nach und nach erzählte, was mir seit dem Tage vorher begegnet war, und sie bat, mir zu erklären, was das eigentlich sei, da auch ihr Seufzen und ihre Bewegungen mir bewiesen hätten, daß sie sehr wohl damit bekannt sei. Nur verschwieg ich ihr, daß ich sie belauscht hatte, und daß ich recht gut wußte, was sie im stillen trieb, weil ich mich überzeugen wollte, ob sie ganz aufrichtig gegen mich sein würde. Meine neugierigen Fragen schienen ihr eine schwere Last vom Herzen zu nehmen. Sie fühlte sich wieder im richtigen Verhältnis als älteres Mädchen gegen eine Unerfahrene, und da ich ihr alles gestand und umständlich erzählte, mit welcher Leidenschaft sich meine Mutter benommen hatte, so schämte sie sich auch nicht mehr vor mir und gestand mir ein, daß sie nächst ihrer Religion nichts Wichtigeres und Schöneres kenne, als den Genuss, mit dem die Natur alles ausgestattet und umgeben habe, was die sinnliche Liebe betrifft. Ich erfuhr nun alles, und wenn Sie in meinen späteren Betrachtungen einige Philosophie und Menschenkenntnis finden, so verdanke ich die erste Grundlage dazu der Belehrung durch meine liebe Marguerite, die gerade in der Beziehung reiche Erfahrungen gesammelt hatte.

Ich erfuhr genau, wie die Natur beide Geschlechter gestaltet hat, wie die Vereinigung geschieht, durch welche kostbaren Säfte der Zweck der Natur einerseits: nämlich die Fortpflanzung des Menschengeschlechtes, und andererseits der Zweck der Menschen selbst: das höchste irdische Vergnügen, erreicht wird. Ich erfuhr, warum die menschlichen Einrichtungen all diese Dinge mit einem sorgfältigen Geheimnis umgeben; wie trotz der Gefahr, die in der unbeschränkten Vereinigung liegt, beide Geschlechter sich wenigstens eine annähernde Befriedigung ihres natürlichen Triebes verschaffen können, und welche Folgen es hat, wenn ein Mädchen sich rückhaltlos diesem Trieb überlassen wollte. Wozu ich ihr eben noch verholfen und was ich bei meinem Vetter erlauscht hatte, sei eine solche, annähernde Befriedigung gewesen. Aber obwohl sie die vollen Freuden der Liebe in den Armen eines jungen, schönen Mannes in ihrer ganzen Stärke kennengelernt habe, so sei sie doch mit dem beschränkten Genuss durch sich selbst vollkommen zufrieden, da sie durch die Geburt eines Kindes die für eine Unverheiratete traurigen Folgen der ganzen Hingebung an einen Mann erkannt habe. Auch mich warnte sie auf das eindringlichste davor. Mit Vorsicht und Selbstbeherrschung könne man vieler Freuden teilhaftig werden, was sie mir durch die Erzählung dessen, was sie selbst erlebt und erfahren hatte, bewies. Es war alles so interessant, zugleich aber auch so belehrend und für mich bis zu meinem dreißigsten Jahre so maßgebend, daß ihre Erzählungen in meinem nächsten Brief eine ausführliche Wiedergabe finden sollen. In vielen Dingen sagte Marguerite mir nur, was ich mir selbst schon zusammengereimt hatte; in anderen aber doch Neues und Überraschendes. Das alles war nun recht schön und gut, aber es war doch immer noch nicht die Sache selbst. Ich brannte nun auch darauf, die Empfindungen selbst kennenzulernen und zu teilen, von denen ich jetzt bereits vier so ganz verschiedene Menschen bis zur Ohnmacht berauscht gesehen hatte. Sie schilderte mir, was sie empfunden, als sie sich zum ersten Mal dem jungen Manne hingegeben hatte, der sie später durch fortgesetzten Umgang zur Mutter gemacht habe, machte mir deutlich, welch ein himmlisches Gefühl es sei, wenn man jene wunderbare Kraft und ihr Feuer fühle, wenn man fast ineinander verschmelze, und wenn endlich jene beruhigende Erlösung aus dem tiefsten Innern beider Liebenden komme …

Das Gespräch hatte uns erhitzt. Den Worten folgten Handlungen. Alle Sinne konzentrierten sich nur noch auf den einen Moment. Wie selten habe ich das später erlebt. Marguerites Lebensglut schoß über mich hin, daß ich alle Besinnung verlor … Als ich wieder zu mir kam, lag ich, vorsichtig zugedeckt, neben Marguerite, die mich mit rührender Zärtlichkeit liebkoste. Bis dahin nur Feuer und wildes Verlangen, war ich mir plötzlich bewußt, wohl doch etwas Unanständiges getan zu haben. Eine außerordentliche Mattigkeit lag in meinen Gliedern. Mir war zumute, als hätte ich ein Verbrechen begangen, und ohne, daß ich es wollte, fing ich bitterlich zu weinen an. Marguerite mochte wohl wissen, daß in solchen Fällen nicht viel mit einem jungen, unerfahrenen Ding anzufangen ist, sagte kein Wort, drückte mein Gesicht an ihren Busen, ließ mich ruhig ausweinen und dann einschlafen.

Durch diese für mein Leben so entscheidende Nacht war mein ganzes Wesen so verändert worden, daß es meinen Eltern bei meiner Rückkehr in die Stadt auffiel und sie verwundert nach der Veranlassung fragten. Mein Verhältnis zu Marguerite war ebenfalls eigentümlich geworden. Bei Tage fremd, so daß wir uns kaum gegenseitig ansahen, und bei Nacht die ausgelassenste Vertraulichkeit, die intimsten Gespräche, die wollüstigsten Liebkosungen. Ich mußte ihr hoch und teuer versprechen, mich nie verführen zu lassen, als ich ihr erklärte, ich wolle alles genießen, was sich ohne Gefahr genießen ließe. Wenige Tage hatten ausgereicht, mich zu dem zu machen, was ich jetzt noch bin, und was Sie so oft an mir bewundert haben. Ich hatte gesehen, daß alle Welt um mich her sich verstellte, auch die besten, achtungswertesten Menschen. Teils weil ich Marguerite nicht in Verlegenheit bringen wollte, teils weil mich der Gedanke reizte, meiner Schlauheit mehr als dem guten Willen anderer zu verdanken, ließ mich meine unbezähmbare Neugier auf die Idee kommen, den Schlüssel zu dem Schrank, in dem Marguerite ihr »Geheimnis« aufbewahrte, in meine Gewalt zu bekommen, ehe ich in die Stadt zurück mußte.

Fünf Tage lang war all meine List vergebens, dann aber gelang es mir, den Schlüssel zu erhaschen. Ich benutzte die Stunde, in der Marguerite meiner Cousine in Gegenwart der Mutter Unterricht geben mußte, um meine Neugier zu befriedigen. Da hatte ich nun das seltsame Ding in der Hand, besah und befühlte es von allen Seiten und prüfte seine Elastizität, aber es war so kalt, so hart, und – als ich es anwendete – bewirkte es keine Spur von einem so angenehmen Gefühl, wie Marguerite es mir verschafft hatte. Vollkommen enttäuscht schloß ich das Instrument wieder in sein Versteck ein. Und dabei war ich unzufrieden mit mir und Marguerite, daß sie mir nicht geholfen, und daß ich etwas hinter ihrem Rücken getan hatte. Nach so vielen angenehmen Erfahrungen war dies eine unangenehme. Ich fürchtete mich vor der nächsten Nacht, vor Marguerites Zärtlichkeiten und der Entdeckung, die sie dann machen mußte. Doch hatte ich sie schon einmal getäuscht, so kostete mich das zweite Mal desto weniger Überwindung. Rasch war ich mit einem Vorwand bei der Hand. Nach Tisch vertraute ich ihr an, daß ich im Garten von einer Leiter gefallen sei und mir beim Ausgleiten sehr weh getan, sogar geblutet hätte. Beim Zubettgehen untersuchte sie mich. Und weit entfernt, die Veranlassung zu ahnen, bestätigte sie mir, daß jener unglückliche Fall mich um meine Jungfrauenschaft gebracht habe; jedoch bedauerte sie nicht mich, sondern meinen künftigen Mann, der dadurch um den Genuss gebracht sei. Das aber war mir damals gleichgültig und ist mir auch später gleichgültig geblieben. Aus Schonung für mich litt Marguerite nicht, daß ich in dieser Nacht zu ihr ins Bett kam, was mir nur willkommen war.

Für die kurze Entbehrung entschädigten mich aber die beiden letzten Nächte, die ich auf dem Gut meines Onkels zubrachte, desto vollständiger. Zum ersten Mal lernte ich die ganze Gewalt der Wollust kennen und die Befriedigung, die sich in einem langen, unbeschreiblich süßen Ermatten kundtat. Und das alles schon mit vierzehn Jahren, bei noch unvollkommen reifem Körper! Ja, und was noch mehr ist, es hat mir weder an der Gesundheit geschadet, noch an meinem späteren, recht genußreichen Leben irgendeinen Reiz fehlen lassen. Dazu gehört nun allerdings ein so früh entwickelter und so fester Charakter wie der meinige. An meinem Vetter hatte ich die Erschlaffung kennen und fürchten gelernt, die einem zu häufigen Selbstgenuss folgt. Mein scharfer Verstand ließ mich jedes Übermaß vermeiden. Immer berechnete ich die Folgen, die entstehen konnten, und nur einmal in meinem Leben haben mich Besinnung und Überlegung verlassen.

Schon früh wurde mir die Erkenntnis, daß es nach den Gesetzen, die sich die menschliche Gesellschaft nun einmal gegeben hat, nur darauf ankommt, mit Vorsicht zu genießen, wenn man ohne Nachteil für sich und andere genießen will. Wer mit starrem Kopf gegen die bestehenden Gesetze anstürmen will, zerschellt an ihnen und erntet lange Reue für kurze Befriedigung. Das Glück führte mich allerdings bei meinen ersten Schritten in die Hände eines erfahrenen und gebildeten Mädchens. Hätte ein junger Mann in meiner Nähe gelebt, der sich um mich bemüht hätte, und dem die Gelegenheit günstig gewesen wäre, so würde ich, bei meinem Temperament und meiner Neugier, wahrscheinlich sehr bald ein verlorenes Geschöpf gewesen sein. Daß ich es nicht wurde, verdanke ich den Umständen, unter denen ich die erste Belehrung über Dinge erhielt, die sehr viel weniger reizend wären, wenn sie nicht verschleiert würden. Und doch sind sie der Mittelpunkt alles menschlichen Strebens und Seins! Das weiß ich jetzt, während ich es damals nur fühlte und mit dem Takte, den wir Frauen nun einmal vor den Männern voraus haben, richtig einschätzte.

Ehe ich mit meinem nächsten Brief beginne, möchte ich nur noch bemerken, daß ich wenige Wochen nach meiner Bekanntschaft mit Marguerite zum ersten Male die Zeichen eines vollständig entwickelten Körpers an mir sah.

Das Tagebuch der Mademoiselle S.

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