Читать книгу Franco Battiato: Oh! Sweet Nuthin' - Wolfgang Haberl - Страница 4

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Inhaltsangabe

 Warum? Darum!, Seite 9

 Joe Patti’s Neffe goes Tra-la-la: die ersten 5 Jahre (1965-1970), Seite 11

 Experimente und Improvisation, Avantgarde und Isolation (1972-1979), Seite 13

- Der VCS3 blubbert kosmisch: Fetus (1972), Pollution (1972), Sulle Corde di Aries (1973), Clic (1974), Seite 13

- Die Kirchenorgel säuselt komisch oder Italienischer Minimalismus in Zeiten der Postmoderne: Mad.elle Le Gladiator (1975), Battiato (1977), Juke Box (1978), L’Egitto prima delle sabbie (1978), Seite 28

 Rückblick auf die Achtziger In Italien: Aus Hippies werden Yuppies. Boomjahre auf Pump. Wer ist der ordinärste im Radio und Fernsehen? Der Prediger in der Wüste hat Erfolg (1979-1994), Seite 39

- Back to pop (1979-1982), Seite 42

- Verlorene Horizonte und ’ne Tass Kaff in Frieden (1982-1993), Seite 67

 Wer schreibt die besten Texte? Die Zusammenarbeit mit Manlio Sgalambro (1994-2012), Seite 108

- Manlio Sgalambro (1), Seite 108

- 2 Sizilianer unter sich mit Regenschirm und Nähmaschine, Seite 113

- Kraut und Rüben im Hinterhalt, Seite 121

- Manlio Sgalambro (2), Seite 137

- Gommalacca (1998), Seite 142

- Die Jahre 1999-2001, Seite 145

- Die Jahre 2002 bis 2012: Filme, Filme, Filme!, Seite 149

- Manlio Sgalambro (3), Seite 153

- Von 2004 bis 2007, Seite 156

- 2010 Auguri Don Gesualdo, Seite 160

- Apriti Sesamo (2012), Seite 161

 Nach Sgalambro: Ihr werdet uns nicht los (ab 2014), Seite 165

 Schluss mit lustig oder Riposto ist doch ein Stadtviertel von New York, Seite 171

 Quellen, Seite 174

Warum? Darum!

Warum Franco Battiato? Nun, das hat erst einmal persönliche Gründe. In unserer kurzlebigen Wohngemeinschaft im Jahre 1981 im Münsterland lebte auch ein Italiener, der Musikkassetten von Franco Battiato hörte. An Details und Einzelheiten erinnere ich mich nicht mehr, aber es waren sicher die damals in Italien sehr bekannten Alben „L’Era del Cinghiale Bianco“, „Patriots“ und „La Voce del Padrone“. Auch meine zukünftige Frau brachte 1988 Musikkassetten von Franco Battiato nach West-Berlin. Jetzt, mehr als 30 Jahre später, am Ende von Battiatos Karriere, den zwar in Italien immer noch alle kennen, aber der bei weitem nicht mehr den Hype der achtziger und neunziger Jahre des vergangenen Jahrhunderts auslöst, beeinflusst von hartnäckig wiederholten und genauso stur dementierten Gerüchten einer schweren Krankheit (Alterssenilität?, Demenz?)1, war der Zeitpunkt gekommen, diesem biographisch motivierten Interesse eine Form zu geben, die Bruchstücke des Mosaiks zu ordnen, die fehlenden Teile, wenn nötig und möglich, zu ergänzen, in anderen Worten, eine Bilanz des Lebenswerkes des sizilianischen Sängers zu versuchen, wie ich es schon bei anderen für mich wichtige Musiker getan hatte. Another hero.

Mein Ansatz war wie immer eher philologisch als musikalisch, was mir bei Battiato teilweise mehr Kopfzerbrechen verursacht hat als etwa bei Bob Dylan oder Leonard Cohen, deren Textlastigkeit und -qualität nur schwer bezweifelt werden kann. Battiato ist nicht wirklich ein klassischer Liedermacher oder Musikpoet, sondern hat seinen kreativen Schwerpunkt bei der Musik. Seine Texte sind oft der Musik untergeordnet. Nachdem ich die (seit einigen Jahren stärker anschwellende) Sekundärliteratur über Battiato in Augenschein genommen hatte, sind mir vor allem zwei Dinge aufgefallen: Bisher gibt es keine einzige Studie in nicht-italienischer Sprache über Franco Battiato. Wenn der Sänger so relevant ist wie Verdi und Rossini, wie etwa Fabio Zuffanti meint, ist das zumindest seltsam. Die wichtigsten Quellen zu sichten und dem interessierten deutschen Publikum einige Basisinformationen über Franco Battiato bereitzustellen, war somit Neuland und schon für sich allein ein hinreichender Grund, ein solches Projekt in Angriff zu nehmen.

Die (italienische) Sekundärliteratur laboriert auffällig an zwei Gebrechen, die ich vermeiden wollte: eine heillos übertriebene Hagiographie des maßlos verehrten „maestro“ und, damit verbunden, eine wenig hilfreiche enzyklopädische Allesbesserweisheit und Abgehobenheit2. Möglicherweise sind bei einem erratischen Querdenker mit Faszination für Mystik und Esoterik Rudelbildung bei den Fans und Guru-Verehrung unvermeidlich. Dennoch war es wichtig, einen kühlen Kopf zu bewahren und die Kirche samt Stadtpfarrer im Dorf zu lassen. Ein kritischer Ansatz musste her. Pubertäre Idolatrie hilft niemandem weiter. Der häufig anzutreffende enzyklopädische Ansatz der Battiato-Literatur, der alles zu jedem Aspekt und Detail des Sängers zu wissen vorgibt und Leben (in ein paar Jahren auch Tod) nebst Wundertaten des Heiligen Franco erzählt, begeht einen fatalen ontologischen Fehler und wird der bewusst fragmentarischen und post-neoromantischen Kunst Battiatos wenig zurecht. Wenn überhaupt, müsste eine solche Studie mehrere Bände umfassen und sicherlich der Experimentierphase, der Popphase, Manlio Sgalambro, der Filmproduktion, der Malerei etc. eigene Ausgaben widmen. Diese Schwierigkeiten bei der Katalogisierung einer überbordenden künstlerischen Produktion über ein halbes Jahrhundert sieht man allein, wenn man sich an die nötige Auswahl der Lieder macht. Das diesem Büchlein (cum grano salis) zugrundeliegende große Kompilationsalbum „Le Nostre Anime“ (2015) ist in der Standardausgabe zu abgespeckt (es fehlen zum Beispiel vollständig die Lieder der fundamentalen Experimentierphase der siebziger Jahre). Die komplette Gesamtausgabe ist, auf der anderen Seite, mit 100 Songs viel zu umfangreich für ein lesbares Handbuch und protzt trotzdem für den eingefleischten Battiato-Fan mit ihren Lücken.3

Was meine kleine Studie also nicht bieten kann, ist die komplette Wahrheit über die gesamte künstlerische Produktion Battiatos. Sie lesen nichts über seine Malerei und nur sehr wenig über seine Tätigkeit als Filmregisseur. Auch die Besprechung der Bücher und Philosophie Manlio Sgalambros beschränkt sich auf wenige Essays, die kaum mehr als ein funzeliges Licht ins Dunkel der hermetischen Welt Sgalambros tragen können, aber sicherlich zum tieferen Verständnis des Philosophen nicht ausreichen. Auch die Kritik der zirka 50 Lieder versucht zwar alle relevanten Songs mit einzuschließen und gewisse rote Fäden freizulegen, bleibt aber mit zwei bis vier Songs pro Album (ab „Dieci Strategemmi“ (2001) dann reduziert auf ein bis zwei Songs) schon allein von ihrem strukturellen Ansatz her fragmentarisch. Das scheint mir aber bestens zu Battiato zu passen und nicht nur deshalb, weil die deutsche Ur-Romantik das Fragment als beste literarische Ausdrucksform gewählt hatte. Von den gegenwärtig immer noch recht leicht überschaubaren Büchern über Franco Battiato waren mir vier besonders hilfreich: Annino la Posta Monographie (2010), zur schnellen Orientierung Alessandros Pomponis knappe (und leider vergriffene) „discografia illustrata“ (2005), zur Interpretation der Texte dann die „27 canzoni commentate (1971-2015)“ von Paolo Jachia und Alice Pareyson aus dem Jahre 2016, und, last not least, das wenig beachtete Werk Riccardo Cuccos „Battiato spirituale“, das man sich als pdf herunterladen kann und im März 2018 zum letzten Mal aktualisiert wurde (für alle diese Texte siehe die bibliographischen Angaben am Ende des Buchs).

Joe Patti’s Neffe goes Tra-la-la: die ersten 5 Jahre (1965-1970)

Francesco Battiato wird am 23. März 1945 im damaligen Jonia (heute Riposto), einem kleinen Küstenort in der Nähe Catanias geboren. Er kommt aus einer bescheidenen Familie: sein Vater ist Lastwagenfahrer und arbeitet lange Zeit im Ausland (Äthiopien, USA), seine Mutter ist Hausfrau und hilft in der Schneiderei ihrer Tante. Ein jüngerer Bruder verstirbt jung, der ältere Bruder Michele hat einen Freund, der in einer Musikgruppe in Mailand Klavier spielt, was einen ersten Anlaufpunkt im fernen Norditalien schafft. Das Verhältnis zum Vater, der kein Verständnis für die musikalischen Ambitionen des Sohnemanns aufbringt, ist wohl eher schlecht. Das Schicksal will es, dass Battiato größere ödipale Konflikte erspart bleiben, die wohl seine Karriere in tumultreichere Wildwasser gesteuert hätten: der Vater stirbt an einem Infarkt, als er 18 Jahre alt ist. Mit seiner Mutter ist das Verhältnis umso enger: er lebt mit ihr lange Jahre seines Lebens bis zu ihrem Tod im gleichen Haushalt. Nach dem Abitur an einem naturwissenschaftlichen Gymnasium, schreibt er sich lustlos an der Fakultät für Sprachen der Universität von Catania ein, beschließt aber nach kurzer Zeit die glorreiche Akademikerkarriere über den Haufen zu werfen und sein Glück als Musiker zu versuchen. Die erste Etappe ist Rom, wo er für einige Monate erfolglos den Kontakt zu Plattenfirmen sucht. Er stellt den Kontakt zu Giorgio Alicata her, dem eben erwähnten Freund seines Bruders, und sucht in Mailand den Kontakt zur Musikszene. Mitte der sechziger Jahre gibt es in Italien nur die traditionelle, neomelodische Schlagertradition, um als Unterhaltungsmusiker zu beginnen. Das Schlagerfestival von San Remo (mit den dort präsentierten Liedern) ist in einer wenig beneidenswerten Monopolsituation. In der Galleria Vittorio Emanuele II treffen sich die musikalischen Wanna-Bes zu Hunderten und warten auf Aufträge, um alleine oder in Gruppen in Restaurants, Night-Clubs, Tanzsälen oder auf privaten Partys ihr Talent zu zeigen. Um Urheberrechtskosten zu sparen, dürfen die Nobodys auch die jeweils aktuellen Hits nachträllern, die dann Rätselheften beigelegt werden. So entstehen 1965 als Anhang der „Nuova Enigmistica Tascabile“ die ersten Singles Battiatos, die damals noch mit seinem wirklichen Taufnamen Francesco signiert werden. Weitere Lieder werden von der Plattenfirma Saar unter anderen Autorennamen veröffentlicht, da Battiato noch nicht bei der S.I.A.E. (der italienischen G.E.M.A.) eingetragen ist. Im Club CAB 64 trifft Battiato den damals schon bekannten Giorgio Gaber, der ihm die Möglichkeit gibt, bei seiner Fernsehsendung „Diamoci del tu“ aufzutreten und das Lied „La Torre“ zu singen. Bei dieser Sendung gibt ihm Giorgio Gaber den Ratschlag, seinen Vornamen von Francesco auf Franco zu ändern, um nicht mit dem ebenfalls dort auftretenden Francesco Guccini verwechselt zu werden, der eben seine erste LP veröffentlicht hat und sein Lied „Auschwitz (la canzone del bambino nel vento)“ vorträgt. Battiato schafft es 1968, einen Plattenvertrag mit Philips/Phonogram abzuschließen und hat mit dem Lied „E‘ l’amore“ einen ersten Achtungserfolg. Die allmächtigen Pippo Baudo und Renzo Arbore werden auf ihn aufmerksam und geben ihm die Möglichkeit im Programm „Settevoci“ (Fernsehsendung Baudos am Sonntagnachmittag ) aufzutreten und in Arbores Radioprogramm ,,Per voi giovani“ gespielt zu werden.

E‘ l’amore

come son lunghe le sere

d’autunno se non sei con me,

forse non so piu’ restare da solo cosi’ senza te.

e’ l’amore che mi prende piano piano

per la mano mentre l’acqua dietro ai vetri

gia’ discende lentamente

(Wie lang sind die Abende

Im Herbst, wenn du nicht bei mir bist.

Vielleicht kann ich so nicht mehr alleine ohne dich bleiben.

Es ist die Liebe, die mich langsam nimmt

An ihrer Hand, während das Wasser hinter dem Glas

Schon langsam nach unten rinnt)

Wie man leicht (auch ohne große Italienischkenntnisse) sieht, ist das Lied noch vollkommen einer tödlich langweiligen Schlagertradition verhaftet, die textlich und musikalisch immer dieselben Versatzstücke neu aufmischt: Liebesschmerz- und Liebesleid gepaart mit den möglichst eingängigen Akkordfolgen eines Ohrwurms, der das Trommelfell blessiert. In diesen Jahren wird Battiato mit Singles von Philips/Phonogram immer bekannter, muss sich aber den harten Marketing-Regeln der Unterhaltungsindustrie unterwerfen und an zahlreichen dubiosen Schlagerfestivals teilnehmen („Un disco per l’estate“, „Mostra internazionale di musica leggera)“. Er beginnt immer mehr daran zu zweifeln, ob eine solche leichte Unterhaltung tatsächlich die Zielrichtung seiner Kunst bleiben kann und gerät in eine Krise:

Vor mehr als zwanzig Jahren, sagen wir, etwa in den späten sechziger Jahren, geriet ich in eine Krise. Ich habe mich Hals über Kopf in die indische Philosophie vertieft. Ich habe Aurobindo, Yogananda und andere gelesen. Seitdem ist das Interesse am Osten der ständige Bezugspunkt in meinem Leben.4

und

Ich empfand eine Art von Entfremdung. Ich fühlte mich völlig unwohl, ich hatte ernsthafte Zweifel, dass der eingeschlagene Weg wirklich das richtige war.5

Battiato beendet die Zusammenarbeit mit Philips/Phonogram. Die Einschätzung vieler Kritiker, dass diese ersten fünf Jahre nur jugendliche Flausen waren, die Battiato später schuldbewusst verleugnete, zeugt meiner Meinung nach mehr von falscher Idolatrie und hagiografischer Geschichtsklitterung als von tatsächlichen Sachverhalten. Nicht nur die dreiteilige Coverserie „Fleurs“, die Battiato ab 1999 bis 2008 veröffentlicht, zeigt deutlich, wie stark sich Battiato immer der italienischen Liedtradition verpflichtet fühlte.6

Experimente und Improvisation, Avantgarde und Isolation (1972 – 1979)

- Der VCS3 blubbert kosmisch: Fetus (1972), Pollution (1972), Sulle Corde di Aries (1973), Clic (1974)

1970 und 1971 sind für Battiato Jahre des Umbruchs. Wahrscheinlich hat er niemals später so radikal die Spur gewechselt wie damals. Er mutiert vom harmlosen, melancholischen Schlagerheini, den sich jede italienische Mamma gerne zum Schwiegersohn wünscht, zum unheimlichen, meskalinverseuchten, experimentellen Elektronik-Rocker in schräg-schriller Robe. Was war passiert? Mehrere Dinge gleichzeitig. Battiato lernt Pino Massara kennen, der gerade seine eigene Plattenfirma „Bla.Bla“ gegründet hat und auf der Suche nach ungewöhnlichen Sängern und Musikgruppen ist. Die neue, experimentierfreudige Plattenfirma arbeitet mit Al.Sa (Abkürzung von Sergio Albergoni und Gianni Sassi) zusammen, einer Art Mailänder „factory“ im Stile Andy Warholes, die skandalträchtige und provozierende Werbung entwickelt, unter dem Pseudonym Frankenstein Liedtexte schreibt und die Zeitschrift „Bit“ herausgibt, wo Gedichte und Prosa veröffentlicht werden. Nach einem kurzen Zwischenspiel im Quartett „Osage Tribe“, das mehr wegen des von Al.Sa geschaffenen scheußlichen Covers als wegen des musikalischen Inhalts der ersten Single von sich reden macht, beginnt Battiato seine erste Langspielplatte „Fetus“ im Studio aufzunehmen. Die nicht mehr aufschiebbare Einberufung zum Wehrdienst, den Battiato auch Jahrzehnte danach noch als traumatisch schildert, verzögert die Fertigstellung der LP bis Anfang 1982. In den Fängen des italienischen Barras, zwischen dem stoischen Mantra Bartlebys des Schreibers I would prefer not to, Ohnmachtssimulationen und abenteuerlichen Fluchten aus Militärkrankenhäusern, um die Aufnahmen von „Fetus“ fortzusetzen, entsteht ein heute legendäres Erstlingswerk, das sich aus vielfältigen Quellen speist, die bisher nur zum Teil offengelegt worden sind. Die Platte ist dem englischen Schriftsteller Aldous Huxley (1894-1963) gewidmet, der heute vielen wegen seines zukunftspessimistischen Romans „Brave New World“ (1932) bekannt ist, der neben George Orwells 1984 (1949) zu den bekanntesten Zukunftsvisionen einer totalitären Gesellschaft gehört. In Huxleys Roman, der im Jahre 2540 spielt, werden Embryonen und Föten physisch und die so geborenen Kinder anschließend auch mental manipuliert, damit mittels dieser Prägung ein gesellschaftliches Kastensystem Fortbestand hat, das von Alpha-Plus-Menschen (für die Führungspositionen) bis zu Epsilon-Minus-Existenzen (für repetitive Sklavenarbeit) reicht. Sicherlich schnupperte Battiato mit solchen Thematiken am Zeitgeist Anfang der siebziger Jahre. Ohne die Apollo-Missionen der Nasa, ohne Stanley Kubricks „2001: Odyssee im Weltraum“ oder ohne David Bowies „Space Oddity“ und „The Rise and Fall of Ziggy Stardust and the Spiders from Mars“ wäre sicherlich „Fetus“ nicht entstanden. Auch der damals zum ersten Mal vorgestellte Synthesizer öffnet völlig neue musikalische Türen. Diese elektronischen Musikinstrumente sind Anfang der Siebziger noch teurer als Todsünden, kosten manchmal so viel wie exklusive Immobilien am Stadtrand und bleiben deshalb entsprechend rar, so dass schnell Anekdoten und Legenden um die Zaubermaschinen mit ihren Weltraumklängen entstehen. Man brauchte eine superreiche Gemahlin (wie Florian Fricke) oder eine spendierwillige Mäzenin (wie bei Eberhard Schoener), um sich so teures Spielzeug leisten zu können.7 Angeblich reiste Producer Pino Massara extra nach London, um dort bei EMS einen der nur drei existierenden VCS3s zu erstehen. Einen zweiten kaufte nach dieser Version Pink Floyd und einen dritten behielt die Firma als Prototyp für sich selbst. Das ist natürlich in dieser extremen Exklusivität musikalisches Seemannsgarn, aber der Erwerb von Synthesizern ist für die nur vor einem kleinen Publikum spielenden, finanzschwachen Gruppen der elektronischen Musik oft eine hohe Hürde.

Was (zumindest den italienischen Musikkritikern) weniger bekannt ist der Einfluss der deutschen elektronischen Musik auf die damalige italienische Musikszene. In einigen Städten des damaligen Westdeutschlands (Berlin, München, Düsseldorf) entsteht Ende der sechziger Jahre vor allem im Umfeld des Berliner „Electronic Beat Studio“ und des Lokals „Zodiak“ mittels blubbernder Synthesizer und Musikern mit langen Matten an den Reglern ein völlig neuer Weltraumsound, der abstrakte Klanglandschaften schafft, aber auch für esoterische Ausdeutungen offen bleibt. Die zahmen Engländer und polternden Amis sind erstmal baff und nennen diese neue Rockmusik aus Westdeutschland verächtlich „Krautrock“, was aber nichts daran ändert, dass diese elektronische Rockmusik der einzige bemerkenswerte Beitrag Deutschlands zur kurzen Rockmusikgeschichte geblieben ist und der „Krautrock“ sein Scherflein zu einer Emanzipation von der verschimmelten Nachkriegszeit und ihrer missglückten Entnazifizierung beigetragen hat. In einer postmodernen neuen Sphärenmusik der sich bewegenden Himmelskörper, die ursprünglich von Pythagoras entwickelt worden war, ertönen und schwingen die Harmonien des Universums, aber wabern auch Timothy Learys drogenverhangene Heilsschwärmereien. Der psychedelische Westcoast-Rock (Grateful Dead, Jefferson Airplane, Quicksilver Messenger Service), der englische Progressive Rock (Pink Floyd), aber vor allem natürlich die amerikanische minimalistische Musik (Terry Riley, La Monte Young, Steve Reich, John Cage, Philip Glass und andere mehr) leisten mit ihrem musikalischen Konzept der repetitiven Strukturen, ausufernden Jam-Sessions und (bei den Studioaufnahmen) eine ganze Langspielplattenseite dauernden Musikstücken Vorarbeit. Bei Alben und Musiktiteln mit den Namen „Electronic Meditation“ (Tangerine Dream), „Meditation“ (Eberhard Schoener), „Traummaschine“ (Ash Ra Temple) oder „Psychedelic Underground“ (Amon Düül) schwant einem Transzendentales. Überhaupt entsteht eine neue Vermischung aus Avantgarde-Rock und Avantgarde-Klassik, die bei Franco Battiato in seiner gesamten Karriere ein identitätsstiftendes Wesensmerkmal darstellt. Und natürlich beschränkt sich diese neue Musik nicht aufs kleine Westdeutschland und Italien. John Cale von Velvet Underground wird auch zu den Minimalisten gerechnet. Eberhard Schoener tritt mit seinem Moog-Synthesizer bei der Weltausstellung im japanischen Osaka (1970) im Raumklangprojekt „Gärten der Musik“ zusammen mit Karlheinz Stockhausen auf. Thomas Kesslers Gruppe Neue Musik Berlin versteht sich als klassische Avantgarde, hat Kontakt zu zahlreichen wichtigen amerikanischen Minimalisten, die sich mit Stipendien des Deutschen Akademischen Austauschdienstes in West-Berlin aufhalten, schafft aber auch den Kontakt zu den jungen Untergrund-Rockmusikern wie Edgar Froese und Klaus Schulze (Tangerine Dream/Ash Ra Temple) und Christopher Franke (Agitation Free). Hans-Joachim Roedelius und Dieter Möbius spielen bei Kluster/Cluster und Harmonia und nehmen mit Brian Eno zwei Platten auf. Eno hält Harmonia immerhin für nichts weniger als die wichtigste Rockband der Welt Mitte der siebziger Jahre. Auch die gerade erwähnten Florian Fricke (Popol Vuh) und Eberhard Schoener, Hauptvertreter der elektronischen Musik in München, kommen von der klassischen Musik. Es wird nicht nur Zufall gewesen sein, dass Battiato im Jahre 2000 für das Festival Il violino e la selce in San Benedetto del Tronto auch (den leider im Jahr danach früh verstorbenen) Florian Fricke und seine Popol Vuh einlädt.

Die vier ersten Alben Battiatos präsentieren in Teilen noch traditionelle Melodiefolgen und Liedtexte, was die Rezeption beim Hören erleichtert. Die ersten beiden Alben sind sogar als Konzeptalben entworfen und strukturiert. Grundidee von „Fetus“, mit seinem skandalträchtigen Fötus auf dem Cover, der in einem Anatomiemuseum fotografiert wurde und mit dem für die damaligen wilden Protestjahre typischen sardonischem Sarkasmus als emsiger Mitarbeiter Valerio Puntointerrogativo (sprich Valerio Fragezeichen) im beigelegten Inlet benannt, ist die Entwicklung des menschlichen Lebens im Mutterleib, das sofort eine metaphysische Dimension erhält und mit der Entstehung des Universums in Verbindung gebracht wird. Schon bei seiner ersten LP spürt man das spirituelle Anliegen Battiatos, der staunend vor dem Geheimnis des heranreifenden Lebens steht, das nicht nur ein Einzelschicksal ist, sondern die milliardenalte Erdgeschichte und die Evolutionsbiologie im Zeitraffer abbildet. Hier sind sicherlich schon die Ansätze des Reinkarnationsglaubens Battiatos spürbar, der vor allem östliche Religionen wie den Hinduismus und Buddhismus charakterisiert und (in Battiatos Überzeugung) nicht nur Flora und Fauna umfasst, sondern auch die gesamte materielle anorganische Basis miteinschließt.

Mit Fetus habe ich versucht, einem Problem eine menschliche Dimension zu geben, oder besser, einer Situation, die im menschlichen Leben ständig vorhanden ist, dass man realisiert, wie die Unendlichkeit über uns und um uns herum uns betrifft und durchdringt.8

Das Album „Fetus“ hat insgesamt 8 Lieder, von denen wohl der Titelsong „Fetus“, „Fenomenologia“ und „Meccanica“ am ehesten noch die Zeiten überlebt haben, legt man etwa die Super Deluxe Edition von „Anthology – Le Nostre Anime“ aus dem Jahre 2015 oder „Universi Paralleli“ (2018) zu Grunde.

Der Titelsong „Fetus schockiert“ mit einem ausgesprochen negativen Inhalt:

Ich war noch nicht geboren

Als ich schon mein Herz hörte

Als mein Leben

Ohne Liebe entstand

Langsam glitt ich weiter

Im Menschenkörper

Die Adern hinab

Meinem Schicksal folgend

Das zweite Album „Pollution“ (Anfang 1973 veröffentlicht) nimmt diese Thematik wieder auf und fokalisiert sie auf den (auch philosophisch und religiös stark aufgeladenen) Bruch der Menschheitsgeschichte mit dem sonstigen biologischen Evolutionsverlauf. Am biblischen „Macht euch die Erde untertan“ verschluckte sich damals schon Battiato und heute, fast 50 Jahre später, die gesamte Menschheit. Da hilft auch kein Kräuterlikör Ratzeputz. Der Mensch als einzige um ihrer selbst willen von Gott gewollte Kreatur, wie Papst Paul VI in der Enzyklika „Gaudium und Spes“ 1965 großmäulig verlautbarte? Die Krone der Schöpfung ist längst zur Dornenkrone geworden. Die Umweltverschmutzung, die der englische Albumtitel für ein elitäres, der Sprache des perfiden Albion mächtiges Italien9 Anfang der Siebziger thematisierte, ist 1972 noch kein gesellschaftlich relevantes Thema. Erst 1979 wird die erste Klimakonferenz in Genf einberufen, deren apokalyptische Warnungen allerdings nicht in die politischen Kommandozentralen durchdringen. Wer außer ein paar überspannten Wirrköpfen glaubt schon an den Treibhauseffekt und die Sättigung der Erdatmosphäre mit Kohlendioxid aus fossilen Brennstoffen, die in einem absehbaren Zeitraum das Polareis schmelzen und den Meeresspiegel um 5 Meter steigen lassen werden? Die 1980 in Karlsruhe gegründete Partei „Die Grünen“ kommt bei der Bundestagswahl im Oktober auf gerade einmal 1,5 Prozent der Stimmen. Das Landschaftskunstwerk von Joseph Beuys 7000 Eichen – Stadtverwaldung statt Stadtverwaltung wird 1982 auf der documenta 7 ausgestellt, bleibt aber für Leute mit gesundem Menschenverstand das Werk eines psychopathischen Spinners. Es ist schon erstaunlich, mit wieviel prophetischer Voraussicht Franco Battiato 1973 in „Pollution“ das drohende Grauen einer zerstörten Welt zur Sprache und Musik bringt oder wie präzise schon 1980 im ersten Grundsatzprogramm der Grünen das brennende Haus dokumentiert wird:

… Die ökologische Weltkrise verschärft sich von Tag zu Tag: Die Rohstoffe verknappen sich, Giftskandal reiht sich an Giftskandal, Tiergattungen werden ausgerottet, Pflanzenarten sterben aus, Flüsse und Weltmeere verwandeln sich in Kloaken, der Mensch droht inmitten einer späten Industrie[-] und Konsumgesellschaft geistig und seelisch zu verkümmern, wir bürden den nachfolgenden Generationen eine unheimliche Erbschaft auf …

Seitdem ist ein halbes Jahrhundert mit Lippenbekenntnissen und mit schöner Regelmäßigkeit nicht umgesetzten Absichtserklärungen ins Land gegangen. Ich befürchte, dass auch Greta Thunberg und ihre „Fridays for Future“ ähnlich erbärmlich wie Barack Obamas hochtrabendes Regierungsprogramm mit ihrer Rhetorik und ihren Illusionen im Nirwana der guten Absichten verpuffen werden, wie ehrlich sie von den jeweiligen Autoren ursprünglich auch immer gemeint gewesen sein mögen.

Das Cover von „Pollution“ geht auf eine Kunstinstallation Gianni Sassis von Al.Sa zurück, bei der ein Platz in Bologna mit Keramikfliesen gepflastert wird, die fotorealistisch steinige Erdschollen mit vereinzelten Grasbüscheln darstellen. Hinzugefügt wird für das Cover eine aufgeschnittene Zitrone, die von einer Eisenschraube durchbohrt wird. (Sizilianische) unberührte Natur versus brutale Mechanik! Die sieben Lieder (Akte) des Albums, das den protzigen Untertitel „Klangfolge in sieben Akten gewidmet dem Internationalen Zentrum der Magnetforschung“ trägt und in einer Bemerkung des Inlets auf ein frei erfundenes und misslungenes Experiment hinweist, bei dem alle italienischen Autos mittels eines magnetischen Stroboskops blockiert werden, erzählen die Geschichte des Weltendes am „31. Dezember 1999 um 9 Uhr“ (wie der kurze zweite Titel heißt, der nur aus zwei Explosionen besteht) und die Flucht der Menschheit in eine submarine Existenz (fünfter Titel „Plankton“). Einige typische Konstanten der Kreativität Battiatos sind schon hier im Album „Pollution“ vorhanden: eigenwillige Buchstabendreher und Wortverbindungen (hier der dritte Albumtitel „Areknames“, welcher, rückwärts gelesen, sich als „Se mancherà“ („Nicht da“) entpuppt; ähnlich bei „Iloponitnasoc“, in Wirklichkeit „Costantinopoli“ aus dem nie veröffentlichten Album „Mespotamia“10); die rhetorische Figur Oxymoron (Gegensatzpaar) im ersten Albumtitel „Il silenzio del rumore“ („Die Stille des Lärms“); Interferenzen aus der klassischen E-Musik mit Geschichten aus dem „Wienerwald“ von Johann Strauss (Sohn) oder Bedrich Smetanas „Die Moldau“. Erwähnenswert ist sicher auch der im typisch provokanten Stil der politisierten Siebziger formulierte Frage des letzten Albumtitels „Ti sei mai chiesto che funzione hai“? („Hast du dich je gefragt, welche Funktion du hast“?), die mit einem Weinkrampf beantwortet wird und so von Battiato kommentiert worden ist:

Am Ende von ‚Pollution‘, du erinnerst dich daran, ist ein langer Weinkrampf zu hören. Das war eine Prophetie zum Ende der Menschheit, zu den schweren Katastrophen, die uns bevorstehen.11

Im Lied „Plancton“ beschreibt Battiato die Mutation des Menschen in Meerlebewesen:

Ich lebe seit zweihundert Jahren im Meer

Ich habe gelernt, wie man unter Wasser atmet

Meine Hände werden Schuppen

Unter dem Meer ändere ich meine Form

Und mein Körper wird den Fischen immer ähnlicher

Meine Haare werden Algen

Möglicherweise wurde diese Zukunftsvision Battiatos durch die esoterische Erzählung „The Shadow over Innsmouth“ beeinflusst, die der amerikanische Schriftsteller Howard Philips Lovecraft 1936 veröffentlichte. In diesem Text wird eine erfundene hybride Rasse (halb Mensch und halb Fisch/Frosch) beschrieben. Lovecraft wird heute unter die wichtigsten Autoren phantastischer Horrorliteratur gerechnet, erfuhr aber auch viel Ablehnung wegen seiner rassistischen Positionen.

Die acht Alben der experimentellen Phase Battiatos in den Siebzigern zu klassifizieren, ist nicht immer leicht. In der Literatur über ihn werden diese Alben oft nur beiläufig erwähnt und über einen Kamm geschert. Wenn überhaupt, verwendet man die auch hier zugrunde gelegte Unterscheidung der fünf Alben mit Bla.Bla und drei Alben mit Ricordi. Doch auch Battiato wohl geneigte Fans hören kaum Unterschiede beim Vergleich zwischen „Mad.lle Le Gladiator“ (1975) und „L’egitto prima delle sabbie“ (1978) heraus. Auch das gleich zu besprechende „Sulle Corde di Aries“ (1973) klingt bei einem schnellen Anhören sehr ähnlich. Letztendlich rühren diese Unsicherheiten aus den nur mühsam definierbaren Unterschieden zwischen progressivem Rock und klassischer Avantgarde in den Siebzigern her, die einen große gemeinsame Schnittmenge haben. Einige Fakten in Battiatos musikalischer Entwicklung könnten zum besseren Verständnis beitragen. Die ersten beiden Alben bilden sicherlich eine Einheit für sich. 1973 gerät Battiato in eine Krise, kündigt die Zusammenarbeit mit „Frankenstein“ (Gianni Sassi und Sergio Albergoni) auf und nähert sich der Musik Karlheinz Stockhausens an.

Für eine bestimmte Zeit sind wir Freunde gewesen. Sagen wir von 1972 bis 1975, drei Jahre, während derer wir uns getroffen haben. Ich war auch Gast bei ihm in Deutschland, in Kürten, in der Nähe Kölns.12

Neben der Annäherung an die Minimalmusik und klassische Avantgarde, verstärkt Battiato auch seine Suche für ihn überzeugender spiritueller Antworten. Es ist nicht ganz klar, wann genau er mit der esoterischen Welt Gurdjieffs (1866-1949) in Berührung kommt. In einem (frühen) Interview mit dem Privatsender „Rete Quattro“ spricht er vom Jahr 197513. Andere Quellen geben das Jahr 1977 an.

Den wirklichen Wechsel in meinem Leben, den größten, verdanke ich der Entdeckung Gurdjieffs. Ganz allein, als wilder Autodidakt, hatte ich das kenngelernt, was im Westen transzendentale Meditation genannt wird. Ich hatte schon einen inneren Weg zurückgelegt, aber bei der Weltanschauung Gurdjieffs sah ich ein System realisiert, das ich schon vorausgeahnt und kennengelernt hatte. In einem einzigen Moment erkannte ich alles. Es gibt viele Wege, es gibt die heilige Teresa und den heiligen Franziskus; dem System von Gurdjieff fühlte ich mich ganz nah. Eine Art von Sufismus, der im Westen praktiziert wird, innerhalb einer Konsumgesellschaft.14

Battiato lernt Gurdjieff nicht direkt, sondern über das Buch eines seiner Schüler kennen: P.S. Ouspenskys „Auf der Suche nach dem Wunderbaren. Fragmente einer unbekannten Lehre“ (1949).

Der erste, der mir davon sprach, war Roberto Calasso, der mich auf „Begegnungen mit ungewöhnlichen Menschen“ hinwies und mir etwas von Gurdjieff erzählte. Ich las das Buch, war aber nicht wirklich beeindruckt, und habe es dann Ballista weitergeschenkt. Er wurde von dem Buch erschüttert und hielt nicht mehr an. Er suchte andere Bücher und schenkte mir „Fragmente einer unbekannten Lehre“ von Ouspensky. Für mich war es wie eine Erleuchtung.15

Das Album „Clic“ (1974) zitiert jedenfalls wortwörtlich einige Konzepte der Philosophie Gurdjieffs und ist Karlheinz Stockhausen gewidmet, aber auch schon „Sulle Corde di Aries“ (1973) könnte mit seinem Abschlusssong „Da Oriente a Occidente“ und überhaupt durch seinen meditativen, introspektiven Charakter, den Einsatz vieler akustischer Instrumente, das ockerfarbene, esoterische Cover auf eine erste Beschäftigung mit Gurdjieff (oder zumindest mit esoterischer Philosophie) hinweisen. Irgendetwas Wichtiges und Richtungsweisendes war jedenfalls 1973 passiert. Die schrillen, grellen, provokanten Töne von „Fetus“ und „Pollution“ hatten ruhiger, kontemplativer Musik Platz gemacht, die bei „Sulle Corde di Aries“ (1973) auch ziemlich eindeutig an anamnetische Praktiken der psychoanalytischen Diagnose erinnert (am auffälligsten im Albumtitel „Sequenze e Frequenze“). Ein weiteres Kriterium, das für die klassische Aufteilung in Bla.Bla und Ricordi spräche, betrifft das Vorhandensein/Fehlen von Texten, die auf Grundstrukturen von Liedern hindeuten. Bis auf „Mad.lle Le Gladiator“ (1975) haben die von Bla.Bla veröffentlichten Alben solche Texte und Liedstrukturen. Sie fehlen (bis auf das kurze französische „Hiver“ in „Jukebox“) bei den drei Ricordi-Platten. Aber das vielleicht entscheidendste Argument bezieht sich auf die den Alben zugrundeliegende Liedstruktur. Bis „Mad.lle Le Gladiator“ (1975) improvisiert Battiato, wie das im progressiven Rock üblich ist. Von „Battiato“ (1977) bis „L’egitto prima delle sabbie“ (1979) beruhen die Stücke auf schriftlichen Kompositionen, die in der klassischen Musik zum Einsatz kommen, entsprechende Kenntnisse voraussetzen und deren Partituren von beliebigen Orchestern nachgespielt werden können.

Mit der LP „Sulle Corde di Aries“16 lenkte Battiato sein Narrenschiff in ruhigere Fahrwässer, wohinter sich sicherlich ein stärkeres Interesse an Meditation und Spiritualität verbarg. Der dahinterstehende Protest fand sein Ventil nicht mehr in der Provokation, sondern in einer Recherche nach Alternativen zu den spirituellen Angeboten der westlichen Konsumgesellschaften. Diese Suche nach Gegenvorschlägen zum in Italien dominanten Katholizismus würde das gesamte Oeuvre Battiatos mehr als alle anderen Thematiken bestimmen, ob die indianische Hindu-Mystik eines Aurobindo Ghose oder Paramahansa Yoganandas, die im Jahre 1973 noch bestimmend ist und „Sulle Corde di Aries“ in den Augen des Schöpfers selbst zu einer „Initationsreise“17 macht oder der islamische Sufismus und Georges Ivanovitch Gurdjieff, den Battiato Mitte der siebziger Jahre kennenlernte und an dessen Gruppenaktivitäten er ab 1978 für etwa 10 Jahre teilnahm. Schon allein diese wenigen esoterischen Angebote bringen selbst einen gut gelaunten und wohl gesinnten Berichterstatter unweigerlich in die Bredouille, da sich entsprechenden Heilsangebote nur in mühsamen und langwierigen Studien erschließen (wenn überhaupt). Gerade Gurdjieff hat nicht nur einen schwierig zu schreibenden Namen, sondern auch ein reichlich abstruses esoterisches System entwickelt, das man aber zumindest in seinen Grundgedanken beschreiben muss, wenn man über Battiato schreibt. Und bei einem näheren Nachdenken muss man vermutlich auch zugeben, dass die Theorien Gurdjieffs letztendlich auch nicht seltsamer sind als etwa die katholischen Dogmen der jungfräulichen Geburt von Jesus, die Trinitätslehre oder die Transsubstantiation. Doch damit nicht genug. Battiato ist ein Synkretist mit Leib und Seele. Die hermetische Schweizer Schriftstellerin Fleur Jaeggy, Freundin von Ingeborg Bachmann und Ehefrau Roberto Calassos, sowie überhaupt das wild ins Kraut schießende esoterische Angebot des Adelphi-Verlags, hinterlassen immer wieder Spuren in den Liedern Battiatos. Weitere wichtige esoterische Quellen, aus denen sich das Werk Battiatos speist, sind René Guénon und die mystische Tradition des Judentums (Kabbala) sowie auch die Gnosis, frühchristliche Glaubenssysteme, die sich gegen die christliche Hauptkirche positionierten. Alles diese metaphysischen Positionen kann man in Battiatos Liedern überzeugend nachweisen, wie es Riccardo Cucco18 in seinem (leider nur auf Italienisch vorliegenden) Buch getan hat, dessen Pusselarbeit man nur hochschätzen kann, obwohl es in manchen Kapiteln ins Traditionell-Dogmatische ausrutscht.

„Auf den Saiten des Widders“ ist wieder ein Konzeptalbum, das diesmal nicht nach vorne in die apokalyptische Zukunft blickt, sondern regredierend eine primitive Urgesellschaft beschreibt, die in einem Vulkankrater lebt. Die Beschäftigung mit esoterischen Thematiken ( hier noch mit indisch-hinduistischen Weltentwürfen, aber wenig später auch mit dem islamischen Sufi-Mystizismus , dann ab 1974 zuerst sporadisch und ab 1975 systematisch mit dem griechisch-armenischen Esoteriker Georges Ivanowitsch Gurdjieff) und die systematische Praxis der Meditation schlagen sich in der ruhigeren und leiseren Musik des Albums nieder, die in ihrer Mischung aus modernen, elektronischen und traditionellen akustischen Elementen den Bereich des „progressive rock“ verlässt und mit ihren mediterranen und ethischen Charakteristiken fast schon eine „Weltmusik“ ante litteram anstimmt. Sicherlich handelt es sich dabei nicht um einen ausschließlich individuellen Kraftakt und Geniestreich Battiatos, sondern auch um die Verarbeitung von zahlreichen externen Einflüssen. Fabio Zuffanti hat in seinem ersten Buch über Battiato19 nicht nur auf Popol Vuhs „Hosianna Mantra“ (1972) hingewiesen. Feuriger unter den Nägeln brannten aber sicherlich die Musikgruppen Aktuala und Analogy. Die Mailänder Gruppe Aktuala übernahm die Erbschaft der Londoner Third Ear Band und spielte eine von afrikanischen und asiatischen Klängen beeinflusste mediterrane Musik. Analogy war eine unter dem Namen Sons of Giove und später The Joice/The Yoice in Varese gegründete deutsch-italienische Musikband, die sich Anfang der Siebziger in Norditalien (wohl auch wegen ihrer sexy strohblonden Sängerin Jutta Nienhaus) einen gewissen Kultstatus erspielt hatte.20

Das bekannteste Lied auf dem Album „Sulle Corde di Aries“ ist sicherlich „Aria di Rivoluzione“, das Battiato in den siebziger und achtziger Jahren gern auf Live-Konzerten gespielt hat und das auch auf der Live-LP „Giubbe Rosse“ (1989) zu finden ist. Im Gegensatz zu seinem eindeutigen Titel, der zum schnellen politischen Umsturz aufzurufen schien und gerade bei den Auftritten im roten Jahrzehnt oft so missverstanden wurde, hat das Lied keine eindeutig markierte politische Botschaft, was Battiato auch selbst bestätigt hat. In einem Interview mit der Musikzeitschrift „Ciao 2001“ (Nummer 39/1974) äußert sich der Liedermacher sehr vorsichtig und skeptisch zum Thema politische Revolution und schränkt das Wirkungsfeld von Musik (und Kunst allgemein) auf das Bewusstsein einzelner Personen ein.

„Aria di Rivoluzione“ hat einen sehr kurzen Haupttext, der so endet

Questa mia generazione vuole nuovi valori

E ho già sentito aria di rivoluzione

Ho già sentito

Chi andrà alla fucilazione

Meine Generation will neue Werte

Und ich spüre schon die Revolution in der Luft

Ich habe schon erfahren

Wer an die Wand gestellt wird

In diesen Versen ist eher als Begeisterung die tiefe Skepsis des Sängers zu spüren, der weiß, dass Revolutionen nur im Ausnahmefall zu besseren Gesellschaften führen und unweigerlich gewaltsame Säuberungsaktionen nach sich ziehen. Der Text ist also, mehr als ein simpler Aufruf zur Revolution, eine ernüchterte Feststellung der Gefahren, die sie mit sich bringt. Auch der Lastwagenfahrer zu Beginn des Liedes, der wohl Battiatos Vater ist und der während des Faschismus einige Zeit im von Italien besetzten Abessinien (heute Äthiopien) arbeitete, ist sicherlich keine heroische revolutionäre Figur, sondern nur ein Bauer im Schachspiel des schmutzigen italienischen Abessinienkriegs (1936-1941). Schuld und Unschuld der in solche revolutionären Geschehnisse verwickelten Personen sind nur sehr mühsam auseinanderzuhalten.

Auch der von Jutta Nienhaus zitierte deutsche Nebentext des damals sehr bekannten deutschen Liedermachers und Superrevolutionärs Karl Wolf Biermann21 denkt über die Aporien von Revolutionen nach. „Genossen, wer von uns wäre nicht gegen den Krieg“ wurde 1968 in Biermanns Gedichtband „Mit Marx- und Engelszungen“ veröffentlicht. Der in Hamburg geborene Liedermacher, 1936 geboren, erlebte das Trauma der deutschen Teilung in seiner vollen Härte. Sein Vater war Jude, stand der KPD nahe und war 1943 im KZ Ausschwitz ermordet worden. 1953, mit gerade einmal 16 Jahren, übersiedelte er mit Hilfe der KPD in die DDR, wurde aber schon als Student zum überzeugten Kritiker des Panzerkommunismus und der Einheitspartei SED. Nach Auftritts- und Publikationsverboten und anderen Schikanen von Seiten der DDR-Regierung musste er sich immer mehr Richtung Westdeutschland orientieren, wo er seine Gedichtbände und Langspielplatten veröffentlichen konnte. Dieser gefährliche Drahtseilakt endete abrupt Ende 1976 mit Biermanns Ausbürgerung aus der DDR, die hohe Wellen schlug. Eine nummernstarke Anhängerschaft bei den linken politischen Gruppierungen im Westdeutschland des Roten Jahrzehnts, die Biermanns Seemannsgarn eines menschlichen Sozialismus gerne in ihre politischen Webstühle einfädelte und weiterspann, aber auch ein starker Rückhalt in der Künstler- und Dissidentenszene in der DDR, machten seine Gedichtbände und Lieder zu den meistverkauften und auflagenstärksten der deutschen Nachkriegsliteratur. So bekannte ostdeutsche Künstler wie Mutter und Tochter Eva-Maria und Nina Hagen, Katharina Thalbach, Manfred Krug (und andere mehr) forderten in einem offenen Brief die DDR-Führung dazu auf, die Biermann-Ausbürgerung zurückzunehmen und sahen sich ebenfalls gezwungen, die DDR zu verlassen. In diesem Umfeld ist der Einsatz von Biermanns Gedicht sicherlich als Hommage an einen Künstler zu verstehen, der nirgendwo sein Zuhause hatte, sich auch bei Androhung von zerstörerischen Schikanen das Recht zur Kritik nicht benehmen ließ und seine Kunst als Gegenwelt und Utopie zur real existierenden politischen Negativität (in beiden Teilen Deutschlands, aber wohl auch jenseits aller Landesgrenzen) verstand.

„Genossen, wer von uns wäre nicht gegen den Krieg“ hat den typischen überheblichen Besserwisser-Duktus der politischen Pamphlete der Revolte-Jahre Ende der Sechziger. Biermann sagt uns allen, wo’s langgeht und doziert über die Rechtmäßigkeit der Anwendung von Gewalt. Als Brecht-Schüler hat er sicherlich Maßnahmen gegen die Gewalt (und andere Keuner-Geschichten) gelesen. Die Frage, ob und (wenn ja) welche Gewalt (gegen Sachen? Gegen Personen?) zum Einsatz gegen repressive Regime kommen kann, hat damals den politischen Zeitgeist im Schwitzkasten und bleibt in einer klassischen sokratischen Aporie verfangen. Andreas Baader oder Rainer Langhans. Knarre hier und jetzt oder langsame Bewusstseinsveränderung. Biermanns Gedicht hat fünf Strophen, die viermal schlicht mit Aber beginnen und die letzte, fünfte Strophe mit Das Beste Aber einleiten. Ein Bogen von den Deutschen Bauernkriegen Anfang des 16. Jahrhunderts, über den Zweiten Weltkrieg, den Krieg in Vietnam und in Südamerika wird geschlagen. Darf man Gewalt gegen moralisch eindeutig identifizierbare Repression einsetzen? Handelt es sich um Notwehr oder doch nur um vermeidbaren Terror? In der lupenreinen Didaktik Bertolt Brechts hofft Biermann nun auf einen auch durch sein Gedicht in Gang gesetzten Lernprozess der bösen abgerichtet(en) Scheißbullen, die hoffentlich dann nicht mehr ihre Unterdrückerwaffen gegen das gute Volk richten, sondern, wie Wolf und Lamm des Propheten Jesaja, mit ihm poussieren.

„Click“ (1974)

Beim Versuch, die immerhin sieben Jahre lang dauernde experimentelle Phase Battiatos zu klassifizieren, greift man meist auf die simple Zugehörigkeit zu den zwei Plattenfirmen BlaBla und Ricordi zurück. Dass eine solche Hauruck-Trennung nicht unbedingt der Weisheitsgöttin letzter Schluss sein muss, ist in der Fachliteratur eine Dauerdiskussion. Denn spätestens ab Battiatos viertem Album „Click“, die nicht umsonst dem Komponisten Karlheinz Stockhausen gewidmet ist, entfernt sich die Musik des Sizilianers immer mehr von einer improvisierten Elektronik- und Techno-Popmusik im Stile Kraftwerks oder Tangerine Dream und nähert sich der postmodernen Klassik an. Dazu gehören nicht nur Notenkenntnisse und die Fähigkeit, musikalische Partituren niederzuschreiben und zu lesen, die sich Battiato ab dieser Zeit aneignet, auch der Wunsch, kompromisslos Musik ausschließlich als Ausdruck einer inneren Entwicklung zu komponieren, machen ihn immer mehr zu einem Musiker, der nicht mehr mit den Kriterien von Popmusik verortbar ist. Pomponi spricht in seinem Büchlein von einer kleinen, aber feinen Fangemeinde, die sich ab „Mad.lle Le Gladiator“ (dem nächsten Album) endgültig vor den Kopf gestoßen fühlt.22 Battiato selbst hat, was diese Thematiken anbelangt, kein Blatt vor den Mund genommen:

Meine Bemühungen bestehen im Moment darin, die klassische Musik einem immer größeren Publikum näher zu bringen …23

und

Ich spiele für mich selbst: vielleicht ist das nicht schön – wirst du mir sagen – eine schöne Einstellung, schöner Egoismus. Aber mir ist das egal, ich sage die Wahrheit. 24

oder noch krasser

Deshalb hasse ich im Grunde genommen das Publikum; das hat etwas mit Sigmund Freud zu tun. Das Publikum schickt die anderen voraus, es riskiert nichts, es sitzt im Sessel, aber riskiert nichts. 25

Ein solcher Rückzug in den Elfenbeinturm ist natürlich Sand im Getriebe des Pop-Business, wo der Hype lodert und die Million-Dollar-Babies rocken und rollen sollen. Doch Stockhausen und Battiato haben nicht nur diese arrogante Kauzigkeit und verstockte Eigenbrötelei gemeinsam. Stockhausen wurde zwar beim Publikum oft als eisgekühlter Technokrat wahrgenommen, entwickelte aber ab Ende der sechziger Jahre ein ausgesprochenes Interesse für exzentrische Heilsangebote. Gerade mit Urantia, einer geheimnisumwitterten Alternativ-Bibel, die angeblich auf der Offenbarung übermenschlicher Persönlichkeiten beruht und zwischen 1924 und 1955 in Nordamerika von einer gnostische-esoterischen Sekte verfasst wurde, wird er gerne in Verbindung gebracht. Instinktiv werden jetzt viele Leser(innen) die Nase rümpfen. Wenn von Esoterik und religiösen Sekten die Rede ist, denken wir alle sofort an Humbug, Gehirnwäsche und Beutelschneiderei. Doch die Machenschaften der Manson Family oder Scientology-Kirche gelten natürlich nicht für alle religiösen Sekten. Wenn man sich etwa das Apostolische Glaubensbekenntnis vorurteilsfrei ansieht, geht es dort kaum weniger abstrus, surreal, fraglich und fragil, aber- und irrwitzig zu als bei Urantia oder Gurdijeff: Empfangen durch den Heiligen Geist? Geboren von der Jungfrau Maria? Zu richten die Lebenden und die Toten? Auferstehung der Toten? Ewiges Leben? Wir alle halten uns da wohl an die Maxime aus dem „Tractatus logico-philosophicus“, den der österreichische Philosoph Ludwig Wittgenstein 1921 veröffentlichte: Worüber man nicht sprechen kann, darüber muss man schweigen. Natürlich hat die christliche Religion die Wucht einer milliardenschweren Anhängerschaft und zweitausendjährigen Geschichte im Kreuz, was aber trotzdem substantiell keinen Deut zur Aufbesserung ihres Wahrheitsgehalts beiträgt. Doch mit diesen knapp skizzierten Argumenten ist das Dilemma natürlich nicht vom Tisch. Ein gestandener schopenhauerscher Nihilismus oder neomarxistischer Materialismus ändern leider nichts daran, dass spirituelle und religiöse Fragen weiterbrodeln und wir uns nicht so leicht damit abfinden können, aus dem Nichts zu kommen und im Nichts zu enden. Es ist das paradoxale Motto Herbert Achternbuschs aus dem „Atlantikschwimmer“ (1971), diesmal auf die Metaphysik übertragen: Du hast keine Chance, aber nutze sie!

„Click“, Ende 1974 erschienen und dem großen Meister Karlheinz Stockhausen gewidmet, wird manchmal von der Fachpresse als das bestes und wichtigste der experimentellen Phase gepriesen und hat jedenfalls mit „Propriedad Prohibida“ deren bekanntestes Lied, das jahrelang der Erkennungsjingle von TG2 Dossier (des zweiten italienischen Staatssenders) war. Das Lied wurde Jahrzente später für Battiatos vorletztes Album „Joe Patti’s Experimental Group“ (2014) neu aufgenommen. „No U Turn“, ein weiteres Lied des Albums, kann ebenfalls mit einem Superlativ aufwarten: Man würde fünf lange Jahre warten müssen, bis Battiato wieder ein gesungenes Lied aufnehmen würde.

Versuche Battiatos ein internationales Publikum zu erschließen, führen nicht zu den gewünschten Ergebnissen. Kontakte mit Island Records werden geknüpft, doch ein erstes Experiment, das Album „Fetus“ mit englischen Texten neu aufzunehmen und unter dem kaum geänderten Namen „Foetus“ zu vermarkten, endet als Rohrkrepierer.26 Man versucht sich anschließend mit einer internationalen Version von „Click“, in die auch ein neu gemischtes „Sequenze e frequenze“ aus „Sulle corde di Aries“ mit dem Titel „Revolution in the air“ einfließt.27 Doch eine internationale Karriere war wohl in Battiatos Schicksalsbuch nicht in güldenen Lettern eingeschrieben. Bis auf den heutigen Tag ist der sizilianische Sänger (immer noch) ein Superstar zu Hause in Italien28, aber im Ausland seltsamerweise wenig bekannt. Da nehmen ihm selbst solche Tröten wie Laura Pausini, Eros Ramazzotti und Al Bano & Romina Power jederzeit die Butter vom Brot. Schwer zu sagen, warum Battiatos Fangemeinde von Beginn an im Ausland so klein blieb. An der Sprache allein wird es nicht liegen. Er passt zwar sicher nicht in das Klischee des Knuddels-Italieners, der nur von Sommer, Sonne, Amore und Pizza trällert, aber auch das erklärt vermutlich nicht alles. Der sperrige, kompromisslose Battiato wettert und ledert mit giftigen Worten gegen sein Publikum in England:

Ich habe tatsächlich dieses Publikum nicht verstanden, das nicht weiß, was wirklich ein Konzert ist. Sie sind wirklich rückständig, viel rückständiger als in Italien.29

und

1975 wurde ich kontaktiert, um Italien im Roundhouse in London beim ‚European Rock Festival‘ zu vertreten, wo Gruppen wie Magma, Tangerine Dream, Ash Ra Tempel, kurz, die besten experimentellen Gruppen von damals teilnahmen … Aber nach zehn Minuten begannen sie zu schreien „Go Home!“ und andere sagten „More!“ Die Hölle war ausgebrochen! Nach einer Weile bin ich einfach weggegangen … 30

Das Lied „No U Turn“ („Verbot des Wendens“) beginnt mit einem rückwärts eingespielten und deshalb erst einmal unverständlich bleibenden Text, der im klassischen, lakonisch-surrealen Ton der roten siebziger Jahre verfasst ist:

Sehr geehrter Herr Minister, bist du sicher, dass deine Probleme auch die meinen sind? Ich weiß, dass man im Leben erst geboren wird und dann stirbt. Was hilft dir der Machtmissbrauch?

Der Haupttext beschäftigt sich mit seiner tiefen existentiellen Krise während seines Aufenthalts in New York im Sommer 1973 und ist ein schönes Beispiel für einen poetischen Text mit unverblümt psychoanalytisch-exorzistischer Funktion31:

Um mich

Und meine Wahrheiten zu kennen

Habe ich gegen

Geister und Ängste gekämpft

Und mich selbst verloren.

Um alte Wahrheiten

Zu zerstören

Musste ich auf Meeren

Der Irrationalität treiben.

Ich habe geschlafen

Um nicht zu sterben.

Ich habe meine falschen Mythen

In den Himmeln der Schizophrenie verstreut.

Einer der Hintergrundstimmen des Liedes wird von Juri Camisasca gesungen, den Battiato seit seiner Militärzeit kannte und der bis in die jüngste Gegenwart ein wichtiger Freund und häufiger Mitarbeiter bei Konzerten und Studioalben geblieben ist.32 1974 produzierte Battiato Camisascas LP “La Finestra Dentro” für BlaBla.

Franco Battiato: Oh! Sweet Nuthin'

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