Читать книгу Anders - Die tote Stadt (Anders, Bd. 1) - Wolfgang Hohlbein - Страница 8

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Er war ein ausgezeichneter Schütze. Der blaue Lichtbolzen, den seine Waffe ausstieß, durchbohrte Narbenhands Brust, brach in einer Wolke aus Blut und zerfetztem Gewebe aus seinem Rücken wieder hervor und verbrauchte den Rest seiner Energie, indem er ein fast metergroßes Loch in die Ziegelsteinmauer hinter dem Mann schlug. Narbenhand warf die Arme in die Höhe, taumelte einen Schritt zurück und brach dann wie vom Blitz getroffen zusammen. Anders konnte nur deshalb im letzten Moment einen entsetzen Schrei unterdrücken, weil ihn das Grauen erregende Geschehen gleichzeitig lähmte.

Und es war noch nicht vorbei. Der Mann, der Narbenhand niedergeschossen hatte, ging mit schnellen Schritten zu ihm hin und beugte sich über ihn um ihn zu untersuchen, und der Hubschrauber, der noch immer reglos über dem Platz schwebte, schaltete einen zweiten Scheinwerfer ein, der wie eine suchende Hand über den Platz und die umliegenden Gebäude tastete.

Jannik duckte sich hastig unter die Fensterbrüstung, als sich der Lichtkreis in ihre Richtung bewegte, und Anders ahmte die Bewegung instinktiv nach. Nicht einmal eine Sekunde darauf fiel der Scheinwerferstrahl durch das Fenster über ihren Köpfen und riss eine gespenstische Szenerie aus Trümmern und harten Schatten aus der Dunkelheit. Anders’ Augen hatten nicht genug Zeit, sich an die veränderten Lichtverhältnisse zu gewöhnen, aber selbst die Fragmente, die er sah, reichten aus, um ihm einen eisigen Schauer über den Rücken zu jagen. Sie befanden sich in einem Totenhaus.

Der Lichtstrahl wanderte weiter und die Dunkelheit schien mit doppelter Wucht über ihnen zusammenzuschlagen. Anders schloss die Augen und zählte in Gedanken langsam bis fünf, ehe er die Lider wieder hob. Dennoch sah er Janniks Gesicht im ersten Moment nur als verschwommenen bleichen Fleck vor sich, der nur nach und nach wieder Konturen und Tiefe bekam.

Immerhin konnte er gut genug sehen, um Janniks heftiges Gestikulieren zur Kenntnis zu nehmen; und auch seine Bedeutung zu verstehen. Statt irgendetwas zu sagen oder eine Frage zu stellen, richtete er sich behutsam wieder auf und spähte aus dem Fenster.

Weitere Männer waren aus dem Hubschrauber gestiegen, und Anders’ Herz machte einen erschrockenen Sprung in seiner Brust, als er sah, dass sich zwei oder drei ziemlich genau in ihre Richtung bewegten.

Jannik berührte ihn am Arm und gab ihm gleichzeitig mit einem warnenden Wink zu verstehen, still zu sein – als ob das noch nötig gewesen wäre. Anders deutete nur ein Nicken an und Jannik machte eine Kopfbewegung in die Dunkelheit hinter sich hinein. Anders war alles andere als begeistert von dem Gedanken, ihm dorthin zu folgen, aber er hatte auch nicht vergessen, was Narbenhand passiert war. Vielleicht würde er es nie wieder vergessen können.

So lautlos, wie es ihm nur möglich war, richtete er sich auf und folgte Jannik. Ganz automatisch nahm er sogar dieselbe Haltung ein: geduckt und so weit vornübergebeugt, dass seine Hände über den Boden geschleift wären, hätte er die Arme nicht halb erhoben.

Wenigstens hatten sich seine Augen wieder halbwegs an die Dunkelheit gewöhnt, sodass er seine Umgebung zumindest schemenhaft erkennen konnte. Nicht dass es viel zu sehen gegeben hätte. Sie befanden sich in einem großen, nahezu leeren Raum, der mit Schutt und Trümmern übersät war. Aber irgendetwas fehlte.

Anders konnte nicht sagen was. Aber es fehlte.

Jannik deutete – wie Anders annahm, ziemlich wahllos – nach vorne und beschleunigte seine Schritte noch, und Anders beeilte sich um nicht den Anschluss zu verlieren. Er dachte gar nicht darüber nach, wie Jannik hier die Orientierung behielt – oder ob überhaupt. Das so ziemlich Schlimmste, was er sich im Moment vorstellen konnte, war, hier allein zurückzubleiben. Er bemühte sich den pochenden Schmerz in seinem linken Knie zu ignorieren, biss die Zähne zusammen und schloss humpelnd zu Jannik auf.

Draußen erscholl ein dumpfes, sonderbar lang anhaltendes Poltern. Anders fuhr erschrocken zusammen und duckte sich ganz instinktiv, und möglicherweise rettete ihm diese Bewegung das Leben, denn plötzlich griff ein zweiter, noch viel gleißenderer Lichtfinger durch das Fenster herein und verfehlte ihn nur um Zentimeter. Anders warf sich instinktiv in die entgegengesetzte Richtung und erblickte einen niedrigen, sonderbar kantigen Umriss. So schnell er konnte, humpelte er darauf zu. Das Licht folgte ihm wie der tastende Finger eines Raubtiers, das die Witterung seiner Beute aufgenommen hatte, aber noch nicht ganz genau wusste, wo es zu suchen hatte, brach plötzlich ab, als es den Bereich des Fensters verließ, und flammte dann näher und scheinbar doppelt so grell wieder auf, als es durch die daneben liegende Fensteröffnung drang. Im allerletzten Moment erreichte Anders den Schutthaufen, setzte mit einem verzweifelten Sprung darüber hinweg und duckte sich. Sein ohnehin lädiertes Knie bedankte sich mit einer wütenden Schmerzattacke für die grobe Behandlung. Das Bein knickte unter ihm weg. Er fiel, und noch während er stürzte, glitt der bleiche Knochenfinger aus Licht dort über ihm entlang, wo er sich vor einem Sekundenbruchteil noch befunden hatte.

Die anderthalb Jahre widerwilligen Judotrainings zahlten sich nun aus, denn Anders fing seinen Sturz nicht nur ganz instinktiv mit einer Rolle ab, sondern glitt dabei auch endgültig in die Deckung des mehr als meterhohen Schutthaufens. Der Lichtfinger wanderte weiter, erfuhr eine neuerliche Unterbrechung, als er den Bereich des Fensters verließ – und kehrte zurück! Anders presste sich mit angehaltenem Atem gegen den Boden, und sein Herz begann noch heftiger zu schlagen, als er sah, wie sich ein zweiter Lichtstrahl hinzugesellte, der zielstrebig nach seinem Versteck tastete. Sie hatten ihn gesehen!

Für einen Moment drohte ihn Panik zu übermannen. Es hätte nicht viel gefehlt und er wäre einfach losgerannt, obwohl ihn der Lichtstrahl dann ganz bestimmt erfasst hätte. Nur mit allerletzter Kraft gelang es ihm, die Angst zurückzudrängen und liegen zu bleiben.

Immerhin verschafften ihm die in regelmäßigen Abständen aufflammenden und wieder erlöschenden Lichtstrahlen einen etwas genaueren Überblick über seine Umgebung. Der Raum, in den sie geflohen waren, hatte die Abmessungen einer kleinen Kathedrale und schien früher einmal als Fabrikhalle gedient zu haben, bevor ihn irgendeine schreckliche Katastrophe heimgesucht hatte; zusammen mit dem Rest der Stadt. Ein Großteil der Decke war eingebrochen, überall lagen Schutthaufen und gewaltige Betonbrocken, aus denen die zerfetzten Enden rostiger Moniereisen ragten. Trotzdem konnte Anders noch die wuchtigen Betonsockel erkennen, auf denen früher einmal gewaltige Maschinen gestanden haben mochten. Der vollkommen schwarze Boden war mit der typischen Schicht bedeckt, die aus eingetrocknetem Öl, Schmiere und dem Schuhsohlenschmutz eines halben Jahrhunderts bestand und selbst dem verheerenden Feuersturm getrotzt hatte ohne ihre Klebrigkeit einzubüßen. Als der Scheinwerferstrahl über die rückwärtige Wand strich, erblickte Anders eine rostige Feuerschutztür, die eine halbe Tonne wiegen musste, trotzdem aber eingebeult und zerknüllt war wie eine Coladose, die jemand mit Fäusten bearbeitet hatte.

Jannik hockte geduckt hinter einem fast mannsgroßen Bruchstück der Decke und winkte ihm aufgeregt zu. Hinter ihm sah Anders etwas, das ihn an einen Haufen verkohlter schwarzer Spaghetti erinnerte, bevor er es als die Überreste einer ausgeglühten, steil in die Höhe führenden Metalltreppe identifizierte.

Anders beantwortete Janniks Winken mit einem knappen Nicken und wandte sich dann wieder den Lichtstrahlen zu. Mit einer Art sonderbar erschöpftem Entsetzen registrierte er, dass es mittlerweile drei geworden waren. Nun gab es keinen Zweifel mehr. Obwohl er hundertprozentig sicher war, dass ihn der Suchscheinwerfer nicht erfasst hatte, wussten sie, er war hier. Und Anders hatte auch die drei schwarz vermummten Gestalten nicht vergessen, die sich auf dem Weg hierher befanden.

Ein Grund mehr, sich zu beeilen. Er versuchte einen Moment lang vergeblich, irgendein Muster in dem hektischen Hin und Her und Aufflammen und Erlöschen der Lichtbalken zu erkennen, vielleicht ein Loch in dem Netz aus Licht, das sich unbarmherzig enger und enger um ihn zusammenzog. Es gab keines. Er musste das Risiko eingehen und auf sein Glück vertrauen. Behutsam stemmte er sich in die Höhe und betastete probehalber sein linkes Knie um sicherzugehen, dass es sein Körpergewicht auch tragen konnte und ihm nicht etwa im ungünstigsten aller Momente den Dienst quittierte. Es tat weh, aber es ging. Anders verschwendete eine weitere kostbare halbe Sekunde damit, nach einer Lücke in dem hektisch flackernden Lichtgitter zu suchen, von der er wusste, dass es sie nicht gab – und hätte um ein Haar erschrocken aufgeschrien. Für den Bruchteil einer Sekunde riss der Lichtstrahl ein Gesicht aus der Dunkelheit, das hinter einem Trümmerberg hervorlugte. Aber dieses Gesicht war …

Nein. Anders schüttelte den Gedanken ab. Seine Nerven begannen ihm allmählich wirklich üble Streiche zu spielen. Was ja auch kein Wunder war. Er atmete noch einmal tief ein, nahm all seinen Mut zusammen und spurtete los.

Jeder einzelne Schritt war die Hölle. Glühende Messerklingen stachen in sein Knie und fraßen sich brutal bis in seinen Oberschenkel und die Hüfte hinauf. Anders wimmerte vor Schmerz. Tränen schossen ihm in die Augen und verschlechterten seine Sicht noch mehr, und schon nach den ersten Schritten rannte er nicht, sondern humpelte in einem taumelnden Zickzackkurs in die ungefähre Richtung, in der er Jannik vermutete. Er konnte nicht sagen, ob ihn einer der Suchscheinwerfer erfasste oder nicht oder wie lange es dauerte. Irgendwann griff plötzlich eine Hand nach ihm und riss ihn mit einem so harten Ruck herum, dass er fast in Janniks Arme fiel, als er sich hinter den Betonbrocken duckte. Wimmernd brach er vollends zusammen und schlang die Arme um sein schmerzendes Knie. Eine Armee winziger Ratten mit rot glühenden Zähnen fraß sich beharrlich weiter in seinem Bein nach oben.

»Was ist los?«, fragte Jannik. Trotz der an Panik grenzenden Sorge in seiner Stimme hatte er sie zu einem Flüstern gesenkt. Er beugte sich über ihn und streckte die Hände aus, wagte es aber dann nicht, ihn zu berühren.

»Mein Knie«, presste Anders zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor. Er hatte Mühe, nicht zu schluchzen. »Irgendetwas darin … ist kaputt.«

»Kannst du laufen?«, fragte Jannik.

Anders wälzte sich mühsam herum, stand mit dem rechten Bein auf und belastete dann vorsichtig das andere. Im ersten Moment fühlte es sich an, als würde es einfach zerbrechen, aber dann erlosch der Schmerz so übergangslos, als hätte ihn jemand abgeschaltet, und es blieb nur ein dumpfes, wummerndes Pochen zurück.

»Ich denke schon«, sagte er. Wenn ich vorsichtig bin und nichts wirklich Leichtsinniges tue, fügte er in Gedanken hinzu. Zum Beispiel gehen.

Jannik betrachtete ihn noch einen Moment lang mit unverhohlenem Zweifel, dann sah er kurz zu den tastenden Lichtfingern hoch und deutete schließlich auf das ausgeglühte Treppenskelett. Schon der bloße Gedanke, sich mit seinem verletzten Knie dort hinaufzuquälen, jagte Anders einen kalten Schauer über den Rücken, aber Jannik hatte natürlich Recht. Sie konnten nicht bleiben. Es grenzte ohnehin schon an ein Wunder, dass die Männer in den schwarzen Anzügen noch nicht hier waren.

Jannik wies ihn mit einer knappen Geste an, vorauszugehen. Die bleichen Lichtstrahlen schienen die Bewegung nachzuvollziehen und glitten zitternd die Metalltreppe hinauf, wie um ihn zu verhöhnen und ihm die Aussichtslosigkeit seines Vorhabens vor Augen zu führen. In dem kurzen Moment schattenloser Helligkeit sah Anders jedoch auch, dass die Treppe zwar in einem schlimmen Zustand, aber begehbar war. Das Geländer wirkte nicht so, als wäre es ratsam, es auch nur mit einem Bruchteil seines Körpergewichts zu belasten, und einige Stufen fehlten, doch es war zu schaffen. Die Treppe führte zu einer Art Galerie hinauf, die zum Großteil weggebrochen war, aber in dem Sekundenbruchteil, bevor der Lichtstrahl weiterwanderte und die Galerie wieder in vollkommener Schwärze versank, erkannte Anders die Umrisse mehrerer Türen, die dort oben tiefer in das Gebäude hineinführten.

Es ging los. Die Treppe ächzte hörbar unter seinem Gewicht, und als Jannik hinter ihm auf die Stufen trat, schien sie eine Sekunde lang zu wanken, als wolle sie kurzerhand zusammenbrechen. Anders verscheuchte die Bilder von einstürzenden Treppen und von Metallspießen durchbohrten Gliedmaßen, mit denen ihn seine Fantasie quälen wollte, und humpelte die verzogenen Stufen hinauf, so schnell er konnte.

Auf dem oberen Drittel wäre er fast gestürzt. Den fehlenden Stufen wich er müheloser aus, als er es selbst für möglich gehalten hätte, aber eines der ausgeglühten Gitterroste gab ohne Vorwarnung unter seinem Gewicht nach und donnerte mit einem gewaltigen Scheppern in die Tiefe. Hätte Anders es mit seinem gesunden Bein belastet, wäre er wahrscheinlich zusammen mit ihm hinuntergekracht. So jedoch gelang es ihm, einen hastigen Schritt auf die nächste Stufe hinaufzumachen und sich in Sicherheit zu bringen.

Leise zu sein war jetzt ohnehin sinnlos geworden. Anders stürmte rücksichtslos weiter, erreichte mit wenigen hastigen Schritten die Galerie und trat zur Seite um Jannik Platz zu machen. Ein bleicher Lichtstrahl glitt einen halben Meter an ihm vorbei, betastete neugierig das verbogene Metallgeländer der Galerie und erlosch wieder.

Jannik stürmte hinter ihm die Treppe herauf und steuerte anscheinend wahllos die erste Tür an. Sie war verschlossen. Jannik fluchte, rüttelte im Herumdrehen noch einmal vergeblich an der Klinke und wandte sich der nächsten Tür zu.

Diesmal hatte er mehr Glück. Er musste sich mit der Schulter dagegen stemmen und mit aller Kraft drücken, doch dann bewegte sich die verzogene Metallplatte mit einem Kreischen, das noch auf der anderen Seite des Platzes zu vernehmen sein musste. Jannik verzog das Gesicht, als wären es seine eigenen Gelenke, die er zerbrechen hörte, verstärkte seine Anstrengungen aber noch, bis er den Spalt genug erweitert hatte um sich hindurchzuquetschen.

Doch er setzte nur dazu an und erstarrte dann mitten in der Bewegung.

Unter ihnen wurden Schritte laut. Anders drehte sich erschrocken um und erstarrte dann ebenfalls, als er die drei in glänzende schwarze Overalls gehüllten Menschen erkannte, die die Halle betreten hatten. In dem stroboskopischen Lichtgewitter, das immer noch tobte, schienen sie nur manchmal Gestalt anzunehmen und immer wieder zu verschwinden, um ein Stück entfernt und in anderer Haltung wieder aufzutauchen, was sie noch unheimlicher und bizarrer erscheinen ließ.

Trotz des flackerndes Lichts konnte Anders sie nun besser erkennen als gerade draußen auf dem Platz. Sah man von ihren Waffen ab, die nicht nur wirkten wie aus der Requisitenkammer eines Science-Fiction-Films, sondern auch einen ebenso Grauen erregenden Effekt hatten, war ihr Anblick doch nicht ganz so fremdartig, wie es im ersten Moment den Anschein gehabt hatte. Die schwarzen Monturen, die jeden Quadratzentimeter ihres Körpers bedeckten, waren offensichtlich aus einem einzigen Stück gegossen, und aus der Nähe erkannte Anders jetzt, dass sie flache Tornister auf den Rücken trugen, die über dünne gerippte Schläuche mit ihren Helmen verbunden waren. Ihre Gesichter verbargen sich hinter verspiegelten Scheiben. Aber so unheimlich dieser Aufzug auch wirkte, war Anders doch klar, dass es sich um nichts Außergewöhnlicheres als simple ABC-Schutzanzüge handelte, wie sie die Feuerwehr oder auch das Militär benutzten.

Abgesehen von den Star-Trek-Waffen natürlich.

Er wollte sich umdrehen, fing aber im letzten Moment einen fast entsetzten Blick aus Janniks Augen auf und blieb vollkommen reglos stehen.

Die drei Gestalten begannen sich in der Halle zu verteilen, wobei sie sich langsam um sich selbst drehten und ihre Waffen beständig von links nach rechts und wieder zurück schwenkten. Sie suchten nach ihnen, und Anders hatte das sichere Gefühl, dass sie nicht auf das Licht der Suchscheinwerfer angewiesen waren, um die Dunkelheit zu durchdringen.

Jannik wartete zur sprichwörtlichen Salzsäule erstarrt, bis alle drei in eine andere Richtung sahen, dann huschte er mit einer blitzartigen Bewegung durch den Türspalt und Anders folgte ihm. Kaum war er durch die Tür, riss Jannik ihn zur Seite und atmete hörbar auf.

»Bewegungssensoren«, flüsterte er. »Aber ich glaube, sie haben uns nicht bemerkt.«

Ein grellblauer Lichtblitz stanzte ein faustgroßes Loch in die Metalltür zwischen Jannik und Anders, raste den Gang hinab und zertrümmerte praktisch im gleichen Sekundenbruchteil die Rückwand.

Jannik fluchte, ergriff Anders am Handgelenk und stürmte los. Hinter ihnen rammte ein zweiter Lichtblitz die Tür endgültig aus den Angeln und zerschmetterte einen Teil der Decke. Im Widerschein der herabregnenden Funken sah Anders, dass sie sich in einem schmalen Gang befanden, von dem zahlreiche Türen abzweigten. Jannik stürmte wahllos auf die nächste davon zu, machte im letzten Moment kehrt und rannte weiter, wobei er Anders ohne die geringste Rücksicht auf sein verletztes Knie hinter sich herzerrte.

Er wiederholte dieses scheinbar sinnlose Manöver noch drei- oder viermal, bis endlich eine der Türen seine Gnade fand und er hindurchstürmte. Erst jetzt wurde Anders klar, warum: Hinter der Tür lag eine Treppe, die sowohl nach oben als auch nach unten führte. Jannik stürmte die nach oben führenden Stufen hinauf, hielt auf dem ersten Absatz an und versetzte Anders einen Stoß, der ihn noch zwei, drei Stufen weiterstolpern ließ, bevor er ungeschickt auf ein Knie herabfiel – selbstverständlich auf das verletzte.

Rote Blitze aus Schmerz explodierten vor Anders’ Augen. Während er sich hastig zur Seite rollte, um sein Knie zu entlasten, fiel Jannik ebenfalls auf ein Knie herab und riss gleichzeitig die Pistole aus dem Hosenbund. Unter ihm zerbarst die Tür in einem flackernden blauen Lichtgewitter und eine Gestalt in einem schwarzen ABC-Anzug stürmte hindurch.

Jannik und der Angreifer schossen gleichzeitig. Der Lichtblitz verfehlte Jannik um Haaresbreite und schlug ein metergroßes Loch in die brüchige Ziegelsteinmauer hinter ihm; doch noch während er sich unter dem Hagel von Trümmerbrocken und Staub duckte, traf seine eigene Kugel den Mann in die Brust und schleuderte ihn zurück.

Jannik wartete nicht ab, was weiter geschehen würde, sondern sprang hastig auf und riss auch Anders in die Höhe. So schnell es sein geprelltes Knie zuließ, stolperten sie weiter.

In dem blassen Licht, das durch das gewaltsam geschaffene Loch in der Mauer hereinströmte, konnte er das Treppenhaus ein wenig genauer erkennen. Die Wände bestanden aus dem obligaten Ziegelstein, der auch hier fast überall brandgeschwärzt war, und es gab zahllose rechteckige Öffnungen, aus denen abgerissene Leitungen und zerschmolzene Kabelenden ragten. Auch die Lampen, die einmal unter der Decke gehangen hatten, waren verschwunden, aber hier und da entdeckte er an ihrer Stelle geschmolzenes Glas, das sich in die Decke eingebrannt hatte. Anders beschlich plötzlich das unheimliche Gefühl, zu wissen, was hier passiert war. Doch er gestattete auch diesem Gedanken nicht, Gestalt anzunehmen.

Die Treppe führte weiter in die Höhe, aber Jannik stürmte durch die Tür, die es auf dem nächsten Absatz gab, schob Anders – diesmal sehr viel sanfter – ein Stück zur Seite und ging dann wieder in Combat-Stellung, die Pistole mit beiden Händen auf den Treppenabsatz unter sich gerichtet. Während er darauf wartete, dass ein weiterer Verfolger auftauchte, sah sich Anders mit klopfendem Herzen um. Sie befanden sich nicht in einem weiteren Gang, sondern in einer weitläufigen Halle, die fast das gesamte Stockwerk einzunehmen schien. Die gegenüberliegende Wand war einmal ein großes Fabrikfenster gewesen, aber sämtliches Glas war verschwunden, sodass es nur noch ein asymmetrisches Gitter aus ausgeglühten Metallstreben gab, durch das blassgraues Licht hereinströmte.

Der größte Teil der Halle war leer; nur ganz auf der anderen Seite ragten die zusammengestauchten Reste großer Metallregale in die Höhe, die nichts mehr enthielten als eine Schicht aus verbranntem Lack und Staub. Ein Stück davon entfernt erhob sich eine Konstruktion, die sich in einem etwas besseren Zustand zu befinden schien: eine rechteckige Plattform, die auf vier schlanken Pfeilern stand. Ihr Zweck war Anders nicht völlig klar, doch er schenkte ihr auch keine wirkliche Beachtung, sondern warf einen unsicheren Blick zu Jannik hin, der noch immer auf ein Knie gestützt dahockte und auf ein Ziel wartete, das wahrscheinlich nicht mehr kommen würde. Dann wandte er sich um und durchquerte humpelnd die Halle um ans Fenster zu treten.

Draußen war es nicht wirklich hell geworden, aber der Gewittersturm hatte sich endgültig verzogen, und in der dunkelgrauen Dämmerung, die er zurückgelassen hatte, konnte er gleich mehrere Straßenzüge der verbrannten Stadt überschauen, ehe sein Blick von einem höheren Gebäude aufgehalten wurde. Was er sah, machte aus seinem schrecklichen Verdacht keine Gewissheit – das war er längst –, machte es ihm aber unmöglich, sie weiter zu verleugnen.

Die Häuser, auf die er hinabblickte, waren ausnahmslos zu schwarzen, ausgehöhlten Skeletten verkohlt. Es gab kein Fenster mehr, in dem sich noch Glas befunden hätte, und die wenigen Türen, die er entdeckte, schienen allesamt aus Metall zu sein. Die Straßen waren mit Schutt und Trümmerbergen übersät, und wenn man genau hinsah, konnte man fast so etwas wie eine symmetrische Verteilung darin entdecken, ein Muster, das sich auch in den Häusern fortsetzte. Die gesamte Stadt sah aus, als wäre sie um eine Winzigkeit nach links gerückt worden; nicht weit genug, um die Gebäude vollends zum Einsturz zu bringen, aber doch zu weit, um die Störung der strengen geometrischen Linien zu übersehen. Er hörte Janniks Schritte hinter sich, wandte sich aber nicht zu ihm um, sondern sah weiter aus fast blicklosen Augen auf die Szenerie unvorstellbarer Verheerung hinab, die sich unter ihm ausbreitete.

»Du solltest vom Fenster weggehen«, sagte Jannik. »Wenn sie dich von der Straße aus sehen …«

»Was ist hier passiert?«, flüsterte Anders. Diese wenigen Worte auszusprechen kostete ihn fast seine ganze Kraft. In seinem Hals war plötzlich ein bitterer, harter Kloß, der sich einfach nicht hinunterschlucken ließ, ganz gleich wie oft er es auch versuchte.

»Ich glaube, das weißt du schon«, antwortete Jannik leise.

»Und?« Anders lachte bitter. »Hat es überhaupt noch Sinn, wegzulaufen, oder sind wir schon verstrahlt?«

»Nein«, erwiderte Jannik. »Keine Angst. Es waren saubere Bomben.«

Anders starrte noch einen Atemzug lang in die Tiefe, dann fuhr er plötzlich herum und schrie Jannik an: »Was ist hier passiert?«

»Nicht das, was du glaubst«, meinte Jannik leise. »Jedenfalls nicht aus dem Grund, den du dir vermutlich vorstellst.«

»Ich will eine Antwort und keine Sprüche aus einem chinesischen Glückkeks!«, zischte Anders. »Was ist hier passiert? Wer hat das getan? Und warum?«

»Ich kann es dir nicht sagen, Anders. Ich darf es nicht und ich will es auch nicht. Du hättest das alles hier niemals sehen sollen. Und jetzt sollten wir gehen. Ich habe ihnen einen ziemlichen Schrecken eingejagt, aber der wird bestimmt nicht lange anhalten. Sie kommen wieder.«

Anders schüttelte heftig den Kopf. »Ich rühre mich erst von der Stelle, wenn du mir gesagt hast, was hier passiert ist.«

»Dann töten sie dich«, antwortete Jannik ernst. »Und mich. Willst du das?«

Der zweite Teil seiner Frage war glatte Erpressung und Jannik wusste das – aber sie funktionierte. Anders sah ihn noch eine Sekunde lang trotzig an, doch dann wandte er sich gehorsam endgültig vom Fenster ab und folgte Jannik, der mit schnellen Schritten das gegenüberliegende Ende der Halle ansteuerte.

»Wir müssen aus diesem Gebäude raus«, warnte Jannik. »Wenn ihnen klar wird, dass sie uns nicht fangen können, sprengen sie es vermutlich einfach in die Luft.«

Anders zweifelte nicht daran, dass die Männer in den schwarzen ABC-Anzügen gerade in diesem Moment dabei waren, genau das vorzubereiten. Alles andere wäre ziemlich dumm gewesen. Ihr Verhalten ließ keine Zweifel daran, dass sie nicht die Absicht hatten, Jannik und ihn lebend einzufangen, und Jannik hatte ihnen gerade auf recht drastische Weise demonstriert, wie hoch der Preis werden konnte, ihrer auf klassische Weise habhaft zu werden. Warum sollten sie das Risiko eingehen, einen weiteren Mann zu verlieren? Jannik hatte Recht.

Trotzdem verlangsamte er seine Schritte, als sie sich der sonderbaren Plattform näherten, und blieb schließlich ganz stehen. Irgendetwas an dieser stelzbeinigen Konstruktion erweckte seine Aufmerksamkeit, vielleicht beunruhigte sie ihn auch. Dabei war bei näherer Betrachtung eigentlich nichts Außergewöhnliches daran. Es handelte sich um eine vielleicht zwei mal zwei Meter messende Plattform, die offensichtlich aus Teilen unterschiedlicher Herkunft, die nicht so recht zueinander passen wollten, grob zusammengefügt worden war. Die Beine waren zwar gleich hoch, jedoch von unterschiedlicher Stärke und Gestalt. Eine bizarr verformte Skulptur, die nur noch vage Ähnlichkeit mit der simplen Haushaltsleiter hatte, die sie einmal gewesen war, führte die zwei Meter zur Plattform hinauf.

Und plötzlich wurde Anders klar, was Jannik an diesem seltsamen Riesentisch so beunruhigt hatte, dass er trotz seiner eigenen Warnung, sich zu beeilen, stehen geblieben war um ihn eingehend zu betrachten. Die sonderbare Konstruktion war nicht nur mit wenig Gefühl für Ästhetik, sondern auch äußerst primitiv zusammengeschustert. Es gab keine Schweißnähte oder Schrauben. Sämtliche Verbindungen waren entweder gesteckt oder irgendwie verkeilt oder grob mit Draht zusammengebunden. Das Ganze sah aus, als wäre es von einem Kind mit wenig Geschick und keinerlei Erfahrung, dafür aber umso größerer Begeisterung zusammengebastelt worden. Es passte nicht hierher. Wer immer es gebaut hatte, hatte es getan, nachdem die Katastrophe jegliches Leben aus dieser Stadt herausgebrannt hatte. Während dieser Gedanke Anders nur irritierte, schien der Riesentisch Jannik deutlich mehr als nur zu beunruhigen.

Er trat wieder einen Schritt zurück und legte den Kopf in den Nacken um zur Plattform hinaufzusehen, dann musterte er kurz und nachdenklich die verformte Aluminiumleiter, als überlege er, ob sie stabil genug war sein Gewicht zu tragen. Anders fand den Gedanken, dass er dort hinaufsteigen könnte, äußerst beunruhigend.

Jannik stieg jedoch nicht die Leiter hinauf, sondern ließ sich stattdessen in die Hocke sinken. Anders sah erst jetzt, dass die Leiter – ebenso wie die Beine des Riesentisches – nicht direkt auf dem Betonboden der Halle stand, sondern in einer verbeulten Zinkwanne, die ein paar Finger hoch mit einer klaren Flüssigkeit gefüllt war. Ein scharfer Geruch ging davon aus, der Anders vage bekannt vorkam, ohne dass er ihn gleich einordnen konnte. Jannik tauchte behutsam einen Finger in die Flüssigkeit und roch dann daran.

»Benzin?«, fragte Anders.

Jannik schüttelte den Kopf und stand auf. »Petroleum«, antwortete er. »Ungefähr wenigstens.« Er trat zwei weitere Schritte zurück und legte abermals den Kopf in den Nacken, um die bizarre Konstruktion noch einmal und sehr viel aufmerksamer zu mustern. Aus der Sorge in seinem Gesicht wurde etwas anderes.

»Was ist daran so schlimm?«, fragte Anders geradeheraus.

Jannik versuchte nicht zu leugnen. »Es dürfte nicht hier sein«, murmelte er.

Ein plötzlicher Windzug fuhr durch das glaslose Fenster herein. Anders hob den Blick und auch Jannik fuhr wie von der Tarantel gestochen herum, aber es war zu spät.

Ein fliegender schwarzer Hai war vor dem Fenster aufgetaucht, und genau in dem Moment, in dem Jannik herumwirbelte, schaltete der Pilot die beiden riesigen Scheinwerfer ein. Das Licht war so unerträglich gleißend, dass Anders mit einem Schrei die Arme vors Gesicht riss.

Der Helikopter feuerte. Die beiden grellblauen Lichtblitze – keine bleistiftdünnen, eleganten Geschosse wie die, die die Männer in den schwarzen Anzügen abfeuerten, sondern armdicke, brüllende Ungetüme aus purer Zerstörungskraft, die rot glühende Bahnen ionisierter Luft hinter sich her zogen – verfehlten ihr Ziel und ließen die Wand hinter ihnen fast auf voller Länge in Flammen aufgehen. Dabei wurde jedoch eines der Beine der Plattform gekappt, und das war genug, um die gesamte Konstruktion zum Zusammenbrechen zu bringen. Gleichzeitig fielen Tropfen rot glühenden Metalls in die mit Petroleum gefüllte Wanne und setzten sie mit einem gewaltigen Krachen in Brand. Das alles dauerte nicht einmal den Bruchteil einer Sekunde, aber es gab Jannik die Gelegenheit, ihm ein weiteres Mal das Leben zu retten.

Noch während die Plattform knirschend zur Seite kippte und sich noch auf ihrem Weg nach unten in ihre Einzelteile aufzulösen begann, riss Jannik ihn herum und rannte im Zickzack los. Zu Anders’ maßlosem Entsetzen steuerte er direkt auf die lichterloh brennende Wand zu.

Der Helikopter schwenkte träge herum. Der Pilot hatte die Scheinwerfer ausgeschaltet, vermutlich um sich nicht selbst unnötig zu blenden, aber er verfügte zweifellos über andere Möglichkeiten, sein Ziel zu erfassen.

Trotzdem gingen auch die beiden nächsten Schüsse fehl. Die Walze aus entfesselter Energie ließ den Großteil der Metallregale in einem Regen aus glühendem Schrott zusammenbrechen, und was danach an Zerstörungskraft noch übrig war, reichte aus, um die brennende Wand vor ihnen endgültig einstürzen zu lassen.

Jannik schlug einen Haken, zerrte ihn weiter rücksichtslos mit sich und wechselte dann abermals die Richtung, um die Tür wieder anzusteuern, durch die sie hereingekommen waren. Anders drehte im Laufen den Kopf. Die komplette linke Seite der Halle stand in Flammen. Der Zusammenbruch der Mauer musste die Statik des gesamten Gebäudes nachhaltig beeinträchtigt haben, denn ein Teil der Decke hatte sich herabgesenkt und Anders glaubte zu spüren, wie sich der Fußboden unter ihnen so träge bewegte wie eine gigantische Eisscholle, die allmählich in eine andere Strömung geriet. Der Helikopter hatte sich wieder ein kleines Stück vom Fenster entfernt und war gleichzeitig weiter herumgeschwenkt, um in eine bessere Schussposition zu gelangen. Aber der Pilot feuerte nicht.

»Wieso schießen sie nicht?«, schrie Anders.

Jannik stürmte vor ihm durch die Tür, und der Hagel nadeldünner blauer Blitze, der ihnen aus der Tiefe entgegenschlug, beantwortete Anders’ Frage. Jannik feuerte ohne zu zögern zurück. Diesmal verfehlte er sein Ziel, aber die dunkel gekleidete Gestalt am unteren Ende der Treppe zog sich hastig zurück, und Jannik stürmte die Treppe weiter hinauf und zerrte ihn wieder hinter sich her. Einen Moment später verwandelte eine ganze Salve blauer Blitze die Tür, durch die sie gerade gekommen waren, in glühenden Schrott.

Sie erreichten den nächsten Absatz, aber die Tür war verschlossen und ihre Verfolger ließen ihnen keine Zeit, sie gewaltsam zu öffnen. Ein Schauer blauer Blitze hämmerte Löcher in die Wände des Treppenhauses, die in Sprüngen näher kamen. Ihre Verfolger hüteten sich in Janniks Schussfeld zu geraten, aber das hatten sie mit ihren überlegenen Waffen auch gar nicht nötig. Anders schätzte, dass sie mindestens zu dritt waren, und sie feuerten, was ihre Waffen hergaben. Früher oder später mussten sie Jannik oder ihn einfach durch Zufall treffen, falls das gesamte Gebäude nicht vorher zusammenbrach und sie unter sich begrub.

»Sie treiben uns aufs Dach!«, keuchte Jannik.

Und damit hatte er vermutlich Recht. Über ihnen lag jetzt nur noch ein Treppenabsatz. Wenn diese Tür ebenfalls verschlossen war, blieb ihnen nur noch das Dach, wo garantiert schon der Hubschrauber auf sie wartete.

Die Tür war verschlossen. Diesmal war das Schicksal gegen sie. Ihnen blieb keine andere Wahl, als weiter nach oben zu rennen und schließlich auf das Dach hinauszustürmen. Anders’ allerschlimmste Befürchtungen bewahrheiteten sich nicht; über ihnen schwebte kein stählerner Hai, um seinen brennenden Atem nach ihnen zu schleudern, und es gab auch keine Männer in schwarzen ABC-Anzügen.

Dennoch war das Dach eine Sackgasse. Das Gebäude stand allein und es gab keinen anderen Weg vom Dach hinunter. Auf der gegenüberliegenden Seite ragte ein kleiner Wald von Lüftungsschächten und kugelförmigen Ventilatoren in die Höhe, die wie durch ein Wunder nahezu unbeschädigt geblieben waren, aber das Dach des benachbarten Gebäudes war mindestens zwanzig Meter entfernt. Sie saßen in der Falle. Und als wäre das alles noch nicht genug, leckten orangerote Flammen hinter ihnen über die Dachkante, und Anders war jetzt sicher, ein noch leichtes, aber Unheil verkündendes Vibrieren unter den Füßen zu spüren.

Jannik deutete zur anderen Dachseite. »Komm! Vielleicht gibt es eine Feuerleiter!«

Sie eilten los. Anders rechnete jeden Augenblick damit, die Tür hinter sich auffliegen zu hören, falls der kleine Dachaufbau nicht gleich in einer feurigen Wolke auseinander barst, um Männer in schwarzen Gummianzügen und mit furchtbaren Waffen zu erbrechen.

Nichts davon geschah. Sie näherten sich unbehelligt der Dachkante und Anders’ Herz machte einen ungläubigen Sprung in der Brust, als er das Ende der altmodischen eisernen Feuerleiter sah, das unmittelbar vor ihnen über die kaum kniehohe Brüstung ragte. Er griff schneller aus, und als sie noch zwei Schritte von der Leiter entfernt waren, tauchte ein schwarzer Koloss mit glühenden Augen aus der Tiefe auf. Ein Geräusch wie Schwertklingen, die durch die Luft schnitten, erscholl, und ein eisiger Sturmwind peitschte ihnen in die Gesichter.

Jannik schrie auf, riss seine Pistole in die Höhe und gab rasch hintereinander drei Schüsse ab. Die Kugeln prallten Funken sprühend vom Panzerglas der Pilotenkanzel ab und heulten als Querschläger davon, und der Helikopter glitt nahezu lautlos ein Stück rückwärts durch die Luft und schwenkte um eine Winzigkeit herum. Dann feuerte er. Die Pistole verschwand zusammen mit Janniks linker Hand und dem größten Teil seines Unterarmes und auf der anderen Seite des Platzes ging ein kleineres Gebäude in Flammen auf.

Anders - Die tote Stadt (Anders, Bd. 1)

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