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Mit Hilfe unserer Innendienstspezialisten und einiger Computerabfragen hatten wir bis zum Abend herausgefunden, wer der Mann auf dem Foto war, das Paul Morales uns gegeben hatte.

Es handelte sich um Jose Donato, der sich selber Joe Donato nannte. Er hatte ein Dutzend kleinerer Vorstrafen, war in East Harlem großgeworden, hatte sich angeblich als Söldner bei der Contra-Guerilla in Nicaragua verdingt, ehe sich seine Spur im Nichts verlor.

Und jetzt war er offenbar back in town - vorausgesetzt, das Foto war nicht schon uralt.

Im Moment lag nichts gegen ihn vor.

Neben dem amerikanischen Pass besaß er auch einen Kolumbianischen.

"Fragt sich nur, ob dieser Kerl identisch ist mit dem Mann, der in der South Bronx Killer-Joe genannt wird", meinte Milo skeptisch. "Sichergehen können wir da nämlich keineswegs..."

"Das wird sich herausfinden lassen", meinte ich.

Es waren eine Menge Gerüchte dort im Umlauf. Und es war gut möglich, dass jemand dieses Foto über Morales lanciert hatte, um mit Joe Donato eine ganz andere Rechnung zu begleichen, die mit unserem Fall nicht das Geringste zu tun hatte.

Von unserem Kollegen Max Carter von der Fahndungsabteilung bekamen wir dann einen wertvollen Hinweis.

In der 150. Straße wohnte ein gewisser Greg Rooney, mit dem zusammen Joe Donato eine Zelle geteilt hatte, als man ihn wegen Drogenvergehens und Verstoßes gegen das Meldegesetz für Waffen eine Weile aus dem Verkehr gezogen hatte. Rooney und Donato waren unzertrennlich gewesen, wie ein Anruf beim Direktor der Strafvollzugsanstalt ergab.

"Wenn Donato in der Bronx ist, hat er sich garantiert bei Rooney gemeldet", war der Direktor überzeugt. "Rooney war eine Art Vaterfigur für Donato. All die Gemeinheiten, die Donato bis dahin noch nicht drauf hatte - und das kann nicht viel gewesen sein! - hat Rooney ihm beigebracht."

Milo und ich ließen uns von der Fahrbereitschaft einen möglichst unauffälligen Wagen geben. Ein Chevy, der sogar ein paar Roststellen besaß. Wie ein richtiger Gebrauchtwagen.

"Stell dir mal vor, du würdest mit deinem Sportwagen dort oben in der South Bronx parken", meinte Milo, während wir uns auf dem Weg zur 150. Straße befanden.

Ich grinste.

"Das gäbe einen mittleren Menschenauflauf!"

"Und vermutlich wäre er auch dann weg, wenn wir ihn mit einer langen Kette am nächsten Laternenpfahl anschließen würden!"

Ich fuhr ziemlich schnell. Gerade noch an der oberen Grenze des Erlaubten.

Rooneys Adresse war nicht mehr aktuell. Wir verbrachten einige Zeit damit, uns in der Gegend nach ihm zu erkundigen und zeigten dabei auch Donatos Bild herum. Keinen von beiden wollte irgend jemand kennen.

Rooney fanden wir schließlich doch.

Ein ehemaliger Hausmeister verriet uns, dass er ein paar Blocks weitergezogen war. Vor einem halben Jahr.

Rooneys neue Wohnung lag in einem heruntergekommenen Block, der bestimmt schon einmal bessere Zeiten gesehen hatte. Die Fassade blätterte von den Wänden.

In der unteren Etage waren früher einmal Geschäftsräume gewesen. Das war deutlich zu sehen.

Jetzt war das Erdgeschoss mit Brettern vernagelt.

Die kleinen Geschäftsleute waren aus der Gegend geflohen.

Sie hatten einfach die Nase voll davon, dauernd überfallen zu werden oder das Fell von Schutzgelderpressern über die Ohren gezogen zu bekommen, die dafür oft noch nicht einmal den versprochenen Schutz gewährleisten konnten.

Für viele war das einfach auch finanziell nicht durchzuhalten gewesen. Wenn sich die Schadensfälle häuften, kündigten die Diebstahlversicherungen ihre Verträge. Und dann wurde es eng. Jeder weitere Vorfall konnte dann den Ruin bedeuten.

"Trostlos, zu sehen, wie so ein Straßenzug vor sich hinstirbt", meinte Milo.

Es war wirklich deprimierend.

Wir stiegen aus.

Ich blickte mich um. An der nächsten Ecke lungerten ein paar Kids herum und beobachteten uns mit Gesichtern, die voller Misstrauen waren.

Ein paar hundert Meter weiter befand sich ein Grundstück, das von einem großen Trümmerhaufen gekennzeichnet wurde.

Große Betonbrocken lagen auf einem riesigen Haufen, der wie eine bizarre Skulptur der Zerstörung wirkte. Offenbar war hier einer der Blocks vor kurzem abgerissen worden. Mit welchem Hintergedanken auch immer.

Jetzt brannte dort ein Feuer.

Ein paar Obdachlose saßen auf rostigen Fässern um das Feuer herum und wärmten sich die Finger.

Auch ihre Blicke waren auf uns gerichtet.

Wir gehörten nicht hier her und darüber konnten auch noch so viele Rostbeulen in unserem Dienstwagen nicht hinwegtäuschen.

Hier waren wir Outsider, denen man mit einer Mauer des Schweigens begegnete. Für gewöhnlich jedenfalls.

Der Eingang war offen. Das Türschloss herausgebrochen. Milo und ich betraten das Treppenhaus. Der Aufzug war defekt. Auf dem dritten Absatz lag eine benutzte Spritze auf dem Boden.

Rooney wohnte im 5. Stock.

Jedenfalls war das die letzte Adresse, die wir von ihm hatten.

Ich klopfte an seiner Tür. Das Türschild war kaum zu lesen, die Klingel defekt.

"Mr. Rooney! Bitte machen Sie auf."

Es kam keine Antwort.

"Mr. Greg Rooney! Hier spricht der FBI! Machen Sie die Tür auf! Wir wollen Ihnen nur ein paar Fragen stellen..."

Jetzt waren Geräusche von der anderen Seite der Tür zu hören.

Das Schloss wurde geöffnet.

Dann rief einen Augenblick später eine brüchige, heisere Stimme: "Drücken Sie die Klinke herunter. Sie können hereinkommen..."

Ich öffnete die Tür.

Der Raum, den wir betraten, war mit ziemlich heruntergekommenem Mobiliar ausgestattet. Abgewetzte Polstermöbel, eine klobige Couch und Schränke aus Spanplatte.

Die Tapete hatte noch ein poppiges Blumenmuster, wie es vielleicht in den Siebzigern populär gewesen war.

Schimmelpilz fraß sich an einigen Stellen die Wände empor.

Und es war lausig kalt.

In der Tür zum Nebenraum stand ein Mann in den Sechzigern mit einer abgesägten Schrotflinte in der Hand.

Aus den Augenwinkeln heraus hatte ich ihn hervorspringen sehen und eine Sekunde zu langsam reagiert. Meine Hand war zur Hüfte gegangen, um die Pistole vom Typ Sig Sauer P226 aus dem Gürtelholster herauszureißen.

Milo war schneller gewesen.

Er hatte seine Waffe in Anschlag gebracht und auf den Kerl in der Tür gerichtet.

Es war Greg Rooney.

Ich erkannte ihn sofort von den Fotos wieder, die ich auf dem Computerbildschirm von ihm gesehen hatte. Allerdings musste man schon genau hinsehen. In der letzten Zeit hatte er sich nicht gerade zum Positiven verändert. Er wirkte ungepflegt und ziemlich vernachlässigt. Graue Bartstoppel standen ihm im Gesicht. In der ganzen Wohnung hing ein penetranter Geruch nach Bier und Erbrochenem.

Rooney zitterte.

"Die Waffe weg", sagte Milo. "Es liegt nichts gegen Sie vor. Außer ein paar Fragen, wollen wir nichts von Ihnen!"

"FBI?" Er lachte heiser. In seinen Augen flackerte es unruhig. Er machte einen nervösen Eindruck. Und angesichts der Tatsache, dass er mit seiner abgesägten Schrotflinte vermutlich alle, die sich im Raum befanden einschließlich seiner eigenen Person schwer verletzten konnte, sobald er den Abzug betätigte, war es das beste, ihn nicht unnötig zu reizen.

Milos Waffe und die Schrotflinte.

Das war eine Pattsituation.

Keiner der Läufe senkte sich.

"Na, los!", schrie Rooney. "Runter damit!"

"Haben Sie nicht verstanden?", erwiderte ich. "Wir sind..."

Er lachte heiser. "Was glauben Sie, mit welchen Tricks schon versucht wurde, hier einzubrechen. Ist aber keinem gut bekommen."

"Ich hole meinen Ausweis, Mr. Rooney..."

"Glauben Sie, dass Sie mich damit beeindrucken können?"

Ich griff in die Tasche. Vorsichtig und langsam genug, dass er alles mitverfolgen konnte.

Und dann hielt ich ihm das Ding so hin, dass er es deutlich sehen konnte.

"Bis jetzt ist nichts passiert", gab ich zu bedenken. "Aber falls sie hier Theater machen, könnte man das als Angriff auf zwei Bundesbeamten werten. Und das würde bedeuten, dass Sie den Rest Ihrer Tage hinter Gittern verbringen würden."

Er zögerte noch.

Nervös blickte er von einem zum anderen. Er schien es nicht so recht glauben zu können. Dann ließ er schließlich die Schrotflinte sinken.

Aber er behielt sie in der Hand, bereit sie jederzeit wieder hochzureißen.

Milo senkte die P 226 etwas.

Aber auch er blieb auf der Hut.

"Was wollen Sie?", fragte er.

Ich steckte den Ausweis wieder weg.

Stattdessen holte ich einen Computerausdruck heraus. In kalendergroßem Format war darauf das Gesicht von Joe Donato zu sehen.

"Kennen Sie den Mann?"

"Nie gesehen!"

Ich sandte ihm einen eisigen Blick zu. "Wenn Sie glauben, Sie können uns nach Lust und Laune belügen, Mr. Rooney, dann sind Sie schief gewickelt. Wir können die Sache auf mehrerlei Weise regeln. Eine Möglichkeit wäre, Ihnen erstmal die Rechte vorzulesen und Sie mit in die Federal Plaza zu nehmen."

"Weswegen zum Beispiel?"

"Ich wette zum Beispiel, dass Ihr selbstgebastelter Schießprügel nicht registriert ist! Und wer weiß, ob Sie nicht mit den Leuten unter einer Decke stecken, die wir suchen."

Ich trat auf ihn zu.

Wegen der Flinte in seiner Hand war das immer noch ein gewisses Risiko.

Er stellte das Gewehr gegen den Türpfosten.

"Ist sowieso nicht geladen", meinte er. "Kein Geld für Munition. Die letzten Patronen habe ich verfeuert, um die Ratten zu verjagen..."

Ich hielt ihm das Bild noch einmal hin. Er nahm es mit zitternden Fingern.

Dann ging er in den Nebenraum. Es war die Küche. Auf der Anrichte stand eine halbvolle Flasche Whiskey. Er griff nach ihr, führte sie zum Mund und nahm einen Schluck.

"Sie haben einige Zeit im Gefängnis zusammen verbracht", erinnerte ich ihn. "Und sich gut verstanden."

"Und Freunde verrät man nicht, oder?"

"Es geht um Mord."

"Was Sie nicht sagen."

"Joe Donato ist wieder in der Gegend, nachdem er ein paar Jahre untergetaucht war. Das ist doch richtig, oder?"

"Was weiß ich, G-man."

"Er wurde in der Nähe fotografiert."

"Ach was! Und mir hat er immer erzählt, dass außer den Cops niemand ein Foto von ihm besäße..."

"Wo finden wir ihn?"

Er sah mich mit seinen wässrig blauen Augen an. "Ich habe keine Ahnung..."

Über einem der beiden Küchenstühle hing eine Strickjacke.

Nachdem ich noch einen Schritt nach vorn gemacht hatte, konnte ich auch sehen, was aus der Seitentasche der Jacke herausragte. Ein Bündel mit Hundertdollarnoten.

Ich zog es aus der Jackentasche heraus.

In Rooney Augen blitzte Panik.

"Donato war also hier", stellte ich fest. "Er hat seinen alten Freund nicht vergessen..."

"Wenn Sie mir was anhängen wollen..."

Ich schüttelte den Kopf.

"Kein Gedanke", versicherte ich. "Wir wollen nur wissen, wo wir Donato finden können..."

"Ich habe keine Ahnung... Und wenn ich es wüsste, würde ich Ihnen nichts sagen. Schon, um am Leben zu bleiben."

"Da lässt Donato dann keine Freundschaft gelten, was?"

"Würde ich an seiner Stelle auch nicht..."

Ich beugte mich zu ihm vor.

Unsere Blicke begegneten sich.

"Es hat keinen Sinn, Jesse", hörte ich Milo sagen. Ich wollte es mir im ersten Moment nicht eingestehen, aber es entsprach vermutlich der Wahrheit. Dieser Man hatte einfach zu große Angst. Ich legte das Geld auf die Anrichte.

"Wissen Sie zufällig, ob Donato sich in letzter Zeit einen Namen zugelegt hat?"

"Hören Sie..."

"Ist er - Killer-Joe?"

"Das weiß niemand", sagte er. Ich glaubte ihm nicht.

Aber ich spürte die Furcht im Klang seiner Stimme. Ein Lächeln erschien auf seinem Gesicht. Ein Lächeln, das beinahe schon triumphierend wirkte.

"Deswegen sind Sie also hier..." Er kicherte. "Ich mische mich in nichts mehr ein, G-man. In gar nichts. Weder auf die eine noch auf die andere Weise. Ich habe oft genug meine Knochen hingehalten. Jetzt muss Schluss sein..."

Todesspiel ohne Skrupel - Zwei Thriller

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