Читать книгу Killer sind auch nur Mörder: 7 Strand Krimis - A. F. Morland, Pete Hackett - Страница 45

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Wir suchten Doretta Tomlins Wohnung in der 72. Straße auf.

Haus Nummer 413 war ein Brownstone-Bau mit insgesamt zwölf Geschossen. Im Erdgeschoss befanden sich kleine Geschäfte, ein Frisörsalon und indisches Restaurant. Vom ersten bis zum 6. Stock hatten vorwiegend Firmen von kleinerer bis mittlerer Größe Büroräume angemietet. Oberhalb dieses Bereichs waren Apartments und Wohnungen zu finden.

Milo klingelte zweimal an Doretta Tomlins Wohnungstür, ehe sie uns endlich öffnete.

Eine junge Frau mit dunkel gelockten, bis über die Schultern reichenden Haaren öffnete uns. Sie trug ein enganliegendes T-Shirt und Jeans, was ihre kurvenreiche Figur perfekt zur Geltung brachte.

Zunächst öffnete sie nur die Tür, ließ die Vorhängekette noch an Ort und Stelle und musterte uns durch den Spalt misstrauisch.

"Miss Doretta Tomlin?", fragte ich.

Sie hob die Augenbrauen. "Ja?"

"FBI. Ich bin Special Agent Jesse Trevellian und dies ist mein Kollege Milo Tucker", erklärte ich, deutete kurz in Milos Richtung und reichte ihr meine ID-Card entgegen.

Sie zog die Augenbrauen zusammen, zögerte.

"Na, los nehmen Sie schon und werfen Sie einen Blick auf das Ding", forderte ich sie auf.

Sie nahm die ID-Card mit zwei Fingern, warf einen nach wie vor ziemlich ungläubigen Blick darauf. "Was wollen Sie von mir?", fragte sie.

"Ihnen ein paar Fragen stellen, Miss Tomlin. Aber das würde ich ungern vom Flur aus tun."

Sie atmete tief durch. Ihre vollen Brüste drängten sich dabei gegen den dünnen Stoff ihres T-Shirts.

"Okay", sagte sie.

Sie nahm die Kette weg. Wir traten ein. Sie gab mir die ID-Card zurück.

Ihr Apartment war klein und sehr sparsam eingerichtet. Ein paar Möbel, die aussahen, als wären sie vom Trödler zusammengesucht, standen in dem Hauptraum des kleinen Apartments. Allerdings wirkte diese Einrichtung trotz allem geschmackvoll. Es gab eine Sitzecke mit Couch und zwei Ledersesseln.

Außerdem gab es ein breites Doppelbett, das augenscheinlich nicht gemacht worden war.

"Kann ich Ihnen einen Drink anbieten?", fragte sie.

"Nein, wir möchten lieber gleich zur Sache kommen", erklärte ich, griff dabei in die Innentasche meiner Jacke und holte zwei Fotos hervor, die die Gesichter der beiden Killer zeigten, die ich im Yachthafen von Laurence Harbour hatte erschießen müssen.

Ich legte die Bilder auf den niedrigen Wohnzimmertisch.

"Kennen Sie einen dieser beiden Männer?"

Sie schluckte, versuchte sichtlich sich nichts anmerken zu lassen. Aber trotz aller Bemühungen konnte sie nicht verhindern, dass ihr Gesicht von einem Augenblick zum anderen fast vollständig die Farbe verlor.

"Warum fragen Sie mich das, Mister..."

"Trevellian", vollendete ich. Sie war offensichtlich von einem Moment zum anderen derart durcheinander, dass sie meinen Namen innerhalb weniger Augenblicke wieder vergessen hatte.

"Weil Sie mit einem der beiden telefoniert haben, kurz bevor er starb..."

Sie schluckte. Tränen glitzerten in ihren Augen. Sie nahm eines der beiden Fotos an sich.

"Was ist mit Warren passiert?", fragte sie.

"Er ist ums Leben gekommen, als er ein Attentat im Yachthafen von Laurence Harbour verübte. Vielleicht haben Sie in den Frühnachrichten davon gehört. Eine Luxusyacht wurde dabei mit Hilfe einer Bazooka in die Luft gejagt. Dutzende von Personen sind ums Leben gekommen..."

"Warren...", flüsterte sie. "Ich kann nicht glauben, dass er in so etwas verwickelt war."

"Er war nicht nur verwickelt", mischte sich jetzt Milo in das Gespräch ein. "Er war sogar einer der beiden Haupttäter. Daran besteht überhaupt kein Zweifel."

Doretta Tomlin atmete tief durch, gab das Foto zurück, ließ sich in einen der Sessel fallen. Ihr Blick wirkte in sich gekehrt. Die Tränen verwischten ihr Make-up.

"Bitte lassen Sie mich jetzt allein", murmelte sie.

Aber so leicht konnten wir es ihr jetzt nicht machen.

Schließlich war diese junge Frau eine der wenigen Informationsquellen, was die beiden Killer betraf.

"Es tut mir leid, Miss Tomlin, aber wir müssen noch einige Dinge von Ihnen wissen. Es besteht schließlich auch die Möglichkeit, dass Sie etwas mit dem Anschlag zu tun haben", erklärte Milo.

Eine gezielte Provokation, um sie aus der Reserve zu locken. Wir wechselten einen kurzen Blick miteinander.

Eigentlich glaubten weder Milo noch ich ernsthaft daran, dass wir es hier etwa mit der Auftraggeberin des Anschlags zu tun hatten.

Andererseits war das nur so ein Gefühl.

Und in der Polizeiarbeit fährt man einfach besser, wenn man auf harte Fakten setzt.

"Sehen Sie mich etwa als Verdächtige an?", fuhr Doretta Tomlin nach kurzer Pause auf.

Sie wischte sich hastig die Tränen aus den Augen.

"Sie haben mit einem der Killer telefoniert, und zwar wenige Minuten bevor dieser eine Bazooka abgefeuert hatte. Dafür gibt es Beweise, an denen sich nicht rütteln lässt."

"Ich habe Warren nicht erreicht."

"Das sagen Sie. Der Telefonkontakt kam aber laut Anrufliste der Mobilfunkgesellschaft zustande", erwiderte Milo kühl.

Milo hatte eine Kopie der Anrufliste dabei. Doretta Tomlins Nummer war mit Textmarker gekennzeichnet. "Die Verbindung kam zu Stande..."

"Ja, das mag sein."

Milo fuhr fort: "Nur Augenblicke später hat dieser Warren, wie Sie ihn nennen, mit einer Bazooka auf eine Gruppe von Menschen und eine Luxusyacht geschossen."

Doretta Tomlin schluchzte auf. "Ich habe damit nichts zu tun!", beteuerte sie.

"Sagen Sie uns, wie es war", forderte ich.

"Ich wollte Warren anrufen, weil wir uns gestritten hatten. Er war den ganzen Tag über nicht zu erreichen, weil er wohl sein Handy abgestellt hatte. Na ja, wenn es stimmt, was Sie sagen, hatte ich wohl einen unpassenden Moment erwischt..."

"Er war Ihr Freund?"

"Ja. Wir kannten uns seit einem Monat."

"Wie lautete sein voller Name?"

"Warren Anderson."

"Wissen Sie, wo er wohnte?"

"Nein."

"Was soll das heißen?"

"Er hat in den letzten Wochen bei mir gewohnt."

"Wo haben Sie sich kennen gelernt?"

"In der Sunset Table Dance Bar am Madison Square. Ich arbeite dort."

"Verstehe."

"Er lud mich zu einem Drink ein. Normalerweise gehe ich auf so etwas nie ein, aber da war irgendetwas an ihm, das mich sofort angezogen hat. Ich weiß auch nicht... Warren sagte, er sei neu in New York und hätte noch keine Wohnung. Er übernachtete in einem Hotel am Broadway. Ich weiß den Namen nicht mehr. Wir trafen uns öfter, gingen zusammen aus und..."

"...schließlich landete er hier bei Ihnen", vollendete ich.

"Ja."

Ihre Stimme klang tonlos.

Tiefes Entsetzen stand in ihrem Gesicht.

"Sie haben nicht gewusst, dass er ein Berufskiller war?"

"Ich kann das noch immer nicht begreifen", flüsterte sie. "Mir gegenüber war er der zärtlichste Mensch, den man sich denken kann."

"Haben Sie eine Ahnung, für wen er gearbeitet haben könnte?", fragte ich.

"Nein." Sie schüttelte energisch den Kopf.

"Haben Sie mal mitgekriegt, mit wem er sich getroffen oder mit wem er telefoniert hat?"

"Nein, tut mir leid."

"Hat er jemals von Ihrem Apparat aus telefoniert?"

"Ja, natürlich! Mister Trevellian, wir haben hier zusammen gelebt!"

Ich nickte, wechselte einen kurzen Blick mit Milo. Diese junge Frau war ziemlich am Ende. "Wir werden uns eine Liste der von Ihrem Anschluss aus angenommenen Gespräche geben lassen, Milo."

"Ja, vielleicht sind wir dann schlauer", antwortete Milo. Er wandte sich an Doretta Tomlin. "Hat Warren Anderson noch Sachen hier?"

"Einen Handkoffer. Mehr hatte er nicht bei sich."

Es klingelte an der Tür.

Doretta Tomlin erhob sich, schien zur Tür gehen zu wollen. Doch sie machte nur einen Schritt, zögerte dann.

Angst leuchtete in ihren Augen. Pure Angst.

Sie hat uns nicht die volle Wahrheit gesagt!, wurde es mir in dieser Sekunde schlagartig klar.

Einen Augenblick sagte niemand ein Wort.

"Erwarten Sie Besuch?", fragte ich an Doretta Tomlin gewandt.

Sie schüttelte den Kopf.

"Nein..."

Es klingelte ein zweites Mal.

Milo und ich zogen unsere SIGs.

Ich wollte Doretta gerade anweisen, sich aus dem eventuellen Schussfeld zu begeben, als die Tür mit einem wuchtigen Tritt geöffnet wurde. Doretta Tomlin hatte die Kette nicht wieder vorgehängt, nachdem wir eingetreten waren. Warum auch. In Anwesenheit von zwei G-men sollte man sich eigentlich sicher fühlen.

Die Tür flog zur Seite.

Ein breitschultriger Kerl mit Baseball-Kappe stand in der Tür. Mit beiden Händen hielt er eine Automatik mit aufgesetztem Schalldämpfer und Laserzielerfassung.

Der rote Strahl des konzentrierten Laserlichts tanzte durch die Luft.

Etwa zwei Meter hinter ihm auf dem Flur sah ich einen zweiten Mann. Er hatte einen dunklen Teint. Ein schwarzer Vollbart bedeckte den Großteil seines Gesichts.

Der Mann mit der Baseballkappe feuerte ohne auch nur eine Sekunde zögern.

Ich warf mich zur Seite, riss Doretta dabei mit mir zu Boden. Milo warf sich auch hin, suchte hinter einem Sessel Deckung.

Es machte mehrmals hintereinander "Plop!".

Die Projektile bohrten sich in den Teppichboden, in die Lederpolster, in die Wand. Eine Fensterscheibe zersplitterte.

Ich rollte mich herum, riss die SIG hoch und schoss.

Der Kerl mit der Baseballkappe schrie auf, taumelte rückwärts. Ich hatte ihn am Oberkörper erwischt. Das Projektil hatte seine Windjacke aufgerissen, sodass das graue Kevlar der Splitterweste sichtbar wurde, die er darunter trug.

Er stolperte rückwärts in den Flur.

Sein Komplize feuerte mit seiner ebenfalls schallgedämpften Waffe ins Apartment hinein. Wahllos ballerte er drauflos.

Milo tauchte aus seiner Deckung hervor, feuerte zurück.

Die beiden Kerle waren jedoch schon im Flur verschwunden.

Ich rappelte mich auf, war innerhalb einer Sekunde wieder auf den Beinen und rannte vorwärts. Mit der SIG in der Faust stürmte ich bis zur Tür, wollte mich hinaus auf den Flur tasten.

Sofort zog ich mich wieder zurück, als Schüsse in meine Richtung hagelten.

Ich wartete ab, bis der Geschossregen abgeebbt war, stürmte mit der SIG im Anschlag in den Flur, bereit sofort zu feuern.

Aber die beiden Männer waren bereits verschwunden.

Auf der linken Seite befanden sich die Aufzüge.

Einer davon war aktiv.

Auf dem Weg nach unten, wie eine entsprechende Leuchtanzeige deutlich machte. Ich rannte los, sah mich nach dem Sicherungskasten um, um durch einen Stromausfall die Liftkabine stoppen zu können. Aber ich sah, dass es bereits zu spät war.

Die Leuchtanzeige des Lifts ließ keinen Zweifel daran.

Die Aufzugskabine erreichte gerade das Erdgeschoss.

"Verdammt!", schimpfte ich.

Ich rannte in Richtung Treppenhaus.

Schilder für den Notfall wiesen darauf hin.

Am Ende des Korridors befand sich eine Tür. Sie war abgeschlossen. Ein Schuss mit meiner SIG öffnete sie.

Mit einem Tritt stieß ich sie auf. Dahinter befand sich das Treppenhaus.

Mir war im Grunde klar, dass ich keine Chance hatte, die beiden Kerle noch zu erwischen. Aber mein Inneres weigerte sich einfach, so schnell aufzugeben.

Mit raumgreifenden Schritten schnellte ich die Treppe hinab, erreichte einen Absatz.

Ein Fenster zur Straßenseite befand sich dort. Ich blickte hinaus und erkannte die Baseballmütze wieder.

Die beiden Kerle stiegen in einen metallicfarbenen Chevrolet. Augenblicke später brausten sie los, als ob der Teufel persönlich hinter ihnen her gewesen wäre.

Mit quietschenden Reifen fädelte der Chevy sich brutal in den Verkehr ein. Ein Lieferwagen bremste und verhinderte um Haaresbreite einen Unfall.

Ich merkte mir das Nummernschild des Chevys, griff noch im selben Moment zum Handy, um mit unserer Zentrale Kontakt aufzunehmen.

"Hier Trevellian! Eine Autokennzeichen-Abfrage!", stieß ich etwas atemlos hervor. "Außerdem brauchen wir die Spurensicherung in der 72. Straße, Haus Nummer 423..."

Killer sind auch nur Mörder: 7 Strand Krimis

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