Читать книгу Mord auf der Transit-Strecke Berlin 1968 Kriminalroman Band 21 - A. F. Morland - Страница 4

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„Darf ja wohl nicht wahr sein!“, stöhnte Fred Stettner und schaltete herunter.

„Was meinst du?“, erkundigte sich sein Beifahrer Hans Kersten verwundert.

„Vopos. Sie sind eben wie aus dem Nichts erschienen und fahren immer im gleichen Abstand hinter und her. Kannst davon ausgehen, dass die was von uns wollen!“

„Hast du die Geschwindigkeit eingehalten?“

„Überwiegend!“, antwortete Fred und musste doch grinsen. Die beiden fuhren die Transitstrecke nach West-Berlin schon lange, und Fred bildete sich ein, inzwischen jede noch so versteckte Radar-Kontrolle zu kennen.

„Na, das wird wieder lustig. Und ich dachte, wir kommen heute gut durch!“, stöhnte Hans.

„Mach dich startklar, mein Freund – sie schalten das Blaulicht an und kommen!“

Tatsächlich schoss der Wartburg mit dem Blaulicht an ihnen vorüber, der Beifahrer gab Zeichen mit der Handkelle, und langsam rollten die Fahrzeuge hintereinander auf dem Seitenstreifen aus.

Fred Stettner griff zu seiner Tasche mit den Papieren und kurbelte das Fenster herunter.

„Guten Tag!“, begrüßte sie der Beamte, der eben an den LKW trat. „Verkehrskontrolle. Die Fahrzeugpapiere, Führerschein, Transitvisum. Was haben Sie geladen?“

„22 Tonnen zulässiges Gesamtgewicht, Drei-Achser, 12 Meter Gesamtlänge, alles nach Vorschrift und Norm. Geladen haben wir Elektrogeräte und eine versiegelte Kiste von BASF. Meine Papiere, bitte!“, schnurrte Fred den üblichen Sermon herunter und beobachtete den zweiten Beamten, der mit kritischem Blick auf der Beifahrerseite den LKW inspizierte.

Der andere prüfte ungerührt und mit aller Gründlichkeit die ihm gereichten Papiere, gab sie zurück und erkundigte sich dann:

„Wissen Sie, warum wir Sie herausgewunken haben?“

Fred stellte fest, dass der Mann nur einen leichten Berliner Dialekt hatte und fühlte sich schon fast wieder heimisch. Aber hier war keine Frozzelei angebracht, und höflich erwiderte er: „Nein, das weiß ich nicht.“

„Sie haben vor etwa zwei Kilometern beim Fahrbahnwechsel nicht geblinkt.“

„Was habe ich nicht? Fahrbahnwechsel? Ich habe doch überhaupt nicht überholt!“, bemerkte Fred Stettner verblüfft.

„Es gab dort eine Baustelle, die Fahrbahn wurde auf eine Fahrspur verengt.“

„Und da muss ich blinken, wenn es nur noch eine Fahrspur gibt?“

„Selbstverständlich. Die Verwarnung für diesen Verstoß gegen unsere Verkehrsordnung beträgt 20,—DM“, führte der Beamte weiter aus und schrieb bereits einen Strafzettel aus.

„Zwanzig?“, echote Fred ungläubig, aber der Polizist sah noch nicht einmal auf.

Brummend zog der Fahrer seine Geldbörse hervor, entnahm einen Zwanzig-Mark-Schein und reichte ihn wortlos aus dem Fenster.

Der Volkspolizist steckte das Geld ebenfalls wortlos ein und reichte den Strafzettel hoch.

Dann wollte er sich abwenden, nachdem sein Kollege schon wieder neben dem Wartburg stand, drehte sich aber noch mal zur Fahrerkabine um.

„Nur ein kleiner Tipp für Sie. In etwa fünftausend Metern gibt es eine weitere Baustelle. Lastkraftwagen müssen dort die Transitstrecke verlassen und eine Umleitung fahren. Achten Sie aber darauf, dass Sie auf dieser Strecke nicht anhalten dürfen und die Geschwindigkeiten dort reduziert sind. Sie kommen dann bei Wollin wieder auf die Transitstrecke.“

„Vielen Dank!“, antwortete Fred durch die Zähne, sah zu, wie die Beamten in ihr Fahrzeug stiegen und startete dann den Motor wieder. Beim Wechsel auf die Fahrbahn blinkte er natürlich und fuhr langsam an, während der Wartburg vor ihm mit etwa 80 Stundenkilometern vorweg fuhr.

Keiner der beiden in der Fahrerkabine sprach etwas, bis sie in der Ferne die Warnbaken und die Umleitungsschilder für Kraftfahrzeuge über fünf Tonnen erkannten.

„Wenn diese blödsinnige Transitstrecke nicht wäre, könnte ich mir keinen anderen Job als diesen vorstellen“, sagte nach einer Pause Fred Stettner zu seinem Beifahrer. Hans Kersten zuckte nur mit den Schultern. Kein Kommentar zu diesem Thema. Was hätte er schon sagen sollen? Fred war ein Wahnsinniger. Wäre es in der Bundesrepublik erlaubt gewesen, könnte sein Fahrer 24 Stunden hinter dem Steuer sitzen, wurde nicht müde, und wenn er dann abgelöst wurde, freute er sich schon auf die nächste lange Tour hinterm Steuer. So einem Irren war einfach nicht zu helfen. Wozu also irgendein Wort verlieren, das ja doch bloß in den Wind gesprochen wäre.

„Hinter einem Schreibtisch würde ich eingehen wie ’ne Primel“, sagte Stettner. „Ich brauch ’nen 22-Tonner wie diesen unterm Hintern, um mich wohlzufühlen. Ich brauche eine Straße, auf der ich meinen Laster bewegen kann. Ich weiß nicht, wie es dir geht, Hans, aber für mich ist jede Fahrt, als würde ich die Welt neu entdecken.“

‚Blödsinn‘, dachte Hans. ‚Er ist doch nun wirklich jede Strecke schon zigmal gefahren. Da gibt es nichts mehr zu entdecken. Nicht mal für einen Wirrkopf wie ihn!‘

Fred verlangsamte das Tempo und näherte sich der Umleitung. Gegen Umleitungen war Fred allergisch. Die mochte er nicht, denn sie führten zumeist über schlechte Straßen, zumal bei dem Zustand der Straßen in der DDR. Sein schwerer Mercedes-Benz mit den kantigen Formen war zwar nicht sonderlich anfällig. Aber Fred war schon mehrfach in der DDR unterwegs gewesen zum Verwandtenbesuch. Natürlich ohne Lastwagen. Bei diesen Straßenverhältnissen konnte durchaus eine Achse brechen oder ein Stoßdämpfer kaputtgehen, und das war dann bestimmt für Fred Stettner genauso schlimm wie für einen normalen Menschen ein Beinbruch.

Während Stettner mit grimmiger Miene an der Lenkung drehte, grinste Hans Kersten breit. „Jetzt kannst du die Welt tatsächlich mal neu entdecken, Fred.“

Ein missmutiges Knurren war Stettners Antwort. Er zog den LKW in eine enge Kurve und begann mit der Entdeckungsfahrt. Ein schmales S lag vor ihnen. Sie entfernten sich von der Transitstrecke. Kein weiteres Fahrzeug folgte ihnen und war auf der Straße zu erkennen. Büsche und Bäume deckten alsbald die Sicht nach hinten ab. Und plötzlich schrie Fred Stettner erschrocken auf. Er leckte sich nervös über die Lippen. Schnell leitete er die Notbremsung ein. Der LKW stand auf kürzeste Distanz.

‚Eines muss man ihm lassen‘, dachte Hans Kersten. ‚Sein Fahrzeug hat er prima in der Hand. Und er versteht wunderbar schnell zu reagieren.‘

Hätte Stettner nicht so schnell gebremst, dann hätte der 22-Tonner möglicherweise den Mann überrollt, der mit dem Gesicht nach unten auf der Umleitungsstrecke lag.

„Mensch, da liegt einer“, sagte Stettner erregt.

„Du merkst aber auch alles“, brummte Hans Kersten. Er schwang die Tür auf und sprang aus dem LKW.

Stettner hatte plötzlich ebenfalls Hummeln im Hintern.

„Warte! Ich komme mit!“, rief er und sprang auf der anderen Seite heraus. Die kräftige Maschine tuckerte im Leerlauf weiter. Kersten erreichte den Mann. Stettner kam heran und kniete sich auf den Boden. Plötzlich wurde der Beifahrer bleich. Der vermeintlich Hilfsbedürftige ließ sowohl Fahrer als auch Beifahrer in die Mündung einer Pistole blicken.

Und dann kam viel Leben in den Mann. Er rollte sich auf den Rücken und schwang den Körper hoch.

„Damit wir uns von Anfang an richtig verstehen, Kameraden: Dies hier ist ein Überfall.“

Kersten fletschte die Zähne. „Was denn, was denn! Du willst den LKW doch nicht etwa ganz alleine überfallen!“

Das Gesicht des Fremden war mit schwarzer Farbe beschmiert. Er trug eine riesige Sonnenbrille auf der Nase und hatte den Kragen seiner Windjacke hochgeschlagen.

„Du hast recht“, sagte der Unbekannte grinsend. „Allein wär’s ein bisschen zu riskant.“ Weiße Zähne blitzten in seinem Mund. Und das Zahnfleisch leuchtete in hellem Rosa. „Aber ihr habt es nicht nur mit mir zu tun.“

„Blödsinn!“ sagte Fred Stettner zornig. Er hatte sich erhoben und begann einzusehen, dass es ein Fehler war, hilfsbereit zu sein. Überrollen hätte er den Kerl sollen. Dann wäre es nicht zu dieser Situation gekommen.

„Schaut euch um!“, schlug der Gangster vor. „In diesem Augenblick zielen zwei halbautomatische Waffen auf Euch!“

„Dann seid ihr also zu dritt“, erwiderte Hans trocken.

Stettner schaute sich um und sah tatsächlich zwei Typen, die genau wie derjenige aussahen, der vor ihnen stand. Die drei hätten Brüder sein können. Vielleicht sogar Drillinge.

„Was habt ihr vor?“, fragte Stettner überflüssigerweise.

„Kannst du dir das mit deinem Spatzenhirn nicht denken?“, fragte der Gangster zurück.

„Sie wollen den LKW, Fred“, klärte der Beifahrer den Fahrer auf.

‚Den LKW!‘ Stettner fuhr ein Eissplitter ins Herz.

„Ihr habt sie wohl nicht alle!“, brüllte er aus Leibeskräften. Dass die anderen Männer näherkamen, schien ihn nicht einzuschüchtern.

„Den LKW kriegt ihr nie im Leben!“

„Spiel bloß nicht den Helden, Kamerad!“, schnauzte der Gangster. „Sonst kriegst du ein Loch in die Haut. Oder auch mehrere. Wir sind nicht kleinlich.“

„Ich reiß euch die Ohren ab, wenn ihr an meinen LKW geht!“

„Halt keine Volksreden! Dreh dich um!“, schnarrte der Gangster. Die beiden anderen standen nun dicht hinter ihm. Ihre Mienen waren verschlossen. Ihre Gesichter waren ebenfalls schwarz angeschmiert. Sie machten einen furchterregenden Eindruck - zumindest auf den Beifahrer, der wusste, wann eine Sache brenzlig war, und wann man die Schnauze halten musste. Ohne, dass der Verbrecher ihn dazu aufforderte, sich umzudrehen, wandte er sich um. Was jetzt kommen würde, ahnte er. Da er es aber nicht verhindern konnte, fand er sich damit ab. Es würde ein kurzer Schmerz sein. Und dann würde er umkippen. Eine Weile Ohnmacht. Und wenn er die Augen wieder aufschlug, würde alles vorbei sein.

Nicht so Stettner. Der stellte sich auf die Hinterbeine, und genau das war das Dümmste, was er tun konnte. Damit reizte er die Gangster, die ohnedies in Eile und nervös waren. Die beiden LKW-Fahrer dachten in diesem Augenblick auch noch an ihre besondere Lage. Man befand sich auf dem Gebiet der DDR. Da würden doch wohl auch diese Typen jederzeit mit einer Entdeckung rechnen müssen – und die würde kaum glimpflich für sie abgehen.

„Umdrehen!“, befahl der Gangster dem Fahrer.

„Ihr kriegt meinen LKW nicht!“, brüllte Fred Stettner. „Meinen LKW kriegt ihr nicht!“ Er ballte seine mächtigen Fäuste. Im nächsten Moment explodierte seine Rechte am Kinn des Verbrechers. Der Mann flog zurück und wurde von seinen Freunden aufgefangen.

Hans Kersten floss Eiswasser über den Rücken, als er sah, was Stettner machte.

‚Was ich von ihm immer dachte: Er ist verrückt! Er hat keinen Verstand!‘, hämmerte es im Kopf des Beifahrers.

Fred schnellte herum und eilte mit langen Sätzen zum LKW. Die Gangster ließen ihm nicht die geringste Chance. Ein Bein hatte er bereits auf dem Trittbrett, als die Schüsse fielen und ihn um die eigene Achse rissen. Gleich darauf stürzte der Fahrer schwer auf das Straßenpflaster.

Hans blieb das Herz stehen, als er sah, wie es mit seinem Kumpel zu Ende ging. Warum hatte er sich bloß so sehr für diesen verdammten LKW eingesetzt? Warum hatte er dem Tod keine kurze Ohnmacht vorgezogen?

Hans Kersten vernahm ein knirschendes Geräusch hinter sich. Instinktiv kniff er die Augen zusammen und wartete auf den Schlag, der in seinem Nacken oder am Hinterkopf landen würde.

Da kam er auch schon. Hart, und für keinen noch so kräftigen Mann durchzustehen. Ein riesiges schwarzes Loch tat sich vor dem Beifahrer auf. Er merkte, wie er darauf zufiel und sogleich darin verschwand ...

Mord auf der Transit-Strecke Berlin 1968 Kriminalroman Band 21

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