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Black out

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Un sol momento date mi pace almen. 1

Ein Anruf mitten in der Nacht. Mein Rucksack steht wie immer gepackt nahe der Tür, das Handy ist geladen. Die Filme für die Kamera liegen im obersten Kühlschrankfach.

Der Flug ist schon reserviert, Bomberger braucht nur noch mein Ja. Er muss nicht lange herumreden, dass ich sein bester Mann für einen solchen Einsatz sei, wegen des Kalküls und der Besonnenheit und so fort, auch mit dem Honorar braucht er nicht zu locken – die Arbeit ist mir auf den Leib geschnitten. Jedenfalls kann ich mir keine andere vorstellen, so wird es wohl sein. In der Zeit zwischen einem Auftrag und dem nächsten vegetiere ich. Mein Herzschlag ist heruntergefahren, als hielte ich Winterschlaf und dann, ein Anruf, bin ich 200 Prozent wach und breche in meinem Appartement auf, um zehn, zwölf Stunden später in einer anderen Sprache ausgespuckt zu werden, in einem anderen Klima, mitunter mitten in einem Blutbad.

Im Flugzeug lese ich die 20 Seiten vom Pressearchiv, die mir Bomberger zum Flughafen gefaxt hat. Mehr gab es nicht. Unsere Medien werden auf einen Konflikt erst aufmerksam, wenn er schon übergekocht ist. Die Zeit war zu knapp gewesen, um eine kugelsichere Weste zu besorgen. Ich habe noch Bombergers Stimme im Ohr, wie er mir Hals- und Beinbruch wünscht, seine Stimme zitterte leicht, vielleicht lag es nur daran, dass er mit dem Mobiltelefon am Ohr irgendwo entlanglief. Ich solle keinen Schritt von der Hauptstraße abweichen, das halbe Land sei vermint, am besten gar nicht zu Fuß gehen und mir einen einheimischen Fahrer nehmen, einen, der an seinem Leben hängt.

Die Abläufe zwischen dem Flughafen und dem Hotel sind in jedem Land gleich. Dann hält das Taxi vor einem Gebäude, das wie ein Rohbau aussieht. Es ist das einzige Hotel in der Stadt, in dem es noch Strom und Wasser gibt, wie der Fahrer sagt. Unterwegs hatte er sich geweigert, anzuhalten, als ich eine Leiche fotografieren wollte, die rücklings auf dem Fußweg lag.

Die Hotelhalle wirkt gespenstisch. Normalerweise treffe ich hier Kollegen von den Fernsehstationen und erfahre die ersten Details. Orangebraune Haut, schwarze, nach hinten gebundene Haare, die Frau am Empfangstresen hält die Augen niedergeschlagen, mein Blick hängt an ihren Lippen, aber ich höre kaum, wie sie mir in gebrochenem Englisch das Übliche erklärt. Als sie sich zur Seite neigt, weht ein zarter Duft zu mir herüber. Eine sehnige und trotzdem kindliche Hand schiebt mir den Schlüssel über die Theke.

Ich bringe meine Sachen in das Zimmer. Die Arbeit beginnt. Wenn ich nach einem Bombenabwurf aus einem Keller trete, sind mit der versengten Luft die Fragen da. Wer? Wo? Was? Wann? Warum? Wenn mir jemand das Gehirn zerschießen würde, wären die Fragen noch im Rückenmark gespeichert.

Das Telefon in der Hotelhalle ist tot. Die Frau erscheint nicht am Empfang, auch nicht, als ich die silberne Glocke betätige, die in der ärmlichen Umgebung wie ein Beutestück aussieht. Ich würde mich zu dem Ort durchfragen müssen, an dem ich meinen Informanten zu treffen hoffe und auf dem Weg dorthin das Foto machen. Auf der Straße höre ich weder Autos, noch Vögel. Maschinengewehrsalven wären mir fast noch lieber als diese Stille. Reste von rudimentären Möbeln liegen vor den geplünderten Häusern. Ich orientiere mich am Stand der Sonne, an den Schatten, die die Behausungen werfen. Ich sehe die Leiche. Ein Hund macht sich an einem Arm des Toten zu schaffen. Er knurrt, als ich näher komme, zerrt mit wütend gefletschten Zähnen, zieht dann den Schwanz ein und verschwindet zwischen den Häusern.

Mir war schon im Taxi klar geworden, dass ich dem Zeitungsleser in Deutschland zum Frühstück keine Leiche anbieten kann. Ich muss ein Detail finden, das den Schrecken des Ganzen symbolisiert. Beim ersten Vorbeifahren trug der Tote noch seine Schuhe. Ich stelle scharf und fotografiere seine nun nackten Füße. Jemand hat die Schuhe gestohlen. Die Leichenflecke sieht man auf schwarzweiß kaum und die Geschichte gar nicht. Die muss ich dazu schreiben.

In drei Tagen geht mein Flug zurück. Drei Tage Zeit, um bestenfalls den Rebellenführer ausfindig zu machen, mit viel Geschick ein Interview oder aber wenigstens ein paar Hintergrundinformationen zu bekommen, einen roten Faden in einer Sache, die von oben so verworren aussieht.

Mister!, höre ich es hinter mir leise rufen. Ich drehe mich um und sehe niemanden.

Don’t go there!

Ich gehe in die Richtung, aus der die Stimme kam. Jemand greift mich am Arm und zieht mich in den Hauseingang. Mein erster Blick fällt auf die kindlichen Finger. Die Frau hat ihr Haar unter einem schwarzen Tuch versteckt und das Tuch tief in die Stirn gezogen. Ich frage auf Englisch, warum sie mir gefolgt ist und bereue im nächsten Augenblick den kühlen Tonfall meiner Frage, denn sie schluckt und sagt beinahe tonlos:

They burnt down my house.

Meine Arbeit hat begonnen. Eigentlich. Eigentlich müsste ich jetzt mein Notizheft zücken. Wahrscheinlich würde die Frau weinen, Mann, Kinder, Haus, ich würde ihre Aussage sachlich mitschreiben. Ich schließe die Augen. Höre nur noch. Höre sie atmen. Das einzige Zeichen von Lebendigkeit in dieser Stadt. Ich rieche sie. Ihren Duft. Er dringt zu mir vor und steigt aus den Untiefen meiner Erinnerung auf. Ich weiß, dass ich meine Augen keinen Moment länger geschlossen halten darf. Ich spüre sie nahe meinem Gesicht. Ihre trockenen Lippen auf meinen. Ich kämpfe gegen die Schwere meiner Augenlider. Sie sieht mich jetzt entschlossen an. Sie knöpft ihre Bluse auf. Der Stoff gleitet mit einer fließenden Bewegung über ihre Schultern, legt kleine, blasse Brüste frei.

Ich muss hier weg. Doch ich gehe, da die Frau mit kleinen Schritten in den Raum zurückweicht, Schritt für Schritt ihr nach, um nicht den Schwall von Duft und Wärme, der von ihrem Körper ausgeht, zu verlieren. Im Raum ringsum herrscht eine kühle Feuchtigkeit, die mir Gänsehaut einjagt. Die Frau lehnt sich an einen grob gezimmerten Tisch. Jede Sekunde, die ich länger bleibe, kann mich um Kopf und Kragen bringen. Ich spüre ein Beben in den Knien. Ich möchte diese Frau riechen, ihre Brüste fühlen. Es knistert, die Frau zieht ihren Rock hoch, umklammert mich mit den Beinen, küsst mich, in meinem Kopf rauscht es. Wie lange war mir so etwas nicht mehr passiert, ausgerechnet hier. Hinter mir klackt es.

Wie in Zeitlupe gleiten ihre Hände von meiner Hose ab. Hat mich die Frau in den Hinterhalt gelockt? Oder kann sie mich schützen? Ist sie eine von ihnen?

Ein Mann schreit etwas.

He says, you should turn around slowly, flüstert die Frau. Vierzig Jahre bin ich geworden, die Hälfte davon auf der Suche nach diesem Duft. Jahre habe ich im Provisorium verbracht, immer kurz vor dem richtigen Leben, in Hotels, auf Flughäfen, immer wollte ich am liebsten auf einer Insel leben, ohne Zeitung und Fernsehen, mit einer Frau und mit Kindern.

Der Mann muss in etwa drei Meter Entfernung stehen, das Entsichern klang nach einem AK 74. Die Frau ist mir immer noch so nah, dass ich ihre Körperwärme spüre. Entweder ich sterbe oder sie, schießt es mir durch den Kopf. Ich wähle die dritte Möglichkeit: Ich stoße in sie. In dem gleichen Moment, in dem ich ihre wonnevolle Enge fühle, reiße ich ihren Körper herum. Die Frau sieht mich fassungslos an. Sie ruft dem Mann, den ich nun in einer Tarnuniform in der Tür stehen sehe, mit gequälter Stimme etwas zu und sieht mich dabei an. Ihr Körper zittert. Ein Ruck reißt mich um. Die Kugel muss meine Brust getroffen haben. Blut sickert durch mein Hemd.

In den Augen der Frau sehe ich mein Leben wie komprimiert an mir vorüberziehen, sehe ich die Einzige, die ich geliebt habe, die jenen kleinen, schlichten, blumigen Duft trug, eine Seife vielleicht, meine erste Liebe, die Frau, die so leicht war, als würde sie über dem Boden schweben, ich sehe sie auf einer Schaukel im Garten der Großeltern, wir waren gerade ein wenig zu alt zum Schaukeln und wir zählten bei jedem Vorstrecken die Kinder, die wir haben wollten, und eines Tages entschwebte sie genauso selbstverständlich, als wäre sie geblieben.

Sechs

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