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2. September

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Name: Christian Fink

Wohnort: Berlin-Wilmersdorf

geboren: 22. Mai 1960 in Berlin-Köpenick

Größe: 1,79m

Gewicht: 72 kg, Tendenz leicht steigend

Augenfarbe: hellgrau

Haarfarbe: dunkelblond

Beruf: Architekt

Lieblingsspeise: Artischocken

Lieblingsgetränk: Martini bianco (mit Olive)

Lieblingsautor: H. Mann, Tolstoi

Lieblingsmusiker: wechselt zwischen H. v. Veen und Tori Amos

Lieblingskünstler: A. Macke, J. Miró

Lebensstationen: Schule, Studium, Praktikum, Anstellung

Lebenseinstellung: nachdenklich und gewissenhaft, trotzdem Hang zum Chaotischen

Christian erwachte, da sich irgendetwas in seine Nähe gedrängt hatte, das nicht allzu angenehm roch. Er blinzelte mit den Augen und versuchte, seinen Schlaf gegen den unerwünschten Wachzustand zu verteidigen, doch vergebens. Der Fremde beugte sich über ihn.

“Fein, dass Sie auch endlich zu sich kommen.”

Christian begriff, dass der unangenehme Geruch aus dem Mund des Professors strömte, und rümpfte die Nase.

“Wie viel Uhr?” murmelte er.

“Oh, es ist kurz vor sieben.”

“Dann hab ich noch ´n halbes Stündchen.”

Der andere kicherte.

“Na, wer wird denn sein Leben nach der Uhr richten? –Hören Sie, ich trinke Ihnen Ihren Saft weg, das tut mir wirklich leid. Ich werde mich bei Gelegenheit revanchieren, wenn Sie verstehen, was ich meine. Übrigens ein bemerkenswerter Geschmack.”

Er drehte die Flasche Multivitaminsaft in seiner Hand und beäugte sie von allen Seiten.

“Ich habe mir ein paar Mark von Ihnen geborgt, da, wie ich mir gleich schon gedacht hatte, mein Geld in dieser Zeit nichts mehr wert ist. Das ist mir natürlich außerordentlich peinlich, müssen Sie wissen. Sie bekommen selbstverständlich alsbald einen entsprechenden Gegenwert zurück.

Das wollte ich Ihnen nur gesagt haben, damit Sie nicht denken, ich sei ein schäbiger Dieb.”

“Na toll.”

“Ja, Herr Fink, ich kann natürlich nicht beurteilen, ob eine Mark wirklich noch eine Mark ist, wenn Sie verstehen –aber wenn dem so ist, sind die Preise allerdings kräftig gestiegen. Ich war an einem Kiosk, um mir Tabak zu kaufen, was mir aufgrund der unmöglichen Preise verwehrt blieb. Auf dem Rückweg zu Ihrer und meiner Wohnung bin ich sozusagen über Ihre Zeitung gestolpert, die Sie beziehen, wie ich annehme. –Und hier,” fügte er triumphierend hinzu, “ist der Beweis.”

Er hielt dem verschlafenen Christian eine Zeitung unter die Nase, deren Namen wir hier tunlichst verschweigen. Der Angesprochene konnte nichts Besonderes entdecken und fühlte sich etwas genervt, was er durch ein leises Blöken zum Ausdruck brachte.

“Na denn schaunse doch ma jenau hin, Männeken!”

Auf dem Titelblatt stand eine ganze Menge Meldungen.

“Senat beschließt Anhebung der Gewerbesteuer?”

Der Fremde entzog Christian die Zeitung. “Wen interessiert denn noch Politik angesichts der Ewigkeit,” schnauzte er seinen unfreiwilligen Gastgeber an, “wobei ich allerdings zugeben muss, dass auch die Ewigkeit nicht mehr das ist, was sie einmal war. Ich darf Ihnen vorlesen:

<Verhexte Nacht

Berlin, 2. 9. 1994; in der gestrigen Nacht hat es gegen 23.00 h einen Totalausfall des Telekommunikationsnetzes gegeben. Alle Telefonverbindungen, Faxleitungen und überdies das gesamte Stromnetz fiel im Stadtbereich für einige Minuten vollkommen aus. Während die innerstädtischen Telefon- und Faxleitungen zum überwiegenden Teil nach dieser kurzen Zeit wieder funktionstüchtig waren, sind bis Redaktionsschluss keine Mitteilungen darüber eingetroffen, ob die Verbindungen aus der Stadt heraus wiederhergestellt sind. Außerdem haben alle Computersysteme der Stadt einen sog. Totalcrash erlitten; Arbeiten am Rechner, Senden und Empfangen von Emails sowie die Nutzung des Internet sind seit gestern abend unmöglich geworden, während der Strom inzwischen wieder fließt. Zu diesem Vorfall befragte Wissenschaftler, Techniker und Elektriker haben bislang keine Erklärung für die seltsamen Vorkommnisse. Doch damit nicht genug: Ausgerechnet in besagter Stunde nach 23.00 h haben einige Kuriositäten die Aufmerksamkeit der Berliner auf sich gezogen: so fand man z. B. auf dem Ku’damm in Höhe Café Kranzler eine Kuh, deren Herkunft noch nicht geklärt ist. Wie jeder Berliner weiß, befindet sich weit und breit kein Bauernhof in der Nähe, und es ist noch nicht bekannt, ob sich vielleicht ein Spaßvogel einen seltsamen Scherz erlaubt hat, zumal Augenzeugen berichten, das Tier sei plötzlich “wie aus dem Nichts” auf der belebten Straße erschienen. Noch eigenartiger ist die folgende Sache: im Bezirk Wilmersdorf hat sich, und das ist kein Witz, ein Wohnhaus mit einem Kastanienbaum physisch vereinigt. Siehe Foto unter diesem Artikel....>

So weit, so gut, der Artikel geht noch weiter, aber das soll uns jetzt nicht interessieren. Na, was sagen Sie jetzt?”

“Ich habe keine Ahnung.”

“Hören Sie mal zu, junger Mann, und lassen Sie sich ruhig einmal von einem alten Hasen wie mir etwas sagen: es ist streng genommen schlechterdings unmöglich, dass sich Baum und Haus völlig vereinigen. Das Haus ist bewohnt, stellen Sie sich das man vor. Und plötzlich steht um elf Uhr abends eine Kastanie im Schlafzimmer. Was würden Sie da machen, he?”

“Glauben Sie etwa jeden Mist, der in der Zeitung steht?”

Der Vielleicht-Professor schenkte Christians gutem Einwand keinerlei Aufmerksamkeit und ging direkt zur Erklärung über:

“Ich sage Ihnen, was geschehen ist. Als ich mit meiner Zeitmaschine, nun, ich will sagen: operiert habe, sind einige Unregelmäßigkeiten passiert. Ich möchte fast vermuten, dass dies nicht ganz anomal ist, denn es kann Schwankungen in der Raumzeit geben, und überdies ist eine kleine Zeitreise wie meine natürlich ein schwerwiegender Eingriff in das Raum-Zeit-Kontinuum.

Außer mir selbst habe ich offensichtlich noch einen Kastanienbaum aus dem Jahre 1930 mitgebracht. Das Phänomen mit der Kuh ist etwas schwieriger zu erklären, da es auch in meiner Zeit keine Bauern am Kurfürstendamm gibt; ich denke mir, dass das arme Tier einfach aus der Mark Brandenburg hier herüber transportiert wurde. Auch dies ist eine Unregelmäßigkeit, die aus Schwachstellen in der Raumzeit zu erklären sein dürfte.”

“Aha.”

“Sie wissen ja wahrscheinlich, dass Raum und Zeit keine gänzlich voneinander zu trennenden Dinge sind, nicht wahr?”

“Ähm, ja...”

“Nicht? Ich hätte gedacht, dass die Bildung in der Zukunft umfassender sein wird als in meiner Zeit, zumal Sie doch Akademiker sind?”

“Schon gut, ja, ich weiß bescheid. Aber wir Menschen sind einfach nicht –oder noch nicht –in der Lage, so was zu tun.”

“Was? Eine Zeitmaschine zu basteln und durch zu die Zeit reisen? Hach ja. Sie sind wohl ein Skeptiker. Hören Sie, als ich geboren wurde, fuhr man mit Kutschen durch den Schlamm kleiner Provinzstädte. Sechzig Jahre später besaß man Automobile, flog in ein paar Stunden über den Atlantik, hatte beide Pole entdeckt, Atome gespalten und Kommunisten in den Parlamenten. Und hier halte ich eine Boulevardzeitung in den Händen, die eine ganze Reihe Begriffe verwendet, die ich als durchaus gebildeter Mensch noch nie in meinem Leben gehört habe. Und trotzdem wollen Sie die Möglichkeit einer Zeitmaschine einfach abtun?”

“Nicht einfach. Ich hätte nur gern mehr Beweise.”

“Ach so. –Gut, das kann ich verstehen, als Mann der Wissenschaft.”

“Was haben Sie mir denn noch zu bieten?” fragte Christian in spöttischem Tonfall nach, denn er begann sich zu fragen, was er sich dabei gedacht hatte, den alten Wirrkopf bei sich aufzunehmen.

“Na, die Zeitmaschine, was denken Sie denn? Sie ist nicht weit von hier.”

“Echt?”

“Ja sicher ist die echt. Aber zunächst führe ich Ihnen das Haus mit integriertem Kastanienbaum vor; auch das ist wohl mit Leichtigkeit zu Fuß zu erreichen. Und dabei können Sie mir ein bisschen vom Berlin der Zukunft zeigen.”

“Ich habe nicht allzu lange Zeit. Ich muss ins Büro, es ist Freitag.”

“I wo, nehmen Sie sich frei, so etwas erleben Sie nicht alle Tage. Es ist ein schöner Vormittag. Es tut mir nur leid, dass Sie mich einladen müssen, falls wir irgendwo einen Café zu uns nehmen; aber wenigstens scheinen Sie nicht am Hungertuch zu nagen. Kommen Sie, ziehen Sie sich an, wir machen einen kleinen Spaziergang. Arbeiten können Sie noch den Rest Ihres Lebens.”

“Na gut, aber wollen Sie in den Klamotten rumlaufen?”

“Klamotten? Ach Sie meinen, was ich anhabe. Na, wir werden schon klarkommen. Ich habe ja ohnehin sonst nichts dabei, ich weiß, ich hätte etwas vorausschauender sein können. Aber das macht mir nichts aus.”

Christian schmunzelte ein bisschen, denn er hatte natürlich gemeint, dass sein Gegenüber wie ein verkleideter Scherzbold aussah, und nicht etwa, dass er seine Kleidung schon zu lange trüge.

Im gleichen Moment bemerkte er natürlich auch, dass es keinen Sinn haben würde, dem Fremden seine eigenen Klamotten zu leihen; es bestand zwischen den beiden eine gewisse Silhouetten-differenz, um es vorsichtig auszudrücken: Er selber war lang und schmal, während sich die durchaus beträchtliche Leibesfülle des Professor-Unrat-Verschnitts auf eine nur mäßige körperliche Größe verteilte.

Im übrigen war seine Laune sprunghaft gestiegen, denn insgeheim hatte er überhaupt keine Lust, heute zu arbeiten, im Gegenteil; die frisch aufgegangene Sonne zwinkerte ins Zimmer und verhieß einen schönen Tag, und noch dazu verführte ihn irgend etwas in seinem Innern, dem seltsamen Fremden vielleicht doch einfach für ein paar Stunden Glauben zu schenken...

Die beiden durchstreiften den Bezirk und fanden sich schließlich vor dem rätselhaften Haus wieder. Ein paar Dutzend Schaulustige hatten sich bereits davor versammelt und machten ihre Witzchen. Tatsächlich waren die Äste und Zweige sauber in das moderne ansehnliche Mauerwerk eingearbeitet, so als hätte es der Architekt des Gebäudes durchaus beabsichtigt, weswegen Christian schmunzelte und sich im Kopf allerhand absurde Ideen zurechtlegte. Der Stamm des Baumes war nicht zu sehen, er geruhte wohl, sich im Innern des Hauses aufzuhalten; an einigen Stellen lugten kleinere Zweige aus den Wänden und schwangen in der leichten Morgenbrise hin und her.

Eine ältere Frau schaute aus einem der oberen Fenster heraus und brüllte unentwegt Beleidigungen in die Menge.

Als Christian und der Professor auftauchten, begann gerade ein geschäftstüchtiger mittelalter Mann eine Art fahrbaren Imbiss aufzubauen. Cola, Wasser, Bier und Fritten sollten hier zur Belustigung des Publikums feilgeboten werden. Christian kaufte, ohne eine Regung des anderen abzuwarten, zwei Dosen Cola. Der Professor starrte die Dose an, die Dose den Professor, und lächelnd öffnete Christian das dem Fremden unbekannte moderne Behältnis.

“Probieren Sie!”

Der Professor trank einen Schluck und spie sofort aus.

“Pfui Teufel, was ist das für ein Dreck?”

“Das ist doch ein guter Anfang für den Tag, nicht?” meinte Christian, “zwölf Stück Würfelzucker und ein bisschen Farbstoff in Wasser aufgelöst...”

“Ich bin mir sicher, niemals etwas Widerlicheres getrunken zu haben. Bekommen Sie davon nicht Krämpfe?”

“Im Gegenteil,” antwortete Christian, “kommen Sie; ich finde, wir haben genug gegafft.”

Glauben Sie mir nun,” fragte Professor Unrat-Wittmann, als sie sich Richtung Ku’damm bewegten, “dass sich in der Stadt etwas Ungeheuerliches ereignet hat, etwas derart Seltsames, dass man vielleicht auch das Unmögliche in seine Vorstellung und Erklärungsversuche mit einbeziehen sollte?”

“Na ja.” Christian war zurückhaltender geworden. “Zumindest hat die Zeitung nicht gelogen, was schon schwer erstaunlich ist. Und ich gebe zu, das Ding hier mit dem Hausbaum kann ich überhaupt nicht erklären.”

“Wären Sie endlich bereit, mir wenigstens so weit zu glauben, dass ich kein Vollidiot und kein Spinner bin, vielmehr derjenige, als der ich mich vorgestellt habe –auch wenn Sie noch nicht in der Lage sind, sich die Zeitmaschine vorstellen zu können?”

Auch der Professor hatte zu einer etwas vorsichtigeren Sprache gefunden, denn ihm lag viel daran, es sich mit dem jungen Architekten nicht zu verscherzen; immerhin hatte er bei ihm übernachten dürfen, und ganz unsympathisch fand er seinen ersten Bekannten in der fremden Zeit auch nicht.

“Ich will es Ihnen glauben. Ich denke jetzt mal für ein paar Stunden nicht darüber nach, was stimmt und was nicht. Jedenfalls ist die Kastanie wohl kaum in das Haus hinein gewachsen. Ich muss sagen, mir als Architekt imponiert diese Konstruktion schon...”

“Nein, ich meine, halten Sie mich immer noch für einen Verrückten?”

“Das habe ich nie getan.”

Der andere lächelte laut. “Ach, Herr Fink, Sie beleidigen mich nicht, wenn Sie zugeben, mich anfangs für einen Geistesgestörten gehalten zu haben, das ist ja durchaus normal, zumindest verständlich bei der Geschichte, die ich Ihnen erzählt habe. Sie brauchen mir altem Hasen ja auch nichts vorzumachen; ich bin das nämlich gewöhnt, dass Leute mich für verrückt halten. Aber ich bin doch recht froh darüber, dass Sie wenigstens versuchen wollen, mich ernst zu nehmen; mehr möchte ich auch gar nicht, und im übrigen ist das schon mehr, als selbst die meisten meiner Kollegen für mich getan haben. So, jetzt möchte ich aber ein wenig von Ihrem Berlin sehen.”

Name: Professor Julius Wittmann

Wohnort: Berlin-Wilmersdorf

geb.: 30. August 1866 in Prenzlau

Größe: 1,68 m

Gewicht: ca. 85 kg

Augenfarbe: blau

Haarfarbe: grau, ehemals hellbraun

Beruf: Physiker

Lieblingsgetränk: Cognac, Wasser

Lieblingsautoren: H. G. Wells, J. Verne

Lieblingsmusiker: L. v. Beethoven

Lieblingskünstler: Michelangelo, Ingres

Lebensstationen: Schule, Studium in Berlin, dann Anstellung und Doktorarbeit (1894) an Humboldt-Universität, Professor seit 1900 erst in Berlin, dann Breslau, dann wieder Berlin

Lebenseinstellung: arbeitsam, forschungsversessen, liberal, idealistisch

Je weiter sie ins Zentrum vorstießen, desto fragender wurde die Miene des Professors.

“Ich erkenne die Stadt nicht mehr wieder. Was ist hier bitteschön passiert? Ich habe durchaus erwartet, dass sich Berlin im Laufe der Jahre verändert; allerdings hatte ich darunter bislang eine Veränderung zum Positiven verstanden. Hier sieht’s ja aus, meine Herren! Welcher Idiot war hier am Werk?”

Christian dämmerte es erst im zweiten Augenblick, dass Wittmann, wenn seine kuriose Geschichte wirklich stimmte, ja nicht wissen konnte, was in den vergangenen 64 Jahren geschehen war.

“Das ist eine lange Geschichte,” versetzte er, “sie beginnt genaugenommen in Ihrer Zeit. Ich bin kein Historiker, ich kann nur sagen: die Nazis haben verloren.”

“Die Wahlen? Na, Gott sei Dank.”

“Nein, den Krieg.”

“Wie bitte? Um Himmels willen, welchen Krieg? Und gegen wen?”

“Ach, eigentlich gegen den Rest der Welt.”

“Sind die Nazis also dann... tatsächlich an die Macht gelangt!?”

An dieser Stelle ersparen wir unseren Lesern zunächst den Dialog zwischen den beiden, Christian erläuterte, so gut er konnte, die Historie der vergangenen vierundsechzig Jahre. Als er endete, war der Kaffee bereits kalt, und der Professor betrachtete die Tasse mit einem melancholischen Blick.

“Das ist ziemlich beunruhigend,” sagte er. “Ich meine: sobald ich irgendwann in meine Zeit wieder zurückkehre, mit dem Wissen, welches Sie mir soeben vermittelt haben, mit dem Wissen, dass alles geradewegs in die Katastrophe führt, und zwar in eine kolossale Tragödie solchen Ausmaßes –da kann ich doch keine Nacht mehr ruhig schlafen. Ich bin kein ängstlicher Mensch, das können Sie mir glauben, aber was Sie mir da erzählt haben, sprengt doch meine Vorstellungskraft um einiges und lässt mich vor allem auch um meinen besten Freund zittern. Er ist Jude, daher. Ich habe immer gefunden, dass der nationalistische und antisemitische Pöbel endlich Ruhe geben sollte. Dass diese Schreihälse derart Recht bekommen, dass sie ihren hasserfüllten Stumpfsinn auch noch ausleben dürfen, in einem solchen Maße!! –nein, das hätte ich nicht gedacht; ich hätte eher vermutet, dass doch am Ende die Vernunft siegt. –Sie waren übrigens mit Ihrer Erzählung noch nicht ganz fertig. Der Krieg verloren, Deutschland geteilt, aber hier wirkt doch alles ganz wohlhabend und gesittet?”

Christian als gebürtiger Ossi versuchte sich an einer differenzierten Antwort.

“Schon, das ist ja auch Westen. Aber Sie müssen sich mal Frankfurt oder München anschauen. Auch wenn die meckern, geht’s denen so gut wie nie, weil die sich den ganzen Kommunismus-Quatsch gespart haben. Zwanzig Jahre nach dem Krieg war man wieder Europas Wirtschaftsmacht Nummer Eins. Da konnten wir in der DDR nur groß gucken. – Ein frustrierender Staat. – Es war ohnehin der größte Witz, ausgerechnet diese Republik demokratisch zu nennen... Natürlich war der Name Larifari; denn außerhalb der SED konnte in diesem verrückten System überhaupt niemand irgendetwas werden.”

“Und was ist nun wieder SED?”

“Sozialistische Einheitspartei Deutschlands hieß das und meinte so was wie proletarische Einheitsfront und so weiter.”

“Also SPD und KPD in einem?”

“Na ja, von SPD war nicht viel zu merken, sag ich Ihnen. Jedenfalls gab es Politbüros und Planungsbüros und überhaupt sehr viele Büros. Die größte Scheiße war aber die Staatssicherheit; wir haben sie <Stasi> getauft. Das war so ne Art Gestapo für Arme. Wenn man auch nur irgendwie in der Gefahr eines Verdachts war, Systemgegner zu sein, wurde man bespitzelt, abgehört und irgendwann mal verhört, gegebenenfalls auch eingesperrt, und manch einer verschwand auf Nimmerwiedersehen. Außerdem konnten wir auch nicht raus, schließlich gab's ja die Mauer: und da wurde scharf geschossen... Man kann sich gar nicht vorstellen, wie viele aus‘m Osten rüber wollten, also in die BRD, den Westen. Die alten grauen Herren wussten schon, dass sie knapp das ganze Volk gegen sich hatten. Irgendwann war halt dann der ganze faule Zauber vorbei. Und jetzt ist Deutschland wiedervereinigt, beziehungsweise wir wurden vom Westen so in etwa geschluckt. Russland ist auch nicht mehr kommunistisch, sondern steckt in einer Dauerkrise. Im Prinzip ist wieder alles so wie in Ihrer Zeit.”

“Zu meiner Zeit ist Russland kommunistisch.”

Der Professor sah ihn durchdringend an.

“Hören Sie, lieber Fink, ich würde vorschlagen, wir machen erst einmal Schluss mit der Politik und wenden uns erfreulicheren Dingen zu. Lassen Sie uns ein wenig spazieren gehen; zum Plaudern haben wir sicherlich noch genug Zeit. Ich möchte ein wenig von der Stadt sehen.”

Die beiden zahlten und schlenderten den Ku’damm entlang Richtung Breitscheidplatz.

“O je,” grummelte der Zeitgereiste, “was ist denn das?”

Er zeigte auf den “hohlen Zahn”, jenen markanten Überrest der Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche.

“Berlin war halt auch ein bisschen kaputt,” meinte Christian lakonisch, “aber finden Sie nicht, dass es etwas bunter geworden ist?”

Der andere schaute sich um.

“Nun ja,” erwiderte er achselzuckend, “es sind mehr Neger hier, wenn Sie das meinen.”

“Es heißt Farbige, nicht Neger,” verbesserte Christian.

“Oh, ich wollte nicht abwertend sein.”

“Es sind mehr bunte Leute hier: schauen Sie, manche färben sich die Haare, es sind Menschen aus aller Herren Länder unterwegs, man zieht sich das an, worauf man gerade Bock hat...”

“Bock?”

“Oh, entschuldigen Sie; das ist auch so ein neudeutsches Wort, das nicht mehr totzukriegen ist.

Es bedeutet so viel wie Lust, im ganz neutralen Sinne.”

“Aha. Und woher kennen Sie das Berlin meiner Zeit? Ich frage, weil Sie einfach so geurteilt haben, dass Ihr Berlin bunter ist als meines?”

Christian musste kurz überlegen.

“Stimmt, Sie haben recht; von Filmen und Fotografien, und die sind schwarzweiß.”

Der Professor lachte.

“Ich hätte nie vermutet, dass Sie sich in Ihrem Alter noch Reste solcher Naivität bewahrt haben.

–Übrigens, sagen Sie mal: wie alt sind Sie eigentlich?”

“Ich bin vierunddreißig. Ich könnte Ihr Sohn sein. Oder”, fügte er grinsend hinzu, “Ihr Urenkel. Schließlich sind Sie offiziell hundertachtundzwanzig!”

Der Alte wurde unwirsch. “Also, Sie haben ja einen seltsamen Humor. Ich kann nur hoffen, dass Sie mir irgendwann glauben. –Ach wissen Sie, es ist zum Heulen, wenn niemand das für voll nimmt, was man gerade tut. Und ich rede ja nicht von blindem Vertrauen und naseweisem Glauben, wie man etwa als Kleinkind seinem Vater und später dann seiner Bibel vertraut; sondern ich spreche ja stets von Anerkennung der logischen Deduktion. Selbst mein bester Freund musste an sich halten, um mich nicht auszulachen, als ich ihm von meinem Projekt erzählte; später, als er die Maschine selber gesehen hatte, blieb er reserviert, oder er hielt das Gerät für meine verrückte Altersmarotte. Und das, obwohl er wie ich Physiker ist! Aber fein, Sie sind wenigstens bereit, mir zuzuhören. Sie werden Ihren Lohn noch bekommen, der allerdings vor allem in blankem Erstaunen bestehen wird.”

Professor Wittmann blickte seinen Begleiter gravitätisch an.

“Im übrigen bin ich gespannt, welche technischen und wissenschaftlichen Neuerungen Sie mir noch präsentieren werden.”

“Och, eine ganze Menge, denke ich. Es ist ja nicht so, dass die Zeit vierundsechzig Jahre stehen geblieben wäre.”

“Die Zeit ist wohl das einzige, was nie stehen bleibt,” sprach der Professor belehrend.

“Schon möglich. Wie gesagt, es gibt ziemlich viel, was Sie noch nicht kennen dürften, und zwar in allen Bereichen des Lebens. Ich glaube, noch nie wurden in der Geschichte der Menschheit so viele Erfindungen in so kurzer Zeit gemacht. Zeitmaschinen habe ich allerdings nicht zu bieten.”

Wittmann hielt plötzlich in seiner Bewegung inne und packte seinen Begleiter rüde am Arm.

Sie sagen das so leicht. Haben Sie sich überlegt, was das bedeutet?”

“Was?”

“Sie sagten: Zeitmaschinen hat Ihre Epoche nicht zu bieten! –Wenn Ihre Welt meine Erfindung aber nicht kennt, dann... dann kann dies nur zwei Ursachen haben.”

Christian runzelte die Stirn und begann allmählich zu begreifen, wovon der Professor sprach.

Wittmann nahm seine Hand von Christians Arm. Die stattliche Erscheinung schien förmlich in sich zusammenzusinken.

“Die erste Möglichkeit ist, dass, nachdem ich zurückgekehrt sein werde, die Maschine zerstört wird, auseinander fällt oder schlichtweg nicht mehr funktioniert –und dass damit mein Wissen und meine Technik mit mir in die Ewigkeit entschwindet. Die andere Möglichkeit aber bestünde darin,” und hier strich er sich den schütteren Spitzbart, “ich bleibe mit meiner Maschine in Ihrer Zeit hängen. Das würde natürlich einwandfrei erklären, warum Sie meine Technologie nicht kennen können, und sie überdies retten. Ich muss allerdings hinzufügen, dass ich davon nicht unbedingt begeistert bin.”

Christian überlegte. “Gibt es nicht noch eine dritte Möglichkeit?”

“Welche denn?”

“Gesetzt den Fall, Sie kehren in Ihre Zeit zurück, und Sie überleben mitsamt Ihrer Maschine. Es bleibt aber kein Geheimnis, was Sie da gebaut haben, zumindest nicht für eingeweihte Kreise. Sie werden, in Ihrer Zukunft und unserer Vergangenheit, von einer Regierung für ein Geheimprojekt verpflichtet...”

“Ich lasse mich nicht von irgendwelchen Regierungen vereinnahmen. Ich arbeite für die gesamte Menschheit.”

“Nach allem, was ich Ihnen bisher über die Geschichte und über die Nazis erzählt habe, entschließen Sie sich nach Ihrer Rückkehr vielleicht anders?!”

“Und arbeite den Amerikanern oder den Russen zu? Das wäre doch Verrat.”

“Vielleicht würden Sie darin die einzige Chance sehen, ein übermächtiges Nazireich zu verhindern...”

Der Professor wurde etwas milder.

“Schön und gut; übrigens halte ich das alles für an den Haaren herbeigezogen. Ich stimme Ihnen soweit zu, dass rein theoretisch diese dritte Möglichkeit bestünde, muss allerdings doch einwenden, dass es ein Kunststück wäre, die Zeitmaschine vierundsechzig Jahre vor der gesamten Weltöffentlichkeit geheim zu halten, was ja erforderlich wäre, damit sich unser hübscher kleiner Kreis schließt.”

“Also den Amis ist es schon gelungen, ganz andere Sachen Jahrzehnte lang geheim zu halten.”

Ganz andere? Andere als die Zeitmaschine? Da müsste die Geheimhaltungskette über sechzig Jahre fehlerfrei funktionieren! Glauben Sie, es gebe auch nur einen einzigen Journalisten auf der Welt, der sich dieses skandalon entgehen lassen würde –die reale Existenz einer Zeitmaschine?”

Wittmann zog neugierig die Brauen hoch, und Christian wurde stiller.

“Außerdem,” fuhr er fort, “sind wir ja nun Gott sei Dank in der Lage, alle unsere Schritte gut zu überdenken, und ich will nicht verhehlen, dass ich ganz froh bin, in Ihnen einen zumindest halbwegs ebenbürtigen Mitstreiter gefunden zu haben. Der Zufall hätte mir auch ein unwürdigeres und dümmeres Individuum zuspielen können.”

Christian fühlte sich geschmeichelt, ohne genau zu wissen, warum. Vielleicht war es der natürliche Respekt vor dem deutlich Älteren, vielleicht auch eine gewisse durchaus beiderseitige Zuneigung, welcher der alte Herr gerade Ausdruck gegeben hatte.

“Überdies,” ergänzte Wittmann, “hat Ihr Gedanke sozusagen eine gesunde Nebenwirkung.

Wir sollten uns unsere Mitwisser sehr, sehr vorsichtig aussuchen. Am besten, wir behalten unser kleines Geheimnis erst einmal für uns. Sollten später unliebsame Kreise von diesem Gerät erfahren, sind wir selbstredend gehalten, die gesamte Öffentlichkeit einzuweihen, denn nur was keiner weiß oder alle wissen, ist ungefährlich. –Im übrigen soll ohnehin die gesamte Menschheit irgendwann erfahren, was ich ihr da zur Verfügung gestellt habe.”

Sie setzten sich wieder in Gang, einen sehr gemächlichen, welcher Christian, der an schnelleres Laufen gewöhnt war, etwas irritierte.

“Übrigens –würde ich Ihre Maschine allmählich gerne mal sehen. Wo ist sie eigentlich?”

“Sie steht im Haus meines Freundes und Kollegen Markowsky, von dem ich Ihnen schon berichtet habe. Er ist zu einem Kongress an die Ostsee gefahren. Zu meiner Zeit natürlich.”

“Du liebe Güte, aber das Haus wird doch jetzt auch irgend jemandem gehören?”

“Ha, da hatte ich wirklich Glück.”

Wittmanns Laune stieg spürbar wieder, als er erzählen konnte, wie er dem Schicksal, entdeckt zu werden, entglitten war: “Wie es der Zufall so will, sind die jetzigen Bewohner des Hauses, welches sich übrigens in angemessener Nachbarschaft zu Ihrem Domizil befindet, ebenfalls verreist. Ich entnahm es einem Kalender, welcher an der Dielenwand angebracht ist. Bis zum 11. September rot angestrichen mit einem dicken Kommentar <Florida>. Wir haben also neun Tage Zeit füreinander, wenn ich es einmal so formulieren darf. Es hingen außerdem Schlüssel herum, ich habe probiert, welcher wofür passt, und selbstredend den Hausschlüssel mit mir genommen.”

“Wieso haben Sie nicht dort übernachtet, wenn der Zugang frei und die Bewohner im Urlaub sind?”

“Oh, Sie sind mir noch böse, wie? Nun, ich wollte in meine Wohnung –jetzt Ihre– ich bin da ein wenig sentimental, das muss ich zugeben. Natürlich wollte ich sehen, ob das Haus noch steht; hätte man es abgerissen, hätte ich natürlich mit der Wohnstatt meines Freundes vorlieb nehmen müssen.”

“Na gut. Ich will ja nicht so sein. Ich will aber heute noch Ihre tolle Maschine sehen, okay?”

“Okay? Was heißt das?”

“Das hab ich mir auch erst in den letzten paar Jahren...”

“O mein Gott!” unterbrach ihn laut der Professor. “Was ist denn hier passiert?”

–Man erinnere sich: Der Potsdamer Platz war anno 94 eine Großbaustelle; Kräne, Bauschutt, breite Löcher im Boden und Dixiklos stellten eine vom Menschen geschaffene, wirklich überaus hässliche neue Landschaft dar, die in ihrer abnormen Unwürdigkeit das heutige Resultat doch um einiges übertraf. Der Ehrgeiz, dem ehemaligen Lebenszentrum Berlins wieder modernen Chic und eine gewisse hauptstädtisch - repräsentative Eleganz zu verleihen, hatte beängstigende Ausmaße angenommen, welche viele Menschen mit “Restauration” assoziierten. Der Potsdamer Platz war ja ein, wenn nicht das architektonische Opfer der Teilung geworden, lag er doch an der Grenze der Bezirke Mitte und Tiergarten, mitten im Niemandsland zwischen Hauptstadt der DDR und Stadtinsel West-Berlin; von beiden Hälften mehr oder minder als “ehemaliger Platz” und Teil der Vergangenheit betrachtet, verkam er zu der Wüste, als die er nach dem Mauerfall deutlicher denn je erschien. Die Erwähnung des Wortes allein genügte jedoch, um bei den plötzlich historisch sehr interessierten Politikern alle möglichen Erinnerungen wieder wachzurufen –ein wiedervereinigtes Berlin, noch dazu als Bundeshauptstadt, musste natürlich schon aus repräsentativen Zwecken an die glorreichen Zeiten vor 45 –Pardon, vor 33, Entschuldigung, vor 18, nein, 14, Herrgott, 1871!– anknüpfen, und aus der Leiche Potsdamer Platz sollte doch wieder etwas werden!

Denn so, wie man im Verlangen nach bedeutungsschwangeren Bauwerken das Brandenburger Tor besonders gerne als Symbol der Teilung benutzte, war der Potsdamer Platz auf einmal mit Weltläufigkeit, Modernität und Urbanität in Verbindung gebracht worden, was rückblickend einen zuckersüßen Beigeschmack bekommt, schaut man sich das peinliche Ergebnis der Mühen einmal an, welches wir alle bedauern.

Den alten Wissenschaftler, von der Geschichte der letzten 64 Jahre ohnehin ziemlich mitgenommen, konnte erst einmal nichts mehr schrecken; er war nur völlig überrascht, da er natürlich nicht mit einer Mondlandschaft, sondern mit einem quirligen Piccadilly Circus gerechnet hatte. Er nahm die monströse Schuttwüste nach einigen Sekunden verdutzten Nicht-Wieder-Erkennens schließlich recht gelassen zur Kenntnis und schüttelte seinen breiten Schädel.

“Diese Stadt hat immer noch die Neigung, sich zu schnell und zu hastig verändern zu wollen. Das ist mir besonders aufgefallen, als ich den Vergleich zu London ziehen konnte, welches ja einem ähnlichen Prozess unterworfen war; London wuchs in einem noch rascheren Tempo, behielt seine Eigenarten aber stets bei und verwarf nicht seine gute alte Identität; Berlin hingegen musste immer in jeder Generation anders erscheinen, zu meiner Geburt provinziell und protestantisch; dreißig Jahre darauf eine echte Großstadt mit Elendsquartieren, Hinterhöfen und Tschingderassabumm, Sie verstehen, was ich meine. Und in meiner Zeit schließlich wild, grob und schnelllebig, viel Paris in den Straßen, New York in den Herzen und Moskau in den Köpfen.”

“Tja, vor ein paar Jahren gab’s hier ja noch die Mauer, und der Osten war eine Mischung aus altem Berliner Charme und Vorhof von Peking. Inzwischen wächst das ja ganz, ganz langsam wieder zusammen, aber geistig gesehen sind es immer noch zwei halbe Städte, und im Herzen zwei ganze.”

“Das war ein nettes Bonmot,“ grunzte der Professor. „Schade, dass meine Zeit mit diesem Spruch so wenig wird anfangen können. –Nun zu einem schwierigeren Punkt, den wir wie alles ebenfalls am besten im Gehen erörtern sollten. Wir müssen in kurzer Zeit, also nach unwissenschaftlicher Methode, die Frage beantworten, ob eine neue Errungenschaft, eine Technologie, die ganz offensichtlich ihrer Zeit so weit voraus ist, überhaupt zum Heile der Menschheit eingesetzt werden kann.”

“Ja, ich weiß, was Sie meinen. Es ist ein bisschen so, als hätten die Sumerer die Atombombe besessen.”

“Hä?” fuhr es Wittmann heraus, der normalerweise gepflegtere Rückfragen bevorzugte.

“Ach ja, das habe ich ja ganz vergessen. Der Zweite Weltkrieg wurde mit dem Abwurf zweier Atombomben beendet.”

“Hier in Berlin?”

“Nein, Deutschland hatte Glück, dass seine Kriegsführung zu schlecht war und schon vorher kapituliert hatte. Die USA haben die beiden Bomben über Japan abgeworfen; einige hunderttausend Tote und unheilbar Verstrahlte nur durch zwei Bomben; ein bodenloses Kriegsverbrechen.”

“Ach du mein Gott, ja, das hört sich so an. Aber da möchte ich doch hinzufügen, dass schon der Krieg selber im Grund ein Kriegsverbrechen ist! –Wohlan, man stelle sich vor, die Römer etwa hätten das Pulver besessen! Sie hätten den gesamten Erdball überrannt, womit die römische Kultur, die wir heute gerne in höchsten Tönen preisen, hundert Jahre später eine zerfallende Ruine gewesen wäre; ein allzu mächtiges, korruptes, gewaltsüchtiges und dekadentes Weltreich, in welchem man sich am besten jeden Tag besaufen wollte. Alle großen Erfindungen waren Teil eines evolutionären Prozesses; vielleicht ist meine zu früh, zu weit meiner Zeit voraus, und ich bin nur ein alternder, ehrgeiziger Wissenschaftler, der allein und weltvergessen an einem Ding bastelt, an das außer ihm niemand glaubt. Das macht diese neuartige Maschine zwar großartiger und überraschender, aber vielleicht auch eine Idee gefährlicher. Wir haben nicht sehr viel Zeit; es muss uns eine Idee kommen, wie wir weiter vorangehen. Ich will die Maschine retten; sie ist mein Kind. –Aber nicht um jeden Preis.”

“Noch ist ja nicht aller Tage Abend. Vielleicht kehren Sie in zehn Tagen vollkommen unbehelligt in Ihre Zeit zurück und... wer weiß, was Sie dann empfinden?”

“Dann müsste ich mein Werk zerstören,” meinte der Professor, der immer nachdenklicher wurde, im Unterschied zu Christian, der sich recht behaglich fühlte und erwiderte: “Ich meine, dass unter künstlich erhöhtem Druck keine guten Entscheidungen getroffen werden. Manchmal lehnt man sich besser mit einem guten Glas Rotwein zurück...”

“Ich lehne mich nie zurück,” erwiderte Wittmann barsch.

“Du liebe Güte, Sie werden doch ab und an auch mal schlafen, oder?”

“Ja, sicher. Trotzdem möchte ich klarstellen, dass die Zeit uns davonrasen könnte. Wir wissen es nicht. Wer sich nur auf Glück oder Pech verlässt, weist seine höchsten Gaben von sich. Wir Menschen machen unser Schicksal, alles andere sind Zufälle, die in reinster Beliebigkeit aufeinander folgen können. Daher mag ich das Wort zurücklehnen nicht, es klingt stark nach Passivität und nach Kapitulation.”

“Darüber können Sie sich mal mit einem Chaosforscher unterhalten.”

“Was gibt es denn am Chaos zu forschen, du liebe Zeit?”

“Das ist in der Physik der letzte Schrei, das macht inzwischen jeder und ist mittlerweile geradezu zum Totschlagargument in jeder wissenschaftlich angehauchten Debatte mutiert. Na ja, ich verstehe nicht viel davon, geb‘ ich zu. Jedenfalls ist die Zeit seit Ihrem Jahr nicht stehen geblieben.”

“Ach ja, ich vergaß,” höhnte der Professor, “deswegen bin ich ja auch im Jahre des Heils 94 der einzige, der eine Zeitmaschine besitzt, ja?”

Die beiden Männer fixierten sich eine kurze Sekunde mit einem Schatten von Feindseligkeit, dann jedoch brach der Ältere den Streit ab: “Wir wollen uns nicht zanken,” sagte er beschwichtigend, “das ist nicht der Zweck meines Besuches, und ich habe wohl auch gar keinen Grund zur Besserwisserei. Bevor wir uns der Lösung unserer kleinen oder großer Probleme zuwenden, kriegen Sie jetzt erst einmal was zu staunen.”

“Die Zeitmaschine?“

“Die Zeitmaschine. Aber vorher genehmigen wir uns vielleicht einen Imbiss.“

Nicht weit östlich von Berlin liegt Frankfurt an der Oder; die kleine Stadt liegt, wie der Name schon sagt, an der Oder und heißt Frankfurt. Man verwechsle sie nicht mit der hessischen „Metropole“!

Nein, Frankfurt/Oder ist brandenburgisch; von der nicht allzu fernen Hauptstadt ist rein gar nichts zu spüren. Es ist eine beschauliche Kleinstadt; große Anhäufungen von Industrie gibt es hier nicht, und der rauschende, nie abreißende Verkehr Berlins ist hier unbekannt.

In dieser Stadt lebt ein Mann. Er ist Ende Dreißig und Schreinermeister.

Die allgemeine Krise hat ihn an den Rand der Arbeitslosigkeit gebracht. Noch gibt es Nachfrage für seine Dienste, doch er verdient eigentlich nicht mehr genug, um sich seinen bescheidenen Lebensstil finanzieren zu können. Und das, wo doch Handwerk goldenen Boden hat. Einen von zwei Gesellen hat er bereits entlassen müssen, und er denkt nun daran, auch den zweiten hinauszuwerfen. Was ihn allerdings große Überwindung kosten wird; er hat keinen Spaß daran, anderen die Existenzgrundlage zu entziehen, und ist in aller Regel ein sozialer und solidarischer Mann. Er ist verwitwet; seine Frau starb vor anderthalb Jahren an einer Krankheit mit einem schwer auszusprechenden lateinischen Namen, und seitdem ist er insgesamt etwas stiller geworden und vertieft sich stärker in seine Arbeit, wenn er denn welche hat. Insgesamt ein recht unauffälliger, nicht dummer, manchmal sogar liebenswürdiger und tüchtiger Zeitgenosse. –Einen kleinen Wermutstropfen muss ich dem geneigten Leser allerdings doch einschenken: der Mann hat einen kleinen Schönheitsfehler; er ist überzeugter Nazi. Judentum, Demokratie und Ausland sind ihm gleichermaßen verhasst. Für ihn steht fest: sie sind schuld. Diese Ansichten vertritt er schon sein halbes Leben, doch es war ihm nie vergönnt gewesen, sie zu artikulieren; nun, wo eine neue Kraft, eine frische Bewegung wieder durch Deutschland zieht, hat er sich dieser Sache verschrieben.

Natürlich ist er stolz, Deutscher zu sein, und seine Art überschwänglichen und überzogenen Stolzes entsprechen seiner nicht allzu hohen Meinung von sich selbst; denn alleine langweilt er sich meistens, schläft daher viel und ist dem Trunk nicht abgeneigt. Andern Leuten, besonders besser gestellten oder attraktiveren, ist er zurückhaltend und unsicher, bis an den Rand totaler Verklemmtheit. Seine Art, zu hassen und zu verehren –und nämlich besonders Dinge, die er nur von ferne kennt– sind so unüblich nicht, und so begab es sich aber zu der Zeit, dass er einige Kumpanen, “Kameraden”, um sich scharte, welche ihn bewundern, ihm geistig völlig unterlegen und daher bis in Mark und Bein treu ergeben sind.

Die Rede ist von Hermann Paschke.

Und übrigens schreiben wir den 2. September 1930.

Die Zeitmaschine

Dr. Markowskys Haus, ein putziges zweistöckiges Einfamilienhaus in respektabler Wohngegend, war von Platanen und Birken umgeben und sah reich aus. Wie Wittmanns Freund und Kollege, dürften sich die aktuellen Bewohner der Villa vor allem durch die exzellente Lage, ruhig und im Grünen, dennoch quasi mitten in der Stadt, begeistert haben.

Christian hatte mittlerweile in Erfahrung gebracht, dass Markowsky, dessen Söhne bereits eigene Wurzeln zu schlagen begannen, und der mit sechzig Jahren sehr wahrscheinlich nicht etwaigen weiteren Vaterfreuden entgegen fieberte, nicht für alle Räumlichkeiten Verwendung hatte, seinem Kollegen einen Kellerraum für den Bau seiner Zeitmaschine zur Verfügung gestellt hatte.

Zwar hatte auch Markowsky diese Idee belächelt, jedoch war er sein bester Freund und wollte ihm diesen spleenigen Wunsch nicht verwehren.

Nun standen der beste Freund und dessen frisch gebackener Bekannter vor dem Grundstück und schauten sich um wie Verbrecher. Das Haus lag still und heimelig verlassen; die Birken schüttelten sich in einer auffrischenden Brise und ließen bei der Verteidigung gegen den Wind einzelne schon gelbe Blätter.

Das ansehnliche Grundstück wurde von einem hohen, nur schwer überwindbaren Zaun umgeben, der sich auf einem durchgehenden niedrigen Mauersims ausruhte; unterbrochen wurde die Begrenzung durch ein nicht unbedingt einladendes Tor: ein schmuckloses, etwas martialisches Steinportal wölbte sich über eine fürstliche doppelschwingige Metallgittertür, deren Rost allerdings an eine ausgestorbene Familie zu gemahnen schien.

Die beiden schauten sich noch einmal um und betraten das Grundstück; die Gittertür war angelehnt.

“Keine großartige Vorsichtsmaßnahme,” bemerkte Christian.

“I wo,” erwiderte der Professor, “es war auch offen, als ich hier ankam; einen passenden Schlüssel habe ich auch nicht gefunden. So lange die Haustür gut verriegelt ist –und sehen Sie! die Fenster sind vergittert– brauchen sich die neuen Eigentümer doch auch keine Sorgen zu machen.”

“Ich glaube kaum, dass eine verschlossene Tür für einen willigen Einbrecher irgendein Hindernis darstellt. Ich hoffe übrigens, Sie wissen, dass wir uns außerhalb der Legalität bewegen.”

“Na, na, wer wird denn. Ich wohne ja fast hier!”

Wittmann öffnete die Tür, und sie betraten eine halbdunkle bürgerliche, etwas staubig riechende Diele. Christian begann sich umzusehen, wurde aber von Wittmann unterbrochen, der so leise er konnte die Haustür wieder schloss.

“Kommen Sie! Sie wollen doch mein Maschinchen bewundern und nicht in fremder Leute Sachen herumschnüffeln!”

Er ging voran, einen finsteren Flur entlang, bis nach rechts eine Treppe abging, die in den Keller führte.

Christian folgte, etwas langsamer, in den Keller und versuchte, sich im Halblicht zu orientieren..

“Keine Rollläden da oben,“ meinte er, die Treppe hinab steigend, „seltsam, und doch so duster.”

“Diese Fenster gehen nach Nordosten; da ist am späteren Nachmittag nichts zu machen. Kommen Sie!”

Wittmann wartete kurz, bis er des anderen Schritte wieder dicht hinter sich vernahm, und tastete sich weiter durch die Dunkelheit, bis er einen Lichtschalter erfolgreich betätigte.

Der vor ihnen liegende Raum erstrahlte in nun ungewohnt hellem Licht. Und nicht nur der Raum.

Was Christian in dem abgenutzten Zimmerchen erblickte, ließ ihn für einen kurzen Moment vergessen, dass er existierte, und alle letzten leisen Zweifel an der Glaubwürdigkeit des Professors waren fort gewischt: das musste ohne Frage eine Zeitmaschine sein.

Es war ein Gerät ganz aus Metall, nur ein breiter Ledersitz in der Mitte hob sich davon ab und lud zum Besteigen und Reisen ein. Einige verschieden geformte Schaltknüppel konnten von diesem Sitz aus bedient werden. Einer von ihnen erinnerte an die Gangschaltung eines LKW, ein anderer eher an den Steuerknüppel eines Cockpits, ein dritter, der größte, kam Christian völlig unbekannt vor, und selbstredend hatte er keine Ahnung, welche Bewandtnis es damit hatte. Alle waren miteinander verkabelt; und eine Menge Kabel liefen außerdem am Sitz vorbei in einen schwarzen kubikmetergroßen Würfel, der sich an den Rücken des Sitzes presste und keines seiner womöglich zahlreichen Geheimnisse preisgab.

Das Ganze wurde von einem kräftigen Metallgestänge umschlossen, welches sowohl an den Seiten als auch über und unter der Maschine befestigt war, ihr einen soliden Halt zu geben versprach und wie eine Mischung aus Schlitten und Mini-Hubschrauber aussah.

“Na?” fragte der Professor mit geschwollener Brust.

Der Angesprochene umstreifte sprachlos die Maschine, traute sich aber nicht, sie auch nur anzufassen. Vielleicht glaubte er zu träumen und wollte diesen schönen Traum nicht durch Berührung des Objektes zerstören. Mit respektvoll anerkennendem Lächeln schüttelte er schließlich den Kopf.

“Meine Herren!” meinte er und konnte sich kaum satt sehen, denn ästhetisch gelungene technische Konstruktionen forderten ihm als Architekten einen Heiden Respekt ab, “Junge, Junge! Ich hab zwar keinen blassen Schimmer, wie das Ding funktionieren soll, aber meiner Bewunderung sind Sie sicher, Mann!”

“Das freut mich. Sie sind übrigens der erste, der das sagt.”

“Vielleicht bin ich einfach nur der erste, der das Ding zu Gesicht bekommt?”

“Nein, nein, aber Sie haben das Resultat –mich– vor Augen und sind noch dazu eingeweiht. Das erleichtert die Sache ungemein. –Ich wünschte, Markowsky könnte uns jetzt sehen. Nie hätte er diesen Triumph des Fortschritts für möglich gehalten; immer musste er ironisch beiseite lächeln und konnte mich in diesem Punkt nie für voll nehmen.”

“Wie lange haben Sie dafür gebraucht?”

“Angefangen habe ich im Sommer 1926. Rechnet man Forschungen, Berechnungen und erste Pläne auch noch mit ein, sind elf Jahre ins Land gezogen.”

“Da waren Sie alles in allem doch recht fix!”

“Aber ich musste auch herbe Rückschläge hinnehmen. Oft genug schon hatte ich die Zeitreise versucht; stets vergeblich –bis gestern.”

Und wieder legte sich ein zufriedenes Lächeln in sein breites Gesicht.

“Soll ich sie Ihnen erklären?”

“Wenn ich verstehe, wovon Sie reden –klar.”

“Oh, ich spare mir die Wissenschaft und gehe direkt medias in res –sehen Sie das Gerät einfach als eine Art Automobil. Nur dass Sie sich damit nicht von einem Ort zum andern, sondern in der Zeit vor- und zurückbewegen. –Sehen Sie diese Metallstangen?”

“Ja klar.”

“Die sind mit starken magnetischen Leitern gefüllt. Außen herum befindet sich wertvoller Titanstahl. Sie schirmen Insassen und Maschine von der Außenwelt energetisch ab. So reist nur der oder das durch die Zeit, der sich innerhalb des Gestänges befindet.”

“Ist das so?”

“Jaja; doch der andere Effekt ist noch wichtiger. Bei jeder Zeitreise wird eine derartige Energie freigesetzt, dass ohne dies Gestänge weder für die Maschine noch für die Insassen eine Chance besteht, das Abenteuer zu überleben. Als ich das erste Mal die Maschine in Gang gesetzt hatte, existierte das Gestänge in dieser jetzigen Form noch nicht, und obwohl ich nur eine Viertelstunde übersprungen hatte, bekam die Maschine überall Risse, und ich einen höllischen Kater. Seltsam, nicht? Würde man statt nur einiger Minuten Jahre zurücklegen, so sprengte man die Maschine und löste den Insassen in seine chemischen Bestandteile auf. In meinem Fall wäre das wohl viel Wasser, ein großer Fettfleck und ein Häufchen Kohle.”

Er lächelte ironisch.

“Das ist also ziemlich wichtig. Trotzdem kann natürlich Energie austreten, und auch außerhalb des Gestänges werden gewisse Erscheinungen zutage gefördert, die nicht steuerbar sind: so auch in unserem Fall, was uns die Kuh auf dem Ku’damm bescherte –oh, welch sinnreiches Wortspiel!”

“Ja,” ergänzte Christian, “und das Haus mit dem Baum.”

Der Professor grinste in sich hinein.

“Das hat’s Ihnen angetan, nicht wahr? –Ich hoffe nur inständig, es ist niemand zu Schaden gekommen. Man kann Perfektionist sein, wie man will, es gibt immer diese Ungenauigkeiten und Unregelmäßigkeiten. Der Magnetismus ist an einer Stelle schwächer als gefordert, und Sie finden die seltsamsten Erscheinungen in Ihrem Umland vor.”

“Und was ist mit dem Totalabsturz der Computer und mit dem Zusammenbruch der Telekommunikation?” wollte der andere wissen.

“Ich kann dazu nicht so viel sagen, alldieweil ich mich mit den Errungenschaften Ihrer Zeit noch nicht genügend beschäftigt habe, um dieses Problem erörtern zu können. –Ich will mich der Frage so annähern: alle Geräte, die ihrerseits mit relativ hoher Energie betrieben werden, sprich: Elektrizität, bekommen einen Schock, wenn aus meiner Maschine unbeabsichtigt und unregelmäßig Energie austritt –so als hätte ein Blitz eingeschlagen, in etwa. Allerdings hat das, womit ich hier spiele, im Vergleich selbst noch zum heftigsten Blitz geradezu kosmische Dimensionen im wahrsten Sinne des Wortes.”

“Dann ist es beinahe verwunderlich, wie schnell das Stromnetz sicher wieder erholt hat. Ich kann mich entsinnen, nach einer Minute etwa floss er wieder...”

“Ja, warum auch nicht? Wir wissen ja nicht, wo, warum und –haha: wann wie viel Energie hinaus geflossen ist. Es ist ja gut möglich, dass das Leck –lassen Sie es mich mal so nennen– nur winzig klein ist, was die kosmischen Dimensionen, von denen ich just sprach, ganz fix relativieren würde.”

“Und was bitte hat all das mit Telefonen zu tun?”

“Hm... ich weiß es ehrlich gesagt nicht, ich könnte mir nur vorstellen, dass ein Telefon ein Gerät ist, empfindlich genug, um von dieser <Energiewelle> völlig flach gelegt zu werden. Das ist gar nicht so einfach herauszubekommen, da wir ja die Energie nicht sehen können –es handelt sich eben nicht um einen Blitz oder Verwandtes, sondern um einen Eingriff in die Raum-Zeit-Korrelation.

Es ist praktisch unmöglich, genau genug nachzuforschen, weil nicht nur unsere Sinnesorgane, sondern auch unsere Messinstrumente –die sich nur an uns und an unserer Wahrnehmung orientieren, ja geradezu verlängerte Sinnesorgane sind, sein müssen– weil auch diese Instrumente ebenso wie wir notgedrungen der Raum-Zeit-Korrelation unterliegen. Ich kann Ihnen tausendmal sagen, dass die Zeit nicht linear verläuft, sondern untrennbar mit dem Raum verwoben ist; ob Sie’s mir glauben oder nicht, Sie können das nicht wirklich nachempfinden. Wir Lebewesen und damit alles, was wir schaffen, sind der Auffassung unterworfen, dass die Zeit geradlinig von A nach B, und zwar immer vorwärts, verläuft. Alles andere können wir erörtern, denken, vielleicht sogar verstehen, aber unmöglich empfinden. Wir müssten schon reiner Geist à la Hegel sein, um es zu können.”

“Wenn wir reiner Geist wären, könnten wir es auch nicht empfinden, weil wir nichts hätten, womit wir es empfinden könnten,” gab Christian zurück.

Wittmann schaute ihn schief an.

“Interessanter Einwand. In jedem Fall aber ist das Problem klar. Man kann die Natur austricksen und erforschen und eindämmen, aber niemals überwinden. Wir sind übrigens vom Thema abgekommen. Wir sprechen von der Zeitmaschine, dem bisher besten, das zum Austricksen –nicht Überwinden– der Natur geschaffen worden ist, wenn ich einmal so unbescheiden sein darf.

–Kommen Sie,” unterbrach sich Wittmann, der inzwischen etwas angestrengt wirkte, “steigen Sie ein und betrachten Sie die Armaturen.”

Sie stiegen in die Zeitmaschine; der Ledersitz bot genug Platz für zwei, oder in diesem Fall wohl eher zweieinhalb.

„Sitzen Sie bequem? Gut. Unter diesem Sitz befindet sich ein Depot für Werkzeuge, das ich sicherheitshalber in die Zukunft mitnehmen wollte. Dann, hier, vorne links, der Schalter, den Sie hier sehen... damit steuern Sie die Richtung Ihrer Zeitfahrt.”

Er zeigte auf den Flugzeug-Steuerknüppel.

“Natürlich können Sie nur zwischen Zukunft und Vergangenheit wählen. Wollen Sie in die Zukunft, drücken Sie den Hebel von sich weg. Wenn Sie ihn zu sich hin ziehen – fahren Sie in die Vergangenheit.”

“Und wie regeln Sie die Geschwindigkeit?”

“Tja, das ist allerdings ein Problem. Meine Gangschaltung ist wohl defekt.”

“Ist das dieser Knüppel hier?”

“Ja genau.”

“Wie bei einem Auto,” konstatierte Christian.

“Wie bitte? Ach, Sie meinen Automobil. Ich habe Ihnen ja gesagt, Sie sollten sich vorstellen, Sie säßen in einem Automobil. Leider ist die Schaltung nicht in Ordnung. –Eigentlich haben Sie hier sechs Gänge zur Verfügung, das heißt: ...sollten Sie zur Verfügung haben. Nun, im ersten Gang reisen Sie ganz gemächlich. Für vierundsechzig Jahre würden Sie nach eigener Zeitauffassung allerdings so um die zwei Monate brauchen, wenn ich richtig gerechnet habe. In diesem Gang werden Sie also nur etwa einen Tag in Vergangenheit oder Zukunft reisen. Konstruiert habe ich diesen Gang im Grunde zum Anfahren, wenn Sie mir diesen Ausdruck einmal erlauben wollen. Im zweiten Gang vervierfacht sich die Geschwindigkeit, was aber immer noch ein sehr gepflegtes Tempo ist. Führen Sie im freien, würde Ihre Fahrt sehr ästhetisch verlaufen, ein buntes Wechselspiel von Tag und Nacht, Formen und Farben; Sie schauen Sonne und Mond beim Auf- und Untergehen zu und haben Ihre Freude daran, wie sich die Blüten öffnen. Einen Tag würden Sie quasi in einer Minute durchfliegen: gestatten Sie mir diese unkorrekte Ausdrucksweise. Der dritte Gang ist weniger gemächlich, und man könnte sagen, dass Sie in einer persönlichen Minute ungefähr zehn Tage zurücklegen, wenigstens hatte ich mir das so ausgemalt. Schließlich der vierte und der fünfte Gang, beides Hochgeschwindigkeitsgänge. Sie sind in etwa gleich schnell –um bei dem Vergleich mit herkömmlicher Geschwindigkeit zu bleiben, nur mit dem Unterschied, dass der fünfte Gang, wenn Sie so wollen, Energie spart.”

“Oh, das ist ja auch wie beim Auto.”

“Ist das so in Ihrer Zeit, nun, das ist interessant. Meinen fünften Gang hatte ich so konstruiert, dass Sie zwar in enormem Tempo durch die Zeiten rasen, aber sachte –und als rollten Sie ohne Druck durch einen Tunnel; Sie sollten von Ihrer Umwelt nichts mehr mitbekommen. Es tritt nämlich beim vierten Gang nach meinen Berechnungen unvermeidlich eine Art Energie aus, die Ihnen während der Fahrt lustige Halluzinationen beschert; das liegt an der unerhörten Kraft, welche diese Maschine verschlingt; der fünfte Gang reduziert diese Energie –Ihr Bewusstsein wird etwas trübe, aber es strengt Sie nichts mehr an; hinausschauen im eigentlichen Sinne können Sie nicht mehr, da gibt es nämlich nichts anzuschauen. In diesem fünften Gang wird die Maschine übrigens allmählich langsamer. Es wäre also Ihre Entscheidung, wie Sie reisen wollen: anstrengend und abenteuerlich oder hingegen angenehm, ohne äußere Reize, sozusagen im Halbschlaf.”

“Und in welchem Gang hatten Sie vor, zu reisen?”

“Oh, ich wollte allmählich in den vierten und dort bleiben, natürlich. Ich hätte das aufregend gefunden.”

“Halluzinationen?”

“Ich hatte vor, mir eine abenteuerliche Fahrt zu spendieren. Schließlich wollte ich nicht die aufregendste Reise meines Lebens verschlafen. Das Problem bestand darin, dass offenbar der sechste Gang der einzige ist, welcher so arbeitet, wie ich es mir wünschte.”

“Und was macht dieser sechste Gang?”

“Ha,” lachte der Wissenschaftler etwas bitter, “da reisen Sie nicht. Sie sind mit einem Ruck da.”

“Was?”

“Wenn der sechste Gang eingelegt ist, gibt es einen großen Knall und Sie sind da, wo Sie hinwollen.”

“Und wie stellt man das angepeilte Datum ein?”

“Sachte, mein lieber junger Freund, sachte. Das Problem ist folgendes: offensichtlich akzeptiert das Gerät nur diesen einen Gang. Obwohl ich den ersten eingelegt hatte, gab es einen Rums, ich wurde kurz bewusstlos und fand mich dann benommen auf diesem Boden hier liegend wieder. Die einzige Lichtquelle waren meine Armaturen, die mir anzeigten, dass ich schon da war.

Ich hatte das natürlich nicht bemerken können, da die Gangschaltung ja erst in Einsatz kommt, wenn Sie sozusagen Gas geben. Das wiederum tun Sie mit dem Hebel hier links.”

Er zeigte auf einen kleinen Knüppel, wie er auch bei Spielautomaten ab und an vorkommt. Das Ding war an der linken Seite des Armaturkastens befestigt.

“Sie ziehen ihn nach vorne, und die Reise geht los,” erläuterte Wittmann, “alles andere müssen Sie vorher eingeschaltet haben.”

“Was heißt alles andere?”

“Na zum Beispiel die Maschine, guter Mann. Es gibt den Generalregulator, hier unten an der Armatur.”

“Nicht anmachen!” rief Christian. “Ich will noch nicht sterben.”

“Gemach, gemach. Der Regulator setzt die Maschine in Bereitschaft, verbindet die einzelnen Energieströme miteinander. Außerdem brauchen Sie einen Schlüssel, den Sie hier daneben hineinstecken. Und den habe ich bei mir. Ohne Schlüssel ist mit der Maschine rein gar nichts anzufangen.”

“Wie beim Auto?!”

“Wahrscheinlich. Sie machen sozusagen das Licht an. Nach Schlüssel und Generalregulator betätigen Sie die drei Energieregulatoren an der rechten Seite der Armatur.”

“Was machen die im einzelnen?”

“Der obere regelt die Stromzufuhr von der Batterie. Die entsprechende Anzeige finden Sie rechts oben in der Armatur; sie gibt Ihnen Aufschluss darüber, ob alles glatt geht oder nicht. Steht der Zeiger ganz rechts, verläuft alles optimal; alles andere bedeutet Schaden.

Der mittlere regelt den Magnetismus im Gestänge. Natürlich befindet sich die Kontrollanzeige rechts der Armatur, in der Mitte. Der Zeiger muss zentral stehen und darf nicht schwanken. Schlägt er nach links oder rechts aus, würde eine Reise Ihren sicheren Tod bedeuten, weil die Energie nicht abgeschirmt werden kann.

Der untere Schalter ist das eigentliche Geheimnis der Maschine. Er betätigt wie ein Transformator die sogenannte Redigienzsteuerung und ist somit dafür verantwortlich, dass Sie sich überhaupt in der Zeit bewegen. Die Energie von meiner Energiequelle wird in das umgewandelt, was wir als Raum-Zeit-Quantifizierung bezeichnen können. Ich will Sie nicht langweilen, aber der große Würfel, den Sie hinter sich sehen, wird über diesen Schalter in Gang gesetzt. Was darin ist, verrate ich nicht, und ich glaube, Sie würden es auch nicht verstehen –ohne Ihre Intelligenz beleidigen zu wollen.

Der Schalter hat einen kleinen Nachteil. Wenn Sie fahren wollen, müssen Sie ihn betätigen, das versteht sich von selbst. Jedoch, wenn Sie ihn betätigen: müssen Sie auch fahren. Würde man es unterlassen, kann die Redigienzsteuerung komplett verrückt spielen und Sie in irgendeine beliebige Zeit versetzen; in welche, steht nicht mehr unter Ihrer Kontrolle. Das rührt von den enormen Energien her, die hier walten.

Hier, am linken Rand der Armatur, finden Sie übrigens noch die Affirmativkonsole. Über kleine Kontrollleuchten werden hier noch einmal alle technischen Werte bestätigt, die für Ihre Fahrt vonnöten sind. Die Affirmativkonsole ist direkt mit dem linken Hebel verbunden, den wir einmal den Starter nennen wollen, und ist sozusagen nach allem anderen die letzte Instanz und überdies eine Art Doppel-Bestätigung, ganz nach dem alten Lehrsatz: <doppelt hält besser>.

So, nun zu den Armaturen. Hier oben sehen Sie die Temperaturanzeigen.

Eine misst die Temperatur hier vorne, wo wir jetzt sitzen, eine an der Außenwand des Würfels. Welche Temperaturen innerhalb des Würfels herrschen, kann ich mit meinen begrenzten Möglichkeiten nicht messen, bloß schätzen. Die Temperatur hier vorne darf nicht weniger als 0°C betragen, und maximal 50°C; der erste Wert wegen des Wassers in den kleinen Leitungen, die Sie hier links erblicken können, und der letztere Wert, weil Sie sonst als Mensch in Teufels Küche geraten –wenigstens im vierten, dem gefährlichen Gang. An der Außenwand des Würfels halte ich 100°C für das absolute Maximum.

Wie Sie sehen, gibt es auch noch eine ganze Menge Kontrolllampen hier, deren Sinn und Zweck für Sie als Nichtphysiker schwierig zu verstehen sein dürften. –Aber Sie haben ja danach gefragt, wie man die sog. <Ankunftszeit> einstellt. Schauen Sie einmal in die Mitte der Armatur.”

“Na ja, es ist etwas dunkel, aber... ja, da ist etwas. Warten Sie, ich habe ein Streichholz.”

“Nein, nein; Ihre Augen werden sich daran gewöhnen. Schauen Sie genauer hin. Da sind zwei mal vier Anzeigen. Das sind unbestechliche Uhren, wenn Sie so wollen. Man kann sie manuell stellen, und sie sind, was ich nicht zu hoffen gewagt hätte, gegen die ungeheuren Energien, die hier walten, gut genug abgeschirmt. Nun. Die unteren vier rechnen von Ihrem Abfahrtsdatum her. Wie Sie jetzt vielleicht sehen, steht die Uhr auf

I 1930 I 09 I 02 I 1055 I

Wenn Sie sich jetzt fragen, wofür die letzte Zahl steht: das ist die Minutenzahl. Wir haben laut dieser Uhr also das Jahr 1930, darin des neunten Monats zweiten Tag, sprich: den 2. September 1930, sozusagen und im übertragenen Sinne, und 1055 Minuten, also –lassen Sie mich rechnen– ...17:35 h. Wie ich schon sagte, Sedantag.”

Der Professor lachte.

“Ich will Sie ja nicht verbessern, Professor,” wand Christian ein, “aber es ist schon knapp zwanzig vor sieben.”

“Oh! Wie kommt das? Tatsächlich?”

“Tatsächlich.”

“Nun, um ein paar Minuten...”

“Das ist eine Stunde!”

Wittmann kam ins Grübeln. Plötzlich stöhnte Christian auf.

“Ich hab’s! Na, das konnten Sie nicht wissen, das gab´s in Ihrer Zeit noch nicht: Sommerzeit!”

Der Alte schaute ihn erstaunt an: “Nanu? Was ist das?”

“Ganz einfach. –Ihr Gerät ist in Ordnung. Es wundert mich nur, dass mir das nicht sofort eingefallen ist. Im Sommer werden alle Uhren für etwa ein halbes Jahr um eine Stunde vorgestellt. Es ist also eigentlich eine falsche Uhrzeit, das heißt wir haben jetzt zwanzig vor sechs in natura, aber die Uhr sagt halt zwanzig vor sieben.”

“Und was soll der Unsinn?”

“Ach, das ist, um die Leute zu bescheißen. Es ist abends länger hell, und die Menschen meinen, sie hätten mehr Freizeit, und gehen wohl motivierter zur Arbeit. Natürlich übersehen sie, dass sie dadurch früher raus müssen... Können Sie mir noch diese Rädchen hier erklären?” kam Christian wieder aufs Thema zurück.

“Na gut. Die vier Anzeigen über der eigentlichen Uhr sehen Sie? “

I 1994 I 09 I 01 I 1330 I

“Ja.”

“Dies ist das Datum, welches ich mit den Rädchen eingegeben habe. So steuert man das exakte Datum an, in diesem Fall den 1. September 1994, zehn nach zehn am Abend.

Na ja, zehn nach elf in Ihrer merkwürdigen Sommerzeit. –Grundgütiger, jetzt geht mir einiges auf! Auch warum die Zeitungen von den merkwürdigen Begebenheiten um 23 Uhr geschrieben haben!

–Nun ja, dieser Teil der Armatur ist natürlich mit der Affirmativkonsole verbunden, wie Sie sich sicherlich denken konnten. Wer weiß, wo sonst in der Zeit Sie ankämen, ganz besonders in jenem verflixten sechsten Gang. Sie können es jetzt wahrscheinlich nicht erkennen, bei dem schwachen Licht, doch wenn man genau hinschaut, bemerkt man oberhalb der oberen Anzeigen noch einmal vier sehr kleine, gleich geartete Zahlenfelder. Sie geben das reelle Datum an, an welchem man sich gerade befindet und sind optimalerweise bei der Ankunft mit den darunter stehenden Zahlen identisch. In meinem Fall waren sie es. Es ist ein weiteres Bestätigungsfeld, das ich zu meiner Sicherheit unbedingt einbauen wollte. Nun, Herr Fink, eine kleine Reise gefällig?”

Wittmann schmunzelte.

“Oh, nein, danke, Herr Professor.”

“Nicht einmal einen kleinen Tag?”

“Später vielleicht. Jetzt hab ich einen Bärenhunger. Der Snack vorhin war nicht gerade ein Festmahl.”

„Snack?“

„Mein Gott, Sie verstehen ja wirklich gar nichts. Das Wort meint so was wie Imbiss, herrje.“

“Dann sagen Sie‘s doch, anstatt mit überflüssigen Fremdwörtern zu hantieren. Übrigens würde ich gerne irgendwann Tabak kaufen. Wenn Sie mir welchen spendieren würden?”

“Na ja, ich bin Nichtraucher. Hm. Aber kein Volkserzieher. Sagen Sie mir, welchen Sie bevorzugen.”

“Hört, hört, welch gepflegte Sprache Er an den Tag legt!” spaßte der Mann aus dem neunzehnten Jahrhundert, “meine Gesellschaft scheint Ihnen gut zu tun.”

“Haben Sie eine Pfeife, oder drehen Sie?”

“Mist, das habe ich vergessen! Ich wusste es. Ich bin Pfeifenraucher... –Ach, gegen eine gute Zigarre ist auch nichts einzuwenden. Am besten, wir machen jetzt das Licht aus und gehen speisen.”

Begegnungen

Am Vormittag des besagten Tages hatte man eine junge Frau von der Straße aufgelesen.

Sie befand sich in einem Zustand äußerster Erregtheit, ihre Wangen bleich und eingefallen, und ihre Augen verrieten, wie übernächtigt sie war. Sie zitterte am ganzen Leib, als seien ihr die Marsmenschen in sich drehenden Raumschiffen erschienen.

Als die Polizei kam, hatte sie sich schon wieder etwas beruhigt. Die Beamten geleiteten sie mit für polizeiliche Verhältnisse außerordentlich freundlichen Worten in den bereitstehenden Wagen; sie sei nicht festgenommen, man wolle ihr nur helfen. Von der umstehenden Bevölkerung war die Polizei bereits darüber informiert worden, dass das Mädchen offensichtlich sein Gedächtnis verloren hatte, denn sie hatte allen gestellten Fragen nicht antworten können oder wollen. Irgendetwas musste sie fürchterlich mitgenommen haben, denn sie hatte in einem kleinen Geschäft, in das sie wahrscheinlich irrtümlicherweise gegangen war, einen regelrechten hysterischen Anfall bekommen.

Sie saß hinten links im Polizeiwagen, neben ihr ein junger Beamter, der sie scheu musterte.

In einem anderen Zustand musste sie ein außergewöhnlich schönes Mädchen sein, fand er.

Sie hatte einen gewissen Zwanziger-Jahre-Chic, der die jungen Berlinerinnen seiner Meinung nach einstmals ausgezeichnet hatte, und den man auch heutzutage gerne mit dieser Stadt in Verbindung bringt. Ihr Haar war kastanienbraun, ihr einstiger Bubikopf ein bisschen in die Länge geraten. Melancholische große schwarze Augen hoben sich unter äußerst grazilen, feinen Brauen von dem bleichen, ebenmäßigen Gesicht ab. Ihre schmale, gerade, aber ein wenig zu lange, vielleicht zu spitze Nase schien ihm eben jener winzige Fehler zu sein, der ein schönes Gesicht erst perfekt machte. Sie war sehr luftig bekleidet und musste frieren, dachte der Beamte, der jedoch zu schüchtern und vielleicht auch zu taktvoll war, sie danach zu fragen, nachdem bereits halb Schöneberg sie ausgefragt und angefasst hatte.

Berlin zog am Fenster vorbei und sah modern aus. Die junge Frau, inzwischen ganz ruhig, schaute mit riesigen, tränengefüllten Augen hinaus. Die Stadt war erwacht und pumpte mit emsiger Kraft Menschen durch die vielen Tausend Straßen; sie tat sehr geschäftig, aber die junge Frische eines schönen Spätsommermorgens lag noch in ihr. Leute standen herum und quatschten, andere, in Anzug und Krawatte, befanden sich auf dem Weg zu ihrer alltäglichen Dienst- oder Arbeitsstelle; Dutzende verschiedene Nationalitäten auf der Straße; ein dicker älterer Herr, der wie Professor Unrat aussah, erregte kurz die Aufmerksamkeit der Fahrzeuginsassen.

Die Fahrt war nicht besonders lang; das Revier lag um die Ecke. Angekommen, geleitete man die junge Frau hinein, und ihre grazile Erscheinung überraschte die gerade Diensthabenden derart, dass sie ihren üblichen Frust auf der Stelle vergaßen und sich rührend um sie bemühten. Alsbald saß sie auf dem bequemsten Polsterstuhl des Reviers, einer schicken Rollenkonstruktion, für welche die Berliner Polizei eigentlich gar kein Geld hatte. Sie hatte einen Kaffee vor sich und durfte trotz Rauchverbots eine Zigarette qualmen, die ihr der ältere Beamte mit dem grauen Vollbart reichte.

Zwei andere tuschelten miteinander: Fall für die Psychiatrie, wir sind hier verkehrt.

Der ältere Mann schaute sie mit sorgenvollen Augen väterlich an.

“Sie müssen keine Angst haben. Wir möchten Ihnen nur helfen, ein Arzt ist auch schon unterwegs. Vielleicht können Sie uns sagen, was passiert ist, dann kommen wir weiter.”

Die junge Frau betrachtete gedankenverloren ihren Kaffee. Sie schien so zerbrechlich und mitgenommen, dass ihr das Mitleid der gesamten Wache sicher war.

Natürlich musste man herauskriegen, was geschehen war; vielleicht war ein Verbrechen an ihr verübt worden, dann würde man alles Menschenmögliche veranstalten, um das Schwein zu kriegen, welches einer derart hübschen, grazilen Person etwas antun würde...

“Vielleicht fangen wir von vorne an,” meinte der ältere Beamte, offenbar der Ranghöchste auf der kleinen Wache, “vielleicht sagen Sie uns Ihren Namen.”

Das Mädchen blies den Rauch in die Luft und schien sich zu sammeln.

“Charlotte Rodewsky. Und ick brauch keen Arzt.”

Der Väterliche nickte. “Na also, geht doch. Und wo wohnen Sie?”

“Na, in Berlin.”

“Das haben wir uns auch schon gedacht. Vielleicht sagen Sie uns Ihre Adresse?”

Sie nannte eine Straße mit dazugehöriger Zahl. Natürlich waren die polizeilichen Computer aufgrund eingangs erwähnter Störung nicht betriebsbereit, und die vorhandenen Karteikarten waren derart unvollständig, dass man sich gar nicht erst auf die Suche zu machen brauchte.

Eine Telefonnummer wäre vielleicht nützlicher.

“Ick hab aber kein Telefon,” antwortete Charlotte.

Die Beamten wechselten ungläubige Blicke.

“Wirklich nich. Wer hat denn mit meinem Hungerlohn Telefon?”

“Na ja,” meinte der Väterliche, “es hätte ja sein können. Wir wollen Sie auch zu nichts zwingen, wir wollen Ihnen nur helfen; und da müssten Sie dann schon Angaben...”

“Ja, ja,” unterbrach sie ihn, “erklärt mir man bloß, wat hier los is. Ick werd det Jefühl nich los, irjendeiner is mir hier jewaltig am vergackeiern. Erklären, wat hier los is: det wär wirklich knorke.”

“Knorke?”

Die Beamten schauten sich abermals verwundert an, als Charlotte ebenso verwundert aufblickte und zum erstenmal ihre Augen auf irgend jemand bestimmtes richtete, den Beamten nämlich, welcher neben ihr im Wagen gesessen hatte. Er wurde rot und grinste verlegen, doch Charlotte wollte offensichtlich nicht mit ihrem natürlichen Charme spielen.

“Na, knorke halt,” erläuterte sie, “seid ihr von vorgestern oder wat? Det sagt doch janz Berlin. Aber irjendwat läuft hier sowieso verkehrt. Und wat habt ihr ooch für komische Uniformen an...!?”

“Hm... Erklären Sie uns doch, was hier verkehrt läuft.”

“Na allet. Ick mach Schluss mit meinem Freund, latsche heimwärts, uff einmal fall ick um, und wie ick uffwache, is allet vadreht.”

“Verdreht?”

“Aber kolossal vadreht, wie ick et sage. Ick kenn mir ja eigentlich schon aus hier, aber wissense, det is ja überhaupt nich Berlin.”

“Doch, doch. Was sollte es sonst sein? ...Also der Reihe nach”, meinte der Väterliche gemütlich, “immer langsam voran.” Er wandte er sich an den Rotgewordenen und trug diesem auf, zu recherchieren, ob eine Charlotte Rodewsky irgendwo bekannt sei, und so weiter, Kripo wäre auch nicht schlecht: „Einfach anrufen, 030 geht ja Gott sei dank wieder. –Das ist ein seltsamer Tag, Charlotte, also können Sie ruhig alles erzählen, was Ihnen so einfällt. Wir haben hier einige merkwürdige Vorfälle gehabt; viel merkwürdiger kann Ihrer nicht sein.”

“Hm. Ick gloobe, ick kann noch einen druffsetzen. Mein Fall is hoffnungslos. Ick weeß nich warum, aber ick kann Ihnen versichern, ick bin total verkehrt hier.”

“Schießen Sie los.”

Charlotte lächelte zum erstenmal. “Na det Schießen is wohl eher Ihre Sache. –Also ick war am Mehringdamm, wo mein Freund wohnt, welcher nu mein Freund nich mehr is. Ick latsche also janz jemütlich hier rüber nach Schöneberg, wo ick nämlich wohne, oder sagen wir mal lieber, wohnte. Det is ja nu nich so weit, und uff die Bahn hatt’ ick ooch keene Lust. Wollte nachdenken, wie det so weiterjehn soll und so, über mein Freund, der nu mein Freund nich mehr is, und so...

Mein Jott, wat fasel ick hier eigentlich?”

Der Väterliche konnte ein Lächeln nicht unterdrücken und zuckte mit den Schultern.

„Na ja, und weil et eben nich weit is und ick noch ’n Stück nachdenken will, latsch ick anstelle von Bahn. Uff einmal macht et rums und ick lieje uff ’m Trottoir. Fragen se nich wie lange, det weeß ick selber nich. Hab wohl wieder det Spannendste verpennt. Na, jedenfalls ick frag mir natürlich schon, wie det sein kann, schlafe jemütlich in Schöneberg ein und wach in Amerika wieder uff, so sieht et nämlich aus.”

“Man hat Sie niedergeschlagen?”

“Wat weeß denn icke? Ick gloobe aber nich, eher wie so ’n Experiment, und nu bin icke det Versuchskaninchen, wenn se mir verstehen wollen. –Also jedenfalls wach ick uff und mach mir uff de Socken, pack mein bestes Englisch aus und quatsche wen an, wo ick mir befinde. Der hat mir angeglotzt, als hätt’ ick zwee Köppe oder so. Jedenfalls versteht er nischt und will wohl lieber woanders hin. Und denne wurd’ et ooch schon hell, und da frag ick mir denn doch ma, wieso ick da stundenlang uff der Straße lieje und keener sagt ’n Ton, aber –irjendwat stimmt ja sowieso nich.

Icke also weiter, und alle Leute, die ick treffe, kieken mir schief an, da denk ick bei mich: ick muss wohl schlimm aussehen. Aber wo die Sprache doch Deutsch is, denk ick mir, nischt wie rin innen nächsten Laden und ma kieken, ob se dir verstehen. Immerhin is det deine Muttersprache, und det wirste ja wohl noch nich verlernt haben. Also wackel ick in sowat wie ’n Kiosk, glotze uff ne Zeitung, und da wird mir aber doch angst und bange.”

“Wieso das denn?”

“Na, det Datum, Meester. Ick seh nur 1994 und fang an zu schreien.”

“Und?”

“Hörense ma! Sie jehörn wohl ooch zu dem Plan, wa? Det haut doch hinten und vorn nich hin.”

“Ich weiß überhaupt nicht...”

“Jaja, schon jut. Seh’ ick aus wie achtzig?”

“Nein, vielleicht wie zwanzig, würde ich sagen.”

“Na denn ratense ma, wann ick jeborn bin, obwohl, ratense lieber nich. Ick sag nur 1908. Und zwar am 19. April.”

Der Polizist war sprachlos. Natürlich glaubte er ihr nicht, so gerne er auch gewollt hätte.

“Das kann nicht sein.”

“Na, wenn ick et doch sage?”

In diesem Moment klopfte es, und zwei Beamte standen in der offenen Tür.

“Wir haben gerade eben eine Vermisstenanzeige bekommen. Beziehungsweise ein Hilfegesuch.”

“Könnt ihr das gerade alleine bearbeiten?”

“Ähm, nein, das ist vielleicht interessant. Es geht um Charlotte Rodewsky.”

Charlotte furchte die Brauen.

“Tja,” meinte Thomas, “Charlotte Rodewsky wird von ihrer Freundin vermisst, wenn man so will. Diese ist eine betagte Dame und ist heute wie üblich vor Frau Rodewskys Wohnung erschienen, um mit ihr einen Tee zu nehmen; das machen die zwei wohl immer so. Die Dame sitzt in Raum 27.”

“Ach!”

Der Väterliche schaute den jungen Beamten verdutzt an.

“Ehrlich gesagt: ich verstehe nur Bahnhof.”

“Da bin ick aber uff Ihrer Seite.”

“Ja,” ergänzte Thomas, “es kommt noch besser. Die alte Dame ist überaus besorgt, sie hat geschellt, geklopft und gerufen, und nachdem niemand aufgemacht hat, ist sie direkt zur Polizei gegangen. Die beiden Damen wohnen übrigens nicht weit von hier in benachbarten Häusern; das habe ich schon in Erfahrung bringen können. Tja, diese Charlotte Rodewsky ist nach Angaben der anderen Dame am 19. April 1910 geboren.”

Charlotte wurde noch blasser, als sie ohnehin schon war. Ihr entgeisterter Blick wanderte von ihrem väterlichen Interviewer zu Polizist Thomas und wieder zurück, und dann hin und her.

“Was haben Sie gesagt, wann wurden Sie geboren?”

Charlotte stiegen Tränen in die Augen.

“Am 19. April 1908.”

“Was jetzt, 08 oder 10?”

“Ja, 10 stimmt schon, ick mach mir immer ´n bissken älter...”

“Also, Thomas, bring die Dame doch mal rein.”

Eine Minute später kam der Beamte mit einer älteren, aber noch rüstigen Frau mit glatten, schlohweißen Haaren wieder, die sich etwas verunsichert umschaute und deren Blick schließlich an Charlotte kleben blieb. Sie rief etwas aus und sank in sich zusammen. Sofort bemühten sich die Beamten, die wohl von einem Herzanfall ausgingen, um sie, doch die Konstitution der alten Dame war stärker als zu vermuten war; sie kam schnell wieder zu sich.

“Ja, Charlie, ist denn das die Möglichkeit? Das ist ja die Höhe!”

Charlotte blieb verständnislos, aber die Tränen in ihren Augen verrieten mehr, als sie vielleicht preisgeben wollte.

“Erkennst du mich nicht mehr, Charlie? Was hast du gemacht? Was ist passiert? O mein Gott!”

Kurze Stille.

„Sophie? Bist du da drin?“

Charlotte schien ihre Freundin ganz undeutlich in dem gealterten, faltigen Gesicht zu erkennen.

“Sophie!”

Das junge Mädchen und die alte Dame fielen sich nach einer kurzen zögerlichen Pause in die Arme.

“Was ist passiert, Charlie?”

“Det weeß ick doch ooch nich. Ick fall uff de Straße, und uff einmal is allet vadreht. Ick bin jung, du bist alt, und hier sieht et sieht aus wie ick weeß nich wie. Ick verstehe jar nischt.”

“Also, meine Damen,” unterbrach sie der Väterliche, “ich muss zugeben, das ist wirklich die ungewöhnlichste Geschichte heute. Also, Frau... ähm... wie auch immer, erkennen Sie die von Ihnen gesuchte Charlotte Rodewsky wieder?”

“Ja, sicher. Aber sie sieht aus wie vor sechzig Jahren, du liebe Güte.”

Wieder wurden ihre Beine weich, und Thomas eilte hin, um sie abermals aufzufangen, doch sie blieb bei Bewusstsein und wehrte ab.

“Können Sie beschwören, dass diese Charlotte Rodewsky identisch ist mit der von Ihnen vermissten Person, geboren am 19. April 1910?”

“Also wenn keine Zauberei im Spiel ist, dann ist sie’s.”

“Das ist wirklich unfassbar,” meinte der Väterliche ernst, “gebt sofort Meldungen an alle Institutionen durch, die euch einfallen; Kripo, Doktor, Unis, und so weiter und so fort, los.

Nur die Zeitung dürft ihr ruhig vergessen. Ich will wissen, was hier gespielt wird.”

Die beiden unterschiedlich alten Freundinnen schauten sich mit einer Mischung aus Freude, Trauer und Verunsicherung an.

“Dürfen wir jetzt gehen?” fragte Sophie, die ältere.

Der Beamte runzelte die Stirn. “Ich muss sie gehen lassen. Es gibt ja keinen Grund, Sie hier festzuhalten. Allerdings möchte ich Sie bitten, sich zu unserer Verfügung zu halten. Nicht weil ich Ihnen misstraue oder irgendwas zur Last legen wollte, sondern weil hier einige seltsame Dinge vor sich gehen, zu deren Klärung wir Sie vielleicht benötigen. Bleiben Sie beide bitte in der Stadt, und bleiben Sie bitte für uns erreichbar.”

Die beiden Frauen wurden entlassen, und untergehakt wie Oma und Enkelin traten sie aus dem Polizeigebäude auf die offene Straße.

Der ältere Beamte starrte auf sein Telefon und danach auf seinen Kollegen: “Und? Was meinst du?”

“Süß.”

“Oh, nicht schon wieder. Such dir endlich ne Freundin. Die hier ist nix für dich, die ist ne Nummer zu groß. –Was hältst du von der Sache?”

“Ich glaube, hier steht irgendwo ne Zeitmaschine.”

“Ach was.”

Thomas zuckte mit den Achseln. Er kannte das. Seine Ideen galten schon immer als viel zu abgefahren.

Name: Charlotte Rodewsky

Wohnort: Berlin-Schöneberg

geb. am 19. April 1910 in Berlin-Spandau

Größe: 1,73m

Gewicht: max. 53 kg

Augenfarbe: dunkelbraun

Haarfarbe: kastanienbraun

Beruf: derzeit Tänzerin; Jobs

Lieblingsgetränk: wechselt jeden Tag

Lieblingsmusiker: George Gershwin, Friedrich Hollaender

größte Abneigung: politisch motivierte Dummschwätzer

Lebensstationen: alles dreht sich um Berlin

Lebenseinstellung: locker, kämpferisch, genießerisch

Die beiden Frauen saßen in einem ziemlich biederen Café.

Charlotte fühlte sich etwas befangen; schließlich war ihr Gegenüber, auch wenn es sich um ihre Freundin handelte, eine alte Dame, und sie wusste nicht recht, worüber sie nun sprechen sollten. Auch hatte sie Mühe damit, diesen Menschen zu duzen.

“Du liebe Jüte, bin ick erschrocken,” versuchte sie zu plaudern, “wie ick da lieje, und allet sieht aus wie ick weeß nich wat. Ick fühl mir jetz noch janz daneben. Dabei ha’ck doch jar nischt jemacht.”

Natürlich war ihre Freundin genauso verunsichert wie sie, die alte Dame wollte wissen, was hier gespielt wurde, aber im Grunde war sie vor allem fassungslos.

“Du bist wirklich die alte Charlie? –Na, ich meine, die junge Charlie? Du hast dich nicht zurück verwandelt?”

“Na, mittlerweile will ick ja nischt mehr ausschließen. Aber wie ick umjefalln bin, war noch 1930.”

“Mein Gott, wie kann denn so was passieren? Und du kannst dich nicht erinnern, auch nicht an deine Männer?”

“Wat heißt hier meine Männer?”

“Meine Güte, du hattest ja wahrlich nie ein Problem damit. Na, du konntest deine Männer ja immer schnell vergessen. Ich war da immer anders. Du liebe Zeit, seit fünfundzwanzig Jahren bin ich jetzt allein.”

Charlotte schwieg. Man kann sich vorstellen, dass sie diese Art von Unterhaltung nicht gewöhnt war und nicht besonders schätzte.

Und nun begann die Ältere ihr ihre halbe Lebensgeschichte zu erzählen, was Charlotte, gerade erst halbwegs zu sich gekommen, überhaupt nicht schön fand; Sophie erzählte von mehreren Männern und Ehen und von den Bombennächten, und wie sie stets Freundinnen geblieben waren, wie sie selbst, Sophie, ihre Freundin immer für ihre Tatkraft und ihren unbedingten Lebenswillen bewundert hatte, wie Charlotte nach mehreren Heirats- und anderen Beziehungsversuchen ihren alten Namen schließlich wieder angenommen hatte, was in Berlin nach dem Krieg passiert war, und sie erzählte und erzählte und wollte gar nicht wahr haben, wie sehr Charlotte damit überfordert und erschreckt zugleich war, wollte auch nicht wahrhaben, dass sie sich im Grunde mehr ihre eigene Lebensgeschichte erzählte, etwas verträumt und sentimental, wie alte Menschen gerne sind; sie wollte auch nicht wahrhaben, dass ihre Freundin Charlotte all diese Dinge nicht einfach vergessen, sondern schlicht und einfach noch nicht erlebt hatte, auch nicht, dass ihre Unterhaltung für das Mädchen mehr und mehr von einer überraschenden, unangenehmen Begegnung zu einer Quälerei wurde, denn wer hört schon gerne seine Lebensgeschichte der Zukunft, vorgetragen, als sei sie Vergangenheit, als sei sie –vorbei?

So spürte Charlotte nur Fremdheit, Altersunterschied und die Entfernung, die zwischen ihnen lag; auch die Angst, ein Leben nicht gelebt zu haben; sie spürte ihren Lebensmut, ihre Kraft entweichen. Sie war in der falschen Zeit gelandet, ohne zu wissen, warum; eine Chance oder eine Warnung für sie, alles richtig oder besser zu machen? oder ein trivialer Zufall? oder waren böse Mächte am Werk, die ihr das Leben zur Hölle machen wollten? Gab es einen vorbestimmten Zwang, so und nicht anders zu handeln, so und nicht anders alt zu werden, ohne Freiheit, Abenteuer, Leidenschaft? Ihr wurde schlecht bei diesen Gedanken, und ihr Kopf schwirrte. Sie stand auf.

“Mir is übel,” sagte sie mitten in die ausgebreitete Erzählung ihrer Freundin, “Ick muss raus.”

Und weg war sie; sie entschwand in den belebten, bald mittäglichen Straßen der großen Stadt.

Zurück blieb eine alte Dame, mit gemischten Gefühlen von Neid, Bewunderung und ganz tiefer Wehmut. Denn es gibt Lebensgeschichten voller Verirrung, Vergebung, Verrat, voller Liebe und Leidenschaft, Bitterkeit, Romantik und Schmerz; und eine solche hatte sie erlebt und erzählt: ihre eigene, die, und das wurde ihr in diesem Moment erstmals tief und grausam bewusst, vorbei war.

Sie legte die Hand an die Lippen und fing an, erstmals seit vielen Jahren, hemmungslos zu schluchzen.

Christian Fink und Professor Wittmann hatten gegessen und Zigarren gekauft, und nun betraten sie ihre, wenn man so will, gemeinsame Wohnung. Auch diese beiden hatten sich viel zu erzählen, aber da sie sich ja noch nicht kannten und einander mit ungetrübtem Blick sehen konnten, ja durften, war ihr Verhältnis unverkrampft –ein neugieriges Sichkennenlernen.

Von Anfang an sprach viel dafür, dass sich diese beiden unterschiedlichen Charaktere hervorragend verstanden.

Vor allem der Professor war sehr überrascht, in seinem Alter noch jemanden falsch eingeschätzt zu haben. Wie alle Idealisten hielt er nicht viel von den Menschen, die ihn umgaben, er meinte allzu oft, sie beleidigten seine Intelligenz, und die Welt könnte so viel besser aussehen, wenn...

Daher bevorzugte er das einsame, zurückgezogene Leben, in welchem er den Dingen nachgehen konnte, für die er sich berufen fühlte –und es wahrscheinlich auch war.

Doch Christian Fink kam ihm anders vor als ein nur durchschnittlicher Mensch: immerhin, wenn auch aus ihm schleierhaften Gründen, war er der erste gewesen, der ihn ernst nahm, noch bevor er ja die tolle Maschine zu Gesicht bekommen hatte.

Ein bisschen schien es so, als suchten beide dasselbe: ein Abenteuer, oder vielleicht die Grenzen des Möglichen zu durchbrechen; und ein wenig fühlte sich der Professor an sich selber in jüngeren Jahren erinnert. Dieser Fink besaß die rührende Schüchternheit des noch nicht ganz gefestigten, etwas unsicheren, fast noch jungen Menschen, der die suchende Hoffnung noch nicht ganz verloren hat; wenigstens war das Wittmanns Ansicht. Und so nahm das autoritäre und oft etwas rüde Wesen des Alten in Christians Gegenwart nach und nach mildere und gefühlvollere Züge an, ob väterliche oder freundschaftliche, sind wir uns noch nicht sicher; und umgekehrt stachelte der Wissenschaftler aus der Vergangenheit in Christian fast verloren geglaubte Eigenschaften wie Staunen, Neugier und Risikofreude an.

“Haben Sie eigentlich mit Ihrem Büro telefoniert?” fragte Wittmann, als sie die Wohnung erreichten und Christian den Schlüssel ins Schloss steckte.

“Ja, schon, als Sie auf der Toilette waren, ich bin für die jetzt krank. Ich hielt es für besser, eine kleine Notlüge vorzuschieben.”

“Hm.”

“Na, ich meine, wenn ich gesagt hätte, ich latsche mit einem Professor durch Berlin, der mit ner Zeitmaschine aus dem Jahr 1930 hierher gegurkt ist –ich weiß nicht, ob einem das jeder abnimmt.”

“Ja, ja, wir hatten das Thema schon. Sie wollten mir Errungenschaften Ihrer Zeit vorführen.”

“O ja. Ich hätt’s fast vergessen.”

Christian präsentierte seinem Gast die Erfindung Fernsehen.

“Optisches Radio also?” fragte der Professor etwas skeptisch, “ich entsinne mich, dass wir dabei sind, so was Ähnliches zu entwickeln.”

Der Gastgeber betätigte die Fernbedienung und bemerkte zu seinem Bedauern, dass die meisten Kanäle ausgefallen waren; der Professor hatte mit seiner Maschine ganze Arbeit geleistet. Nur die Berliner Lokalsender funktionierten.

Wittmann gab sich amüsiert.

“Toll! Wenn alles in Ihrer Zeit so zuverlässig arbeitet, dann hat sich wirklich nichts verändert!”

“Hören Sie mal, das ist ja nun wirklich nur Ihre Schuld. Sie kommen aus den Dreißigern, stiften hier Chaos und mokieren sich am Ende darüber, dass nichts klappt. Das ist nicht fair.”

“Och Gottchen. Nehmen Sie es nicht persönlich, ich habe nur immer einen Mords Spaß, wenn Menschen ganz stolz etwas vorführen, das dann eben nicht funktioniert. Machen Sie sich nichts draus, das ist meine böswillige Ader.”

Die Sprecherin kündigte eine Ansprache des Regierenden Bürgermeisters an. Auf dem Bildschirm erschien ein dunkelblonder Mann mittleren Alters mit einem etwas dümmlichen, aber offensichtlich wohlmeinenden Lächeln.

“Die Schlaftablette,” bemerkte Christian. “Wollen Sie das sehen?”

“Ja bitte, warum denn nicht?”

Eberhard Diepgen begann seine Ansprache.

Liebe Berlinerinnen und Berliner!

Vergangene Nacht hat eine Reihe seltsamer Ereignisse unsere Stadt erschüttert.

Alle Telefonleitungen aus der Stadt heraus wurden mit einem Schlag stillgelegt, die Computersysteme sind ausgefallen, und uns alle erreichte keine Post, und von vielen weiteren Skurrilitäten werden Sie sicher schon in der Zeitung gelesen haben. Wir haben noch keine Erklärung für diese Phänomene , wir wissen nur, dass die Stadt derzeit in mehrfacher Hinsicht vom Umland abgeschlossen ist. Die Bewohner des Westteils von Berlin haben sicherlich die Umstände noch in Erinnerung, unter denen sie in den achtundzwanzig Jahren vom Mauerbau bis zur Wende gezwungen waren zu leben. Auch damals waren wir vom natürlichen Hinterland abgeschnitten durch das Unrecht, das der Sozialismus der ganzen Stadt und ganz Deutschland angetan hat.

Auch damals hat nicht nur die freiheitliche Welt in uneingeschränkter Solidarität diesen Teil der Stadt unterstützt, sondern auch der Überlebenswille der Berlinerinnen und Berliner hat schließlich den Sieg über Despotie, Stacheldraht und Schießbefehl davongetragen; die neben Jerusalem einzige geteilte Stadt der Welt, hat es geschafft, diese Amputation wieder rückgängig zu machen.

Liebe Berlinerinnen und Berliner, diesmal ist es nur ein Ausfall der Technik, der uns von unseren Familien und Freunden in Brandenburg, aber auch dem Rest der Welt trennt.

Es sind keine Mauern mit Stacheldraht und Schießbefehl, die wir zu überwinden haben, sondern lediglich ein technischer Defekt. Jede technische Störung hat eine Ursache, und diese Ursache zu finden heißt, die Störung zu beheben, und gut gesucht ist halb gefunden.

Wir haben hervorragende Spezialisten in unserer Stadt, die sich mit diesen Phänomenen befassen und sehr bald zu einer Lösung dieses Problems vorstoßen werden.

Bis dahin sind wir leider gezwungen, uns mit diesem Unfall zu arrangieren, der kein Unglück und keine Katastrophe ist. Aber seien Sie versichert, dass wir, der Senat, das Abgeordnetenhaus, die Berliner Polizei, die auch hier und heute wieder hervorragende Arbeit leistet, und alle anderen demokratischen Institutionen dieser Stadt alles unter Kontrolle haben. Dafür stehe ich, Ihr Regierender Bürgermeister. Sie haben mein Wort, dass in kürzestmöglicher Zeit alles wieder seinen gewohnten Gang gehen wird.

Wir, die Stadt Berlin, Ihre Polizei und alle übrigen öffentlichen Einrichtungen, stehen bei Fragen jederzeit zur Verfügung und nehmen jeden Hinweis gerne entgegen.

Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.”

Der Professor schaute seinen Gastgeber mit höhnischem Grinsen an.

“Na, das ist ja man ne Persönlichkeit.”

“Ich hab doch gesagt, dass er ne Schlaftablette ist.”

“Das meinte ich nicht. Ich meine die heiße Luft, die er absondert. Ich bin es ja gewöhnt, dass Politiker ein seltsamer Menschenschlag sind. Aber in meiner Zeit haben sie wenigstens etwas zu sagen, wenn sie reden, also so etwas Ähnliches wie Inhalt...”

“Hitler zum Beispiel.”

“Haha, natürlich. Er ist ein dummer Kerl, aber so grausam es ist, ihm zuzuhören, muss man doch zugeben, dass er sagt, was er will. Ihr Bürgermeister hier mag ein anständiger Kerl sein –ich kenne ihn ja nicht– aber das einzige, was er uns zu sagen hatte, war: wir haben keine Ahnung und wissen nicht, was mir machen sollen. Und das alles in eine Menge Worthülsen verpackt.”

Christian lächelte: “Ja, genau so ist das halt heutzutage.”

Der Professor verzog die Mundwinkel, als wisse er nicht, ob nun eine abschätzige Bemerkung am richtigen Platz sei –schließlich hatte sein Gastgeber, wenn man ihn so nennen mag, diesen Fehler der Zeit schon eingeräumt.

„Wo wir gerade von Hitler und den Nazis sprachen: was haben Sie davon eigentlich mitbekommen, ich meine von Nationalismus und Antisemitismus?“

“Oh, eine ganze Menge; schließlich ist jener Friwi –dieser Spitzname ist übrigens die Abkürzung für Friedrich Wilhelm, falls ich’s Ihnen noch nicht erläutert habe–, mein bester Freund Markowsky, in dessen Haus wir eben meine Maschine bestaunt haben, Jude, und da bekomme ich ab und zu natürlich etwas mit. Ich habe schon oft die Erfahrung gemacht, dass man es als Jude in Deutschland nicht gerade einfach hat –auch wenn ich selber davon sozusagen nur am Rande betroffen war.

Aber ich vertrat durchaus die Ansicht, dass sich das irgendwann legen wird. Ab und an schwillt das Geschrei an, dachte ich, und es beruhigt sich auch wieder. Und irgendwann wird die Neuzeit über das Mittelalter gesiegt haben, und man nimmt endlich Abstand von der alten Mär des Brunnenvergifters. Und man lässt endlich von diesem schädlichen Nationalismus ab, der die Menschen in Rassen einteilen will, in überlegene und minderwertige, was wissenschaftlich ohnehin völliger Blödsinn ist und dennoch bei vielen meiner Kollegen durchaus Resonanz gefunden hat.

Ja, ich dachte eigentlich, diese Krankheiten –und es sind wirklich Krankheiten, geradezu im pathologischen Sinne– würden mit der Zeit geheilt, durch bessere Schulen, mehr Wissen, mehr Aufklärung, und durch die Überwindung der Feindschaften zwischen den Völkern.”

“Dafür musste wohl erst der Krieg verloren gehen,” warf Christian ein.

Sein Gegenüber wiegte skeptisch den Kopf hin und her.

“Ich bin mir nicht sicher, ob Krieg ein gutes Argument ist. Mir schien das Schwingen von Beilen gegenüber dem gesprochenen Wort stets überaus archaisch, im negativsten Sinne des Begriffes. Ich war der Meinung, dass auch dieses Gespenst irgendwann seinen Schrecken verloren haben würde. Nun haben Sie mich vielleicht eines besseren belehrt.”

“Tja, ich weiß nicht,” erwiderte Christian bescheiden, “was mich interessieren würde: wie steht man in Ihrer Zeit zu den Dingen, den Nazis, den Kommunisten, den Antisemiten und so weiter? Haben Sie in Ihrer Zeit wirklich schon erahnt, was mal später passieren kann?”

“Na, von Kommunisten bekomme ich nur etwas mit, wenn die sich mal wieder an einem Streik versuchen und im Reichstag den Mund allzu voll nehmen. In den Kreisen, in denen ich mich, wenn überhaupt, bewege, hat niemand etwas für sie übrig.

Der Nationalismus hingegen ist des Deutschen Religion, und dass man an den Juden nichts Gutes finden will, pfeifen die Spatzen von den Dächern. Ganz besonders übel ist es natürlich gerade in kleineren Städten, wo meistens überhaupt nur eine Handvoll Juden lebt. Heiratet einer von ihnen zum Beispiel eine Christin –die meisten sagen ja inzwischen nicht mehr Christin, sondern Deutsche!– dann heißt es, meistens hinter vorgehaltener Hand: <Sehen Sie, da hat wieder einer eine rumgekriegt>. Und irgendwann vergessen sie einfach, die Hand vorzuhalten, und sie können tatsächlich einem solchen Menschen ins Gesicht schauen, wenn sie sagen, dass sie ihn oder zum Beispiel eine solche Ehe gar nicht für voll nehmen können. Und wenn sich ein Jude auch noch erdreistet, einen Beruf zu wählen, in welchem er durch seine Befähigung und seine Tüchtigkeit auch noch zu einigem Ruhm und Wohlstand gelangt, geht die Lästerei von neuem los; niemals gönnt man ihm seine Erfolge, bis hin zu den Paranoikern, die von angeborener Schlauheit der Rasse faseln, welche die Deutschen blende und so weiter und so fort.

Es interessiert die Leute seltsamerweise auch nur noch, ob der Mensch Jude ist oder nicht; keineswegs ist seine Arbeit das Hauptkriterium für ihr Urteil.

Es überrascht Sie vielleicht zu hören, dass die Akademiker meiner Zeit ganz überwiegend Antisemiten sind. Natürlich sind es nicht alle, und es gibt sie, die löblichen Ausnahmen. Aber es gab uns, die wir alle Sinne beisammen hatten, stets zu denken, wie viele Professoren, Lehrer und Gelehrte, also Menschen, welche die Jugend bilden und formen sollten, daran festhielten, es gebe eben Menschen und Juden, und ganz besonders der Gegensatz zwischen Deutschen und Juden sei selbstredend unüberbrückbar. Da gibt es gestandene Ärzte, Chemiker, Juristen, Philosophen, die, wenn sie ihrer Arbeit nachgehen, herausragende Kapazitäten sind, strikt logisch, nüchtern und rational; fragt man sie nach den Juden, so brechen die merkwürdigsten Vorurteile durch, welche sie dann natürlich auch noch intellektuell begründen, sprich: verkleiden.

Da stand ich einmal mit Friwi und einem Kollegen aus München bei einem Bier zusammen; die beiden kannten sich allenfalls flüchtig, und auch mir war von meinem bayerischen Kollegen nicht viel mehr als der Name geläufig. Wir unterhielten uns eine gute halbe Stunde, und soweit man sehen konnte, bestand beiderseits nicht der Hauch einer Abneigung. Urplötzlich kam nun der Münchner auf die Juden zu sprechen –aus welchem Anlass, ist mir mittlerweile entfallen– und lästerte eine ganze Weile, man solle diese Pest doch möglichst schnell des Landes verweisen. Ich fühlte mich beklemmt, denn ich wusste nicht, was ich sagen sollte. Schließlich habe ich versucht, ihn zu widerlegen, jedoch mein Freund war schneller und sagte schlicht: <Sehen Sie, verehrter Kollege, ich selber bin Jude...> Der andere nun verzog das Gesicht und gab sich Mühe, auf meinen Freund hinunter zu blicken, was ihm aufgrund seiner mangelnden Körpergröße nicht gelang. Er stellte sich auf die Zehenspitzen, wippte ein bisschen auf und ab und meinte dann in frostigem Ton:

<Jaja, Sie haben wie alle Ihre Rassegenossen diese gefällige eloquente Art, der so viele schon auf den Leim gegangen sind. Aber Sie werden schon sehen, das sich das sehr bald ändern wird, und dann werden Sie uns Deutsche nicht mehr täuschen können.>

Und in drei Sekunden war er verschwunden.”

Christian schwieg eine Weile.

“Müssten nicht gerade Professoren und Studenten anders denken?” fragte er dann.

“Es wäre ihr Auftrag, anders zu denken, natürlich. Wo kämen wir hin, wenn ein Arzt, welcher den hippokratischen Eid geleistet hat, irgendwann angesichts eines Sterbenden sagt: <Nein, keinen Finger rühre ich für diesen Juden!> –Oder ein Rechtsanwalt: <So einen werde ich nicht verteidigen; selbst wenn er unschuldig sein sollte, wovon nicht auszugehen ist: welchen Unterschied macht es? Einer mehr oder weniger, darauf soll es uns nicht mehr ankommen.> Nein, nein! das geht doch nicht an! Ein gebildeter Mensch sollte nicht derart kleinliche Dinge denken oder sagen.

Als Wissenschaftler arbeite ich schließlich im Dienst der ganzen Menschheit, ob sie nun deutsch, französisch oder chinesisch spricht; und wer nun an welchen Himmel glaubt, ist mir als Agnostiker ohnehin schnuppe. Aber ich hätte weiß Gott nicht vermutet, dass sich dieser Pöbel in solcher Kraft und Stärke zur Herrschaft bringen kann; ich bin grundsätzlich Optimist und stets geneigt, an den Sieg der Vernunft zu glauben.”

“Wenigstens hat sich Deutschland dann nach dem verlorenen Krieg schon grundlegend verändert...”

“Wie? Hält der antisemitische Pöbel endlich seinen Mund?”

“Na ja, das nicht, aber ein moderner Rassist konzentriert sich im allgemeinen mehr auf andere Hassobjekte; Hetze gegen Juden ist einfach generell nicht mehr so in.”

In?”

“Heißt nicht mehr chic. Es ist verpönt, zumindest in der politisch korrekten Öffentlichkeit.“

„Ja, ja, das war vor dreißig Jahren ganz ähnlich,” meinte der Professor dazu und sprach natürlich von der Jahrhundertwende, „manches scheint sich eben nur schwerfällig, zäh oder überhaupt nicht zu ändern.“

Er nahm eine grüblerische Haltung ein und fragte dann plötzlich:

„Was meinen Sie eigentlich, wann sollten wir die Öffentlichkeit informieren? Ich habe durchaus noch vor, der Welt meine Maschine zum Geschenk zu machen.“

„Na jedenfalls nicht jetzt. Kein Schwein würde Ihnen erstens glauben –überlegen Sie nur, wie ich anfangs auf Ihre Geschichte reagiert habe– und ich bin mir sicher, es gibt außer ein paar UFO-Freaks und Trekkies wenig Leute, die sich ernsthaft mit Ihrer Story auseinander setzten. Aber die CIA wird wenige Stunden später vor der Tür stehen, alleine auf den leisesten Verdacht hin, dass da irgendwas dran sein könnte.”

„??!!“ machte der Professor konsterniert, denn diese zwei Sätze konnte er nun gar nicht verstehen.

“UFO-Freaks sind Leute, die daran glauben, dass es außerirdisches Leben gibt, das ab und an mal in fliegenden Untertassen hier vorbeischaut, entweder um gerade nach dem Rechten zu sehen oder aber um mit armen Hausfrauen grässliche Experimente vorzunehmen.”

“Ach du liebe Güte.”

“Trekkies nennt man Leute, die sich gerne, sehr gerne sogar, eine bestimmte amerikanische Fernsehserie anschauen, die komplett in der Zukunft spielt und in der wir Menschen in Kontakt mit Hunderten außerirdischer Rassen geraten. Die gehen zum Teil soweit, die gesamte Handlung der Serie für bare Münze zu nehmen, das ist so eine Art Spiel. Und die CIA ist der US-amerikanische Geheimdienst.”

“Ach ja. In Politik war ich nie sehr stark; derlei hat mich nie interessiert. Nun, meinen Sie, die Menschen sind zu dumm, die Wahrheit zu erfahren, oder zu schwach, um sie zu ertragen?” hakte Wittmann nach.

“Nein, nein, das meine ich nicht. Die einen werden Sie für verrückt halten. Ihre Vorstellungskraft reicht nicht bis zur Möglichkeit einer Zeitmaschine, oder –und da muss ich sie in Schutz nehmen –sie denken: <mein Gott, so was haben wir doch schon so oft gehört, und jetzt schon wieder...>

Die andern werden Sie und Ihre Maschine vielleicht zur Kenntnis nehmen; <na und?> werden sie sagen. Wieder andere erfahren von nichts, sie können oder wollen nicht lesen. Na ja, da werden die einzigen, die Sie positiv mit solcher Nachricht erreichen, ein paar Spinner sein, genau so Typen, wie ich sie vorhin beschrieben habe. Alles klar? Und da hat die CIA keine schlechten Karten, oder meinetwegen der BND, das läuft schlussendlich aufs selbe hinaus. Und bevor Sie fragen: der BND ist der hochgelobte, viel kopierte, doch nie erreichte bundesdeutsche Geheimdienst. –Ich dachte eigentlich, wir wären uns einig, erst mal nicht zu palavern und uns ein paar schöne Tage zu machen? Der Baum ist durch Gottes Hand ins Haus gezaubert worden... Und das mit der Kuh kann ja irgendein raffinierter Scherzkeks gewesen sein, oder nicht?”

Der Professor blieb skeptisch. “Das gefällt mir nicht, das gefällt mir irgendwie nicht.”

“Das muss es auch nicht, Ihr Ding steht in Sicherheit, und basta. Aber eine andere Sache dämmert mir so langsam: Ihr Lebenswerk in allen Ehren, aber ich glaube, Sie haben da was übersehen.“

„Was denn?“

„Alle Probleme, die die Menschheit als Gesamtheit hat, sind letzten Endes politischer Natur... –na, ich meine, keiner wird die Zeitmaschine einsetzen wollen, um eine zerrüttete Ehe zu kitten oder zu verhindern, dass Bayern München Deutscher Meister wird.

Es würde sich erst lohnen, Ihr Gerät einzusetzen, um den Faschismus vorzubeugen, die Atombombe zu verhindern, der Umweltverschmutzung, dem Ozonloch zu begegnen und vieles mehr. Alle diese Dinge aber sind von unzähligen Variablen abhängig, um mal in der Sprache der Mathematik zu reden; man müsste also zum Beispiel a) verhindern, dass zwanzig Millionen Deutsche Hitler wollen –und wie soll das gehen? – und b) muss man Politiker, Wirtschaftsbosse, und all die anderen, die was zu sagen haben, von der Notwendigkeit einer bestimmten Sache überzeugen. Wir sind ja nicht die Diktatoren der Welt. Es mag ja sein, dass die Zeitmaschine ihren Beitrag zu einer besseren Welt leisten könnte, aber erzählen Sie mir nicht, dass kluge Leute in Ihrer Zeit nicht längst schon wissen, dass Hitler kommt, dass die Erde von den Menschen immer schlimmer vergewaltigt wird, und so weiter... also: letzten Endes würde sich voraussichtlich gar nichts ändern, denn die schlauen und vorausschauenden Leute gab und gibt es sowieso immer.”

„Sie unterschätzen vielleicht doch den Überlebenswillen unserer Spezies und unsere enorme Lernfähigkeit. Wird den Menschen klargemacht: <so und so wird etwas sein, wenn oder wenn nicht...; nicht wird vielleicht , sondern wird ganz sicher>, dann werden sie sich schon zusammenraufen, einsichtiger und vor allem umsichtiger sein und ihre Überlebensstrategie optimieren. Ich rede weniger davon, dass die Zeitmaschine das Allheilmittel der Welt ist; sie soll nur einen Beitrag für eine bessere Welt liefern.“ Der Professor atmete laut ein.

„Ich glaube durchaus, dass man die Probleme, welche die Zukunft bringt, besser wird anpacken können, wenn man sie frühzeitig erkennt. So kann man rechtzeitig mindestens das Schlimmste verhindern. Und stellen Sie sich die großen Augen der Historiker vor, wenn sie das erste Mal die Gelegenheit haben, hiermit durch die Zeitläufte zu gondeln! Stellen Sie sich doch nur einmal vor: einer schreibt seine Doktorarbeit über die Französische Revolution und denkt sich: <ei, da fahr ich doch einfach mal kurz hin!> Das würde auch die Wissenschaft von der Historie völlig neu begründen! –Natürlich nehme ich Ihren Einwand ernst; aber hüten Sie sich vor Schwarzseherei; jeglicher Pessimismus ist stets unangebracht. Und sogar eine überaus schädliche Grundhaltung.“

Er streichelte seinen Bart, wie meistens, wenn er sich in nachdenklicher Stimmung befand, und betrachtete seinen Gegenüber mit einer gewissen Zuneigung.

“Wollen Sie Musik hören?” fragte dieser unvermittelt.

“Das wäre eine nette Idee.”

Christian stand auf und kramte in einem Haufen CDs herum.

“Das sind wohl Miniaturschallplatten,” bemerkte der Professor.

“Man nennt sie CDs, das steht für Compact Disc. Englisch. Wie alles. Auch eine Errungenschaft meiner Zeit. –Wie wär’s mit was Aktuellem?”

“Was immer es sei, bitte.”

Christian zeigte auf ein dickes schwarzes Gerät und erläuterte:

“Das ist ein CD-Player.”

Der Jungarchitekt gab dem Gerät Saft und schaute den Professor an, als wisse dieser nicht, was Elektrizität ist.

“Soso,” antwortete er auf die versteckte Anspielung und drückte auf einen Knopf mit einem Dreieck darauf; eine kleine Schublade sprang ruckartig heraus.

“Aah! Was ist das?”

“Na, da legen Sie die CD rein und schließen danach das Fach. Ganz einfach.”

Christian tat, was er erklärt hatte. Es erklang Tori Amos' Hit “Cornflake girl”.

Sie lauschten etwa eine Minute, dann musste der Alte wieder das Wort ergreifen.

“Das erinnert mich sehr entfernt an eine Art Musik, die wir in unserer Zeit hatten, und die mich im übrigen nie sonderlich interessiert hat. Wir nannten es Jazz, es wurde vor allem in Spelunken aller Art gespielt.”

Christian war beleidigt: “Das ist ja auch kein Jazz, was wir hier hören. Jazz gibt‘s natürlich immer noch, vor allem in echten Clubs; aber da kenne ich mich nicht aus. Das hier nennt sich Pop; wobei Tori Amos bestimmt nicht der typische Mainstream-Pop ist.”

“Was um Himmels willen faseln Sie da?”

Der Alte tat so, als müsse man sich Sorgen um Christians Gesundheitszustand machen.

“Mainstream nennt sich das, was in den Charts ist. Na, meistens jedenfalls.”

“Könnten Sie bitte wieder in die deutsche Sprache wechseln? Mein Englisch ist nicht mehr das allerbeste.”

“Herrschaftszeiten! –also: diese Musik nennt sich Pop, von <populär>. Alles klar? Man erstellt jede Woche eine Art Rangliste von den Liedern, die sich am besten verkaufen, was je nach Land und Region stark variiert. Diese Rangliste nennt man Charts. Darin tummelt sich allerhand Schrott, und hie und da findet sich auch einmal ein schönes Lied darin. 90% sind allerdings die letzte Scheiße.”

“Na!”

“Und das nennt man <Mainstream>, was eigentlich Hauptstrom heißt und im übertragenen Sinne soviel bedeutet wie <das, was alle hören und immer gleich klingt>. Man kann Pop-Musik allerdings auch nach dem Sound unterscheiden, also nach der Art zu spielen und zu schreiben, etwa Wave, Grunge, Punk, Hard Rock, Reggae...”

“Schon gut, schon gut, ich verstehe schon.” Wittmann schaute verlegen zur Seite.

“Zum Beispiel sind Nirvana der ganz große Kracher.”

“Jaja.”

“...eher für die depressiven Kids, allerdings...” (Christian mochte die nicht besonders.)

“O Gott.”

“...und für die flacheren Naturen gibt‘s dann Techno, wobei die Leute, die Angst vor der vollen Dröhnung haben, sich eher für Dance-Floor interessieren. Außerdem ist der deutsche HipHop schwer im Kommen.”

“Schon gut.”

“...na ja, die ganz Ausgefallenen halten natürlich Wave, EBM und was es da noch so alles gibt, die Treue.”

“Hmpf...”

“Wobei die Kiffer-Fraktion sich traditionell für Reggae und manchmal auch Ska interessiert...”

“Sei Er doch endlich still!”

Christian schwieg und legte sein berühmtes Halbmetergrinsen auf. Erst jetzt merkte Wittmann, dass er verkohlt wurde.

“Hören Sie, mein lieber junger Freund. Sie überfordern mich hier ein bisschen; ich habe keine Ahnung, wovon Sie eben sprachen. Aber eine Sache ist mir doch aufgefallen. Genaugenommen sprechen Sie kein Deutsch, sondern irgendein Kuddelmuddel, für das mir kein passender Name einfallen will, was vielleicht auch besser so ist. Meint man in Ihrer Zeit vielleicht, besonders intelligent oder modern zu sein, wenn man die arme deutsche Sprache derart verunstaltet?”

Christian blieb bei seinem Grinsen: “Tja, genau so ist das heute, genau so.”

Charleston

Unterdessen irrte Charlotte, die gar nicht mehr wusste, was sie tun sollte, durch die moderne Großstadt.

Berlin hatte sich verändert. Es schien viel von seinem eigentümlichen Charakter verloren zu haben, fand sie auf den ersten Blick: dieser spröden Mischung aus Grobheit, Charme und unbedingtem Lebenswillen. Die Stadt wirkte vergleichsweise ruhig, wohlhabend und ein bisschen bequem. Große Baulücken machten aus der Riesenstadt eine bebaute Parklandschaft.

Wirklich schön war sie ohnehin nie gewesen, die Vier-Millionen-Metropole inmitten der “Sandbüchse” des untergegangenen Disziplinarstaates Preußen, jenes trockenen, kühlen, pflichtbewussten und dienstwilligen Gebildes; und der Hauptstadt dieses Gebildes fehlte –wen kann es wundern– die ebenmäßige Ästhetik von Paris, die dunkle Sinnlichkeit Roms oder die melancholisch-tropische Grazie Lissabons. Sie bot keinen Louvre und kein Kolosseum, keine Palmen schwankten im atlantischen Wind.

Aber diese Stadt hatte pulsiert, war hektisch, laut und überaus modern, so dass mancher Pariser von dieser fremden Metropole vollkommen überrascht in seine Heimat zurückgekehrt war.

Wo andere Städte gewissermaßen bedächtig und allmählich in ihr heutiges Gesicht und ihre heutige Atmosphäre hinein gewachsen waren, da legte Berlin stets das doppelte Tempo vor: ständig sich verändernd, sich neu definierend, beständig mit sich selber in Krach und Zank; eine Stadt ohne Altstadt, mit Hunderten verschiedener Viertel, welche sich ebenfalls ständig und rasch veränderten, so als gelte es, irgend etwas aufzuholen, ohne Zentrum, aber mit vielen Zentren, die schnell, traditionslos aus dem Boden hervorschossen und ebenso schnell wieder vergingen.–

Es war aber nicht solch verstiegene Philosophie, die Charlotte beschäftigte; sie vermisste einfach nur “ihr” Berlin, ihre Heimat, in der sie ihre bisherigen zwanzig Jahre praktisch ohne Unterbrechung gelebt hatte: nicht nur die Fassaden, mehr noch die Atmosphäre:

das rabiate Chaos und das beispiellose Tempo, das der Stadt seinen Stempel aufgedrückt hatte. Alles schien gesetzt, ruhig, höchstens abgeklärt, eher langweilig, und die Menschen sagten ihr irgendwie gar nichts.

Berlin, das einst jeden so neugierig auf mehr gemacht hatte, schien in den Ruhestand getreten.

Charlotte suchte ihr altes Lokal.

–Das “Café Modern” war ein eigentümlicher Anziehungspunkt für einige der schrägsten Vögel, die die Stadt zu bieten hatte. Es besaß eine eigene kleine Kapelle –will heißen: eine Jazzband– fünf Mann, davon zwei Amerikaner, die es im legal alkoholisierten und exzessschwangeren Berlin des Jahres 1930 gemütlicher fanden als im Prohibitions-Amerika. An Schlagzeug, Bass, Gitarre, Saxophon und Klavier wurde jeden Abend anderes Programm gespielt, ob Dixieland, Charleston oder wildes Ausprobieren neuer Klangdimensionen unter Haschisch-Einfluss. Und die Leute strömten in Scharen hin, das Café, das kein Café war, hatte die Bude allabendlich gerammelt voll. Manchmal waren Sängerinnen oder Sänger zu Gast, Schwarze, Weiße, und es scherte keine Sau, wer wie aussah oder wie bekannt war.

Es wurde getanzt bis zum Umfallen, Schweiß spritzte, es wurde gefeiert, geflirtet, geküsst, geliebt, und ab und an saßen auch welche da herum, die bis oben hin voll mit Zeug einfach nur noch existierten. Ab und an kamen auch Menschen hin, die eher ein Nachtlokal klassischer Prägung erwarteten, ehemalige Landser, frustrierte Lehrer –alles mögliche verkehrte da, alles kam hinein und bei sporadisch auftretenden Schlägereien auch wieder hinaus; manchmal gab es Razzien, dann war das Geheul groß, schnell mussten Brüste bedeckt, Pulver versteckt und Haschischzigaretten unaufgeraucht im Aschenbecher zerquetscht werden. Auch Charlotte, die dort gelegentlich als Tänzerin in einer Gruppe von vier Mädels auftrat, hatte schon eine Razzia erlebt und war zum Glück entkommen; denn neunzehnjährig nahezu “oben ohne” und wahrscheinlich mit Hanf im Hirn dort herum zu hopsen war schwer verboten. Lieber hätte sie gesungen, und auf die Dauer war ihr der ganze Laden ohnehin etwas zu exzentrisch, aber eine andere, ihr genehmere Richtung einzuschlagen war angesichts ihrer finanziellen Situation vorläufig ausgeschlossen.

Zudem war der Besitzer des Cafés, auf das sie derzeit doch noch angewiesen war, überaus skeptisch, ja, argwöhnisch, was die Auswahl der Sänger(innen) anbelangte –vorerst keine Chance für Charlie. Lieber ließ er das schmalhüftige Mädchen “mit den schönen großen Augen” (Gästezitat) tanzen, er glaubte mehr an ihre Ausstrahlung als an ihre Fähigkeiten.

Charlotte war dort angekommen, wo ihr Arbeitsplatz eigentlich sein müsste; das alte Gebäude stand jedoch nicht mehr, ein neues mit schicker Glasfassade und unzähligen Büros war an seine Stelle getreten. Architekten, Rechtsanwälte und Ärzte bevölkerten diesen Platz, der einst einfache Wohnungen und unten drin ein kleines Sündenbabel beherbergt hatte.

Sie wunderte sich eigentlich nicht, es hatte sie nur interessiert, was daraus geworden war.

Denn dass sie durch irgendein Missgeschick in der Zukunft gelandet war, daran gab es für sie nun keinen Zweifel. Schnöde Buchhalterei statt exzessiver Lebensfreude –sie hatte es seit einer kleinen Weile vorausgeahnt. Sah so etwa die Zukunft aus?

Charlotte war hungrig und ahnte, dass die Probleme jetzt erst richtig losgehen würden.

Zu kaufen gab es viel; an jeder Straßenecke bekam man die kulinarischen Spezialitäten aus aller Welt unter die Nase gehalten; die Warenhäuser waren voll, eine Menge Geld zirkulierte in der Stadt. Charlotte hatte jedoch keines. –Eins war gleich geblieben: Sie ging pleite an all der Prachtentfaltung des modernen Kapitalismus vorbei.

Aber es gab einen Umstand, der ihre Situation doch deutlich verschlimmerte: sie hatte keine Unterkunft, nichts anzuziehen außer dem, was sie am Leibe trug, und noch weniger zu beißen. Irgendwie musste Geld her, sonst würde sie elend verhungern und verdursten. Auch wenn sie sich gerade ausmalte, wie es wohl sei, zusammengekrümmt auf der Straße zu liegen, wusste sie doch, dass sie natürlich notfalls ihre alte Freundin aufsuchen könnte –kein Grund also, gleich an den nahenden Tod zu denken.

Dennoch kam diese Möglichkeit aus ganz bestimmten Gründen ebenfalls nicht in Betracht; sechzig Jahre Altersunterschied zudem in einer ohnehin verdrehten Welt waren ihr einfach zu viel. Also würde sie sich wohl nach Arbeit umschauen müssen.

Charlotte kam aus einer Zeit, in der praktisch jeder Angst um seinen Arbeitsplatz haben musste, besonders natürlich ungelerntes oder nur angelerntes Personal; eine Anstellung zu finden, war noch bei weitem schwieriger als heute, besonders für eine Frau, der weit weniger Auswahlmöglichkeiten geboten wurden. Sie war daher durchaus verwundert, als sie immer wieder in den Schaufenstern Gesuche las wie: “Aushilfskraft gesucht! Telefon 030-...” Sie hätte also eigentlich nur in irgendein Geschäft X gehen müssen, sei es Bäckerei, Supermarkt oder Elektrowarenhandel, und fragen; sie hätte eine Stelle bekommen. Schließlich war sie nicht besonders anspruchsvoll, wenn es ums Geld verdienen ging; das durfte man als Frau von 1930 auch nicht sein. Aber irgendetwas trieb sie weiter und ließ sie nicht auf die aus ihrer Sicht durchaus verlockenden Angebote eingehen. Sie hatte ein komisches Gefühl, als werde sie heute, demnächst, was Richtiges finden, wo man vielleicht sogar Spaß an der Arbeit haben könnte. Das Seltsamste war, dass sie ein solches Gefühl wirklich noch nie in ihrem Leben verspürt hatte. Lag das vielleicht an der neuen Zeit? Verströmten die Neunziger vielleicht einen Optimismus, der dem Weltwirtschaftskrisenjahr, aus dem sie kam, total abging? Gewöhnte sie sich schon langsam an den Gedanken, in einer ihr fremden Zeit unterzukommen? Wir lernen sie gerade kennen: sie war nicht der Mensch, den das Warum für ein Gefühl interessiert; sie besaß das Gefühl, und Schluss.

Nur der Hunger störte; inzwischen zwickte der Magen barbarisch, und das, obwohl Charlotte eher spartanisch lebte: sie kam mit wenig Essen und Trinken am Tag aus, mit so wenig, dass sich ihre Mutter schon Sorgen machte; und in unserer Zeit, in der wir hinter allem gleich Krankheit und Abnormität vermuten, wäre sie wohl glatt als magersüchtig eingestuft worden. Was sie gleichwohl nicht war. Tja. Aber der Magen grummelte; er war, über den Daumen gepeilt, runde vierundzwanzig Stunden leer und forderte nun sein Recht.

In einer Seitenstraße irgendwo am Beginn des Prenzlauer Berg fand sie schließlich ein Lokal. Es hieß ausgerechnet “Charleston” und ließ Charlottes Augen aufleuchten. Irgendwoher wusste sie: sie war da.

Es wirkte nicht gerade unscheinbar, sah aber auch weder nach einem Nobelschuppen der Extraklasse noch nach einer besonders individualistischen oder flippigen In-Kneipe aus; der Name verteilte sich breit über eine Art Flügeltür, an die sich links und rechts zwei ziemlich große Fenster anschlossen; und das war es auch schon, sonst wies nichts auf eine besondere Lokalität hin.

Ein Wirt putzte gerade Gläser; obwohl leer, schien das Etablissemang offen zu haben.

Sie betrachtete den Wirt zunächst vorsichtig durchs Fenster; er war von stattlicher Figur, ohne dick zu sein, hatte dunkles, offenbar gegeltes Haar und vielleicht fünfunddreißig, na, sagen wir, achtunddreißig Jahre hinter sich gebracht. Wie er die Gläser putzte, konzentriert und in diese nicht wirklich anspruchsvolle Tätigkeit vertieft, strömte er einen ungestörten und in sich ruhenden Frieden aus, dass Charlotte ihn sogleich in ihr großes Herz schloss.

Sie klopfte zögerlich und trat ein, der Wirt sah kurz auf und meinte: “Wir haben geschlossen.”

Sein leichter, melodischer Akzent verriet ihn als Sachsen.

“Ick hab nur ne Frage.”

Der andere machte sich keine Mühe aufzusehen, aber er schien sich von der Gegenwart des Mädchens überhaupt nicht aus der Ruhe bringen zu lassen.

“Ick meine,” begann Charlotte schüchtern und kam alsbald ins Stottern, “et is so, also, icke-- also, so, dass..... ick brauch Geld und hab keins.”

“So geht’s uns allen,” antwortete der Wirt, “willst du hier arbeiten?”

“Ja, det wär ideal, weil ...”

“...du kein Geld hast, schon klar. Sprich doch mit Lennie! Tja, also... heute abend hab ich schon zwei, das wird wohl ausreichen, heut wird nich viel los sein. Aber morgen vielleicht als Aushilfe?”

Sie meinte, sie könne sowieso alles, und sie wäre dabei, noch besser aber könne sie tanzen.

“Nee, so was machen wir nicht, junge Frau.”

Da er ihr sympathisch wirkte, ging sie vorsichtig in die Offensive, wenn schon nicht tanzen, dann halt wenigstens heute bedienen; schließlich war sie wirklich unglaublich verdammt pleite und brauchte definitiv sofort Kohle.

“Ojeoje,” meinte dieser und stellte ein nicht sauber zu kriegendes Rotweinglas auf die Theke. “Abgebrannt, wa? Kann ich nischt machen. Haste keine Freunde inner Stadt?”

Charlotte wollte fast „doch“ sagen, aber da fiel ihr ein, dass präzise Antworten heute ihr Ding nicht sein konnten. Tränen schossen in ihre Augen, und sie gab sich alle Mühe, sie zurückzuhalten.

“Na ja, ick meine, nur wegen den Kröten, hab halt nischt zu fressen und zu pennen, da dacht ick, ob vielleicht heute schon wat machbar wäre.”

“So allein? So arm? Na ja, Großstadt eben, man kennt das. Also heute hab ich schon zwei Bedienungen, wie gesagt. Denen kann ich schlecht sagen, nö, heut nich –das ist nicht meine Art. Sorry. Ab morgen sieht die Welt ganz anders aus. Und wenn du ne Unterkunft suchst, da ließe sich was machen.”

Charlotte erschrak. Das hatte schon mal jemand in ähnlichem Kontext zu ihr gesagt, ihr ein Lager angeboten und sich dann als Grapscher herausgestellt. Charlotte fühlte sich nur mittelmäßig behaglich. Er hingegen wandte sich offensichtlich desinteressiert und in aller Seelenruhe wieder seinen Gläsern zu.

“Findeste mich nich hübsch, det is besser so.”

“Das vielleicht doch...” Er setzte das eben behandelte Glas wieder ab und lächelte.

“Eigentlich schon. Bist hübsch. Aber ich seh das aus nem anderen Blickwinkel, wenn du verstehst.”

Charlotte stand völlig auf dem Schlauch und versuchte, es sich nicht anmerken zu lassen.

“Meine Güte, du siehst gar nicht so begriffsstutzig aus... also wie gesagt, is alles kein Problem, vorausgesetzt, mein Freund hat nischt dagegen.”

“Du bist schwul,” fragte Charlotte mit sich erhellendem Blick, “det find ick ja super.” Der Typ gefiel ihr doch.

„Hm?“ fragte er undeutlich nach.

“Na, du lebst mit deinem Freund zusammen, immerhin, det... also det hat sich wirklich verändert.”

Da der andere nicht wusste, dass sie eine unfreiwillige Zeitreise hinter sich hatte, war er etwas überrascht von dem Wort “verändert”; er bezog es schließlich auf die Tatsache, dass sie eigentlich hinterm Mond leben musste.

“Hör zu,” sagte er, “das geht schon klar, wenn dir mein bescheidenes Heim reichen sollte, vorläufig, wie gesagt, und wenn mein Mann nischt dagegen hat. Ich bin ja kein Arschloch, das arme Frauen einfach in der Kälte pennen lässt. Aber was willst du machen, wenn nicht Bedienung?”

“Na - jaaa, ick kann schon kellnern, so is det nich. Würde natürlich lieber det machen, wat ick richtig kann.”

“Klar. Ich auch. Man kann sich nich alles aussuchen. Übrigens gibt’s zehn die Stunde...”

“Mark?” fragte Charlotte entgeistert. Sie war andere Zahlen gewöhnt.

“Na klar, was denkst du denn? Pfennig? Lire? Haha. Du bist ja putzig.”

Sie musste sehr weit hinterm Mond leben. – “Zehn Mark bar auf die Kralle. Plus Trinkgeld.”

“Det is ziemlich viel, find ick.”

“Alter Osten, was? Na, es ist vielleicht nicht schlecht, aber auch nicht gerade fürstlich. Mehr kann ich mir nicht leisten, tja. Aber sei guten Muts, so wie du ausschaust, kriegst du gut Trinkgeld.”

Er hauchte in ein Cocktailglas und beäugte es kritisch.

“Du kannst nicht zufällig singen, was?”

Charlotte riss die Augen auf, und zwar sehr weit: “Doch”, stammelte sie.

Der Wirt beschloss nun, die Frage des Tages zu stellen.

“Wie sieht’s denn so aus mit Chansons, vielleicht aus den Zwanzigern und Dreißigern?”

Charlotte schluckte. “Ehrlich jesagt, is det mein Spezialgebiet. Ick kann nur so wat.”

Der Wirt verzog die Augenbrauen in verschiedene Himmelsrichtungen: “Nein, wirklich?”

“Ja, klar.” Charlotte hätte fast hinzugefügt: guck mich doch mal an! aber das ließ sie schön bleiben, sie hatte sich schon genug blamiert.

“Du siehst auch irgendwie ein bisschen so aus. Nimm’s mir nich übel. Irgendwie musste ich bei dir gleich an Zwanziger Jahre denken. –War ne geile Zeit, glaub ich.”

Er guckte voller Hochachtung in die Luft.

“Also gut. Pass uff,” sprach er weiter, “ich hatte für heute abend eigentlich jemand eingeplant.

Sie singt Chansons aus der Zeit, na, Zwanziger, Dreißiger, so ’n Kram. Aber sie is krank, und die ganze Chose fällt aus. Das spart mich dreihundert Piepen, aber mein Umsatz sinkt in den Keller. Freitags erwarten die Leute so was, immerhin heißt das Loch hier nich umsonst <Charleston>. Na ja, wir machen es so: du singst heute abend. Sag mir, was du drauf hast.”

Charlotte zählte freudig erregt auf.

“Jaja, schon gut,” unterbrach er sie fröhlich, “das könnte hinhauen. Das passt für ’n Anfang.”

“Ja, und wat is mit Klavier; hast du ’n Pianisten?”

“Der steht vor dir.”

“Det is ja knorke!”

Der Wirt lächelte.

“Ich heiße übrigens Lennie. Sonst auch Leonhard. Ganz wie belieben.”

Charlotte stellte sich brav vor, und sie schüttelten Hände.

“Wir machen das so. Du singst heut probeweise, ohne Bezahlung, Essen und Trinken umsonst, klar. Wir probieren das jetzt mal. Das Klavier ist hinten. Wir müssen wenigstens alles einmal gespielt haben, sonst geht das in die Hose. Und ich will ja meinen Gästen was bieten, ni war?”

“´tschuldjung, kann ick erst ma wat essen?”

“Höhö,” flötete Lennie und kramte von irgendwoher eine Schrippe (=Brötchen, Übersetzung für Nichtberliner) hervor. Charlotte schlang gierig; mehr musste es ja für den Anfang nicht sein.

Sie war genaugenommen richtig glücklich. Lennie schloss die Tür ab, latschte in den hinteren Teil der Kneipe und setzte sich an das dort befindliche, altehrwürdige Piano: “Nu?”

Sie kam nach und stellte sich etwas unsicher neben das Instrument.

Er schlug ein paar Töne an, und sie stieg direkt ein:

LIED

Als die letzten Töne verhallten, schaute Lennie seine frischgebackene Sängerin fasziniert an.

Das war nämlich durchaus verdammt gut gewesen.

“Das ist ja unglaublich,” meinte er bewundernd.

Charlotte fühlte sich geschmeichelt und bekam zum erstenmal heute so etwas Ähnliches wie eine Gesichtsfarbe. Vom Singen hatte sie immer geträumt.

“Also, an deiner Intonation musst du noch ein bisschen arbeiten. Aber deine Stimme ist der Hammer.”

“Der Hammer?”

“Ja, geil, toll. Wirklich. Mach was draus! Für heute abend mach ich mir erst mal keine Sorgen. Deine Stimme hat dieses gewisse Etwas, das man selten hört.”

Tatsächlich war es erstaunlich, welche rauchige Kraft aus diesem zarten Geschöpf herausströmte.

Die beiden hatten noch etwas über eine Stunde, bis der Laden aufmachte, und nutzten diese Zeit zu einer zügigen Probe.

Christian und der Professor hatten sich derweil entschlossen, diesen Abend auf den Putz zu hauen. Allerdings war der jüngere der beiden sich nicht sicher, ob sie jeweils dasselbe darunter verstünden; immerhin zählte der Physiker selbst ohne Zeitsprung vierundsechzig Lenze und war somit doppelt so alt wie Christian; und bei diesem Generationenunterschied, auf den noch die übersprungene Zeit hinzugerechnet werden musste, konnte man durchaus von verschiedenen Geschmäckern und Vorstellungen ausgehen.

“Ach, wissen Sie,” raunte der Professor gütlich, “führen Sie mich irgendwohin, wo immer Sie hin wollen. Sie kennen ja das Berlin dieser Zeit unzweideutig besser als ich, und außerdem haben Sie das Portemonnaie.”

“Ich hab schon ein paar Ideen. Also! Folgendes. Sie haben die letzten vierundsechzig Jahre nicht mitbekommen. Ihnen wird schon aufgefallen sein, dass sich die Leute heutzutage anders anziehen.”

“Das wäre ja auch mehr als verwunderlich,” trompetete der Physiker, “meinen Sie, ich werde ausgelacht, so wie ich aussehe?”

“Nein, Quark. Das ist Berlin. Hier können Sie auch nackig herumlaufen. Aber die Aufmerksamkeit ist auf Ihrer Seite. Irgendwann werden wir Ihnen aber doch ein paar Klamotten besorgen müssen, bevor Sie anfangen zu stinken. Sie können ja nicht ewig in diesem Zeug stecken bleiben.

Ich für mein Teil gehe jetzt duschen. Sie können natürlich auch, wenn Sie wollen.”

“Es wäre das erste Mal in meinem Leben.”

“Ach du je. Uff. Aber irgendwann...”

“...ist immer das erste Mal, ich weiß; ich kenne diese Redensart. Ich werde es probieren. In meiner Zeit legt man sich in die Wanne.”

“Ein teurer Spaß. Na ja, fühlen Sie sich wie zuhause. –Sie wissen, wie ich das meine.”

Als er dann nach einer guten Viertelstunde, nur mit einem Handtuch bekleidet, wiederkam, begann der Professor mit einem kleinen Vortrag.

“Ich habe alle Geräte verstanden,” sagte er, ohne aufzublicken, und zeigte auf diverse Bedienungsanleitungen, “und das war auch nicht allzu schwer. Das Gerät unterhalb Ihres Fernsehers ist genauso aufgebaut wie dieses CD-Grammophon, obgleich es eine völlig andere Funktion hat. –Sie nennen offenbar heute Video, was wir früher unter Film verstanden. Die Zeichensprache darauf ist jedenfalls offensichtlich für Idioten und Analphabeten geschaffen. Ihr sobezeichnetes Kassettendeck verstehe ich als eine Art Tonbandgerät in Kleinformat; auch dies war nicht schwer zu ergründen. Ihren Kühlschrank und Ihr seltsames Gerät daneben... wie heißt es gleich?...ach ja, Mikrowelle! Diese beiden Dinge durfte ich ja bereits begutachten. Ich erlaube mir den Hinweis, dass wir in meiner Zeit den Kühlschrank auch schon kannten. Die eigentliche, tiefere Funktion der Mikrowelle ist mir ein wenig suspekt, muss ich ehrlich hinzufügen. Eine Art Backofen vielleicht? Ich habe einen Einwand gegen Ihre Zeit, aus dem Sie keineswegs ein persönlichen Angriff herauslesen sollten: Sie haben sich viel weniger weiterentwickelt als ich vermutet hätte.”

Christian trocknete sich leidenschaftlich ab und ließ ein “Höüää?” hören.

“Jaja, mir war klar, dass Sie sich dagegen sträuben würden, was ich Ihnen zu sagen habe. Wie eingangs erwähnt: dies ist keineswegs eine Kritik an Ihnen, mein junger Freund. Es ist alles mehr Schein als Sein, aber das hatte ich befürchtet, da meine Zeit diese Neigung bereits in sich trug –und was läge näher als zu vermuten, dass eine solche Neigung in der Zukunft noch verstärkt würde?”

“Professor,” wandte Christian ein, doch Wittmann hatte Lust, noch ein bisschen zu dozieren.

“Sie müssen wissen, dass wir das Radio schon kennen, ein durchaus revolutionäres Prinzip; wir besitzen schon die Hälfte Ihrer Kücheneinrichtung, wie ich finde, die sinnvollere Hälfte.

Wir kennen und benutzen das Grammophon, aus welchem Sie den CD-Spieler gemacht haben. Und wir haben den Film, den Sie jetzt Video nennen. Was hat sich denn wirklich verändert?”

“Lieber Professor, das ist doch nicht der Punkt. Sie haben doch noch lange nicht alles gesehen.

Und eine Sache, mal nebenbei: diesen CD-Spieler, den Videorecorder, und all die anderen Dinge, die Sie hier sehen, vom Kühlschrank ganz zu schweigen: das hat heutzutage fast jeder! Es ist ja auch eine Errungenschaft, dass sich praktisch alle Menschen oder zumindest die überwältigende Mehrheit diese Sachen leisten können, oder? Hatte denn in Ihrer Zeit jeder Radio, Film, Grammophon?”

“Nein, aber man konnte ins Kino gehen, ins Konzert, und so weiter, und so fort. Man musste nur durch seine Haustür spazieren.”

“Schön und gut, das können Sie heute auch noch. Man geht ins Theater, ins Konzert, und die Kinos haben vollere Kassen als je zuvor.”

“Ja, aber tut man das auch noch? Ich meine, wenn jeder diese kleinen Geräte hat, wozu vor die Tür gehen? Lohnt sich das alles überhaupt?”

“Und wie! Ich glaube schon, dass die Leute heutzutage mehr und vielleicht auch regelmäßiger zum Beispiel ins Kino gehen als vor sechzig Jahren. Oder meinetwegen auf irgendwelche Konzerte. Hängt natürlich ganz davon ab, wer spielt, oder welcher Film geboten wird. Klar. Und für den Geschmack meiner Zeit hafte ich, bitte schön, nicht.”

Der Physiker nickte bedächtig mit dem Kopf.

“Ich weiß nicht, ich weiß nicht. Sie haben mich nicht überzeugt. Allerdings haben Sie in einem Punkt ja recht; ich habe noch viel zu lernen und sollte nicht allzu hastig urteilen. Nun! Für heute ist es gut, wir werden morgen weitersehen, und vielleicht glaube ich Ihnen auch, wie toll und sagenhaft Ihre Zeit ist.”

“Das ist wohl ein Missverständnis,” erwiderte der jüngere, “ich habe nicht gesagt, dass die Zeit toll ist. Nur: sie hat ihre Vorteile, und die sollte man nicht kleinreden. Sonst ist man schnell auf dieser Fortschritts-Verdammungs-Schiene, Sie wissen schon, was ich meine.”

“Natürlich, ich bin Physiker, Sie rennen gerade eine offene Tür ein.”

“Schon gut. Gehen Sie jetzt ruhig mal duschen; Sie werden sehen, es wird Ihnen gut tun.”

Eine gute halbe Stunde später bewegten sich die zwei in Richtung der U-Bahn-Haltestelle Heidelberger Platz. Für den Zeitgast sollte es die erste Fahrt im Keller der Stadt sein, und Christian musste ihn einige Minuten lang weich klopfen, damit er einwilligte.

“Natürlich gibt es das auch in meiner Zeit,” hatte er erläutert, “aber ich war in dieser Hinsicht immer etwas konservativ. Ich fand es immer eher unheimlich, in den Eingeweiden einer Stadt herumzugraben.”

“Ich dachte, Sie sind ein Mann des Fortschritts,” hatte Christian erwidert, worauf der Professor nur noch einige ängstliche Einwände bringen konnte und sich alsbald mürbe ergab.

“Es ist ohnehin ein Witz,” ergänzte Christian, als sie die Treppen zur Station hinabstiegen,

“die U-Bahn fährt ja zu weiten Teilen überirdisch, am Prenzlauer Berg zum Beispiel überqueren Sie mit der U-Bahn ganze Straßenzüge und die S-Bahn noch dazu.”

“Das ist sozusagen meine Jungfernfahrt, also halten Sie mich notfalls fest,“ antwortete der andere, immer noch ängstlich, „ich war im übrigen stets ein überzeugter Fußgänger.”

“Löblich, löblich. Und wie haben Sie weite Strecken in Berlin zurückgelegt? Wenn Sie etwa, so wie wir heute, von Wilmersdorf auf’n Prenzlauer Berg wollten?”

“Ach Gottchen, Sie reden zu viel und denken zu wenig. Es gibt Straßenbahnen, Omnibusse, Taxen. Letztere waren stets mein bevorzugtes Fortbewegungsmittel innerhalb der Stadtgrenzen. Allerdings bin ich ein arbeitsamer Mensch, der es sich nicht leisten kann, ständig in der Gegend herum zu fahren.”

Mit einem Lufthauch von links kündigte sich die Ankunft eines Zuges an.

“Ich schätze, da kommt was,” meinte der Professor, dem eine gewisse Anspannung anzumerken war; unter der Erde schien er sich rätselhafterweise nicht besonders wohl zu fühlen.

“Das finde ich irgendwie immer wieder von neuem witzig,” ergänzte Christian, “dass man die Bahnen erst spürt, dann hört und zuletzt sieht. Ist irgendwie die falsche Reihenfolge.”

Die Bahn rauschte herein und hielt quietschend. Der alte Wissenschaftler wirkte etwas verunsichert; ein Gefühl, welches sich während der Zugfahrt noch steigerte. Man muss dazusagen, dass die Fahrt vom Heidelberger Platz auf den Prenzlauer Berg eine kleine Reise durch die halbe Stadt ist, die einmal zum Behufe des Umsteigens unterbrochen werden muss. Dabei ändern sich natürlich auch die Gesichter, die Kleidung und das Verhalten der Leute ständig, was den offensichtlich ohnehin leicht klaustrophobischen Professor doch zunehmend irritierte. Nach dem Umsteigen auf die U2 beruhigte sich der Ältere jedoch allmählich und begann seine vorübergehende ungewohnte Umgebung vorsichtig, aber neugierig zu betrachten. Neben einer älteren bebrillten, Zeitung lesenden Dame saß ein junges knutschendes Pärchen, eines von der Sorte, welche aus dem Grinsen gar nicht mehr heraus kommt und alles komisch zu finden scheint. Ein ziemlich alter Mann mit starkem Berliner Akzent bekam zwei Plätze weiter seinen winzigen, ununterbrochen kläffenden Hund nicht in den Griff und zerrte ungeduldig an der Leine. Zwei Punks lehnten gemütlich an der Tür und unterhielten sich über eine gemeinsame Freundin, später dann über die Vorzüge verschiedener Biersorten; ihre Sprache schreckte den Mann aus den Dreißigern ziemlich ab; jedoch versuchte er, sich nichts anmerken zu lassen, die zwei sahen irgendwie gefährlich aus.

An der Mohrenstraße stiegen vier sehr junge Mädels ein, die offenbar gewillt waren, die Geräuschkulisse des Hundes zu übertönen, und das arme Tier damit völlig verstörten. Wittmann war der Ansicht, dass sie arg frieren müssten. Weiter hinten im Wagen unterhielt sich eine Gruppe jüngerer Angestellter, von denen jeder völlig verschieden aussah, die aber alle gleich gekleidet waren, was der alte Professor höchst vergnügt zur Kenntnis nahm; seine anfängliche ängstliche Unsicherheit wich allmählich einem Gefühl behaglichen, interessierten Staunens.

Am Senefelder Platz war für sie Endstation.

“Hören Sie mal, das ist ja wie im Zoo,” meinte der Alte amüsiert beim Aussteigen, “Hier kann man ja wirklich noch etwas lernen. Keine Sorge, ich meine das nicht böse. Aber ich habe nicht gewusst, was das menschliche Haar alles mit sich machen lässt. –Im übrigen ein Kompliment an Ihre Zeit: die Bahnen sind umsonst. Herzlichen Glückwunsch!”

Christian lachte:

“Achje, wie süß! Umsonst! Nein, nein, wir sind schwarz gefahren. Haben Sie nicht die Schilder gesehen von wegen <erhöhtes Beförderungsentgelt>? Ist im übrigen mein absolutes Lieblingswort.”

“Herr Fink! Warum denn dieses? Man kann doch nicht schwarz fahren!”

“Es war doch Ihr erstes Mal, und ich dachte, wenn es Ihnen nicht gefällt, kann die BVG auch keine Kohle dafür kriegen.”

“Sagen Sie mal, wie reden Sie eigentlich? Wenn ich eine Leistung in Anspruch nehme, muss ich doch auch dafür zahlen, es sei denn...”

“Ja, ja, schon gut. Heute Nachmittag sind Sie noch fröhlich in fremder Leute Eigentum herum spaziert. Egal, Schwamm drüber, ich hätte Sie schon da wieder rausgehauen.”

Christian grinste weiter und ließ den lieben Gott einen guten Mann sein. Sie gingen schweigend um ein paar Ecken, und schließlich meinte er: “So, wir sind da.”

Er zeigte auf eine Flügeltür, auf welcher sich das Wort “Charleston” gleichmäßig verteilte.

“Das könnte Ihnen gefallen. Ob der Schuppen das Ambiente wirklich trifft, kann ich nicht beurteilen, aber er macht auf 20er Jahre. Sie können das dann ja mal kommentieren.”

Sie betraten die etwas schummerige, dem Leser vielleicht noch ganz von ferne bekannte Kneipe; an der rechten Seite zog sich eine blitzblanke Bar in die Länge, der Raum selber war, etwas chaotisch, mit kleinen runden Marmortischen gefüllt, im hinteren Abschnitt stand ein Klavier, das von einer seltsamen kitschigen Stehlampe neblig beleuchtet wurde, daneben zeigte ein Ständer mit dazugehörigem Mikro in die Luft. Besonders voll war es nicht, nur an wenigen Tischen saßen Pärchen, die sich leise zu gedämpfter Jazzmusik unterhielten oder anschwiegen.

Einen gewissen Charme versprühte der Laden durchaus; man wurde jedoch nicht wirklich genötigt, an die Zwanziger zu denken. Christian steuerte, den Alten im Schlepptau, einen Tisch ziemlich genau in der Mitte des Ladens an; man setzte sich und orderte Martini.

“Und? Was meinen Sie?”

“Hm,” überlegte Wittmann, “ich bin natürlich kein Kneipengänger, auch in Nachtclubs bin ich nur höchst selten unterwegs. Ich muss allerdings sagen, dass dies hier weder nach einer Kneipe noch nach einem Club aussieht, sondern am ehesten –aber auch dies nur von ganz ferne– an ein Caféhaus erinnert. In meiner Zeit kann man die Luft in einer Kneipe schneiden, und man trinkt Bier darin und gewiss nicht... was haben Sie da bestellt?”

“Martini.”

“Wie auch immer. Und es gibt nur wenig Lokalitäten, die ich als so dezent wie diese hier einstufen würde. Vielleicht, wie gesagt, ein Restaurant oder ein Caféhaus.”

“Im Grunde ist das auch keine Kneipe hier, da haben Sie recht. Nur bezeichne ich immer alles, wo ich abends hingehe, als Kneipe, egal, ob’s nun eine ist oder nicht. –Aber Ihnen gefällt ‘s hier?”

“Och, Herrje, ja, warum nicht? –ja, es ist ganz angenehm. Ich glaube übrigens, dass wir heute abend noch in den Genuss einer Vorstellung kommen werden; haben Sie das Mikrophon schon bemerkt?”

“Ähm, nein...” Christian saß mit dem Rücken zum Piano und musste sich umdrehen.

“Ja, hier gibt’s öfters Live-Musik.”

“Was bitte?”

“Live-Musik. Vorstellung sagt man heute nicht mehr, es sei denn, Sie gehen ins Theater.”

Der Martini kam.

“Das kennen Sie auch nicht, oder? Ist ultralecker.”

“So lecker wie Cola, ja, junger Freund?”

“Ach was; dieses Gesöff ist geradezu der Kern jeglicher Lebenskultur. Auf Ihrs!”

“Ja, Prosit!” meinte der andere; sie tranken, und Christian schnalzte mit der Zunge.

Der Professor hingegen blieb skeptisch.

“Das ist doch Wermut, nicht?”

“Ja, kann sein,” antwortete Christian harmlos.

“Mein lieber junger Freund, man trinkt keinen Wermut. Das ist Fusel. Nichts für feinere Zungen.”

“Ach wo. Im Gegenteil. James Bond ernährt sich nur von so was. Ach herrje, den kennen Sie ja auch nicht. O Mann, Sie haben wirklich was verpasst. Na egal. Lassen Sie doch mal den guten Bürger in der Schublade, der passt sowieso nicht zu Ihnen. Wichtig ist nur, dass es Ihnen schmeckt.”

“Ich kann mich nicht beklagen.”

Der Professor äugte ins Glas und verzog jeden Gesichtsmuskel.

“Was trinken Sie denn, wenn Sie weggehen?” fragte Christian interessiert.

“Weggehen? Sie meinen ausgehen. Nun ja, ich erwähnte bereits, dass ich mich selten in solchen Etablissements blicken lasse, am ehesten gehe ich einmal am Nachmittag ins Caféhaus. Ich trinke gerne Wein und am allerliebsten Cognac, aber nur selten und nur zuhause, und nur nach getaner Arbeit. Außer Hauses verlasse ich mich nur ungern auf die Zungen zweitklassiger Köche und Kellner. Außerhalb greife ich daher in den wenigen Fällen, von welchen da zu berichten wäre, auf ein frisch gezapftes Bier zurück.”

“Das gibt’s hier auch, natürlich. Also wenn Ihnen der Martini zu süß wird, haben Sie die freie Auswahl aus x verschiedenen Bieren: Deutschland, Holland, Amerika, Irland. Ansonsten gute Longdrinks und passable Cocktails.”

“Was immer das sei. Ich bin nicht ganz im Bilde über die gesamte Abwechslung, die der Mensch aus der Droge Alkohol herausholt.”

“Ach was Droge,” erwiderte Christian, “Volksbelustigungsmittel.”

“Nein, nein,” beharrte der andere, “Alkohol ist eine Droge, und zwar rein wissenschaftlich gesehen meines Erachtens eine der stärksten, die der Mensch kennt. –Oh, da kommt die Musik.”

Ein dunkelhaariger Mann, welcher Christian, der hier ab und zu verkehrte, durchaus bekannt vorkam, betrat die Kneipe durch eine Hintertür und steuerte auf das Piano zu, gefolgt von einer schmalen jungen braunhaarigen Frau, die sich sehr schüchtern ans Mikrophon stellte.

“Meinen Sie, das wird was zum Zuhören oder eher zum Weghören?” feixte der Professor.

Während dieser Frage hatte sich die Sängerin vorgestellt, jedoch hatte weder der Wissenschaftler noch Christian die Ansage verstanden, um so überraschter waren die zwei, und zwar aus verschiedenen Gründen, als sie sang:

LIED

Sehr vorsichtig, zart und viel zu leise hatte sie begonnen, mehrmals hatte sie, deutlich zu beobachten, von ihrem Pianisten auffordernde, aufmunternde Blicke erhalten, und sie steigerte sich allmählich in die Form hinein, die sie Lennie am Nachmittag geboten hatte. Schließlich, gegen Ende des Liedes, besaß sie wieder diese Aura aus Rauch und mädchenhaft - unschuldiger Verruchtheit in der bebenden Stimme, dass das ganze Publikum irritiert und freudig überrascht klatschte.

Christian befand sich in einem Zustand äußerster Erregung. Diese Stimme aus solch zierlicher feiner Gestalt! Sie war nur fünf oder sechs Meter von ihm entfernt; seine Neugier glitten über ihre Figur und ihr Gesicht, ohne ihren Blick je erhaschen zu können, denn ihre Augen schienen die Introspektive zu suchen und die Gäste gar nicht zu bemerken.

Eng und kurz lagen ihre Haare am schmalen, blassen Gesicht, der einzige, etwas milchige Scheinwerfer ließ das Kastanienbraun rötlich schimmern und rang ihren Wangenknochen starke Schatten ab. Christian, der sich umdrehen musste, um sie zu betrachten, bekam allmählich Probleme im Nacken, so begeistert war er von ihr: er hatte die Möglichkeit schlichtweg vergessen, sich eventuell bequemer hinzusetzen. Nur in den Pausen zwischen den Liedern nahm er auch anderes wahr als sie, so vereinnahmte sie ihn; sobald sie wieder anfing zu singen, hing er von neuem an ihren Lippen, die den vollsten und klarsten Gesang preisgaben, den er überhaupt je gehört hatte. Und gerade hatte er einen kurzen Blick von ihr empfangen! Mit einem Wort: es war um ihn geschehen.

Der Professor hingegen verfärbte sich dunkelrot. Er besaß zwar ohnehin eine recht gesunde Gesichtsfarbe, aber nun konnte man selbst in diesem Halbdunkel erkennen, dass ihn irgend etwas an dem jungen Mädchen –vielleicht peinlich– berührte. Er leuchtete wie ein Apfel in der Sonne.

Offensichtlich hatte er beschlossen, zu trinken, denn ein gerade bestellter zweiter Martini wurde hastig hinunter gestürzt, und ein dritter sollte alsbald folgen; der alte Kauz schien doch auf irgendeine Art Gefallen an dem süßen italienischen Getränk zu finden. Seine Bewegungen wurden ruckartiger, nervöser, so als könne er der Musik zum Teufel nicht zuhören; geschulte Augen konnten natürlich schnell erkennen, dass seine Unruhe mit der Musik nichts zu tun hatte.

Es gab nun eine Pause.

“Trinken Sie nichts heute?” fragte er angesichts des jungfräulichen Glases an Christians Platz, “diese Substanz wartet sehnsüchtig darauf, von Ihnen getrunken zu werden.”

Noch mehr als Christians Unlust zu trinken überraschte den Alten aber sein Gesichtsausdruck, als er sich zur Hälfte wieder Richtung Tisch umdrehte: der Mund leicht geöffnet, die Atmung stark, und in die sonst so nüchternen und etwas kühlen Augen hatte sich ein Glänzen gelegt, das dem gewieften Wissenschaftler schon lange nicht mehr untergekommen war. Er furchte die Brauen.

“Hallo?”

Doch Christians Herz pochte zu laut in seinem Hals, um irgendwelche Anreden wahrzunehmen.

Denn die Sängerin kam gerade auf die beiden zu, was er bemerkte, ohne dass er sie sehen konnte. Der Professor bemerkte aus seiner Unruhe heraus viel später, dass er auf dem besten Wege war, angesprochen zu werden.

“Sie hier?” fragte das Mädchen als erstes, und der Alte versuchte ein wenig herumzudrucksen.

Sie kennen sich?” fragte Christian erstaunt; die Frage richtete sich allerdings aufgrund seiner natürlichen Schüchternheit eher an den Wissenschaftler als an sie.

“Klar,” meinte sie direkt, “der Herr war doch bei uns im Modern, mit ´n paar Kollegen, wenn ick mir recht entsinne.”

Christian und Wittmann waren gleichermaßen perplex; der Alte vielleicht noch mehr, da er schneller als sein neuer Bekannter begriff, dass hier irgendwas schon rein physikalisch verkehrt gelaufen war.

“Wie kommen Sie eijentlich hier her?” fragte nun die Kleine, da sie genauso wenig wie der Professor mit einem derart verschobenen Wiedersehen gerechnet hatte.

Während Christian nicht aufhören konnte, die junge Frau stumm und mit tausend Fragen im Kopf anzuhimmeln, redete sich der andere nun um Kopf und Kragen. Er konnte ja die Zeitmaschine schlecht erwähnen, und peinlich schien ihm die Begegnung auch zu sein. Und wie zum Teufel konnte es eigentlich sein, dass die junge Frau, für welche die halbe Universität heimlich und vergeblich schwärmte, jetzt und hier im Jahre 94 wieder auftauchte? Er verspürte den Drang, das irgendwie zu erklären, und insgeheim wusste er ja schon bescheid, denn die Vereinigung von Baum und Haus hatte bereits demonstriert, dass bei Zeitreisen jedweder Art offensichtlich verschiedene Unregelmäßigkeiten zum Geschäftsrisiko gehören. Da er seine Gedanken jedoch nach außen um nichts in der Welt preisgeben durfte, haspelte er ungeschickt herum: etwas Unerklärliches sei passiert, er wisse auch nicht, was los sei, und so weiter und so fort (und in Gedanken: musste das sein, geh doch fort, Kind, und hör auf, mich zu blamieren...)

Sie runzelte nur ein bisschen die Stirn, sofern es da etwas zu runzeln gab.

Ab und zu warf sie Christian einen verstohlenen, neugierig gefärbten Blick zu, welchen dieser permanent erwiderte.

Der Alte hatte allmählich ausgehaspelt, und da wandte sich das Mädchen dem andern Gast zu:

“Ick bin übrigens Charlotte. Und Sie?”

“Du,” krächzte Christian.

“Wie meinen?”

Christian räusperte sich relativ erfolglos.

“Du, nicht Sie.”

“Det wäre schon machbar,” erwiderte sie ohne jede falsche Scham, “aber eijentlich wollt ick wissen, wie du heißt.”

“Christian.”

Mit der Stimme war nichts mehr anzufangen. Charlotte griemelte kurz, dann verwandelte sich das Griemeln in ein Lächeln, welches unserem Helden eine interne Klimaerwärmung bescherte.

“Ick muss wieder uffe Bühne,” meinte sie locker, “nich wegloofen, ihr zwei!?”

Fort war sie, über die sogenannte Bühne durch die Hintertür nach Irgendwo. Christian starrte ihr mit einem berauschten Lächeln hinterher und schwebte für einige Momente überm Tisch, während sich umliegende Gegenstände und Personen vorübergehend in der Raumzeit verloren.

Von ferne gurgelte ein Echo an sein Ohr: “Lieber --lieber --Herr --Herr --Fink...”

Das “K” hallte nach und zog ihn langsam auf die Erde zurück.

“Lieber Herr Fink,” meinte eine sonore Stimme zu ihm, “vielleicht sollte ich Ihnen etwas erklären.”

Christian brauchte eine Weile, um diese Anrede zu begreifen, doch allmählich hatte ihn die Wirklichkeit wieder, und er hörte zu.

“Ich weiß nicht, ob Sie’s bemerkt haben, dass wir uns kennen,” versuchte der Professor zu erläutern, “ich meine natürlich das Mädchen und mich; Sie waren ja ganz offensichtlich eine Weile lang nicht ansprechbar. Nun, wir kennen uns aber tatsächlich, wenngleich nur flüchtig und oberflächlich. Wissen Sie, was das heißt?”

Der Alte hatte nun seine Sprache wiedergefunden und versuchte seinem Gegenüber eine logische Verknüpfung zu erklären.

“Nein,” quakte Christian.

“O je, lieber guter Freund, wo ist denn Ihr Verstand hingeflogen? Kaum ist man verliebt, geht die Intelligenz flöten, nicht wahr? Der Mensch verliert jedes Mal, wenn er sich verliebt, mindestens zehntausend Gehirnzellen, das ist meine Theorie; und wenn er heiratet, gleich eine Million. Es gibt keine effektivere Möglichkeit, sich zu ruinieren; ein Vollrausch mit anschließendem Koma ist ein Witz dagegen. Hören Sie zu! Ich kenne dieses Mädchen.

“Schön.”

“Das heißt: sie hat meinen Zeitsprung mitgemacht. Noch eine Unregelmäßigkeit. Hören Sie, das ist nicht lustig; das Mädchen tut mir leid. Und ich möchte wissen, welche Überraschungen wir sonst noch erleben.”

Kurzes Schweigen.

“Ich find's ganz schön, dass Sie sie mit rüber gebracht haben,” seufzte Christian.

“Tja, ich bin weniger begeistert. Ich muss dem armen Kind doch eigentlich erklären, was los ist.

Ich habe doch nicht gewollt, dass so etwas passiert. Die Arme war doch wahrscheinlich völlig verstört.”

“Ach, ich finde, sie schlägt sich wacker.”

“Ja fabelhaft!” trötete der Wissenschaftler, „die Kleine gehört nicht hierher –das ist der Punkt, und nicht, wie sie sich schlägt! Auf gut Deutsch: unser Geheimnis wird nicht mehr lange eines sein.”

“Es ist schon jetzt keines mehr,” sagte eine helle, ernste Stimme von der Seite.

Die beiden schauten auf.

Kurze überraschte Pause.

“Friwi!” rief der Wissenschaftler, “jetzt schlägt ‘s aber dreizehn!”

“Guten Abend,” meinte der Angesprochene ruhig und sachlich, “willst du uns nicht vorstellen?”

Er deutete auf den frisch Verliebten mit den großen Augen.

“Ach ja, natürlich; Friwi, das ist Christian Fink, Architekt und mein Begleiter durch diese neue Zeit; Herr Fink, dies ist Friedrich Wilhelm Markowsky, mein herausragender Freund und Kollege, in dessen Haus wir uns heute umgesehen haben und dem ich einiges, wenn nicht alles, verdanke.”

Händeschütteln.

“Friwi, alter Junge,” maunzte der Professor, “wieso bist du eigentlich hier? Erst dieses Mädchen...”

“Die Sängerin, die mal Tänzerin war?”

“Genau.”

“Julius, du hast Mist gebaut.”

“Haha!” trompetete der Kritisierte, “du hast es mir ja nicht glauben wollen, was? Zeitmaschine!” imitierte er ihn spöttelnd, “Zeitmaschine –das geht nicht, lass es doch sein, verschwende nicht deine Zeit! Das funktioniert doch niemals!”

Es hat auch nicht funktioniert.”

“Was? Haha! Wo befinden wir uns denn? Und, bitte, wann? Bitte, Christian, mein lieber junger Freund, sagen Sie dem netten Herrn doch, welchen Tag wir haben.”

“Es ist der 2. September 1994.”

“Tja, Friwi!” Der Alte warf sich in die Brust. “So sieht‘s nämlich aus, mein kleiner Versuch wurde ein voller Erfolg. Auch dich hat wohl eine Unebenheit in der Raum-Zeit-Korrelation mitgenommen. Und du weist einige Symptome akuter Verwirrung auf. Setz dich doch bitte.”

Friwi Markowsky setzte sich. Erst jetzt konnte man ihn besser erkennen. Ein ebenmäßiges, wenig gealtertes schmales Gesicht kam zum Vorschein. Fahlblaue Augen flossen wahrlich über vor Melancholie, die graue Gesichtsfarbe schien sich mit dem aschblonden, schütteren Haar zu decken.

Er war ähnlich gekleidet wie der Professor, wenn man einmal von seiner langen, schlanken Figur absah, und davon, dass seine Klamotten einen teureren und frischeren Eindruck machten und auf größeren Wohlstand oder besseren Geschmack zu deuten schienen. Allerdings täuschte das schummerige Licht auch ein wenig, selbst Wittmann wirkte viel rosiger und jünger als sonst.

“Du solltest dich rasieren, Friwi!” witzelte dieser, “man erkennt ja Doktor Markowsky kaum noch!”

“Mir ist nicht nach Scherzen zumute,” antwortete der Angesprochene mit Grabesstimme:

“Wir haben ein gewaltiges Problem. Du hast Mist gebaut, Julius, kolossalen Mist: wie ich sagen muss, zum ersten Mal in deinem Leben. Du hast einen schwer wiegenden und vielleicht nie wiedergutzumachenden Fehler begangen. Ich bin versucht, ein Fäkalwort zu benutzen.”

“Ach was, wieso denn?” Wittmanns scherzende Miene war nun einer abwartenden gewichen; er kannte seinen Freund gut und hatte ihn selten so verdüstert gesehen.

Zwar neigte Markowsky zum Pessimismus, er war ein ernster und eher stiller Mann, der nur schwierig zum Lachen zu bringen war –aber er besaß keinen Hang zur Übertreibung, und so lag etwas Sorgenschweres und Verzweifeltes in seiner Stimme, was dem Professor die Freude am Wiedersehen gründlich vergällte.

“Julius, Julius,” meinte Markowsky langsam, “du hast noch nicht begriffen, was du getan hast. Du hast eine ganze Stadt verschwinden lassen.”

“Ach bitte!”

“Tja, Julius, du glaubst es nicht? Also schön. Ich werde dir die Erlebnisse des heutigen Tages der Reihe nach erzählen. Ich möchte sehen, was du dann sagen wirst. Wie du weißt, bin ich vorgestern mit meiner Frau auf diesen kleinen Kongress nach Rügen gefahren; nun ja, wenn man da noch von Kongress sprechen kann. –Meine Frau,” wandte er sich Christian zu, “ist ebenfalls Wissenschaftlerin. –Nun ja, gestern erreicht mich eine Depesche: mein Bruder ist gestorben.”

“Das tut mir leid,” sagte Wittmann betroffen.

“Ha –warte ab, es kommt noch schlimmer. Mein Bruder litt seit Jahren an chronischer Bronchitis; nichts zu machen, sagten die Ärzte. Und diese schwere Bronchitis ist aufs Herz übergesprungen. War nur eine Frage der Zeit, bis er von seinem Leiden erlöst würde.

Mein Bruder lebt –oder vielmehr: lebte– mit seiner Frau in Breslau; ich sage das Ihnen, Herr... ach ja, Fink ...da Sie ja auch alles mitbekommen sollen. Hören Sie überhaupt zu? Gut. Nun ja; ich habe sofort telefoniert und zugesagt, dass ich sofort kommen werde. Nach Breslau, versteht sich. Meine Frau blieb an der Ostsee, ich wollte nicht, dass auch sie den Kongress abbricht. Im übrigen ist sie etwas krank, und ich wollte ihr die lange Reise nach Schlesien nicht zumuten. Also setzte ich mich heute früh in eine Droschke, dann in einen Zug nach Berlin, um nach Breslau umzusteigen.

Kurz bevor der Zug in der Stadt einrollt, bleibt er stehen. Zunächst wird angekündigt, es gehe gleich weiter. Dann werden die Bahnbeamten irgendwann ehrlich und sagen, die Fahrt sei zu Ende, und wir könnten von Glück sprechen, mit dem Leben davongekommen zu sein. Ein Signal stand auf Rot, deswegen sitze ich überhaupt nur hier, lieber Julius. Es fehlten Hundert Meter Gleis; so viel zu deinen Unebenheiten in der Raum-Zeit-Korrelation. Haha!

Nun begann die Tortur. Einige der Fahrgäste picknickten im märkischen Sande, ich hingegen hatte es eilig und ging zu Fuß ins nächste Dorf, das zum Glück nicht sehr weit entfernt lag. Dort mietete ich mir ebenfalls eine Droschke: wie hätte ich auch sonst nach Berlin gelangen können!? Ich hatte mich auf meinem kleinen, aufgrund der Hitze recht anstrengenden Fußmarsch bereits gefragt, warum zwischen Stralsund und Berlin plötzlich Gleis fehlt, vermutete aber, es werde sich um einen böswilligen Anschlag handeln. Diesen Kommunisten ist ja einiges zuzutrauen. Als die Droschke jedoch in den Vororten Berlins eintrudelt: was müssen meine alten Augen erblicken? Eine komplett ausgewechselte Stadt! So, meine Herren, das ist das Problem.”

“Ich verstehe gar nichts,” meinte Christian.

“Tja, junger Mann, ich verstand sofort, dass mein geschätzter Freund und Kollege Julius Wittmann dahinter stecken musste. Ich will mich nun kurz fassen: wir schreiben heute den 2. September 1930. Das ist so, daran wird es nichts zu rütteln geben. Mehr gibt es eigentlich nicht zu sagen.”

Der Professor schaute ihn totenbleich und völlig entgeistert an:

“Das kann nicht sein.”

“O doch,” entgegnete Markowsky kühl, “das kann nicht nur sein, das ist sogar so. –Sagtest du nicht des öfteren selber: <Nichts kann nicht sein>? Nun ja. In gewisser Hinsicht hattest du Erfolg. Du hast die Stadt einfach ausgetauscht und aus der Zukunft in die Gegenwart geholt. Und wir haben den 2. September 1930. Bislang dürften noch nicht sehr viele Menschen außerhalb dieser Stadt etwas gemerkt haben; wie man weiß, ist der 2. 9. ein Feiertag,” wandte er sich wieder an Christian, “und die meisten märkischen Dörfer begehen diesen Festtag, der sich Sedantag nennt; die Leute haben kein Interesse, nach Berlin hineinzufahren; umgekehrt vielleicht schon eher, will ich meinen. Man fährt aufs Land, hisst die schwarz-weiß-rote Flagge und gibt sich emotional deutschnational. So. –Ich denke, dass es einfach nur daher bislang noch keinen Aufschrei gegeben hat. Aber ich werde wohl kaum der einzige sein, der bemerkt hat, dass irgendetwas faul ist im Staate Dänemark. Ich fahre, wie gesagt, mit der Droschke nach Berlin hinein. Und bin in einer Stadt, die ich noch nie gesehen habe. Einige Leute gaffen mich an, als wäre ich gerade vom Himmel gefallen. Eine Droschke in Berlin, das scheinen sie noch nicht erlebt zu haben. Vielleicht wissen sie ja auch gar nicht, was das für ein Gefährt ist, in welchem ich sitze. Wer weiß, vielleicht haben sie auch just noch nie ein Pferd gesehen, was weiß denn ich? Ich merke nur schnell, dass es sich um entweder eine völlig andere Stadt handeln muss –oder aber um das Berlin einer Zukunft; wohlgemerkt, irgendeiner Zukunft, was inzwischen fast gar keine Rolle spielt, wie ich finde, da ohnehin alles relativ ist. Dem Kutscher kommen die Tränen, ab Pankow will er nicht mehr weiterfahren. Ich schätze zumindest, es muss irgendwo in Pankow gewesen sein. Ich bezahle ihn, und das ist natürlich das letzte, was ich in meiner guten alten Währung begleichen kann.

Mit der Zeit werde ich mir sicherer, dass es sich um Berlin handeln muss, ich kenne schließlich den Dialekt und den Geruch dieser Stadt, und ich muss schon sagen: ich war irgendwie erleichtert. Eine Weile lang hatte ich die Vermutung, dass du, lieber Julius, einfach New York oder San Francisco an die Stelle transportiert hast, an welcher in besseren Zeiten einmal Berlin stand. Nun, diese Sorge wenigstens bin ich los. Ich laufe eine Weile Richtung Innenstadt, und da Berlin ziemlich groß ist, kommt mir allmählich doch der Gedanke, ich sollte ein Fahrzeug nehmen.

Nun, Droschken gibt es keine, Taxis allerdings schon; andererseits vermute ich –wie ich jetzt weiß, zurecht– dass mein Geld hier gar nichts wert ist; die Leute haben eine neue Währung und überdies nicht die leiseste Ahnung, dass irgendwas Schlimmes vorgefallen ist. Wie zum Beispiel, dass wir 1930 haben. Also besteige ich die S-Bahn und fahre zum ersten Mal in meinem Leben schwarz.

Nun, was sollte ich tun? Mir wurde klar, dass ich schlechte Karten hatte, wenn ich nach wie vor nach Breslau wollte, und im übrigen suchte ich dich, verehrter Julius, da ich mir schon dachte, dass du das Ausmaß der Folgen deines Handelns nicht überblicken konntest. Am frühen Nachmittag kam ich bei mir zuhause an, die Tür hatte jedoch ein neues Schloss. Ich meine, mir war klar, dass du nicht weit sein konntest, schließlich ist die Zeitmaschine ja dort deponiert. Ich hoffe, das Haus ist zur Zeit unbewohnt! Wie dem auch sei: ich kam natürlich nicht hinein, und du warst ja offensichtlich zu jenem Zeitpunkt nicht dort. Ich versuchte mich in deine Lage zu versetzen, und dies führte mich zum Erfolg...

Meinen toten Bruder hatte ich dann auch fast vergessen; wie ich fand und immer noch finde, ist das, was du hier angestellt hast, eine größere Tragödie als der Tod nur eines Menschen, auch wenn ich diesen Menschen geliebt habe. Im übrigen hatte ich ohnehin kein Geld und war damit der Möglichkeit beraubt, nach Breslau zu gelangen oder wenigstens zu telefonieren. Es war eine Quälerei, mit dem Gepäck durch die Stadt zu laufen, trotzdem wollte ich dich finden. Meine nächste Station war deine alte Wohnung in Wilmersdorf; nun ja, du warst nicht dort. Ich schätze mal, Sie wohnen jetzt dort?” fragte er Christian.

“Ja, das stimmt.”

“Und er hat Sie besucht? Und Sie haben ihm tatsächlich geglaubt, als er von einer Zeitmaschine zu faseln begann? Alle Achtung. –Ich durfte mein Gepäck bei einem alten Herrn abstellen; es ist einer Ihrer Nachbarn, Herr Fink; er schien mir vertrauenswürdig, und ich erfand eine Geschichte, die ich vielleicht bei Gelegenheit mal erwähne. Der Nachbar meinte nur: <schau an, schon wieder so einer>, und da war mir natürlich klar, dass du, Julius, bereits dagewesen bist.

Ich sollte vielleicht noch erwähnen, dass ich diesem Herrn meinen antiken Spazierstock für einen Spottpreis verramscht habe, um nicht zu verhungern. Es war das einzige von dem, was ich dabei hatte, das ihn interessierte. –Nun ja, was will ich mit einem Spazierstock, mögen Sie fragen, Herr Fink! Diesen Stock hat mein Urgroßvater selbst geschnitzt, anno 1834; ein solches Stück überlässt man außer im Notfall keinem Unbekannten. –Als ich mich also schließlich tränenreich von meinem Erbstück getrennt hatte, dachte ich weiter nach und legte mir allmählich meinen modus operandi zurecht. Ich vermutete, dass du gewiss versuchen wirst, diesen Menschen, deinen neuen Bekannten zu überreden, irgendwas mit dir zu unternehmen, so wie es deine Art ist; du wirst ihm die Zeitmaschine zeigen und die neue Stadt sehen wollen, und so weiter; ich kenne dich ja ein bisschen. Also habe ich ein wenig gegrübelt, wo ihr heute Abend zu finden sein werdet, und ich habe mir gedacht, dass Sie, Herr Fink, wohl die Auswahl treffen werden, alldieweil mein guter alter Freund von dieser neuen Stadt nun gar keine Ahnung hat. Die anschließenden Ermittlungen dauerten Stunden, doch führten sie zum Erfolg. Ich bin hier. Es war der letzte Ort, an welchem ich suchen wollte, wobei der Name vielversprechend war und ich mir zusammengereimt hatte, dass Sie meinem alten Bekannten ein Etablissement mit derartigem Namen vorführen werden. Wärt ihr nicht hier gewesen, hätte ich mich wieder nach Wilmersdorf zurück begeben und euch dort erwartet.”

“Die Zugverbindungen könnten doch noch funktionieren,” wandte Christian ein, der die ganze Geschichte gar nicht als so katastrophal empfand, wie Markowsky sie schilderte, “ich frage mich nur, was für ein Gefühl das sein muss, wenn irgendein Berliner mit der Bahn nach Köln will und 1930 ankommt.”

“...oder fliegt,” ergänzte Wittmann düster.

“Nein, nein, der Flughafen ist tot, die Elektronik ist ja ausgefallen. Da ist’s zappenduster. –Funk und Telefon sind auch ausgefallen,” meinte Christian, nun an Markowsky gewandt.

“Das ist ja eine Katastrophe,” sagte Wittmann tonlos, “wie sollen wir das wieder geradebiegen?”

“Tja, Julius, das hättest du dir vielleicht vorher überlegen sollen, nicht?”

“Friwi, das war nicht beabsichtigt! Ich wollte nur eine kleine Zeitreise ins Jahr 1994 machen, nicht eine Stadt ins Unglück stürzen! –Bist du dir ganz sicher, dass alles so stimmt, wie du’s erzählt hast? Wir sind ganz sicher immer noch im Jahre 1930?”

“Sicher.”

“Und ich habe die Stadt der Zukunft einfach nur in unsere Zeit geholt?”

“Genau.”

“Cool,” meinte Christian, “endlich erleb ich mal wieder was; das ist ja wirklich ein toller Tag.”

“Friwi, das ist eine Katastrophe, du musst mir glauben, das war nicht meine Absicht.”

“Julius, was soll ich dir da glauben? Das weiß ich doch! Du bist kein böser Mensch, du wolltest mal wieder nur das beste. Und lass uns nicht mit Entschuldigungen um uns werfen; das macht keinen Sinn. Lieber sollten wir überlegen, wie wir dem beikommen. Kannst du es rückgängig machen?”

“Prinzipiell natürlich. Wir sollten uns die Zeitmaschine heute noch ansehen; ich habe das dumpfe Gefühl, dass damit etwas nicht stimmt. Irgendwas ist nicht in Ordnung, schon die Gangschaltung hat nicht funktioniert, und ich befürchte, dass der ganze Apparat jetzt im Moment noch nicht arbeitsfähig ist.”

“Was soll das heißen, Julius?”

“Bei meiner Ankunft... na ja, also, als ich glaubte anzukommen, respektive, als Berlin sozusagen ankam... da gab es neben dem kräftigen Rums noch ein Geräusch wie von just zerschmettertem Geschirr; ich war viel zu neugierig auf das, was ich erleben würde, als dass ich genau nachschauen wollte, ob etwas zu Bruch gegangen war.”

“Kann man das reparieren?”

“Natürlich. Man kann alles reparieren.”

“Wie lange dauert das?”

“Das hängt davon ab, was es ist.”

“Ich hoffe, es geht schnell. Wir werden früh genug die Auswirkungen deiner Experimentierfreude zu spüren kriegen, wenn zum Beispiel morgen die ersten neugierigen Brandenburger in die Stadt strömen und die Zukunft in Augenschein nehmen. Und umgekehrt natürlich, die Berliner werden ja irgendwann auch begreifen, dass um sie herum tiefe Vergangenheit herrscht, aus ihrer Perspektive. Irgendwann entsteht eine Massenpanik. Und es gibt wahrscheinlich Chaos, Verletzte, Tote.”

“Warum bin ich überhaupt hier geblieben?” fragte sich Wittmann mitten in Markowskys apokalyptisches Sprachgemälde hinein und begann zu grübeln.

“Ich hätte es dir verbieten sollen,” sagte Markowsky hart und bitter, “in meinem Keller ein solches Ding zu basteln. Es war eine unverantwortliche Fahrlässigkeit meinerseits.”

Wittmann schüttelte traurig den Kopf.

“Wie du schon sagtest, Friwi: es nützt jetzt nichts mehr, sich darüber den Kopf zu zerbrechen. Natürlich müssen wir dieses Experiment rückgängig machen, ich fürchte nur, das wird nicht sofort geschehen können. Außerdem würde mich noch die Grenze der Wirksamkeit meines Experimentes interessieren, also bis wohin meine Zeitmaschine Einfluss nehmen konnte. Ich kann mir nicht vorstellen, dass die Wirksamkeitsgrenze mit der Stadtgrenze übereinstimmt.”

“Das ist jetzt völlig gleich,” widersprach Markowsky, “wir müssen Schlimmeres und Schlimmstes verhindern, das ist alles, was wir zu tun haben.”

“Nein, nein, ich will mir die Kollateralschäden ansehen, die ich verursacht habe. Zunächst sollten wir natürlich die Zeitmaschine untersuchen. Ich werde dann eine Diagnose erstellen, was ihren Zustand und die ungefähre Dauer ihrer Reparatur betrifft. Dann sollten wir morgen...”

“Einige Dörfer sind sicher auch betroffen, Julius,” fiel ihm Markowsky zynisch ins Wort, “willst du die gesamte Stadtgrenze abfahren?”

“Nein, aber wir müssen uns einen Überblick verschaffen, und dafür müssen wir wissen, was ich genau getan habe. Man wird die Grenze sehen können. Du hast ja gesagt, es fehlten hundert Meter Gleis. Es werden an der Grenze der Wirksamkeit mehr Unregelmäßigkeiten passiert sein, an welchen man ablesen kann, bis wohin 1994 ist –lass es mich für den Moment so ausdrücken-- und wo alles beim Alten geblieben ist. Das sollten wir morgen in Angriff nehmen.”

“Wunderbar,” rief Markowsky mit Sarkasmus in der zitternden Stimme, “die Zeiten sind vertauscht, eine Katastrophe hat sich ereignet, und die Herren unternehmen eine Landpartie! Phantastisch!”

“Friwi, wir müssen exakt arbeiten. Wir müssen genau wissen, was passiert ist, ich muss ja auch sehen, welchen Schaden ich angerichtet habe. Noch ist es nur ein Unglück. Bald kann es eine Katastrophe sein. Ich bin dafür verantwortlich, also werde ich diese Katastrophe verhindern.”

“Du hast das Ding gebaut, es hat nicht funktioniert. Traue dir bitte nicht zuviel zu,” erwiderte Markowsky nun mit kaltem Gesichtsausdruck.

Die Musik hatte längst wieder begonnen, doch die Physiker hörten nicht zu. Nur Christian bemerkte Charlotte wieder auf der Bühne und wandte sich ihr zu, um die beiden Alten ungestört streiten zu lassen. Dem Gespräch hatte er ohnehin nicht mehr ganz folgen können, und er wollte auch nicht, da ihm nicht klar war, was an dem Missgeschick, welches dem Professor unterlaufen war, ein wirkliches Unglück sein sollte –noch gestern allerdings hätte ein nüchterner Christian die ganze Angelegenheit aus einer völlig anderen Perspektive gesehen. Jetzt allerdings hatte er andere Sorgen, und der Grund dafür stand gerade auf der Bühne und sang. Der Streit der alten Herren störte zu Beginn noch; bald jedoch war die Problemwälzerei weit weg. Der Rest der Welt schrumpfte zu einer Erbse zusammen und verkrümelte sich hinter die Rückwand der Kneipe.

Christians Martini stand halbvoll und deprimiert vor ihm, wurde warm und klebrigerweise untrinkbar. Irgendwelche Stimmen riefen mehrmals seinen Namen. Schließlich schob sich der dicke Kopf des Professors in sein Gesichtsfeld und durchbrach die Magie des Augenblickes.

“Hallo Sie! Sie sind wieder ansprechbar, ja? Fein.”

“Was?”

“Sie könnten uns wieder Ihrer Aufmerksamkeit teilhaftig werden lassen. Also, hören Sie zu: wir müssen jetzt gehen. Wir werden uns noch einmal kurz die Maschine ansehen, dann für heute Schluss machen, zeitig ins Bett gehen, da wir morgen sehr früh aufstehen sollten.

Um die knappe Zeit besser zu nutzen, wird mein Freund Friwi heute mit uns nächtigen, wenn Sie nichts dagegen haben.”

“Nein, nein... aber ich kann noch nicht weg...”

“O doch, Sie können. Reißen Sie sich los, es gibt Millionen Mädchen, und wir sind nun mal auf Sie angewiesen. Sie haben eine Wohnung, ein Auto, wie Sie mir jüngst erzählten, und Sie sind ein guter Kerl, wie ich bisher fand. Es tut mir leid. Kommen Sie bitte.”

In diesem Augenblick endete ein Lied, und es gab Beifall; Christian schaute sich im mittlerweile gut gefüllten Laden um und freute sich ganz kurz darüber, dass seine neuerdings Angebetete Leute gelockt hatte.

–“Gehen wir!”–

Das Glück war mit ihm. Es schien sich abermals um eine Pause zu handeln; er riss sich von den beiden Physikern, die ihn hetzten, los und bewegte sich auf unsicheren Beinen zu seinem Schwarm.

“Charlotte, ich...” Versuchte, ihr so selbstbewusst wie möglich in die Augen zu schauen, doch mit einemmal siegte wieder die Schüchternheit, und er fühlte sich wie ein zum ersten Mal verliebter Schuljunge.

“Ick sing morgen hier und übermorgen ooch noch mal,” sagte Charlotte, “is schon jut, kannst dir uffe Socken machen. Bin ja nich aus der Welt, Christian.”

Seinen Namen hatte sie fast zärtlich ausgesprochen, und Christian wäre am liebsten auf die Knie gefallen und hätte “Nimm mich!” gebrüllt, aber er bemerkte, dass er ohnehin schon schwankte und wieder irgendwelchen Phantasien nachhing; außerdem wäre das eine etwas peinliche Aktion gewesen, sagte der klägliche Rest Nüchternheit in seinem Hirn. Sie hielt in der Bewegung des Wieder-Umdrehens inne und zog ihre fein geschwungenen Augenbrauen hoch, als erwarte sie, er wolle noch was sagen.

“Dann bis morgen,” krähte etwas in seiner Kehle.

Sie zwinkerte und ging zu ihrem Pianisten, der in diesem Moment aufstand, um sie an der Schulter zu tätscheln. Christian mochte auch den Pianisten, den er von irgendwoher kannte und der, wie er fand, vollkommen schwul aussah.

Dann wandte er sich um und trottete seinen neuen Bekannten hinterher, die mit inzwischen großväterlicher Güte seiner harrten.

Name: Friedrich Wilhelm Markowsky

Wohnort: Berlin-Zehlendorf

geboren: 3. Februar 1871 im südlichen Litauen

Größe: 1,77m

Gewicht: ca. 72kg, Tendenz eher fallend

Augenfarbe: graublau

Haarfarbe: aschblond, bald hellgrau

Beruf: Physiker

Lieblingsautor: G. E. Lessing, Schiller, Goethe

Lieblingsmusiker: Mozart, aber manchmal auch Wagner

Lieblingskunststil: griechische Antike

Lebensstationen: Litauen, Königsberg, Breslau: Studium Medizin & Physik,

Universitäre Laufbahn in Breslau und Berlin

Lebenseinstellung: fatalistisch, arbeitsam, oft melancholisch, “schwarzer Humor”

größte Abneigung: betrunkene junge Männer mit “nationaler” Gesinnung

Bär, Hinkender, Fistelstimme

Hermann Paschke hatte, wie man heute sagen würde, seine Informanten. Als lokale Größe der Nazibewegung in Frankfurt/Oder waren ihm ein rundes Dutzend, vielleicht auch mehr, Gefolgsleute treu ergeben. Zu Gleichgesinnten außerordentlich jovial und umgänglich, genoss er den zweifelhaften Ruf eines “guten Führers”. Er duzte immer und ließ sich auch immer duzen –selbstverständlich nur von Kameraden; der klassisch arrogante preußische Offizierston kam in seinen Befehlen nicht vor, die er als „Aufforderungen“ verstanden wissen wollte. Dass seine Gefolgschaft für ihn durchs Feuer gehen würde, stand außer Frage; vom Willen beseelt, als “gute Männer” zu gelten, praktizierte sie stets eine Art vorauseilenden Gehorsams, so dass Paschke schon eine feste Größe darstellte, als die NSDAP noch keinen Fuß in den Stadtrat gesetzt hatte.

Seine Spione waren agile, wenn auch nicht allzu helle Burschen, die auch schon mal auf eigene Faust durchs Land fuhren, um Wissenswertes und Gerüchte aufzusammeln, die ihrem Führerchen vielleicht nützen würden. An diesem 2. September waren einige dieser Gefolgsleute Richtung Berlin unterwegs gewesen; und genau diese standen vor ihm, als Paschke auf das stürmische Klopfen in der Nacht die Tür öffnete. Es waren drei an der Zahl, und ihre Namen sollen uns nicht weiter interessieren. Sie grüßten mit erhobener Hand.

“Was gibt’s,” fragte Paschke mit unterdrücktem Gähnen; er war bereits fast eingeschlafen gewesen.

“Unglaubliche Neuigkeiten,” antwortete der Kleinste von ihnen mit einer dünnen Fistelstimme, “in Berlin ist etwas passiert.”

Paschke nickte ohne besonderes Interesse, gähnte abermals und lud die drei anschließend zu einem Schnäpschen in die gute Stube. Ein Gaslicht wurde entzündet, und die vier Gestalten hockten sich um einen etwa quadratischen Tisch der Sorte “Eiche mundgebissen”.

Einige deutsche Geweihe schmückten düster und todesbedrohlich die ansonsten weitgehend kahlen deutschen Wände des kleinen viereckigen deutschen Zimmers. Dem Erzähler bot sich ein lustiger Anblick, als er hinter jedem der ernsten deutschen Männer ein solches Geweih erspähen durfte.

“Berlin hat sich verändert,” berichtete einer der Untertanen, welcher ein Bein nachzog und den typischen Eindruck eines Kriegsversehrten machte, mit leichtem östlichen Akzent,

“wir haben zunächst das Gerücht in einem kleinen Dorf aufgeschnappt und sind dann hingefahren, ungläubig. Kamerad, es sah aus wie ausgewechselt, als sei die Reichshauptstadt völlig neu erbaut worden.”

“Völlig neu,” ergänzte ein anderer, der einen Bärenkörper und eine dunkle, langsame Stimme besaß.

“Wir hatten nicht allzu viel Zeit,” schnarrte der Kleine mit der Fistelstimme nun wieder, “nicht genug, um uns die ganze Stadt anzugucken, aber es ist ein Rätsel, irgendwas stimmt da nicht, die Stadt ist wie ausgetauscht.”

Paschke nickte bedächtig und fragte nach den Eindrücken seiner Vasallen: was sich ereignet haben könnte. Sie konnten der Frage nur mühsam folgen.

“Wie meinst du das?” fragte der Bär.

Paschke, der wusste, dass Logik und Kombination nicht zu den Talenten dieser Truppe gehörten, wiederholte die Fragen in gemütlichem Ton.

“Das wissen wir nicht,” japste die Fistelstimme, “das wissen wir nicht! Wir wollten dir nur die Nachricht überbringen, Kamerad! Vielleicht solltest du diese Meldung sogar” –und hier senkte sich ohne sein Zutun die unangenehme Stimme– “dem Führer persönlich überbringen.”

Die andern beiden schwiegen respektvoll. Paschke hingegen leerte sein Glas und schenkte den andern und sich selbst nach. Er musste erst genau wissen, was los ist, dachte er laut. Die drei begannen sich für ihre Dummheit zu schämen. Paschke, der dies bemerkte, hakte jedoch sofort nach und lobte sie für ihre Entdeckung, sie hätten ihre Sache sehr gut gemacht, man würde die Angelegenheit prüfen und dann danach anschließend vielleicht den Führer fernsprechen.

Die andern atmeten tief und stolz. Für heute war es erst einmal genug, fand er, und er beauftragte sie, ruhig schlafen zu gehen und morgen Mittag wiederzukommen. –”Heil Hitler!” – ”Heil!” –

Die drei marschierten ab; Paschke verschloss die Tür, leerte mit Vergnügen alle vier Gläser, legte sich befriedigt ins Bett und schlief im Handumdrehen ein.

Dass diese Gruppe überhaupt funktionierte, hatte, lieber Leser, natürlich mehrere Gründe.

Zur Paschke-Truppe zu gehören, bedeutete, Teil einer Art Symbiose zu sein, die angeblich das Ideal der deutschen Volksgemeinschaft darstellen sollte. Paschke hatten ihnen das echte Nazi - Gedankengut nähergebracht, war er doch der einzige von ihnen, der ab und zu mal ein Buch zur Hand nahm und gegebenenfalls sogar darin las.

Selbst den Linken in der kleinen Stadt hatte der schlaue Handwerker einige Streiter abspenstig gemacht. In dieser Truppe standen zwei Mechanikern und mehreren Handwerkern aus diversen Berufen einige Bauern gegenüber; man versorgte sich gegenseitig in allen möglichen Not- und anderen Fällen mit Kartoffeln, Brot, Möbeln und anderen unentbehrlichen Gegenständen.

Paschke betonte stets: “So wird einmal das gesamte deutsche Volk leben!” und erwies sich somit als echter ungetrübter Idealist! Die Geldwirtschaft war innerhalb des kleinen Zirkels abgeschafft; jeder begriff sich als Teil des ganzen und nichts als das; geriet jemand in Not, so wurde beisammen gestanden, geholfen, gesammelt; es wurden zinslose Kredite gewährt, die auf Paschkes Order sogar ab und zu nur zur Hälfte zurückgezahlt werden mussten, je nach aktueller Einkommenslage: Zinsen seien jüdisch, hatte Paschke gesagt, und das Interesse der Juden sei schon immer die Ausschaltung der deutschen und überhaupt jeder höheren Kultur gewesen; mittels des Zinses gelinge es den Juden, den Spaltpilz des moralischen Verfalls in die Zivilisation zu pflanzen.

Die meisten seiner Mannen waren alte Frontkämpfer; und weil niemand in diesen Kreisen die allgemeine Entwaffnung mitgemacht hatte, war, rechnet man die jahrelangen guten Beziehungen zur Schwarzen Reichswehr hinzu, ein erkleckliches Arsenal an Schusswaffen zusammengekommen.

Das Unglück von Armut und Arbeitslosigkeit hing natürlich mit dem Ausland zusammen und seinen Liebedienern im “Reich”, wie Deutschland meistens genannt wurde: den Demokraten nämlich, welche das im Felde unbesiegte Heer zum Verlierer gestempelt, den Schandfrieden von Versailles unterzeichnet und die Deutschen in Zersplitterung und Sittenverfall geführt hatten. Mit jüdischem Kapital. Und außerdem den Kommunisten, Bolschewisten, Marxisten und so weiter im Schlepptau, die Deutschland zur russischen Kolonie machen wollten.

Dergleichen war gar nicht so neu, schon seit Jahrzehnten kursierte Derartiges in den Köpfen von Millionen, in immer wechselnden Schattierungen: mal pastellfarben und vorsichtig, mal gedeckt und dumpf vor sich hin brütend, mal aggressiv und grell; und so nahm man nun an, was man schon früher gewusst zu haben glaubte. Zudem man diesen schlimmen Dingen ein Ideal entgegenhalten konnte: das Ideal des Hermann Paschke, die “Weltanschauung” der Nazis, die in Paschkes Worten stets eine harmonisierende und etwas sozialistische Färbung annahmen.

So würde dereinst das ganze deutsche Volk leben! Befreit von allen verschwommen halb bekannten Fesseln und allen möglichen anderen Dingen, die man nicht verstand. So oder so ähnlich.

Name: Hermann Paschke

Wohnort: Frankfurt/Oder

geb. am 27. November 1894 in der Nähe von Küstrin

Größe: 1,67m

Gewicht: >75 kg

Augenfarbe: milchgrau

Haarfarbe: aschblond

Beruf: Schreiner

Lieblingsspeise: alle Arten Wurst

Lieblingsautor: Hitler

Lebensstationen: Lehre, Freiwilliger, später Unteroffizier im Krieg (1914-18), danach FfO.,

seit einigen Jahren Meister und Nazi

Lebenseinstellung: überlegt, diszipliniert fanatisch, harmoniebedürftig

größte Abneigung: schwule kommunistische jüdische Bankdirektoren

Das große Bumsfallera

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