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Kapitel 3: Wie ein brennender Scheiterhaufen

„So sei es – ihr habt euch entschieden!“

Die vermummte Gestalt hob ihren Arm und die Luft schien zu vibrieren. Den Jugendlichen wurde schwindelig und ein schwarzer Nebel umhüllte sie. Ihre Körper schmerzten, als wollte ein Fischer seine Angelschnur samt Angelhaken herausreißen. Ihre Sinne schwanden und für einen kurzen Moment war alles dunkel. Als sie wieder zu sich kamen, befanden sie sich plötzlich in einem großen Raum, der einer Lagerhalle glich und voller Menschen war.

„Es gibt wohl mehr ‚Auserwählte’, als wir angenommen hatten“, presste Kyros mürrisch hervor. Es konnte sich hier nur um eine Falle handeln. Hatte er nicht von Anfang an gesagt, dass man diesem Typ nicht trauen konnte? Und trotzdem hatte er es nicht verhindern können, dass sie wie Fische ins Netz gegangen waren. Er fühlte sich richtig dämlich.

Die vier Freunde blickten sich unsicher um. In der Halle befanden sich mit ihnen über fünfzig Menschen, alles Jugendliche in ihrer Altersgruppe. Keiner schien den vier die geringste Aufmerksamkeit zu schenken. Es war fast so, als wären sie unsichtbar. Die übrigen Auserwählten saßen in unterschiedlich großen Gruppen zusammen. Nur wenige von ihnen waren allein. Ein nervöses Flüstern durchzog den eckigen Raum, Augenpaare blickten sich neugierig um oder starrten einfach schweigend ins Leere. Jeder hing seinen eigenen Gedanken nach. Es schien, als würden sie alle gemeinsam auf etwas warten.

„Was … was machen wir jetzt?“

Nakata blickte sich eingeschüchtert und ängstlich um. Sie hatte schon jetzt mit ihrer aufsteigenden Panik zu kämpfen, obwohl die Prüfung nicht einmal begonnen hatte. Rinoa und Kyros beäugten die Situation misstrauisch. Hatten sie einen Fehler begangen? Rinoa zwirbelte nachdenklich an einer ihrer Haarsträhnen. Eine bedrückende Beklommenheit hatte sie befallen und ließ sie nicht mehr los. Irgendetwas war hier nicht in Ordnung. Nur Rose schien die Ruhe selbst zu sein und ließ sich nicht von dem Tumult um sie herum anstecken. Sie fühlte sich besonders und außergewöhnlich stark. Ein berauschendes Gefühl von Macht und Überlegenheit hatte sich in ihrem Körper ausgebreitet, berauschend wie eine Droge. Sie wollte dieses krasse Gefühl so lange wie möglich behalten.

„Ich … ich hab Angst! Können wir nicht wieder zurück? Vielleicht war es ein Fehler! Ich habe ein ungutes Gefühl. Bitte, ich möchte hier raus.“

Nakata kam nicht mehr gegen ihre Panik an. Sie konnte die Tränen nicht mehr zurückhalten. Die vielen Menschen um sie herum, die sie nicht kannte und auch nicht kennenlernen wollte, machten sie nervös. Deren bloße Anwesenheit nahm ihr die Luft zum Atmen – fast wie bei ihrem Stiefvater.

„Ich fürchte, dass ist jetzt nicht mehr möglich“, äußerte Rinoa ihren Verdacht und Kyros antwortete mit einem stummen Nicken. Er fühlte sich wie bei einer Hinrichtung – seiner Hinrichtung.

Die Stimmung im Raum änderte sich schlagartig. Einige, die vorher an der gegenüberliegenden Wand gesessen hatten, sprangen wie von einer Tarantel gestochen auf. Hysterische Schreie durchfluteten den Raum und die Gesichter der Auserwählten verwandelten sich in angstverzerrte Fratzen. An Kyros‘ Ohr drangen keine ganzen Sätze mehr, sondern nur noch einzelne Wortfetzen, deren Bedeutung ihn jedoch erstarren ließen.

„Feuer!“

„… werden uns … abfackeln!“

„… alle sterben!“

In diesem Augenblick roch auch er den beißenden Gestank, der sich in seine Lungen fraß und sich schwer in seinem Hals absetzte. Wie eine große, bedrohende Welle breitete sich Panik unter den Anwesenden aus. Alle fingen an, durcheinander zu rennen, andere wurden umgerannt und überrannt. Jeder achtete nur noch auf sich und Kyros konnte nicht sagen, was gefährlicher war: das nicht sichtbare Feuer, die giftigen Rauchschwaden oder die Menschen selbst.

„Wir müssen hier weg! Schnell! Sonst werden wir überrannt! Raus aus der Mitte!“, rief Kyros geistesgegenwärtig seinen drei Freundinnen zu, die schon am eigenen Leib zu spüren bekamen, was er meinte. Ellenbogen und Fäuste trafen sie und ließen sie schmerzerfüllt aufschreien. Der Menschenstrom verwandelte sich in einen reißenden Sog, die drohte sie mitzuschleifen. Sie hatten alle Mühe, sich gegen die anderen zur Wehr zu setzen und sich auf den Beinen zu halten. Sie folgten Kyros, der sich unter Aufbringung all seiner Kräfte einen Weg durch die chaotische Menge zu bahnen versuchte. Der dunkle Rauch hatte sich nun an der Decke festgesetzt und begann mit einer schnellen und stetigen Geschwindigkeit nach unten zu dem aufgebrachten Mob zu wandern. Die Luft wirkte verbraucht und das Atmen fiel ihnen schwer. Um sie herum erklangen die Schreie des Todes, die sich wiederhallend in ihren Ohren festsetzen. Die Hitze des lodernden Feuers hatte angefangen, sich in dem Raum zu verbreiten.

„Wie ein großer Scheiterhaufen“, murmelte Rinoa und erschauderte bei dem Gedanken.

Plötzlich wurde Kyros hart getroffen und taumelte durch die Wucht des Schlages zur Seite. Er versuchte vergeblich, Halt zu finden, stolperte stattdessen über irgendetwas Festes und fiel schwer zu Boden. Schnell eilten die drei ihm zu Hilfe und stellten sich wie eine Schutzmauer um ihren Kameraden, bevor er von der panischen Menschenmasse überrannt wurde.

„Mir … ich … bin okay. Was zum Henker war das?“

Alles um ihn herum schien sich zu drehen und die Luft wollte nicht mehr so recht in seine Lungen gelangen. Er raffte sich auf die Knie und tastete auf dem Boden nach dem Gegenstand, über den er gestolpert war, und fand ihn. Es war ein faustgroßer Eisenring, der früher oft an Falltüren benutzt worden war. In Kyros Gesicht flammte ein kleiner Funken Hoffnung auf. Hektisch suchte er nach Rinnen und Unebenheiten im Boden, die auf einen rettenden Ausgang hinwiesen.

„Passt auf, dass wir nicht umgerannt werden!“

Rose, Rinoa und Nakata sahen zwar nicht, was ihr Freund tat, der Rauch war schon viel zu weit nach unten gezogen und vernebelte die Sinne, doch blieb ihnen keine andere Wahl, als um festen Stand zu kämpfen oder sich gleich mit dem Tod abzufinden. Nakata entfuhr ein erstickter Schrei, als an einer nahe liegenden Ecke die Decke einstürzte und sich das Feuer nun seinen Weg in den Raum suchte und wild um sich schlug, um ein Stück Fleisch zu ergattern. Jetzt schien der Tod unausweichlich, der Henker war eingetreten …

Wie von Sinnen riss Kyros an dem eisernen Ring herum. Sein Verstand war ausgeschaltet. Er musste es schaffen, und zwar schnell. Genau in diesem Moment spürte er einen leichten Ruck und die Tür ging schwerfällig auf.

„Ich hab’s! Springt da rein! Na los, macht schon!“, schrie ihnen Kyros von unten hektisch entgegen.

Die drei Mädchen duckten sich zu ihm und ertasteten ein klaffendes Loch im Boden.

„Leider ist keine Leiter da, aber alles ist besser, als hier oben zu sterben. Also los!“

Keiner von ihnen bewegte sich, bis Rose einen heftigen Stoß von hinten erhielt und schreiend hinunterstürzte. Den anderen drei stand der Schock ins Gesicht geschrieben. Die Luft war von angstverzerrten Schmerzensschreien durchzogen, aus Nakatas Augen rannen Tränen. Tränen der Hoffnungslosigkeit, der Verzweiflung, der Angst und der Fassungslosigkeit. Sie konnte nicht begreifen, was hier passierte. Menschen verwandelten sich in lebendige Fackeln und der Gestank von brennendem Fleisch wurde übermächtig. Doch in diesem Augenblick hörten sie von unten Roses laute und klare Stimme.

„Mir geht’s gut! Hier ist, glaube ich, noch ein Raum. Es ist stockdunkel und ich kann nichts sehen. Ich glaube, ich bin auf Matratzen oder so etwas Ähnliches gelandet. Kommt schnell runter. Euch passiert nichts!“

Erleichterung durchfloss die anderen drei, doch es blieb keine Zeit, um sich lange zu freuen, denn die Lage spitzte sich gefährlich zu. Schnell hüpfte Rinoa nach unten. Nakata wartete kurz, dann sprang auch sie innerlich betend in das schwarze Nichts. Kyros drehte sich um und versuchte, krampfhaft etwas zu erkennen, doch die dicken Rauchschwaden machten dies fast unmöglich. Sein Körper schmerzte und er stöhnte auf. Wie gerne würde er schlafen und sich ausruhen, doch daran war nicht zu denken. Er wollte so viele wie möglich von den fremden Mitstreitern retten und schrie durch die brennende Hölle, aber niemand beachtete ihn, alle waren viel zu sehr mit sich selbst beschäftigt, rannten kreuz und quer und waren dabei, den Verstand zu verlieren. Deswegen griff er um sich und zog einige zu der rettenden Falltür und stieß sie durch das Loch im Boden. Er wurde angerannt, bekam Ellenbogen in die Magengrube und Schläge ins Gesicht. Der Jugendliche schnappte verzweifelt nach Luft, verlor das Gleichgewicht und kippte um wie ein nasser Sack. Sein Bewusstsein schwand dahin und er wurde in Sekundenschnelle ohnmächtig, eingebettet in die Todesschreie der anderen Verurteilten. Dann war alles still.

Verlockender Traum

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