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Schönchen Goldhaar
ОглавлениеFranzösisches Märchen (Übersetzung von Dr. Kletke)
Es war einmal eine Königstochter, die war so schön, dass es nichts Schöneres auf der Welt gab, denn sie besaß eine glockenhelle Stimme und ihr goldgelbes Haar war viel feiner als Gold und fiel ihr in langen Locken bis zu den Knien herab. Sie war wie eingehüllt darin, trug fast immer einen bunten Blumenkranz auf dem Kopf und Kleider, die mit kostbaren Edelsteinen und Perlen besetzt waren. Niemand konnte sie ansehen, ohne sie zu lieben, und deshalb nannte man sie Schönchen Goldhaar.
Im benachbarten Königreich gab es einen jungen König, der noch unverheiratet war, sehr hübsch und überaus reich. Als er vernahm, was man alles von Schönchen Goldhaar erzählte, empfand er, ohne sie überhaupt jemals gesehen zu haben, eine so heftige Liebe zu ihr, dass er alle Lust zum Essen und Trinken verlor und sich entschloss, einen Gesandten auszuschicken und sie zu seiner Gemahlin zu verlangen. Er ließ seinem Gesandten eine prächtige Kutsche bauen, gab ihm eine reich verzierte Truhe mit den wunderbarsten Geschenken, mehr als hundert der edelsten Pferde sowie eine große Anzahl von Dienern mit und forderte von ihm, unter allen Umständen die Prinzessin in sein Königreich mitzubringen.
Als der Gesandte von dem König Abschied genommen hatte und abgereist war, sprach man im ganzen Schloss von nichts anderem. Und der König, der keinen Augenblick zweifelte, dass Schönchen Goldhaar »Ja« sagen werde, ließ für sie schon prächtige Kleider nähen und wunderschöne Möbeln bauen.
Während sich nun die Schneider und Handwerker in voller Emsigkeit an ihre Arbeit machten, die Aufträge des Königs bis zum Eintreffen der künftigen Königin zu dessen vollster Zufriedenheit zu erfüllen, traf der Gesandte bei Schönchen Goldhaar ein und unterbreitete seinen Auftrag.
Vielleicht war die Königstochter an diesem Tag nicht bei guter Laune, oder ihr gefielen die in schönsten Worten vorgetragenen Kompliment nicht, denn sie entgegnete hochmütig: »Ich danke dem König vielmals, habe aber kein Verlangen mich mit ihm zu verheiraten.«
Sehr betrübt über diese Antwort, verließ der Gesandte kurz darauf den Hof der Prinzessin und nahm auch alle die Geschenke wieder mit, die er ihr von Seiten des Königs überreicht hatte; denn wohlerzogen wie sie war, gab sie diese selbstverständlich zurück. Sie wusste, dass die Kostbarkeiten für die künftige Königin gedacht waren und wollte daher weder die schönen Edelsteine, noch alles Übrige behalten. Nur einen Brief in feiner Schrift verfasst nahm sie an, um den König nicht zu beleidigen.
Als der Gesandte in das Schloss des Königs, wo er bereits mit großer Ungeduld erwartet wurde, wieder anlangte, waren alle sehr traurig, dass er Prinzessin Schönchen Goldhaar nicht mitbrachte. Darüber weinte der König bitterlich; alle Bemühungen, ihn zu trösten, waren vergebens.
*
Am Hofe des Königs lebte auch ein junger Mann. Der war schön wie ein sonniger Frühlingstag, klug und aufrichtig. Daher hatte man ihm den Namen Liebhold gegeben. Von nahezu allen wurde er geliebt. Es gab nur einige neidische Höflinge, die sich über ihn ärgerten und darüber Bitterkeit verspürten, dass der König ihn bevorzugte und zu seinem Vertrauten machte.
Als Liebhold sich einmal unter diesen Höflingen befand, die ihm nicht wohlgesonnen waren, und von der Rückkehr und der erfolglosen Reise des Gesandten gesprochen wurde, äußerte er unvorsichtigerweise: »Wenn mich der König zu Prinzessin Schönchen Goldhaar geschickt hätte, so bin ich mir sicher, sie wäre mit mir gekommen.«
Sofort gingen diese boshaften Menschen zum König und sprachen: »Majestät, wisst Ihr was Liebhold soeben verkündet hat? Er sagte: Wenn er zu Prinzessin Schönchen Goldhaar geschickt worden wäre, er hätte sie mitgebracht! Seht nur den Hochmut, er will schöner sein als Ihr und bildet sich ein, die Prinzessin würde so entzückt von ihm gewesen sein, dass sie ihm überall hin gefolgt wär’.«
Auf diese Rede hin geriet der König in Zorn, so sehr in Zorn, dass er ganz außer sich war und ausrief: »Ha! Macht sich dieser Schönling etwa über mein Unglück lustig und glaubt er klüger zu sein als ich? Man bringe ihn sogleich in den großen Turm und lasse ihn dort verhungern!«
Die Leibwache des Königs ergriff Liebhold, der gar nicht mehr an das dachte, was er kurz zuvor gesagt hatte, und warf ihn in den dunklen und schmutzigen Kerker, wo er mit der äußersten Härte behandelt wurde. Der arme Mann erhielt nichts weiter als einen Sack mit Stroh, den er sich als Schlafstätte zurechtlegte. Er wäre längst verdurstet, würde nicht eine winzig kleine Quelle hinten in der Ecke durch sein Verlies fließen, von der er trinken konnte.
Eines Tages, da er kaum noch atmen konnte und geschwächt auf seinem Strohsack lag, sagte er seufzend: »Weshalb ist der König nur so zornig auf mich? Er hat kein treuerer Untertan als mich, ich habe ihn nie hintergangen oder beleidigt.«
Genau in diesem Augenblick ging zufällig der König an dem Turm vorüber und als er die Stimme des Menschen vernahm, den er einst so sehr geliebt hatte, blieb er stehen, um seinen Worten zu lauschen, obgleich seine Begleiter, welche Liebhold hassten, den König davon abzuhalten wollten, indem sie sagten: »Wozu verweilt Ihr, Majestät? Ihr wisst doch, dass er ein Bösewicht ist.«
Aber der König antwortete: »Lasst mich, ich will hören, was er zu sagen hat.«
Als er die Klagen vernahm, konnte er sich der Tränen nicht erwehren, öffnete rasch selbst die Tür zum Kerker und rief den völlig entkräfteten Mann. Liebhold erschien in seinem verwahrlosten Zustand, warf sich vor ihm auf die Knie, küsste seine Füße und sagte zu ihm: »Wodurch, mein König, habe ich diese harte Behandlung verdient?«
»Du hast dich über mich und meinen Abgesandten lustig gemacht«, versetzte der König. »Du hast gesagt, wenn ich dich zu Prinzessin Schönchen Goldhaar geschickt hätte, du würdest sie wohl mitgebracht haben.«
»Ganz recht, mein König«, erwiderte Liebhold, »denn ich würde Eure herausragenden Eigenschaften so gewandt geschildert haben, dass ich überzeugt bin, sie hätte sich durchaus nicht weigern können und damit glaube ich nichts gesagt zu haben, was Euch missfällig sein könnte.«
Der König fand, dass er in der Tat gar nicht unrecht habe, warf denen, welche ihm von seinem Günstlinge Böses berichtet hatten, einen zornigen Blick zu und nahm ihn mit sich, indem er sein hartes Verfahren gegen ihn sehr bereute.
Nachdem sich Liebhold durch eine kräftige Mahlzeit gestärkt hatte, rief ihn der König in den kleinen Saal und sagte: »Liebhold, ich liebe Prinzessin Schönchen Goldhaar noch immer, ihre abschlägige Antwort hat mich nicht zurückgeschreckt; aber ich weiß nicht, wie ich es anfangen soll, um sie für mich zu gewinnen. Ich habe also Lust, dich zu ihr zu schicken, vielleicht gelingt es dir, sie zu überzeugen.«
Liebhold antwortete darauf: »Ich bin gern bereit, Euch in allen Dingen zu gehorchen und werde gleich morgen bei Sonnenaufgang meine Reise antreten.«
»Oh!«, sagte der König, »ich will dir ein stattliches Gefolge mitgeben.«
»Das ist nicht notwendig, mein König, ich benötige nur ein gutes Pferd und einen Brief von Euch.«
Der König strahlte vor Freude und umarmte ihn. Er war sofort bereit, ihm das beste Pferd aus seinem Stall zu geben, sowie den gewünschten Brief.
*
Am nächsten Morgen nahm er vom König und seinen Freunden Abschied und trat seine Reise in das benachbarte Königreich an; ganz allein, ohne Prunk und Gesang. Sein einziger Gedanke war, durch welche Mittel er Prinzessin Schönchen Goldhaar dazu bringen könne, den König zu heiraten. Er führte Papier und Feder in der Tasche mit und wenn ihm irgendein glücklicher Gedanke einfiel, der in seine Ansprache an die Prinzessin passte, so stieg er vom Pferd, setzte sich unter einen Baum und schrieb ihn auf, um ihn nicht zu vergessen.
Eines Morgens, als er in der Dämmerung aufgebrochen war und über eine große Wiese ritt, kam ihm ein besonders schöner Gedanke; er stieg ab und setzte sich unter die Weiden und Pappeln, die einen Fluss am Rande der Wiese beschatteten. Nachdem er seinen Einfall aufgeschrieben hatte, sah er sich nach allen Seiten um, denn die Gegend gefiel ihm sehr.
Da bemerkte er im Gras einen großen Goldkarpfen, der nach Luft schnappte und kaum noch atmete. Er war, als er Mücken nachhaschte, so hoch aus dem Wasser gesprungen, dass er auf das Gras fiel, wo er nahe daran war, sein Leben zu verlieren.
Liebhold empfand Mitleid mit ihm und obgleich er ihn zu seiner Mittagsmahlzeit ganz gut hätte gebrauchen können, nahm er ihn auf und setzte ihn ganz vorsichtig wieder ins Wasser. Kaum fühlte der Karpfen die Frische des Wassers, so wurde er ganz munter und tauchte geschwind zum Grund des Flusses ab, kam kurz darauf ganz frisch ans Ufer geschwommen und sagte:
»Liebhold, ich danke dir für die Wohltat, welche du mir erwiesen hast. Ohne dich wäre ich nicht mehr am Leben, du hast mich gerettet und ich werde mich dafür dir gegenüber dankbar zeigen.« Mit dieser Versicherung verschwand er abermals im Wasser und Liebhold war über den sprechenden Karpfen nicht wenig erstaunt.
Ein anderes Mal sah er auf seinem Weg einen Raben in großer Angst. Das arme Tier wurde von einem großen Adler verfolgt, der nahe daran war, ihn zu töten und wie eine Linse verschlingen würde, wenn nicht Liebhold mit dem Schicksal dieses Vogels Mitleid gehabt hätte.
»Sieh da«, rief er, »wie der Starke den Schwächeren unterdrückt! Welches Recht hat der Adler, einen Raben zu fressen?« Er nahm seinen Bogen, den er immer bei sich trug, legte einen Pfeil auf und nahm den Adler genau ins Visier. Der Pfeil, der gleich darauf durch die Lüfte flog, durchbohrte den großen Raubvogel, sodass er tot zur Erde fiel. Voller Freude flog der Rabe auf einen Baum und sagte: »Liebhold, du bist mir edelmütig zu Hilfe geeilt, obgleich ich nichts weiter bin als ein armer Rabe; doch ich werde nicht undankbar sein, ich werd’ es dir vergelten.«
Liebhold wunderte sich über die guten Worte des Raben und setzte seinen Weg fort. Als er ein anderes Mal in einen großen Wald gelangte, so früh am Tage, dass er kaum den Weg vor sich sah, hörte er eine Eule jämmerlich krächzen.
»Horch«, sagte Liebhold zu sich, »da ist eine Eule, die in großer Not scheint, sie hat sich vielleicht in einem Netz verfangen.«