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Peter Schlemihls wundersame Geschichte.

Adelbert von Chamisso.

Vorwort.

„Aus einem alten Hause entsprossen“ — sagt Adelbert von Chamisso (eigentlich Charles Louis Adelaide de Chamisso de Boncourt) von sich selbst — „war ich auf dem Schloss Boncourt in der Champagne geboren.“ (27. Januar 1781.) „Die Auswanderung des französischen Adels entführte mich schon im Jahre 1790 dem Mutterboden. Nach manchen Irrfahrten durch die Niederlande, Holland, Deutschland, und nach manchem erduldeten Elend wurde meine Familie zuletzt nach Preußen verschlagen. Ich war im Jahre 1796 Edelknabe der Königin, Gemahlin Friedrich Wilhelms II., und trat 1798 unter Friedrich Wilhelm III. in Kriegsdienst bei einem Infanterieregiment der Besatzung Berlins Die mildere Herrschaft des Konsuls gewährte zu Anfang des Jahrhunderts meiner Familie die Heimkehr nach Frankreich, ich aber blieb zurück. So stand ich in den Jahren, wo der Knabe zum Manne heranreift, allein, durchaus ohne Erziehung; ich hatte nie eine Schule ernstlich besucht. Ich machte Verse, erst französische, später deutsche. Ich schrieb im Jahre 1803 einen Faust, den ich aus dankbarer Erinnerung in meine Gedichte mit aufgenommen habe. Dieser fast knabenhafte metaphysische Versuch brachte mich fast zufällig einem andern Jünglinge nahe, der sich gleich mir im Dichten versuchte, K. A. Varnhagen von Ense.“ (S. dessen anziehende Schilderung in seinen Denkwürdigkeiten 1,283—85.) „Wir verbrüderten uns, und so entstand unreiferweise der Musenalmanach auf das Jahr 1804. Diese Unbesonnenheit, welche ich nicht bereuen kann, ward zu einem segensreichen Wendepunkte meines Lebens. Er brachte mich in enge Verbrüderung mit herrlichen Jünglingen, die zu ausgezeichneten Männern heranwuchsen“. Unter diesen Jünglingen und Männern, die zum Symbol ihres Bundes den Nordstern („To rov nolov aggov“) erwählten, sind neben Varnhagen zu nennen: W. Neumann, Fouqué, Franz Theremin, vor Allen aber Julius Eduard Hitzig, „Vater Ede“, auch „der treue Eckard der Literatur“ genannt, der bis zum Tode sein innigster Freund geblieben; vom nachwachsenden Geschlechte schlossen sich später vorzüglich Franz Kugler, Adolf Schöll und Franz von Gaudy an ihn an. Aber trotz der beglückenden Freundschaften hatte Chamissos Jugend etwas düster Heimatloses, da ihn das Schicksal zwischen seinem Geburtslande Frankreich und seinem Adoptivvaterland Deutschland längere Zeit in der Schwebe erhielt. Aus der schmählichen Übergabe von Hameln als preußischer Subalternoffizier ehrenvoll hervorgegangen, wollte er es vermeiden, künftig wieder einmal gegen seine Landsleute dienen zu müssen, und trat aus dem Militär. Als dann im Jahre 1813 der Sturm wieder losbrach, lebte er in ländlicher Verborgenheit seiner Lieblingswissenschaft, der Botanik, und schrieb dabei den Schlemihl, um die Kinder seines Freundes Hitzig zu ergötzen. Seine wachsende Unzufriedenheit jedoch, in Verbindung mit der politischen Lage der Dinge, veranlasste den Freund, ihn auf einige Jahre aus Europa zu entfernen, und es gelang, ihn, der in Berlin eifrig Medizin und Naturwissenschaften studiert hatte, (just zur Zeit der Rückkehr Napoleons von Elba) an Bord des Rurik als Naturforscher der Romanzoffschen Weltumseglungsreise zu bringen. Wir übergehen die unwürdige Behandlung, die ihm von dem Chef dieser Expedition, Oh. von Kotzebue, sowohl während der Fahrt persönlich als nachher durch Unterdrückung seiner besten Arbeiten widerfuhr. Nach drei Jahren kehrte er zurück und fand nun in Berlin eine feste Lebensstellung als Inspector der königlichen Herbarien im Schosse häuslichen Glücks. Er starb den 21. August 1838. Wie er in diesem letzten schönen Drittel seines Lebens neben der Pflege seiner Wissenschaft, die ihm von der K. Akademie die Ehre der Mitgliedschaft eintrug, sich zum deutschen Nationaldichter entwickelt und welche Verdienste er sich als Herausgeber des Musenalmanachs der dreißiger Jahre nebst Gustav Schwab um die deutsche Poesie und die deutsche Jugend erworben hat, das ruht in frischer Erinnerung und kann in diesem engen Raume nicht ausgeführt werden (wie denn auch über sein früheres, zum Teil reichbewegtes Leben, z. B. über seinen Aufenthalt bei Frau von Staël, ja über den ganzen Menschen, auf die Biographie von Hitzig, sowie auf die Schilderung von Ampère in der Revue des deux mondes von 1840 verwiesen werden muss). Chamisso war ein Deutscher im vollsten Sinne des Wortes und doch dabei auch wieder ein liebenswürdiger Franzose, gleichwie sein ganzes Wesen eine merkwürdige Mischung von Mann und Kind, von Unbeholfenheit und Gewandtheit trug. Den Franzosen hatte er selbst sprachlich so wenig ausgezogen, dass er, der das Deutsche in seinen Versen mit wunderbarer Meisterschaft handhabte, in seinen Briefen die ergötzlichsten Gallizismen zum Besten gab, beim Zählen nach seiner Muttersprache greifen musste, ja den Namen seines verehrten, geliebten Uhland nur in der ersten Hälfte deutsch, in der zweiten aber französisch (das nd dem bekannten nasalen ? opfernd) aussprach. (Für letztere Sünde hat sich denn wieder mancher biedere Deutsche unbewusst an ihm gerächt, indem er ihn mit besserer Gesinnung als Betonung „unsern Chamisso“ nannte.)

Die Entstehung des „Peter Schlemihl“ erzählt K. Goedeke so. „Chamisso hatte auf einer Reise Hut, Mantelsack, Handschuhe, Schnupftuch und sein ganzes bewegliches Gut verloren. Fouquè fragte, ob er nicht auch seinen Schatten verloren habe. Sie malten sich das Unglück aus. Ein anderes Mal wurde in einem Buche von dem Romanschriftsteller Lafontaine geblättert, wo ein sehr gefälliger Mann Allerlei aus der Tasche zieht, was eben gefordert wird. Chamisso meinte, wenn man dem Kerl ein gutes Wort gäbe, würde er auch noch Pferde und Wagen aus der Tasche ziehen. Nun war der Schlemihl fertig“ - der, ebenfalls laut Goedeke, ein jüdisches Wort ist und Unstern, Pechvogel bedeutet. Man sieht also, dass es sich ursprünglich um ein bloßes Spiel mit lustigen Einfällen handelte, und noch aus dem Einfall Schlemihls, sich einen Schlagschatten statt des verlorenen malen lassen zu wollen, aus seinen Ausreden, der Schatten sei ihm in Russland an den Boden gefroren zurückgeblieben, oder es sei ihm Jemand ungeschickt daraus getreten, so dass er ihn habe in Reparatur geben müssen, oder es seien ihm in einer Krankheit Haare, Nägel und Schatten ausgegangen, aus diesen Schnurren klingt noch immer das Gelächter der beiden Freunde nach, mit welchem sie sich das „Unglück“ und dessen etwaige Vertuschung „ausmalten“. Die tiefinnige Dichtung, die aus diesem drolligen Spiel erwachsen ist, leidet etwas an den Zufälligkeiten ihres Ursprungs, sofern man sich immer wieder ein wenig zum poetischen Glauben zwingen muss, und das umso mehr, als die Erzählung zwischen Allegorie und Märchen schwankt, ohne völlig eines von beiden zu sein. Doch bricht die Dichtung in ihrer Einfachheit so mächtig wirkend durch, dass alle derartige Bedenken schwinden, und die seelenvolle Wendung im Schlemihlio lässt auch den hartnäckigsten Verstand die Frage, ob ein Mensch sich seines Schattens entäußern könne, vergessen. Man hat über die Bedeutung dieses Gedankens, den der Dichter selbst nur leicht und scherzhaft erörtert, viel gestritten, ohne Erfolg, weil echte Poesie sich zu keiner erschöpfenden prosaischen Auslegung hergibt. Zweifellos ist es, dass Chamisso in der Person Schlemihls sich selbst mit seiner gewohnten schwarzen Kurtka geschildert hat; und da liegt es denn sehr nahe, den Menschen ohne Vaterland und Existenz, der er Anno 13 war, mit einem Menschen ohne Schatten zu vergleichen, nur dass diese dürftige Allegorie entfernt nicht hinreicht, der Dichtung auf den Grund zu kommen. Varnhagen versprach, allerlei sonstige persönliche Beziehungen, die der Dichter hineingeheimnisset habe, mit der Zeit enthüllen zu wollen, aber er hat dies unseres Wissens nicht getan. Und zu was würde es auch helfen, ein schönes Ganzes in mehr oder minder gleichgültige Einzelheiten zu zerreißen? Überdies kann man mit derlei Deutungen gewaltig fehl gehen. Wer mit Chamissos Regesten nicht bekannt ist, wird alsbald den gelungensten Nachweis führen können, dass unter Schlemihl dem Naturforscher, der mit seinen Siebenmeilenstiefeln die Welt umgeht, Niemand anderes gemeint sei, als Chamisso der Naturforscher, der auf schnellem Schiff die Welt umsegelt: nur ist dem Dichter dieser Wunsch, den er so teuer bezahlen sollte, erst drei Jahre nach Abfassung des Schlemihl erfüllt worden, und aus der vermeinten Allegorie wird eine unbewusste Prophezeiung, also nur eben wieder ein Stückchen Poesie weiter. Dass aber in dieser Erzählung das äußere und innere Leben eines Menschen, und dazu eines unvergänglich teuren Menschen, abgespiegelt wird, das eben gibt ihr etwas wesentlich Novellistisches.

Dennoch sind wir uns herzhaft bewusst, durch ihre Aufnahme das herkommensrechtliche Gebiet der Novellistik zu überschreiten. Allein bei Licht betrachtet haben wir das gleich zu Beginn unserer Sammlung in noch weit höherem Grade getan. Denn die „Neue Melusine“ ist ja trotz der Einkleidung in eine Rahmenerzählung weit mehr Märchen als Novelle: sie hat aber neben dem Märchenelement noch ein anderes, auf das wir damals hindeuteten, einen Anklang an persönliche Schicksale, wodurch wir uns berechtigt glaubten, sie neben dem Märchen zugleich als Novelle anzusprechen. Ein Tadel dieses Verfahrens ist uns nicht kund geworden. Und so wagen wir es denn auch mit Freund Schlemihl, da es sich hier um das berühmte Werk eines Dichters handelt, der sonst unter den Meistern prosaischer Erzählung unvertreten bliebe, indem wir die in diesem Falle kaum erforderliche Rechtfertigung künftigen ähnlichen Überschreitungen, deren wir uns schuldig machen dürsten, vorbehalten.

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Deutscher Novellenschatz 17

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