Читать книгу Ein Haus voller Robinsons - Adrian Plass - Страница 7
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ОглавлениеMike ließ sich müde auf den Stuhl sinken, den Mark gerade verlassen hatte, und schüttelte verwirrt den Kopf. Ich drehte mich zur Spüle um und begann, geräuschvoll die Spülmaschine auszuräumen und mit dem schmutzigen Geschirr vom Vorabend wieder zu füllen. Innerlich war ich voller Scham und Zorn über mich selbst. In den letzten Wochen hatte ich mehr oder weniger erfolgreich darum gekämpft, die atemberaubende Wut herunterzuschlucken, die Marks Verhalten immer wieder in mir hervorrief, und jetzt hatte ich in ein paar Augenblicken der Nachlässigkeit alles wieder zunichte gemacht und war wieder auf dem Startfeld angelangt - nein, wahrscheinlich auf dem Feld vor dem Startfeld, wo man erst einmal eine Sechs würfeln muss, bevor man überhaupt wieder aufs Spielfeld darf, geschweige denn vorwärts ziehen.
„Kath, hast du dir die Sache mit dem Besuch bei Pete und Dawn schon überlegt?“
Oh, wie ich es hasse, wenn Leute versuchen, mich zu managen. Ich wusste genau, was Mike vorhatte. Da er genau wusste, dass im Augenblick mit mir über das, was gerade passiert war, unmöglich auf ruhige und gesittete Art zu reden war, schlug er einen weiten Konversationshaken, so ähnlich wie diese cleveren Hütehunde im Fernsehen, um mich dann im richtigen Moment unausweichlich in die Enge zu treiben. Und er hatte seine Route mit Bedacht gewählt.
Mein älterer Bruder Pete, den ich seit Anbeginn der Zeit tief verehrte, war vor fünfzehn Jahren mit seiner Frau nach Australien ausgewandert. Nicht, dass ich immerzu nur an meinen großen, dunkelhaarigen, lachenden, seine kleine Schwester liebenden Pete gedacht hätte, aber hin und wieder durchfuhr mich ein wirklich schmerzhafter Krampf bei dem Gedanken, dass ich ihn vielleicht nie wieder von Angesicht zu Angesicht sehen würde und dass meine beiden hübschen Nichten in Brisbane aufwuchsen, ohne je ihre Tante kennen zu lernen, deren Fähigkeit, Leute Tag für Tag auf die Palme zu bringen, eine Fernsehserie wie „Die Lindenstraße“ noch abgestandener wirken lässt, als sie es tatsächlich ist. Ich hatte immer vorgehabt, etwas von dem Geld, das meine Mutter mir hinterlassen hatte, dafür zu verwenden, hinzufliegen und sie zu besuchen, aber Sie wissen ja, wie das mit Geld ist. Es wird ausgegeben. Doch dieses Jahr, sogar genau in einer Woche, sollte ich meinen fünfzigsten Geburtstag feiern. Wir hatten noch zweitausend Pfund auf einem Building-Society-Konto liegen, das wir vor ein paar Jahren, als die mit Zinsen um sich warfen wie ein Düngerspritzgerät zur Pflanzzeit, auf Jacks schlauen Rat hin eröffnet hatten. Zu meiner Überraschung hatte Mike vorgeschlagen, dass das Geld dazu verwendet werden sollte, Felicity und mich zu einem Familientreffen zu den Antipoden zu schicken.
Wunderbar, nicht? Ja, natürlich, aber haben Sie schon einmal gemerkt, was alles Komisches passieren kann, wenn einem endlich etwas angeboten wird, das man schon immer wollte? In viel kleinerem Maßstab hatte ich das schon umgekehrt erlebt, nämlich bei jenen seltenen Gelegenheiten, bei denen mein Sinn für Dramatik mich zu dem Versuch antrieb, den beiläufig geäußerten Traum eines anderen Wirklichkeit werden zu lassen. In dem Moment, wenn Phantasie und Wirklichkeit sich berühren, kann eine Wirkung entstehen wie bei einem Elektroschock. Die Leute mögen es nicht, wenn man mit ihren Träumen herumpfuscht; vielleicht, weil sie sich so hervorragend dazu eignen, sich die Wirklichkeit vom Leib zu halten.
In diesem Zusammenhang erinnere ich mich, wie ich vor ungefähr einem Jahr mit Mike und unserem Hauskreisleiter und so ziemlich allen anderen Ärger bekam, außer meiner Freundin Dip, als ich jemandem just zu diesem Thema eine Frage stellte.
In unserer Bibelgruppe hatten wir ein jüngeres Pärchen (das sich inzwischen etwas explosiveren, charismatischeren Weidegründen zugewandt hat) namens Bernard und Julie. Sie waren seit fünf oder sechs Jahren verheiratet. Der Mann, Bernard, war ein sympathischer, lockerer Typ, der mit einem Lieferwagen herumfuhr und irgendetwas Unerklärliches für das Wasserwerk tat; und sie war wohl auch ganz in Ordnung, wenn auch ein bisschen albern und unreif (nicht, dass ich über die kleine Närrin richten wollte, versteht sich). Ich glaube, sie war so etwas wie Zahnarzthelferin in einer der Praxen in unserem Ort. Vielleicht waren ihr all die Angst und der Schmerz, deren Zeugin sie wurde, irgendwie an die Nieren gegangen.
Julie schwärmte wie besessen für Ralph Fiennes, von dem ich nur wusste, dass er ein beliebter Filmschauspieler ist. Wann immer sie über ihn sprach, und das tat sie oft und ausführlich, bekam sie total glasige Augen und erzählte, wie toll sie ihn fände und dass sie dauernd von ihm träume und wer weiß was noch alles. Es ging mir ziemlich auf die Nerven, muss ich zugeben, und auch ihrem Mann schien es ein bisschen zu stinken, obwohl er in unserer Gegenwart nie ein Wort darüber sagte. Eines Abends, als wir nach der Bibelarbeit noch zusammensaßen und Kaffee tranken und Julie es irgendwie geschafft hatte, das Gespräch von einer Diskussion darüber, an welcher Stelle des Gottesdienstes die Bekanntmachungen erfolgen sollten, auf die Frage umzulenken, was schöner sei, „Ralphs“ Haare oder sein Mund, stellte ich ihr eine vollkommen harmlose Frage - na ja, das hier soll ein wahrheitsgemäßer Bericht werden; also bekenne ich, dass sie ganz so harmlos nicht war, auch wenn ich es damals steif und fest behauptete.
„Julie“, sagte ich, „darf ich dich etwas über Ralph Fiennes fragen?“
„Oooh ja, bitte“, seufzte sie, offensichtlich etwas überrascht über mein Interesse.
„Du schwärmst ziemlich für ihn, nicht wahr?“
„Oooh ja!“
„Nun, angenommen, du bekämst einen Anruf von ihm - von Ralph Fiennes, meine ich - morgen früh, okay?“
„Oooh, ja?“
„Und er würde sagen:, Hallo, Julie, ich komme heute um halb vier bei dir vorbei, um eine wilde Sexorgie mit dir zu feiern‘ - also, meine Frage ist, würdest du?“
Das Schweigen, das auf diese rein sachliche Erkundigung folgte, war so tief, dass ich schon dachte, keiner von uns würde je wieder sprechen oder sich bewegen. Ob wir wohl bis zum Ende der Zeiten hier herumsitzen würden wie Schauspieler in einer eingefrorenen Theaterszene? Es war natürlich keine besonders bibelstundengeeignete Frage. Julie war puterrot angelaufen, Mike hatte sein Ich-dachte-du-hättest-dir-solche-Sachen-abgewöhnt-Gesicht aufgesetzt, und die meisten anderen schienen einfach nur peinlich berührt zu sein. Die beiden Einzigen, für die das nicht galt, waren meine Freundin Dip, die ihren Kopf in den Nacken gelegt hatte, um die Zimmerdecke zu studieren, und sich mit zusammengepressten Lippen ein Lächeln verkniff, und Bernard, der seinen Kopf in Richtung seiner Frau neigte, als brannte er darauf, ihre Antwort auf meine Frage zu hören.
Mike war hinterher ziemlich verschnupft deswegen, und Simon Davenport, unser Hauskreisleiter, rief mich am nächsten Tag an und fragte mich, wie ich meine Äußerung empfände. Übersetzt war dies die kräuseläugige, konfliktvermeidende Fassung der Botschaft: „Du hättest das nicht sagen sollen.“ Um des lieben Friedens willen stimmte ich ihm zu.
Schon komisch, solche Träume.
Und mein Australien-Traum war wirklich eine heikle Sache. Ein Teil von mir wünschte sich nichts sehnlicher, als mit Felicity loszufliegen und meinen Bruder und seine Familie zu besuchen, doch ein anderer, jammervoll unreifer Teil von mir hatte eine Heidenangst vor einem tatsächlichen Zusammentreffen nach all den Jahren. Wenn ich nun alles vermasselte? Was, wenn die überwältigende Bedeutung dieser Begegnung meinen ganzen emotionalen Haushalt einfrieren und die ganze Sache unbehaglich und angespannt werden ließ?
Ich konnte den Gedanken nicht ertragen, dass all meine goldenen Erinnerungen sich in ein bleiernes Gewicht des Versagens verwandeln könnten. Voll Inbrunst wünschte ich mir, ich wäre jemand, der nicht bis zum Erbrechen über alles grübelt und nachdenkt; jemand wie Mike, der, wenn ich versuchte, ihm meine Ängste begreiflich zu machen, ein völlig ratloses Gesicht machte und dann nickte wie ein guter Seelsorger und sagte: „Sei einfach du selbst, dann wird schon alles klappen.“ Am liebsten hätte ich laut geschrien, dass es gerade dieses „Ich-selbst-sein“ war, das mir Sorgen machte.
„Die Antwort auf deine Frage, Mike“, erwiderte ich, ohne mich umzudrehen oder mit meiner Spültätigkeit innezuhalten, „ist, dass ich vorhabe, hin und her zu schwanken und immer wieder meine Meinung zu ändern, bis die Entscheidung unausweichlich wird. Dann werde ich wahllos eine Entscheidung treffen, die sich als falsch erweisen wird. Ich hätte angenommen, dass du das weißt, auch ohne zu fragen. Du weißt doch, wie konsequent ich bin.“
Ein Seufzen kam vom anderen Ende der Küche. Ich war sicher, wenn ich genau hinhörte, würde ich Mikes Gehirn denken hören, dass zu mir einfach nicht durchzukommen war, wenn ich so aufgelegt war. Trotzdem versuchte er es noch einmal.
„Wer war denn nun vorhin am Telefon nach unserem ganzen Durcheinander?“
„Ach ja, das war, äh - das war Joscelyn. Sie wollte mir von ihrer Woche in diesem Manor-Dingsda erzählen, und wie sehr es …“
„Wie es ihr Leben in allen Einzelheiten revolutioniert habe, ich weiß schon.“
In Mikes Stimme schwang ein Schmunzeln mit. Er glaubte sich hier auf sicherem Boden. Die Sache mit Joscelyns Bedürfnis nach geistlichen Abenteuern von epischem Ausmaß war zwischen uns häufig Anlass zu milder Erheiterung und echter Herzlichkeit gewesen. Zuversichtlicher fuhr er fort.
„Na, das erklärt den frühen Zeitpunkt des Anrufs. Ich war nur deshalb so sauer, weil du dran warst, dich um alles zu kümmern, und dann dauernd aufgelegt hast, wenn ich abgenommen habe - stimmt's, du ungezogenes Mädchen?“
Oh nein. Nicht den scherzhaften Tonfall. Bitte, Mike, fang nicht an, den scherzhaften Tonfall anzuwenden, weil du meinst, dann renkt sich schon alles ein. Dieser Tonfall ist mir selbst zu den besten Zeiten verhasst, und jetzt umso mehr. Bitte, ich flehe dich an, versuche nicht, scherzhaft zu sein …
Da mir nichts mehr einfiel, was ich mit dem Abwasch noch hätte anstellen können, drehte ich mich schwerfällig zu meinem Mann um. Ich merkte schon, dass er das Gefühl hatte, nun bald gefahrlos zum Thema Mark überleiten zu können. Doch vorher kam zweifellos noch ein Wort über Joscelyn, nur um unseren netten kleinen Plausch abzurunden.
„Ach, Kath, nur gut, dass wir die alte Joss so gut kennen, was? Hätte uns jemand anderes um diese nachtschlafende Zeit angerufen, um sich über seinen geistlichen Pulsschlag auszubreiten, dann hättest du ihm bestimmt gesagt, er soll dahin gehen, wo der Pfeffer wächst, stimmt's?“
Es war unmöglich, die zusätzliche Frage in seinem Tonfall zu überhören. Ich fand einen verhärteten Klumpen ehemals essbaren Materials neben mir auf der Arbeitsplatte und begann, mit dem Daumennagel daran herumzukratzen.
„Das habe ich.“
Das leichte Schmunzeln, mit dem Mike seinen letzten Satz beendet hatte, erstarb abrupt in seiner Kehle. Da mir plötzlich die Knie ein wenig weich wurden, zog ich den Stuhl unter dem anderen Ende des Tisches hervor und setzte mich. Ich wartete ab, bis er sich mit der Hand durchs Haar gefahren war und den Kopf geschüttelt hatte, wie um seine Gedanken zu klären. Nachdem er beides getan hatte, sprach er weiter.
„Was meinst du damit, du hast?“
„Ich meine, ich habe Joscelyn gesagt, sie soll dahin gehen - na ja, nicht mit diesen Worten, aber, äh …“ Ich räusperte mich und blickte auf, bevor ich weitersprach. „Weißt du, sie erzählte das ganze übliche Zeug - du weißt schon, dass sich alles verändert hätte und so, und ich war drauf und dran, schon wieder diesen ganzen bestätigenden Blödsinn abzusondern - Mike, warum guckst du eigentlich immer so schuldbewusst zur Tür, wenn ich ein Wort sage, mit dem du nicht einverstanden bist? Wir sind hier schließlich nicht auf der Schultoilette und rauchen, oder? Oder dachtest du, vielleicht lauert ein verdeckter Ermittler von der Sitte in der Diele und sammelt Beweise dafür, wie verkorkst dein Privatleben ist?“
„Weißt du, du kannst ziemlich unangenehm sein, wenn du in Verteidigungsstellung bist“, sagte Mike mit sehr leiser Stimme. „Ich war nur besorgt, Felicity könnte vielleicht heruntergekommen sein und dich so reden hören. Das ist alles.“ „Da hätte sie aber allerhand zu tun, da sie heute bei Caroline Burton übernachtet hat und noch nicht nach Hause gekommen ist. Offenbar reicht deine tiefe Sorge um deine zehnjährige Tochter nicht so weit, dass du dich auch nur einen Funken dafür interessierst, wo sie die Nacht verbringt.“
„Was hast du zu Joscelyn gesagt?“
„Ich kann es nicht fassen, dass du tatsächlich vergessen hast, dass Felicity gar nicht hier ist. Das finde ich ziemlich außergewöhnlich.“
Mike reckte sich nach hinten über die Stuhllehne, weg von meinem erbärmlichen Versuch, das Thema zu wechseln. „Sei nicht albern. Was hast du zu Joscelyn gesagt?“
Ich legte meine Handflächen zusammen und verbarg mein Gesicht dahinter.
„Ich habe ihr gesagt, dass sie mir nach ihren geistlichen Fressgelagen eigentlich nie sonderlich verändert vorkommt und dass sie eigentlich nur Schritt für Schritt allmählich herausfindet, dass sie eine gerettete Sünderin ist.“
„Oh …!“
Ströme ärgerlicher Missbilligung stürzten auf meinen gesenkten Kopf herab.
„Und ich, äh … habe ihr gesagt, dass ihr ewiges Gerede, sie wäre vollkommen verwandelt, ein einziger Haufen Blödsinn sei, und unter dem Strich würde sie eigentlich nur endlos über sich selber schwafeln.“
„Das hast du mit diesen Worten gesagt?“
„Nein - ja - ach, wahrscheinlich noch schlimmer. Immerhin habe ich gesagt, dass ich es selbst auch nicht anders mache …“
Ich riskierte einen Blick durch den Palisadenzaun meiner Finger. Nach Mikes Gesichtsausdruck zu urteilen, würde ich jeden Moment aus dem Klassenzimmer geschickt werden, um für den Rest des Tages an einem kleinen Tisch Aufgaben zu rechnen, als abschreckendes Beispiel für die anderen Kinder. Dann fiel mir noch etwas ein.
„Ach ja, und zum Schluss habe ich ihr noch gesagt, dass sie lernen muss, sich zu entspannen. Mhm, richtig, das habe ich auch noch gesagt.“
„Du hast ihr vorgeworfen, sie könne sich nicht entspannen?“
„Ja.“
„Ich weiß nicht, was ich sagen soll …“
In diesen nicht gerade seltenen Momenten, wenn ich meine abscheulichen Verbrechen offen eingestand, hatte ich immer das Gefühl, dass Mike mich innerlich frustriert drängte, mich selbst auszuschimpfen, damit er es nicht tun müsste - sozusagen mir selbst eine zu knallen und mich mit Vorwürfen zu überhäufen, bis ich heulen müsste und er mir mit ein wenig wohldosiertem Trost zur Seite springen könnte. Es machte ihn wahnsinnig, dass ich mit ausdrucksloser Stimme sprach und mich nie freiwillig dazu bereit erklärte, zur Buße für meine Sünden die Latrinen mit einer Zahnbürste zu schrubben oder den Rasen mit einer Nagelschere zu mähen. Als er merkte, dass der erhoffte reuevolle Zusammenbruch wie üblich nicht zu erwarten war, ging er zum nächsten Thema über.
„Und das Mädchen an der Tür - das Milchmädchen -, was hast du zu ihr gesagt?“
„Der habe ich mehr oder weniger gesagt, sie solle verschwinden, weil ich keine Ahnung hätte, wovon sie da redete, und dann habe ich ihr die Tür vor der Nase zugeknallt.“
Wieder schüttelte Mike den Kopf.
„Kathy, ich verstehe nicht, wie du dasitzen und mir das einfach so erzählen kannst, als wäre es völlig bedeutungslos. Wirklich.“
Wir wollen doch eigentlich Christen sein, oder?
„Wir wollen doch eigentlich Christen sein, oder?“
Schweigend saßen wir da. Mike fragte sich, warum ich nicht endlich anfing, mir selbst den Hintern zu versohlen, und ich sah es kommen, dass wir gleich auf das Thema zu sprechen kommen würden, das mich endlich zum Weinen bringen würde.
„Und was hatte Mark mit der ganzen Sache zu tun? Was hat er angestellt?“
Ich lehnte mich zurück und schlug mir mit den Handflächen schwungvoll auf die Schenkel.
„Keine Ahnung.“
„Du weißt nicht, was er angestellt hat? Aber warum -“
„Ich weiß nur, was ich gefühlt habe. Irgendwie weiß ich schon, was er getan hat. Er hat nicht nachgedacht.“
„Worüber?“
„Ach, Mike, das hast du mich doch alles schon einmal sagen hören. Ach was, einmal - Dutzende Male. Wenn ich das jetzt alles noch einmal durchkauen muss, werde ich am Ende lallen, als wäre ich von Geburt an schwachsinnig. Die ganze Sache hört sich so blöd an. Er hat ein zu kleines Handtuch um die Hüften getragen und einen Witz vorgelesen, der nicht witzig war; das Handtuch fiel ihm für eine halbe Nanosekunde herunter, und dann wollte er viel zu viel Shredded Wheat mit viel zu viel Zucker mit einem Riesenlöffel aus einer viel zu großen Schüssel essen, und was das Schlimmste ist, er hat sich die falsche blöde Mutter ausgesucht. So, jetzt weißt du's.“
„Und was war das mit seinem - entschuldige, mit deinem Kamm, den er auf den Flurteppich fallen lässt, wenn er damit fertig ist? Mir kam es so vor, als sei das für dich ein lebenswichtiger Punkt.“
„Sarkasmus steht dir nicht, Mike. Warum bleibst du nicht einfach dabei, langweilig zu sein?“
Aaaargh!
Am liebsten hätte ich beide Hände ausgestreckt und die letzten neun Worte, die ich gesprochen hatte, aufgefangen, bevor sie seine Ohren erreichen konnten. Natürlich konnte ich das nicht. Das kann man nie, nicht wahr? Sie waren gesprochen.
Sie waren heraus. Sie waren dabei, anzurichten, was immer sie anrichten würden. Der waidwunde, verdatterte Ausdruck in Mikes Augen war unerträglich. Ich schob meinen Stuhl zurück, ging um den Tisch und trat hinter ihn, um mit den Armen seine Brust zu umschlingen und meinen Kopf an seinen zu lehnen.
„Bitte hör nicht auf das, was ich gesagt habe, Mike. Ich weiß, ich habe mich furchtbar benommen. Ich habe letzte Nacht kaum geschlafen. Ich hätte dich heute Morgen bitten sollen, aufzustehen, anstatt den Rest der Welt meiner schlechten Laune auszusetzen. Ich bin dauernd aufgewacht, habe mir Sorgen gemacht, habe gegrübelt und mir den Kopf zerbrochen …“
„Worüber hast du dir den Kopf zerbrochen?“
Seine Stimme hörte sich furchtbar kalt an.
„Ach, alles mögliche - blödes Zeug. Es ist doch immer dasselbe; in der Nacht kommt einem alles viel schwerwiegender und ernster vor, nicht wahr? Mir ist einfach jedes Augenmaß flöten gegangen. Du weißt doch, wie ich bin, wenn ich nicht schlafen kann - die Ehefrau und Mutter, die aus der Hölle kam.“
Mir sank das Herz. Der Oberkörper meines Mannes fühlte sich irgendwie starr und unnachgiebig an. Mike war ein sehr freundlicher Mann. Normalerweise hätte ihm allein die Erwähnung von Schlafmangel oder einer schlechten Nacht zumindest ein Tätscheln meiner Hand entlockt. Diesmal nicht. Sorgfältig streifte er meine Arme von sich, stützte sich mit den Ellbogen auf den Tisch und sprach, ohne mich anzusehen.
„Und eines der Dinge, über die du dir den Kopf zerbrochen hast, war, wie du nur jemals so einen Langweiler wie mich heiraten konntest, was, Kathy?“
Mir wurde klar, dass ich ihm die Wahrheit schuldig war.
„Mike, ich will nicht …“
„Was?“
„Ich sage es dir gleich. Lass mich nur erst etwas erledigen.“
Ich schnappte mir Marks Elefantenfrühstück vom anderen Ende des Tisches, ging damit durch die Diele, öffnete die Haustür und taufte es in fast einem halben Liter von der Milch, die unsere kürzlich so abrupt verstummte Molkereiprodukteunternehmerin auf unserer Türschwelle zurückgelassen hatte. Als ich wenig später mit diesem Friedensopfer in Marks Zimmer kam, war er ein wenig verdattert, nahm es aber sehr erfreut an. Eine Riesenschüssel Müsli in der Hand wiegt schwerer als jeder noch so berechtigte Groll.
„Tut mir Leid wegen eben, Mum“, tönte es mir hinterher, als ich die Treppe hinabstieg.
„Mir auch.“
Das alte Spiel. Einer wirft eine Entschuldigung in den Ring, und ein anderer hebt sie auf. Wer was tut, ist eigentlich egal.
Als ich zurück in die Küche kam, saß Mike immer noch genauso da, wie ich ihn verlassen hatte, und starrte mit einem so traurigen, tiefernsten Gesicht ins Leere, dass es mich durchfuhr wie ein scharfer Dolch. Ich setzte mich neben ihn.
„Was willst du nicht?“ fragte er ganz leise, als wäre ich gar nicht aus dem Zimmer gegangen.
„Ich will nicht fünfzig werden“, sagte ich und brach in Tränen aus.