Читать книгу Länzelot - Das einarmige Känguru - Adrian Plitzco - Страница 6

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Ein mieser kleiner Dieb

„Lass uns spazieren gehen“, schlug Pee vor.

„Auf den Birnenhügel“, sagte Emm.

Der Hügel hieß so, weil er wie eine Birne aussah. Auf seinem höchsten Punkt ragte ein ausgetrockneter Baumstamm, der an einen Birnenstiel erinnerte. Der Weg auf den Birnenhügel war steil und steinig. Für Länzelot war es nicht einfach, über die scharfen Kanten der Steine zu hüpfen. Er musste darauf achten, dass er nicht ausrutschte und sich dabei womöglich das Fell aufkratzte. Weil er sich auf die Steine konzentrieren musste, konnte er stattdessen die Landschaft nicht betrachten.

„Langweilig“, beschwerte er sich. „Spazierengehen ist nicht nur langweilig, sondern auch anstrengend.“

Schon wollte er trotzig stehenbleiben, als sie aber auf einmal vor einer saftigen Wiese standen. Das Gras war so hoch, wie Länzelot es noch nie zuvor in seinem Leben gesehen hatte. Noch aufregender aber waren die Wasserfontänen, die über die Wiese schossen.

„Ein Bach, der in den Himmel fließt“, jauchzte er. Er hüpfte über den Zaun und plumpste bauchvoran ins Gras. Eigentlich in den siebten Himmel. Denn das Gras fühlte sich weich wie Watte an und schmeckte süßer als eine Tüte voll Bonbons.

„Davon muss ich Krautweg erzählen“, nahm er sich vor. Er rollte vergnügt übers Gras und biss einen Happen davon ab.

„Komm sofort da raus“, rief Emm aufgeregt.

„Die Wiese gehört dem Nachbarn“, rief Pee hinterher. „Er mag es nicht, wenn man darauf herumtrampelt.“

Länzelot hörte ihre Rufe nicht und sprang so hoch er konnte, um mit ausgebreiteten Armen wieder zurück ins Gras zu tauchen. Beim nächsten Sprung spreizte er seine Beine und beim darauffolgenden nahm er sich vor, einen Salto dranzuhängen. Mitten in seine Begeisterung fiel ein Schuss. Länzelot hielt erschrocken inne. Ein zweiter Schuss folgte. So laut, dass er sich die Ohren zuhielt.

„Aufhören!“, schrie nun Emm.

„Hören sie sofort auf“, schrie auch Pee und eilte Länzelot entgegen, der so stocksteif wie eine Vogelscheuche mitten auf der Wiese stehen geblieben war.

Emm folgte Pee, fuchtelte mit den Armen und sagte: „Wenn sie nicht sofort aufhören zu schießen, rufe ich die Polizei.“

Vor Länzelot stand der Nachbar mit grimmigem Gesicht und den Lauf seines Gewehres fest an Länzelots Stirn gepresst.

„Dein letztes Stündlein hat geschlagen, du mieser Dieb“, sagte er kaltblütig.

„Bitte nicht schießen“, schrien Emm und Pee gleichzeitig.

„Was soll das Geschrei?“, ärgerte sich der Nachbar. „Ihr vertreibt mir damit meine Beute.“

„Das ist keine Beute“, erwiderten Emm und Pee entrüstet. „Das ist Länzelot. Er gehört zu uns.“

Emm stieß das Gewehr zur Seite und legte schützend ihre Arme um Länzelot. „Ist dir auch nichts passiert?“, fragte sie ihn besorgt.

„Sie hätten ihn mit ihrem Gewehr beinahe getötet“, schimpfte Pee.

„Nun mal langsam“, fiel ihm der Nachbar ins Wort, „das ist meine Wiese. Hier kann ich tun und lassen was mir beliebt. Ich bestimme, wer hier rumgeht. Ihr Mistvieh hat hier nichts verloren. Glauben sie etwa, ich bewässere die Wiese, damit sich ihr Känguru daran fettfressen kann? Das Gras hier ist für meine Schafe bestimmt.“

„Er ist doch noch ein Baby“, sagte Emm und drückte Länzelot an ihre Brust. „Woher soll er wissen, dass er ihr Gras nicht fressen darf?“

Länzelots Augen füllten sich mit Tränen. Aber nur, weil eine Träne über Emms Backe kullerte. Er verstand nicht, der er knapp dem Tod entronnen war. Doch er verstand, dass der Nachbar böse und gefährlich war. Noch böser aber war sein Gewehr. Länzelot schwor sich, nie mehr wieder einen Fuß auf diese Wiese zu setzen.

„Ich werde jedes Känguru erschießen, das Gras von meiner Wiese klaut“, drohte der Nachbar. „Das ist mein Recht. Es wäre nicht das erstemal.“

„Wir wissen nur zu gut, dass sie kein Freund von Kängurus sind“, erwiderte Pee. „Dagegen gibt es leider kein Gesetz. Aber es gibt ein Gesetz, das verbietet, Kängurus zu erschießen. Das wissen sie ganz genau. Abgesehen davon fressen Kängurus ihr Gras, weil sie Hunger haben. Wir hatten im letzten Winter nicht genug Regen. Auf dem Birnenhügel, wo die Kängurus leben, wächst kein Gras mehr.“

„Was schert mich das? Sollen sie gefälligst woanders klauen gehen“, brummte der Nachbar.

„Es sind ja nicht viele“, erwiderte Pee.

„Von wegen. Ich habe sie gezählt. Es sind dreißig Stück.“

„Kängurus fressen nicht viel.“

„Haben sie eine Ahnung. Ein einziges Känguru frisst drei Hüte voll Gras am Tag. Rechnen sie mal aus, wieviele Hüte dreißig Kängurus fressen.“

Das muss eine ganze Hutfabrik sein, rätselte Länzelot. Er verstand nur nicht, wer das viele Gras fraß. Kängurus? Noch nie gehört! Was sollte das sein? Dass er selber eins war, wusste er nicht, denn niemand hatte es ihm jemals gesagt.

„Es reicht jetzt“, mischte Emm sich ein und forderte Pee und den Nachbarn auf, mit dem Streiten aufzuhören. „Schämt euch.“ Sie nahm Länzelot und Pee an der Hand und marschierte los. „Wir haben es nicht nötig, uns beschimpfen zu lassen, Herr Nachbar.“

Zurück auf dem Weg beharrte Emm darauf, nach Hause zu gehen. Doch Pee hielt den Finger an die Lippen und flüsterte:

„Psst!“

„Mir ist die Lust auf einen Spaziergang vergangen“, sagte Emm ungeduldig.

„Psst!“, flüsterte Pee erneut. Diesmal lauter.

„Was soll das?“, fragte Emm.

Als aber Pee gleichzeitig in das Wäldchen deutete, verstummte sie mit einemmale. Nur wenige Schritte entfernt standen dreißig Kängurus und lugten staunend hinter den Bäumen hervor. Länzelot musterte jedes einzelne von oben bis unten und konnte nicht fassen, wen er vor sich hatte. Alle Kängurus sahen aus wie er. Graues Fell, spitze Ohren, schwarze Augen, dünne Arme, kräftige Beine und ein langer Schwanz, mit dem sie sich auf dem Boden abstützten. Ihm war, als sähe er sich selber dreißigfach in einem Spiegel.

„Schau mal. Ganz viele Kängurus“, flüsterte Pee.

„Ja, seh ich doch“, fuhr Emm dazwischen. „Sei still, sonst vertreibst du sie mit deinem Geschwätz.“

„Sei du auch still“, gab Pee zurück.

„Psst!“, sagte Emm.

Das sind Kängurus?, fragte sich Länzelot. Er kam aus dem Staunen nicht heraus. Sein Blick fiel auf ein großes Känguru, das abseits von der Meute stand. Es hatte am Bauch einen Beutel, aus dem ein Joey sein Köpfchen herausstreckte. Zuerst schnupperte es bloß in der Luft, doch dann streckte es seinen Hals aus so weit es konnte und stieß sich mit Ärmchen und Beinchen strampelnd über den Beutelrand. Unsanft schlug es auf dem Boden auf und versuchte vor Schreck gleich wieder in den Beutel zurückzuklettern. Dieser hing aber für seine kurzen Beine zu hoch. Es stupste mit der Nase seine Mutter an. Die Kängurumutter ergriff das Joey und stopfte es in den Beutel. Ein Rumoren und Rascheln vertrieb die Stille, und alle Kängurus hüpften wie auf Kommando mit langen Sprüngen davon. Länzelot schaute ihnen lange nach, bis das letzte Känguru zwischen den Bäumen verschwunden und keine einzige Schwanzspitze mehr zu sehen war.

Länzelot - Das einarmige Känguru

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