Читать книгу Die verschlossene Tür - Adriana Wolkenbruch - Страница 4

Kapitel 2

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Der alte Mann sitzt am Tisch in der Küche und schaut aus dem Fenster zu den Laubbäumen, die ihre Äste in den Himmel strecken. Er zieht seine Ellenbogen vom Tisch, als Nadeschda einen Teller vor ihn stellt. Flink ist sie, ziemlich schnell folgen Messer und Gabel und liegen neben dem Teller.

"Herr Hubert Heinrich, wo ist Bauerchef?! Ich habe gerufen so oft und noch und noch und keine Bauerchef komme. Und kleine Enkeltochter auch da nicht. Niemand halte ein Zeiten zu Essen."

"Die kommen schon, Nadeschda. Bestimmt ist noch irgendetwas im Stall." Aber er wird unruhig, jetzt. Langsam steht er auf und schlurft aus der Küche. Nadeschda seufzt. Sie setzt sich an den gedeckten Tisch und schaut aus dem Fenster. Schaut in das Laub der Bäume und bemerkt, dass sie sehr müde ist. Ein polterndes Knatschen , lässt sie zusammenzucken. Der Bauerchef hat seinen Stuhl vom Tisch gezogen, um sich zu setzen. Nadeschda hatte ihn kurz etwas erschrocken angesehen. Er scheint das nicht zu bemerken, räuspert sich und schaut zur Uhr- Verschränkt seine Arme vor der Brust und senkt die Augen.

"Herr Hubert Heinrich war ebnen hier, dann ist gegangen um zu holen Sie und Enkeltochter."

Klements nickt beiläufig und räuspert sich. Die Hintertür poltert und Schritte nähern sich der Küche.

"Nadeschda, schau mal, was ich habe! Zwei echte Schnecken! Opa sagt, es sind Posthornschnecken. Sie leben im Wasser und manchmal tauchen sie auf, um Luft zu holen und sie haben ganz kleine Zähne auf der Zunge und man kann sehen, wie sie Pflanzen kauen!" Karla hält einen durchsichtigen Plastikeimer in ihren Händen. Sie stellt ihn sehr vorsichtig neben die Spüle, vor das Fenster. Am Grund liegen kleine Kiesel und etwas Sand. Dazwischen zwei gelbe Schneckenhäuschen.

"Hast Du Akwaram, kleine Karla!"

"Aquarium!"

"Ohhh, entschuldige, natürlich, dumme, alte Nadeschda, so schlechte Sprache."

"Ist nicht schlimm!"

Alle sitzen jetzt und falten ihre Hände, während Klements das Tischgebet hastig heruntermurmelt. Dann fangen sie an zu Essen.

"Klements, vergiss das Scheunentor nicht wieder. Das muss geöffnet bleiben. Wie sollen die sonst zu ihren Nestern?"

"Ja, ja, Du und Deine Kleinviechereien..."

Nadeschda zögert. Schwalben bringen Glück, will sie sagen, fast automatisch. Aber sie hält sich zurück. Der Bauerchef hat genug zu tun.

Klements ißt schnell. Dann steht er auf und während er die Küche verläßt sagt er "Heut Nacht muß ich raus, die Schweine werden geholt."

Karla erinnert sich daran, wie sie das verwirrt hat, als sie noch kleiner war. Sie hatte Tage damit verbracht, darüber nachzudenken, wer die Schweine holt. Und warum. Und warum um drei Uhr nachts. Irgendwann hatte sie ihren Großvater gefragt und er hatte ihr erklärt, dass sie zum Schlachthof transportiert werden. Sie hatte die Vorstellung schrecklich gefunden und ihr Opa hatte gesagt, dass die meisten Menschen Fleisch essen und das es ja wohl irgendwo herkommen muss und das jeder irgendwo mit Geld verdienen muss. Da hatte Karla sich vorgestellt, dass die Schweine im Himmel bestimmt in Saus und Braus leben, ohne ihren dicken Körper. Und dass sie Grunzend auf die Erde schauen und hoffen, daß ihre Verwandten schnell zum Schlachter kommen, damit sie oben mit ihnen in den Wolken schweben können. Schnell springen ihre Gedanken aber wieder zu ihrem Lieblingsthema.

"Opa, warum haben wir eigentlich so viele Weinbergschnecken im Garten?"

Hubert Heinrich räuspert sich. Sogar sein Sohn scheint jetzt aufzuhorchen, auch wenn er es sich nicht anmerken lässt. Aber warum soll er es nicht erzählen.

"Also, ich habe einmal mit... Auf unserer Hochzeitsreise...wir waren im Rheinland und dort sind mir diese Schnecken aufgefallen. Natürlich gibt es sie auch bei uns, aber dort fielen sie mir besonders ins Auge." Er stoppt und denkt, dass es wahrscheinlich daran lag, dass sonst keine ruhigen Spaziergänge gemacht worden waren.

"Und dann hast Du welche mitgebracht?"

"Ja. Und sie scheinen hier ja bestens zu gedeihen. Deine Großmutter...sie hat immer gesagt, daß sie an das Gemüse gehen, aber das tun eher die Nackten."

Karla schaut aus dem Fenster, auf die drei unterschiedlichen Bäume, aber sie nimmt sie nur verschwommen wahr und träumt vom Rheinland. Dem Land der großen Häuschenschnecken.

"Und, das hätte ich fast vergessen: Weinbergschnecken sind gute Wettersager."

"Wie denn das?" Karla sieht immer noch mit verklärtem Blick zu den Bäumen.

"Na so: Wenn sie sich am Pflanzenhalm aufwärts bewegen, gibt es abends Regen. Bleiben sie ruhig sitzen oder rutschen abwärts ist oder kommt gutes Wetter."

Karla lacht.

Klements weist mit seiner großen Hand zu ihrem Teller. "Nun iss, dein Rührei wird kalt."








Sie wischt und sie hat diesen Raum so satt. Sie war heute zu lange im Gasthaus. Sie schwitzt und denkt an ihr Zimmer. An das Hinterzimmer mit der balkonartigen Ausbuchtung mit dem riesigen Fenster, an das man von außen nicht näher heran kommt. Dichte Holunderbüsche links und rechts und davor ein kleines Feld stacheliger, dichter Brombeerbüsche grenzen es von der Obstbaumwiese ab. Der Schlüssel zu ihrem Zimmer hängt an einer goldenen Kette um ihren Hals. Klar und kalt liegt er auf ihrer salzigen Haut. Das Stück, welches sie oft ungeduldig in das Schlüsselloch steckt, endet kurz über dem kleinen Graben, der sich zwischen ihren Brüsten auftut. Fast wie in höflicher, respektvoller Haltung hängt er da, ihr liebster Schlüssel. Immer. Nur dann nicht, wenn die wichtige Tür auf- oder zugeschlossen wird.



Eydis erwacht und fühlt sich schwach. Sie weiß, sie hat etwas Schreckliches geträumt, kann sich aber nicht erinnern, was es war. Ihre Augen sind feucht und als sie sie öffnet, kullern zwei Tränen ihre Wangen herunter. Sie spürt den Kloß in ihrem Hals und dreht sich herum, fühlt die Wärme unter der Decke und die des Hundes, der immer an dem Fußende ihres Bettes schläft. Besonders sein warmes Fell an ihren Füßen tröstet sie. Langsam richtet er sich auf und öffnet sein Maul mit einer Mischung aus Gähnen und leisem Jaulen. "Ja, Jemand", flüstert Eydis. Sie weiß, dass er bestimmt schon länger wach ist als sie und nur seine Treue ihn im Bett verweilen lässt. "Ja, Jemand", flüstert sie nochmals und sucht Kraft in sich, ihr Herz beginnt schneller zu schlagen, Eydis stellet sich die friedliche Atmosphäre am Tisch in der Küche vor, wie die Sonne durch das Fenster scheint oder wie man die Obstwiese dadurch betrachten kann. Sie zuckt zusammmen. Nass und weich! Hilfe. Aber es ist nur Jemand´s Zunge, die ihre linke Hand leckt. Eydis spürt, dass sie Hunger hat oder zumindest großen Appetit. Isabelle ist auf dem Großmarkt und macht Einkäufe für das Gasthaus. Nur Jemand und sie sind hier. Dann kann sie doch Aufstehen, es bleibt ruhig und ohne zusätzliche Anstrengungen. Sie muss aufstehen, allein schon wegen Jemand, der ja auch noch etwas vom Tag haben will. Vielleicht muss er pinkeln. Nein, dann würde er sich winselnd vor die Zimmertür stellen. Aber trotzdem. Trotzdem. Eydis räuspert sich laut und schwingt sich aus dem Bett. Sie fühlt sich schwach. Das sind wahrscheinlich die Tabletten. Die sie nehmen muss. Hastig entflieht sie der Schwäche, ihr Herz rast, während ihre Hände zittrig und ungeschickt die Hose greifen. Auf einem Bein stehend taumelt Eydis, setzt sich seufzend auf die Bettkante, zieht die Hose über ihre Füße und Beine, kurz wird ihr schwarz vor den Augen, dann hat sie die Hose an, knöpft sie zu, greift nach dem Pullover und zieht ihn an. Kurz hat sie das Gefühl, ihr wird wieder schwarz vor den Augen und diesmal länger. Aber dem ist nicht so. Jetzt steht sie vor dem Bett und ist angezogen. Jemand wedelt entspannt mit seinem Schwanz, hat sein Maul leicht geöffnet und schaut sie mit glänzenden Augen an. "Du freust dich so schön", sagt Eydis mit belegter Stimme und verlässt, gefolgt von dem Hund, das Zimmer.






Fünf Männer sitzen an dem großen Tisch neben dem Fenster mit den dicken Glassteinen, die durch die metallstreben voneinander abgetrennt sind. Isabelle sieht gut aus heute Abend und sie weiß das. Vielleicht finden manche die bunten Tücher, die sie sich wie eine Afrikanerin um den Kopf schlingt, sonderbar und ihre bunten Röcke zu auffällig. Aber sie führt das Gasthaus schon länger und die Menschen gewöhnen sich mit der Zeit an Ungewöhnliches… Außerdem ist es das einzige Gasthaus in Kathorst und es ist ein gutes noch dazu. Isabelle kann gut kochen und sie ist nicht plump darauf aus, möglichst viel auszuschenken. Ihr Gasthaus ist ein guter Ort zum Verweilen. Aber sie bleibt immer in einer gewissen Distanz zu den Leuten. Nur Nadeschda steht ihr näher. Und eines ihrer inneren Themen, dass die so eng mit Nadeschda verbindet, findet sich häufig in ihrer Nähe, wenn sie sich über den Tresen unterhalten.

Isabelle bringt noch eine Runde Bier an den großen Tisch. Als sie wieder hinter die Theke schlüpft, zischt sie Nadeschda ins Ohr:

"Dein Bauerchef ist auch da: es kommt ja wirklich nicht oft vor, dass er sich hierher verirrt."

"Gehe fast nie von Hof in seine Leben. Arme Klements. Gute Mann aber viele nicht sehen das."

"OH Nadeschda. Wann ist Dir das aufgefallen. Bei Deiner letzten Lohnerhöhung?" Isabelle lacht.

"Ich kann sehen mit Herz in andere Herz. So das ist."

Isabelle lächelt und streichelt die Schulter ihrer Freundin… "Darum habe ich Dich so gern."

Nadeschda schaut verlegen in ihre Kaffeetasse. Der Kaffeesatz sieht komisch aus.

"Was mache kleine Eydis?"

Isabelle beginnt, Gläser zu spülen. "Sie kümmert sich um den alten Hund und beide sehen zufriedener aus."

"Und sie arbeitet mit ?"

"Sie hilft mir bei der Hausarbeit."

"Was sie hat gelernt?"

"Sie hat die Schule abgeschlossen und dann immer mal wieder begonnen, zu jobben."

"Waas.. joggen..?!!..."

"Zu jobben. Aarrbeiiiteeen."

"Du nicht weißt viel über ihr. Mußt Du reden mit ihr. Frage sie und frage..."

"Das ist nicht so einfach!" Isabelle schreit den Satz, während sie die nächste Runde Bier zum Tisch bringt. Auf ihrem Rückweg zur Theke rauscht Nadeschda an ihr vorbei. Dorthin, wo sie herkommt. Isabelle ist überrascht, stellt sich hinter die Theke und beobachtet.

Klements Wissmann- Brenningmeyer zuckt zusammen, als er Nadeschdas Hand auf seiner breiten Schulter spürt. Die Verschränkung seiner Arme verfestigt sich aber sein Gesicht zeigt eine gewisse Erleichterung, als er es Nadeschda zugewendet hat. Vermutlich steht er ihr näher, als den anderen, denkt Isabelle.Er scheint jetzt wieder ganz in der Rolle des Hofherren zu sein. Nadeschda redet und er hört ihr nachdenklich zu. Schließlich nickt er und schiegt seine vollen Lippen etwas vor. Ein freundlicher Zug breitet sich um seinen Mund herum aus und es bilden sich links und rechts kleine Grübchen. Er antwortet Nadeschda knapp und sie scheint zufrieden zu sein, klopft ihrem "Bauerchef" fast mütterlich auf die Schulter. Dann kommt sie in ihrer typischen Art zu gehen - leicht hinkend von der einen Seite der Hüfte ausgehend- zur Theke zurück.

"Alles klar", sagt sie fröhlich. "Dein Eydis kann anfangen, wann passt am besten."

Isabelle betrachtet das Gesicht ihrer Freundin und dabei ist ihr Mund geöffnet. Dieses unscheinbare Gesicht hat es faustdick zwischen den Ohren, denkt sie.

"Schau mich nicht an wie Eichhörnchen in Licht von Scheinwerfer von Auto."

"Was hast Du da ausgehandelt?"

"Wenn will Eydis kann sie arbeiten auf Hof. Ich kann schauen, dass passt alles und nicht ist zu viel oder zu lange arbeiten. Kann verdienen ein bisschen und lernen. Bitte eine Tee mit Rum."

"Gut, dann misch Dich ein, wie es Dir passt, wenn du meinst, Du kennst sie besser."

"Nicht kenne besser: kennelerne. Sei nicht böse. Wird gut. Du mache genug für Nichte, jetzt komme andere auch."

Isabelle spürt, wie sich ihr Herz verkrampft. Nadeschda weiß nicht einmal, dass Eydis Tabletten nehmen muß, die ihr ein Psychologe regelmäßig verschreibt. Sie überlegt. Aber vielleicht ist es besser so. Vielleicht braucht Eydis diese unvoreingenommene Sicht, um sich zu öffnen. Und für den Notfall: Nadeschda ist nicht so leicht zu schocken, sie hat schon so viel gesehen...

Isabelle stellt ihr eine riesige Tasse Rotbuschtee mit Honig und viel Rum und einem großen Klecks Sahne obendrauf hin.

"Der geht natürlich auf mich."










Die verschlossene Tür

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