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Kapitel 3

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Mrs Folliat schritt voran ins Haus, und Poirot folgte ihr. Es war ein elegantes, wunderbar proportioniertes Gebäude. Mrs Folliat ging durch eine Tür zur Linken in einen kleinen, exquisit eingerichteten Salon und weiter in das dahinterliegende große Gesellschaftszimmer, das voller Menschen war, die alle gleichzeitig zu reden schienen.

»George«, sagte Mrs Folliat, »das ist Monsieur Poirot, der so freundlich war herzukommen, um uns zu helfen. Sir George Stubbs.«

Sir George, der sich mit lauter Stimme unterhalten hatte, fuhr herum. Er war ein großer, rotgesichtiger Mann. Mit seinem etwas irritierenden Vollbart sah er aus wie ein Schauspieler, der sich noch nicht recht entschieden hatte, ob er jetzt die Rolle eines Gutsherrn spielte oder die eines »Raubeins aus den Kolonien. Entgegen Michael Weymans Bemerkung, keinesfalls an die Marine denken. Sir Georges Auftreten und seine Stimme waren jovial, seine Augen, von einem ausgesprochen durchdringenden Blassblau, jedoch klein und listig.

Er begrüßte Poirot aufs herzlichste.

»Wir sind so froh, dass es Ihrer Freundin Mrs Oliver gelungen ist, Sie dazu zu bewegen herzukommen«, sagte er. »Ein echter Geistesblitz ihrerseits. Sie werden eine enorme Zugkraft haben.«

Suchend sah er sich um.

»Hattie?«

Dann wiederholte er den Namen in einem etwas schärferen Tonfall: »Hattie!«

Lady Stubbs saß, etwas abseits der anderen, zurückgelehnt in einem großen Sessel. Sie schien dem Geschehen um sich herum keine Beachtung zu schenken. Stattdessen blickte sie lächelnd auf ihre Hand, die ausgestreckt auf der Sessellehne lag. Sie drehte sie hin und her, sodass der große Smaragd an ihrem Mittelfinger in seinen grünen Tiefen das Licht einfing.

Jetzt sah sie mit kindlicher Überraschung leicht erschrocken auf und sagte: »Sehr erfreut.«

Poirot beugte sich über ihre Hand.

Sir George fuhr mit der Vorstellung fort.

»Mrs Masterton.«

Mrs Masterton war eine Frau von einigermaßen wuchtiger Statur, die Poirot entfernt an einen Bluthund erinnerte. Sie hatte einen vorstehenden Unterkiefer und große, traurige, leicht blutunterlaufene Augen.

Sie verneigte sich und setzte ihre Unterhaltung fort. Als Poirot ihre tiefe Stimme hörte, musste er erneut an einen Bluthund denken, genauer an den Anschlag solch eines Tieres.

»Dieser alberne Streit um das Teezelt muss beigelegt werden, Jim«, sagte sie nachdrücklich. »Die müssen einfach Vernunft annehmen. Wir können es nicht zulassen, dass wegen der ewigen Fehden zwischen diesen dämlichen Weibern das ganze Fest zu einem Fiasko wird.«

»Sehr richtig«, erwiderte der Angesprochene.

»Captain Warburton«, sagte Sir George.

Captain Warburton, der ein kariertes Sportsakko trug und dessen Gesicht vage dem eines Pferdes ähnelte, lächelte und entblößte dabei eine erkleckliche Anzahl weißer Zähne, ehe er seine Unterhaltung wieder aufnahm.

»Machen Sie sich keine Sorgen, ich regele das«, sagte er. »Ich werde ein Machtwort sprechen. Was ist mit dem Zelt für die Wahrsagerin? Bei der Magnolie? Oder am Ende des Rasens bei den Rhododendronsträuchern?«

Sir George setzte die Vorstellungsrunde fort.

»Mr und Mrs Legge.«

Ein hochgewachsener junger Mann, dessen Gesichtshaut sich infolge eines Sonnenbrands sehr stark schälte, grinste sympathisch. Seine Frau, ein attraktiver sommersprossiger Rotschopf, nickte freundlich, ehe sie sich in ein Wortgefecht mit Mrs Masterton stürzte, wobei sich ihr ansprechender hoher Sopran und Mrs Mastertons tiefes Bellen zu einer Art Duett vereinten.

»… nicht bei der Magnolie – ein Engpass …«

»… man sollte die Buden und Zelte mehr verteilen – aber wenn sich eine Schlange bildet …«

»… viel kühler. Ich meine, wenn die Sonne voll aufs Haus scheint …«

»… und die Wurfbude darf nicht zu nahe am Haus stehen – die Jungs sind so wild, wenn sie auf die Kokosnüsse werfen …«

»Und das«, sagte Sir George, »ist Miss Brewis, unter deren Pantoffel wir alle stehen.«

Miss Brewis saß hinter einem großen silbernen Teetablett. Sie war eine hagere, tüchtig wirkende Frau von gut vierzig Jahren mit einer frischen, freundlichen Art.

»Sehr erfreut, Monsieur Poirot«, sagte sie. »Ich hoffe, Ihre Anreise war nicht allzu unbequem. Manchmal sind die Züge zu dieser Jahreszeit einfach entsetzlich voll. Darf ich Ihnen einen Tee anbieten? Milch? Zucker?«

»Ganz wenig Milch, Mademoiselle, und vier Stück Zucker.« Als Miss Brewis seinem Wunsch nachkam, fügte er hinzu: »Ich sehe, Sie sind hier alle ausgesprochen geschäftig.«

»Allerdings. Im letzten Augenblick ist immer noch so viel zu erledigen. Und die Leute lassen einen heutzutage auf die ungeheuerlichste Weise im Stich. Mit den Markisen, den Zelten, den Stühlen und der gastronomischen Ausrüstung. Man muss ihnen ständig hinterher sein. Ich war den halben Vormittag am Telefon.«

»Was ist mit den Zeltpflöcken, Amanda?«, fragte Sir George. »Und mit den Extraschlägern für das Uhrengolf?«

»Das ist alles geregelt, Sir George. Mr Benson vom Golfklub war äußerst hilfsbereit.«

Sie reichte Poirot seine Tasse.

»Ein Sandwich, Monsieur Poirot? Es gibt Tomate oder Pastete. Aber vielleicht«, sagte Miss Brewis, als ihr die vier Stück Zucker einfielen, »wäre Ihnen ja ein Cremetörtchen lieber?«

In der Tat war Poirot ein Cremetörtchen lieber, und er suchte sich ein besonders saftiges und süßes aus.

Es vorsichtig auf seiner Untertasse balancierend, ging er zur Gastgeberin und setzte sich. Sie ließ noch immer das Licht auf dem Edelstein an ihrer Hand spielen und blickte mit einem zufriedenen Kinderlächeln zu ihm auf.

»Sehen Sie nur«, sagte sie. »Schön, nicht wahr?«

Er hatte sie aufmerksam betrachtet. Lady Stubbs trug einen großen Kulihut aus fuchsienrotem Stroh, das einen rosafarbenen Schimmer auf ihr kalkweißes Gesicht warf. Sie war stark geschminkt, und zwar auf eine exotische, unenglische Art. Kreideweiße mattierte Haut, leuchtend alpenveilchenrote Lippen, großzügig aufgetragene Wimperntusche. Unter dem Hut sah man ihre Haare, die, schwarz und glatt, eng wie eine Samtkappe an ihrem Kopf anlagen. Das Gesicht war von einer schwülen, fremdländischen Schönheit. Sie war ein Geschöpf der tropischen Sonne, das gleichsam zufällig in einem englischen Gesellschaftszimmer gestrandet war. Doch es waren ihre Augen, die Poirot erschreckten. Ihr Blick war kindlich, starr, fast leer.

Da sie ihre Frage auf eine vertrauliche, naive Art gestellt hatte, antwortete Poirot ihr, als spräche er mit einem Kind.

»Das ist ein sehr schöner Ring«, sagte er.

Sie machte ein zufriedenes Gesicht.

»George hat ihn mir gestern geschenkt«, sagte sie mit gesenkter Stimme, als verriete sie ihm damit ein Geheimnis. »Er macht mir viele Geschenke. Er ist sehr nett.«

Poirot blickte noch einmal auf den Ring und die ausgestreckte Hand auf der Sessellehne. Die Fingernägel waren auffallend lang und in einem tiefen Braunrot lackiert.

Ihm kam ein Zitat in den Sinn: »Sie arbeiten nicht, auch spinnen sie nicht.«

Er konnte sich Lady Stubbs definitiv nicht beim Arbeiten oder Spinnen vorstellen. Dennoch hätte er sie kaum als eine Lilie auf dem Felde beschrieben. Sie war ein sehr viel künstlicheres Produkt.

»Einen wunderschönen Raum haben Sie hier, Madame«, sagte er und sah sich anerkennend um.

»Ja, wahrscheinlich«, antwortete Lady Stubbs vage.

Ihr Augenmerk galt noch immer dem Ring; den Kopf auf die Seite gelegt, heftete sie den Blick auf sein funkelndes grünes Feuer, während sie ihre Hand hin und her bewegte.

In einem vertraulichen Flüsterton sagte sie: »Sehen Sie? Er zwinkert mir zu.«

Sie lachte schallend los, was Poirot regelrecht schockierte. Es war ein lautes, unkontrolliertes Lachen.

Vom anderen Ende des Zimmers rief Sir George: »Hattie!«

Seine Stimme klang relativ freundlich, doch es schwang auch ein leichter Vorwurf in ihr mit. Lady Stubbs’ Lachen brach ab.

Im Plauderton sagte Poirot: »Devonshire ist eine wunderschöne Grafschaft. Finden Sie nicht?«

»Tagsüber ist es sehr schön hier«, erwiderte Lady Stubbs. »Wenn es nicht regnet«, fügte sie bekümmert hinzu. »Aber es gibt hier nirgends Nachtklubs.«

»Ah, verstehe. Sie mögen Nachtklubs?«

»O ja«, sagte Lady Stubbs leidenschaftlich.

»Und warum mögen Sie Nachtklubs so sehr?«

»Da gibt es Musik, und man kann tanzen. Und ich trage meine schönsten Kleider und Armreifen und Ringe. Und die anderen Frauen haben auch alle schöne Kleider und Juwelen, aber nicht so schöne wie ich.«

Sie lächelte voller Genugtuung. Plötzlich verspürte Poirot ein wenig Mitleid mit ihr.

»Und das macht Ihnen alles großen Spaß?«

»Ja. Und Kasinos mag ich auch. Warum gibt es in England keine Kasinos?«

»Das habe ich mich auch schon oft gefragt«, sagte Poirot mit einem Seufzer. »Ich glaube, es würde nicht zum Wesen der Engländer passen.«

Sie sah ihn verständnislos an. Dann beugte sie sich leicht zu ihm hinüber.

»Ich habe einmal sechzigtausend Franc in Monte Carlo gewonnen. Ich habe auf die Siebenundzwanzig gesetzt, und genau da ist die Kugel gelandet.«

»Das muss ja ungeheuer aufregend gewesen sein, Madame.«

»Ja, das war es auch. George gibt mir Geld zum Spielen, aber meistens verliere ich es.«

Sie wirkte untröstlich.

»Höchst bedauerlich.«

»Ach, eigentlich ist es ziemlich egal. George ist steinreich. Es ist schön, reich zu sein, finden Sie nicht?«

»Sehr schön«, erwiderte Poirot sanft.

»Wenn ich nicht reich wäre, würde ich vielleicht wie Amanda aussehen.« Sie ließ ihren Blick zu Miss Brewis am Teetisch schweifen und musterte sie nüchtern. »Sie ist sehr hässlich, finden Sie nicht?«

In dem Moment blickte Miss Brewis auf und zu ihnen beiden herüber. Lady Stubbs hatte zwar nicht laut gesprochen, aber Poirot fragte sich, ob Amanda Brewis sie nicht doch gehört hatte.

Als er die Augen von ihr abwandte, fiel sein Blick auf Captain Warburton, der ihn ironisch und amüsiert ansah.

Poirot bemühte sich, das Thema zu wechseln.

»Waren Sie sehr mit den Vorbereitungen für das Gartenfest beschäftigt?«, fragte er.

Hattie Stubbs schüttelte den Kopf.

»O nein, ich finde das alles sterbenslangweilig, absolut albern. Schließlich haben wir hier Hausangestellte und Gärtner. Warum sollen die nicht die Vorbereitungen treffen?«

»Ach, meine Liebe.« Das kam von Mrs Folliat. Sie hatte sich aufs nahe Sofa gesetzt. »Mit diesen Ideen sind Sie auf Ihren Inseln groß geworden. Aber das Leben in England ist dieser Tage anders. Ich wünschte, es wäre nicht so.« Sie seufzte. »Heutzutage muss man fast alles selber machen.«

Lady Stubbs zuckte die Schultern.

»Ich finde das albern. Was nützt es, reich zu sein, wenn man alles selber machen muss?«

»Manchen Leuten macht es Spaß«, sagte Mrs Folliat und lächelte ihr zu. »Mir zum Beispiel. Nicht alles, aber einiges schon. Ich arbeite gern im Garten, und Feste wie das morgige bereite ich auch gern vor.«

»Wird es eine Art Party?«, fragte Lady Stubbs hoffnungsvoll.

»Genau wie eine Party, mit Unmengen von Leuten.«

»Wie beim Rennen in Ascot? Mit großen Hüten und eleganten Garderoben?«

»Na ja, nicht ganz so wie in Ascot«, erwiderte Mrs Folliat. Und fügte sanft hinzu: »Aber Sie müssen versuchen, das Landleben zu genießen, Hattie. Sie hätten uns heute Vormittag helfen sollen, statt im Bett zu bleiben und erst zur Teezeit aufzustehen.«

»Ich hatte Kopfschmerzen«, entgegnete Hattie schmollend. Dann schlug ihre Stimmung um, und sie lächelte Mrs Folliat freundlich zu.

»Aber morgen werde ich brav sein. Ich werde alles tun, was Sie mir sagen.«

»Das ist sehr lieb von Ihnen, meine Gute.«

»Ich werde mein neues Kleid tragen. Es ist heute Morgen eingetroffen. Kommen Sie, wir gehen zusammen nach oben, dann zeige ich es Ihnen.«

Mrs Folliat zögerte. Lady Stubbs erhob sich und sagte mit Nachdruck:

»Sie müssen mitkommen. Bitte. Es ist ein wunderschönes Kleid. Jetzt kommen Sie doch!«

»Also gut.« Mrs Folliat lachte halbherzig und stand auf.

Als ihre kleine Gestalt der hochgewachsenen Hattie folgte, sah Poirot verblüfft, dass Müdigkeit und Lustlosigkeit ihre lächelnde Contenance abgelöst hatten. Es war, als hätte sie in einem entspannten, unachtsamen Augenblick einfach ihre Gesellschaftsmaske fallen lassen. Doch da schien noch mehr zu sein. Vielleicht laborierte sie an Beschwerden, über die sie, wie viele Frauen, nie sprach. Sie war kein Mensch, dachte er, der es darauf anlegen würde, Mitleid und Mitgefühl zu erregen.

Captain Warburton ließ sich in den Sessel fallen, den Hattie Stubbs gerade frei gemacht hatte. Auch er richtete den Blick auf die Tür, durch die die beiden Frauen verschwunden waren, doch sein Kommentar galt nicht der alten Dame. Stattdessen sagte er in einem gedehnten Tonfall und mit einem leichten Grinsen: »Ein schönes Geschöpf, was?« Aus dem Augenwinkel beobachtete er, wie Sir George mit Mrs Masterton und Mrs Oliver im Schlepptau durch eine der Terrassentüren trat. »Hat den alten George Stubbs einfach umgehauen. Nichts ist gut genug für sie! Juwelen, Nerze, der ganze Plunder. Ob ihm klar ist, dass sie nicht ganz richtig im Oberstübchen ist, habe ich nie herausbekommen. Wahrscheinlich spielt es für ihn keine Rolle. Diese begüterten Burschen sind schließlich nicht an einer intellektuellen Beziehung interessiert.«

»Woher stammt sie denn?«, fragte Poirot neugierig.

»Ich finde immer, sie sieht südamerikanisch aus. Aber ich glaube, sie kommt aus der Karibik. Von einer dieser Westindischen Inseln, wo Zucker und Rum und so hergestellt werden. Aus einer der alten Familien dort – eine Kreolin, kein Halbblut. Ich glaube, auf diesen Inseln sind fast alle miteinander verschwägert. Erklärt auch den geistigen Defekt.«

Die junge Mrs Legge kam und setzte sich zu ihnen.

»Hören Sie, Jim«, sagte sie, »Sie müssen mir zur Seite stehen. Das Zelt muss, wie wir alle gemeinsam beschlossen haben, am Ende des Rasens, direkt vor den Rhododendronsträuchern, aufgebaut werden. Das ist der einzig mögliche Platz.«

»Leider ist Mama Masterton da anderer Meinung.«

»Nun, dann müssen Sie es ihr ausreden.«

Er setzte ein listiges Lächeln auf.

»Mrs Masterton ist meine Vorgesetzte.«

»Wilfred Masterton ist Ihr Vorgesetzter. Er ist der Unterhausabgeordnete.«

»Schon möglich, aber eigentlich sollte sie es sein. Sie hat nämlich die Hosen an, das kann ich Ihnen flüstern.«

Sir George trat durch die Terrassentür wieder herein.

»Ach, da sind Sie ja, Sally«, sagte er. »Wir brauchen Sie. Man sollte es nicht für möglich halten, aber alle zanken sich darum, wer jetzt die Brötchen mit Butter bestreichen und wer die Torte verlosen darf und warum der Stand mit dem Gartengemüse an dem Platz steht, der für die modischen Wollsachen reserviert war. Wo ist Amy Folliat? Sie soll sich darum kümmern – ist ja praktisch die Einzige, die mit diesen Leute fertigwird.«

»Sie ist mit Hattie nach oben gegangen.«

»Ach, wirklich?«

Ein wenig hilflos blickte sich Sir George um, woraufhin Miss Brewis, die gerade die Eintrittskarten beschriftete, aufsprang und meinte:

»Ich gehe sie holen, Sir George.«

»Danke, Amanda.«

Miss Brewis verließ das Zimmer.

»Muss noch ein Stück Drahtzaun auftreiben«, murmelte Sir George.

»Für das Fest?«

»Nein, nein. Für die Grenze zum Nachbargrundstück, Hoodown Park, hinten im Wald. Der alte Zaun ist vermodert, und genau da kommen sie immer rein.«

»Wer kommt da immer rein?«

»Unbefugte! Eindringlinge!«, stieß Sir George aus.

Amüsiert warf Sally Legge ein: »Sie klingen wie Betsey Trotwood auf ihrem Feldzug gegen Esel.«

»Betsey Trotwood? Wer ist das?«, fragte Sir George.

»Dickens.«

»Ach, Dickens. Ich habe mal Die Pickwickier gelesen. Nicht übel. Wirklich nicht übel – hat mich überrascht. Aber im Ernst, seit es mit diesem Jugendherbergsblödsinn angefangen hat, sind unbefugte Eindringlinge zu einer echten Bedrohung geworden. Aus allen Richtungen fallen sie über einen her, tragen die unglaublichsten Hemden – ein Junge heute Morgen hatte eins, auf dem wimmelte es nur so von Schildkröten, ich dachte schon, ich hätte zu tief in die Flasche geguckt. Die Hälfte von denen kann überhaupt kein Englisch, stammelt nur herum: ›Oh, biiihte – ja, ham Sie – sagen Sie – is Weg zu Fähre?‹ Ich sage: ›Nein, das ist er nicht‹, brülle sie an und scheuche sie dahin zurück, wo sie hergekommen sind, aber meistens blinzeln sie bloß, starren einen an und verstehen kein Wort. Und die Mädchen kichern. Alle möglichen Nationalitäten: Italiener, Jugoslawen, Holländer, Finnen – selbst über Eskimos würde ich mich nicht mehr wundern! Und es würde mich auch nicht überraschen, wenn sie zur Hälfte Kommunisten wären«, schloss er finster.

»Kommen Sie, George, fangen Sie jetzt nicht mit den Kommunisten an«, sagte Mrs Legge. »Los, ich helfe Ihnen mit den rabiaten Frauen.«

Sie führte ihn durch die Tür ins Freie und rief über die Schulter zurück: »Kommen Sie, Jim. Kommen Sie und lassen Sie sich für einen guten Zweck in Stücke reißen.«

»Na gut, aber erst möchte ich noch Monsieur Poirot über die Mörderjagd ins Bild setzen, da er ja die Preise überreichen soll.«

»Das können Sie auch nachher machen.«

»Ich warte hier auf Sie«, sagte Poirot entgegenkommend.

In der darauffolgenden Stille streckte sich Alec Legge in seinem Sessel aus und seufzte.

»Frauen!«, sagte er. »Wie ein Schwarm Bienen.«

Er drehte den Kopf zur Seite und sah aus dem Fenster.

»Und wozu das alles? Für ein albernes Gartenfest, das niemanden interessiert.«

»Offensichtlich«, entgegnete Poirot, »interessiert es aber doch so einige.«

»Warum können die Menschen keine Vernunft annehmen? Warum können sie nicht ihr Gehirn einschalten? Sehen Sie sich doch bloß an, in was für einem Schlamassel die ganze Welt steckt. Ist den Leuten denn nicht klar, dass die Bewohner der Erdkugel dabei sind, Selbstmord zu begehen?«

Poirot nahm zu Recht an, dass auf diese Frage keine Antwort erwartet wurde. Er schüttelte nur bedenklich den Kopf.

»Wenn wir nicht etwas unternehmen, ehe es zu spät ist …« Alec Legge brach ab. Wut überzog sein Gesicht. »Ja ja«, sagte er, »ich weiß, was Sie denken. Dass ich nervlich angeschlagen bin, neurotisch, diesen ganzen Quatsch. Genau wie diese verdammten Ärzte. Empfehlen einem Ruhe, Abwechslung und Seeluft. Gut, Sally und ich sind also hier runtergekommen und haben für ein paar Monate das Mill Cottage gemietet, und ich habe alle Verordnungen befolgt. Ich habe geangelt, gebadet, lange Spaziergänge gemacht und Sonnenbäder genommen …«

»Ja, dass Sie in der Sonne gelegen haben, das habe ich bemerkt«, sagte Poirot höflich.

»Ach, das hier?« Alec fasste sich mit der Hand an sein verbranntes Gesicht. »Das ist sozusagen das Ergebnis eines ausnahmsweise einmal schönen englischen Sommers. Aber was bringt es schon? Man kann der Wahrheit nicht entkommen, indem man einfach vor ihr davonläuft.«

»Nein, davonzulaufen ist nie gut.«

»Und wenn man, wie hier, in einer ländlichen Gegend lebt, erkennt man noch deutlicher, was los ist – und wie unglaublich apathisch die Leute in diesem Land sind. Selbst Sally, die nun wirklich intelligent ist. Warum sich die Mühe machen? So redet sie. Es macht mich wahnsinnig! Warum sich die Mühe machen?«

»Nur interessehalber, warum denn?«

»Mein Gott, Sie auch?«

»Nein, ich will Ihnen keine Ratschläge geben. Ich wüsste nur gern Ihre Antwort.«

»Begreifen Sie denn nicht, dass irgendjemand etwas unternehmen muss?«

»Und dieser Jemand sind Sie?«

»Nein, nein, nicht ich persönlich. In Zeiten wie diesen gibt es keine persönliche Lösung.«

»Ich wüsste nicht, warum nicht. Selbst in ›Zeiten wie diesen‹, wie Sie es nennen, ist man immer noch eine Person.«

»Sollte man aber nicht! In Krisenzeiten, wenn es um Leben und Tod geht, kann man nicht an seine eigenen unbedeutenden Probleme und Sorgen denken.«

»Ich versichere Ihnen, da liegen Sie völlig falsch. Gegen Ende des Krieges, während eines schweren Luftangriffs, habe ich mich viel weniger mit dem Gedanken an den Tod beschäftigt als mit den Schmerzen eines Hühnerauges an meinem kleinen Zeh. Das hat mich damals überrascht. Denk daran, sagte ich mir, dass du jeden Augenblick das Zeitliche segnen kannst. Und trotzdem musste ich ständig an das Hühnerauge denken – und war sogar beleidigt, dass ich außer meinen Schmerzen auch noch Angst vor dem Tod haben sollte. Gerade weil ich hätte sterben können, nahmen sämtliche kleinen persönlichen Dinge in meinem Leben eine erhöhte Bedeutung an. Ich habe gesehen, wie eine Frau von einem Auto erfasst wurde und sich das Bein brach, doch die Tränen kamen ihr, weil ihr Strumpf eine Laufmasche bekommen hatte.«

»Was lediglich zeigt, wie töricht Frauen sind!«

»Es zeigt, wie die Menschen wirklich sind. Vielleicht hat genau dieses Augenmerk auf das persönliche Leben dazu geführt, dass die Menschheit überlebt hat.«

Alec Legge lachte verächtlich.

»Manchmal«, sagte er, »finde ich Letzteres bedauerlich.«

»Verstehen Sie, es ist eine Art von Demut.« Poirot ließ nicht locker. »Und Demut ist etwas Wichtiges. Ich weiß noch, während des Krieges stand bei Ihnen überall in den U-Bahnen die Losung: ›Es hängt alles von Dir ab.‹ Sie stammte, glaube ich, von einem bedeutenden Geistlichen, aber meiner Meinung nach war es eine bedenkliche und gefährliche Doktrin. Denn sie ist falsch. Nicht alles hängt von, sagen wir, Mrs Blank aus Little-Blank-in-the-Marsh ab. Und wenn ihr eingeredet wird, dass es das doch tut, dann ist das nicht gut für ihren Charakter. Während sie überlegt, welche Rolle sie im Weltgeschehen spielen kann, stößt das Baby den Teekessel um.«

»Ich glaube, Ihre Ansichten sind recht altmodisch. Wie würde denn Ihre Parole lauten?«

»Ich muss mir nichts Neues ausdenken. Es gibt hierzulande einen älteren Leitsatz, der mich durchaus zufriedenstellt.«

»Und der wäre?«

»Vertraue auf Gott und halte dein Pulver trocken.«

»Soso …« Alec Legge wirkte belustigt. »Höchst unerwartet, aus Ihrem Mund. Wissen Sie, was ich in diesem Land gerne sehen würde?«

»Zweifellos irgendetwas Durchschlagendes und Unangenehmes«, erwiderte Poirot lächelnd.

Alec Legge blieb ernst.

»Ich würde es gern sehen, wenn alle Minderbemittelten abserviert würden – einfach abserviert. Keine Fortpflanzung mehr! Wenn sich über eine ganze Generation hinweg lediglich die Intelligenten fortpflanzen dürften – was meinen Sie, was das für Resultate brächte.«

»Eventuell einen rasanten Anstieg von Psychiatriepatienten«, erwiderte Poirot trocken. »Eine Pflanze braucht Wurzeln ebenso wie Blüten, Mr Legge. Ganz egal, wie groß und schön die Blüten sind, wenn die Wurzeln in der Erde zerstört werden, gibt es auch keine Blüten mehr.« Im Plauderton fügte er hinzu: »Wäre Lady Stubbs Ihrer Ansicht nach eine Kandidatin für die Todeskammer?«

»Ja, allerdings. Wozu ist eine Frau wie sie gut? Was hat sie je zum Wohl der Gesellschaft beigetragen? Hat sie je irgendeinen Gedanken gehabt, der sich nicht um Kleider, Pelze oder Juwelen drehte? Wie gesagt, wozu ist sie gut?«

»Sie und ich«, erklärte Poirot ausdruckslos, »sind sicher deutlich intelligenter als Lady Stubbs. Aber«, hier schüttelte er traurig den Kopf, »ich fürchte, es führt kein Weg daran vorbei, dass wir längst nicht so dekorativ sind.«

»Dekorativ …«, schnaubte Alec verächtlich, wurde jedoch unterbrochen, da Mrs Oliver und Captain Warburton durch die Terrassentür zurückkehrten.

Mord mit verteilten Rollen

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