Читать книгу MISTY DEW 1 - Agnete C. Greeley - Страница 4
3. Kapitel
ОглавлениеChicago - River North
Die schlanke schwarze Frau im hellen Cocktailkleid sang soeben zu einer ominösen Klavierbegleitung die letzten Töne von ‚Stormy Monday‘ als Julian seinen zweiten Scotch bestellte. Er konnte trotzdem noch hören, wie der Chicago-Regen gegen die hohen Scheiben trommelte. Etwas verdrießlich blickte er zu den Fenstern hin. Vermutlich würde der Regen heute nicht mehr aufhören.
Die Security-Männer hatten ihn vor gut einer Stunde passieren lassen, was wohl an seinem Anzug lag, in den er sich mit nur wenig Begeisterung, gezwängt hatte.
Recherchieren war generell schwierig. Es hatte schon mal gedauert, bis er und Will endlich eine annehmbare Liste des Blues-Viertels erstellt hatten. Es erleichterte die Arbeit ungemein, zu wissen, wo diverse Blues-Veranstaltungen stattfanden und wer gerade wo auftrat.
Seit gestern zogen Julian und Will getrennt durch die vielen Bars, auf der schwierigen Suche nach Irene. Die Nadel im Heuhaufen.
Es gab ein paar Gerüchte, doch keiner konnte, oder wollte ihnen bescheid geben. Der Name Irene Morris war selbstverständlich nicht bekannt. Wie auch? Falls die Frau tatsächlich hier war, was Julian fest glaubte, dann hatte sie sicher einen anderen Namen angenommen. Das ging ja heutzutage leicht.
In den beiden ersten Blues-Schuppen des heutigen Abends hatte er erfolglos sein Bier gekippt. Keiner hatte ihm weiterhelfen können. Niemand kannte die Frau auf dem Foto. Aber dort wie hier, war trotz des miesen Wetters eine Menge los. Scheinbar stürmten alle Einwohner von Chicago die Bluesbars im River North District, sobald die Woche vorüber war.
Auch in dieser vollgestopften Bar war die Atmosphäre locker und angenehm. Keiner schien sich an dem Gedränge in dem Lokal zu stören.
Seit er den Bluesschuppen betreten hatte, lauschte er der volltönenden Stimme der Mittfünfzigerin, die scheinbar eine ziemlich bekannte Nummer hier war. Julian kannte sich mit Musik ganz gut aus, auch wenn er überhaupt kein Blues-Fan war. Diese Musik verursachte Depressionen, wie er fand. Diese Frau war jedenfalls ein Profi.
Die schwarze Sängerin beendete unter dem Applaus der nahen sitzenden Zuseher ihr Lied und lächelte in die Runde, ehe sie sich entschuldigte und sich auf ihren Platz an einem kleinen Ecktisch hinsetzte.
Während Julian sich, scheinbar entspannt an die Bar lehnte, nippte er an seinem Whisky und sah sich um.
Einen Augenblick fühlte er sich in die Zeit der rauen Detektive zurückversetzt. Zigarettenrauch, der die Bar durchzog, zwielichtig aussehende Männer mit Hüten und Anzügen, schwarzgebrannter Whisky, heimlich im Hinterzimmer oder in verborgenen Geheimräumen ausgeschenkt. Ob Al Capone auch hier gewesen war, mit Mafiahut und Zigarette an der Bar? Wäre sicher möglich. Immerhin war er hier eine lokale Berühmtheit. Jeder kannte den Namen des wohl berühmtesten Mafioso aller Zeiten.
Bei diesem Gedanken musste Julian sachte grinsen. Er stellte sich die Szene hier in Schwarzweiß vor, und sein Grinsen vertiefte sich für einen Augenblick. Chicago hatte eindeutig noch genügend vom Flair der wilden Zwanziger übrig.
Er konnte nicht umhin, an diverse alte Filme, wie ‚Der Malteser Falke‘ oder die Szenen aus ‚Ricks Bar‘ aus Casablanca zu denken.
»Louis, das ist der Beginn einer wunderbaren Freundschaft«, raunte er. Sein Nachbar am Barhocker drehte sich leicht irritiert zu ihm um.
»Wie bitte?«
»Ähm, nichts, gar nichts. Ich dachte nur gerade an.« Julian winkte ab.
»Nicht so wichtig.« Das genügte dem Kerl neben ihm, der sich schulterzuckend wieder der Musik zuwandte.
Julian atmete leise aus. Rasch schob er seine Schwarzweiß-Fantasien beiseite, denn er hatte noch zu arbeiten.
Als der Barkeeper endlich zu Ruhe kam, beschloss er, ihn zuerst anzuquatschen, nicht so, wie in den anderen Lokalen, wo er es mit den geschäftigen Kellnerinnen versucht hatte.
»Ich suche diese Frau hier«, kam er deshalb auch gleich zur Sache.
Julian hielt dem freundlich dreinblickenden Barkeeper das geklaute Foto von Irene mit dem blauen Kleid unter die Nase, und hoffte, er würde nicht nach dem Namen fragen.
»Hab gehört, sie singt klasse. Ein Geheimtipp von einem Freund.«
Er setzte ein enttäuschtes Gesicht auf.
»Aber anscheindend will mir hier keiner diesen Ohrenschmaus gönnen.«
Mit dem neueren Foto hätte er nicht punkten können. Das ältere wirkte wesentlich realistischer.
Darauf war Irene zwar um ein paar Jahre jünger, aber das musste dem Kerl hinter dem Tresen nicht unbedingt auffallen. Der Barmann nahm das Foto an sich, und besah es sich genau, doch scheinbar konnte er nichts mit der Person darauf anfangen.
»Hm, keine Ahnung. Glaube, ich habe sie noch nicht gesehen.«
Entschuldigend gab er Julian das Foto zurück.
»Es kommen so viele Neulinge her. Aber ich hab hier nur Samstag und Mittwoch Abendschicht, tut mir leid.«
Er blickte sich kurz in der diffus beleuchteten Bar um, ehe er auf den Ecktisch wies, wo die Sängerin platz genommen hatte.
»Fragen Sie einfach Lorraine. Sie hat gerade Pause. Singt hier vertraglich. Wenn Sie Glück haben, wird sie Ihnen mehr verraten. Sie ist aus der Szene, versuchen Sie einfach ihr Glück.«
Julian bedankte sich zuerst, ehe er mit seinem Drink auf den Tisch zusteuerte.
Erstaunt hob die Sängerin den Kopf. Als er fragte, ob er Platz nehmen durfte, lächelte sie spöttisch.
»Sieh mal einer an, so gutaussehend und das mir. Ja, nimm ruhig Platz. Vorausgesetzt du kommst nicht mit dem Drink-Spruch.«
Erstaunt sah er sie an.
»Was denn für einen Drink-Spruch?«
»Den ‚Darf ich Sie auf einen Drink Einladen-Spruch‘.«
Julian lächelte.
»Nein, das hatte ich nicht vor.«
Sie zog die Augenbrauen hoch.
»Wirklich nicht? Tja.« Sie versuchte ein übertrieben enttäuschtes Gesicht aufzusetzen.
»schätze mal, ich bin wohl schon zu alt für dich.«
Jetzt fühlte sich Julian doch einigermaßen unwohl, doch er erkannte, dass sie scherzte.
»Nein, ganz und gar nicht.« Sein charmantes Lächeln ließ sie schmunzeln.
»Ich denke, ich bin nicht ganz Ihre Kragenweite, also hätte ich das nie gewagt«, fuhr er fort.
Ihr prickelndes Lachen erfüllte den Raum.
»Lügner.«
»Vielleicht. Aber nur ein bisschen.«
Als er ihr gegenüber Platz genommen hatte, schob er ihr ohne viele Erklärungen das Foto hin.
»Nun, Sie kennen sich hier aus, und sind jahrelang im Geschäft. Eigentlich suche ich diese Frau hier. Ein Freund gab mir den Tipp. Er war vor ein paar Wochen hier und meinte, die wäre eine Blues-Nacht wert.« Schulterzuckend lehnte er sich zurück.
»Sie muss schon sehr geheim sein, wenn sie keiner hier kennt, also dachte ich, ich frage einfach mal eine berühmte Persönlichkeit.« Er grinste jungenhaft, als sie aufseufzte.
»Ach ja, und wie sieht’s aus? Darf ich jetzt einen Drink ausgeben?«, meinte er beiläufig.
Eine Weile schwieg sie, ehe sie nickte.
»Okay, aber nur wenn du aufhörst, zu lügen. Du bist doch nicht wirklich ein Blues-Fan, oder? Ich bin schon lange im Geschäft, also spüre ich so etwas. Du passt hier nicht richtig rein. Zu verkrampft, zu aufmerksam. Wie ein Bulle. Ich habe dich beobachtet. Abgesehen davon, dass du mein Sohn sein könntest, du wirkst, als ob dir das hier alles eher unangenehm ist, und dann fragst du mich nach dieser blonden Puppe hier. Interessant!« Sie lächelte ihn amüsiert an.
»Du bist doch kein Bulle, oder?«
Julian erwiderte das Lächeln. Das Wort Bulle erinnerte ihn erneut an die alten Detektiv-Filme und er musste sich sehr darauf konzentrieren, beim Thema zu bleiben.
Er winkte einer Kellnerin, ehe er einen ernsthaften Tonfall anschlug.
»Nein, kein Bulle. Um Himmels willen, vielleicht hätte ich doch etwas anderes anziehen sollen.« Er machte ein betont verzweifeltes Gesicht, ehe er wieder sein altbewährtes Grinsen aufsetzte.
»Okay, dann reden wir mal Klartext. Die Cousine dieser Blondine aus dem Mistydew County im Nordwesten macht sich Sorgen um die Frau. Also hat sie einen Detektiv beauftragt, sie zu suchen und ich bin der Handlanger.«
Die Kellnerin kam und nahm die Bestellung auf.
Lorraine wollte einen trockenen Martini, und Julian bestellte noch einen Scotch.
»Ich lüge nicht«, fügte er ernsthaft hinzu, als die Kellnerin davonging.
»Ein paar Leute denken, sie könnte in Schwierigkeiten stecken, also.«
»Okay, das klingt schon besser. Ich glaube dir.« Lorraine wies mit einem perfekt manikürten Finger auf das Bild.
»Also das ist René Maurice. Zumindest sieht sie aus, wie sie, nur ist sie hier auf dem Foto ein bisschen jünger. Und ich sage dir das nur, weil ich denke, dass du zu den Guten gehörst und kein böser Bulle, Detektiv, was auch immer, bist, außerdem weil ich weiß, dass sie nicht hierher gehört.« Sie musterte Julian nachdenklich.
»Versteh mich nicht falsch, ich meine damit nicht, dass sie schlecht singt, oder das sie unbeliebt ist, sondern nur, dass sie nicht hier sein will. Was auch immer René hierher getrieben hat, sie wird auf jeden Fall früher oder später untergehen. Ihr Herz ist woanders.«
»René Maurice, also. Wie einfallsreich«, meinte Julian dtrocken, ehe er sich erhob.
»Danke.« Doch Lorraine hielt ihn nochmal am Unterarm zurück.
»Falls ich dahinterkomme, dass du trotz meines Bauchgefühls nicht zu den Guten gehörst, bekommst du eine Menge Ärger. Nur damit das klar ist! Ich finde dich garantiert. Und dass ist ein Versprechen, mein Junge«, meinte sie im entschlossenen Tonfall.
Julian nickte. Wage Bilder von bulligen Mafiatypen, die ihn in die Mangel nahmen, entstanden in seinem Kopf. Er musste sich sehr beherrschen, um nicht zu grinsen.
»Okay, alles klar.«
Lorraine hob den Kopf und warf einen Blick auf die Uhr über der Tür.
»Ach ja, und ehe ich es vergesse, heute ist sie im Blue Midnight. Besser gesagt: sie war heute dort. Vor etwa einer Stunde hatte sie ihren Auftritt. Falls du Glück hast, ist sie noch an der Bar, wenn nicht, ist sie vermutlich ein paar Lokale weiter im Red Heat, wo sie öfter nach ihrem Auftritt hingeht. Billige Drinks, unscheinbare Bar. Eigentlich ist das Lokal ein mieser Schuppen. Schlechte Beleuchtung, Bikergangs, und so was. Die Angestellten sind so weit ich weiß aber ganz anständig. Und René, tja.« Es schien, als ob sie noch etwas sagen wollte, doch dann überlegte sie es sich.
»Nein, ich hab schon genug gesagt. Mach dir selbst ein Bild.«
Sie nahm einen Stift vom Tisch, ehe sie nach Julians Hand griff. Er ließ schweigend zu, dass sie seine Hand umdrehte, und etwas in die Innenfläche reinkritzelte.
»Hier, die Adresse«, rasch setzte sie eine schwungvolle Unterschrift darunter.
»Und mein Autogramm.« Sie lächelte ihn charmant an.
»Und pass auf dich auf. Das Red Heat ist ein wenig gewöhnungsbedürftig«, fügte sie wage hinzu.
Julian nickte nur, und besah sich die kleine Skizze in seiner Hand, die sie der Adresse hinzugefügt hatte.
Als die Kellnerin kam, nahm er ihr das Whiskyglas vom Tablett und leerte es mit einem Zug. Er kramte einen Geldschein aus seiner Börse, und legte ihn auf den Tisch.
»Ich lege mich sicher nicht mit Ihnen an«, meinte er an Lorraine gewandt, ehe er in seinen Mantel schlüpfte.
»Würde ich mich nie trauen«, fügte er sachte lächelnd hinzu, bevor er ging. Als er das Lokal verließ, konnte er ihren nachdenklichen Blick in seinem Rücken spüren.
Auf der Straße angekommen, fröstelte er trotz des warmen Mantels. Der kalte Wind pfiff ihn um die Ohren, und der Regen schien zugenommen zu haben. Vom viel gelobten Frühling war weit und breit keine Spur.
Er schlenderte an mehreren belebten Lokalen vorbei, bis zu der Abzweigung, die Lorraine ihm in die Hand gemalt hatte. Außerdem hatte er nach zwei Nächten bereits eine ungefähre Vorstellung vom River North District.
Das Blue Midnight lag abseits des goldenen Blues-Viertels, also eine Nebenstraße weiter.
Er beschloss, sich zu beeilen. Während er rasch ausschritt, überlegte er, wie er sich Irene nähern könnte ohne sie gleich in die Flucht zu schlagen.
Manchmal war der Job kompliziert. Oft auch nur öde und kalt, aber das kam vor. Noch immer besser als das was Julian früher erlebt hatte. Früher, ja, das war eine Ewigkeit her. Rasch verdrängte er den Gedanken daran wieder. Er hatte in den letzten Jahren geschafft, nicht zu viel über seine Vergangenheit nachzudenken und über seine Familie.
Innerhalb weniger Minuten erkannte er das blaubeleuchtete Schild des Blue Midnight. Jetzt hatte er keine Ausreden nötig und er musste auch nichts trinken. Also ging er kurzentschlossen rein, und fragte bei der hübschen Thekenkraft unbefangen nach Renè Maurice. Da er der Frau hinter der Theke scheinbar gefiel, hatte er diesmal keine Schwierigkeiten, Auskunft zu erhalten.
»Tut mir leid, Hübscher, aber sie ist«, sie warf einen Blick auf die knallrote Riesenuhr am Handgelenk.
»... vor etwa fünf Minuten gegangen. Ihre nächste Show ist am Donnerstag, glaube ich. Aber wenn du dich beeilst, kannst du sie noch einholen. Sie geht sicher ins Red Heat.« Sie lehnte sich über den Tresen, und zwinkerte ihm ungeniert zu. Julian musterte sie interessiert. Was er sah, gefiel ihm, und würden die Dinge anders liegen, hätte er sie sich garantiert warm gehalten, doch er steckte mitten in einem Auftrag.
»Nun, ich habe gehört, sie steht auf Biker, also falls du kein Glück bei ihr hast, komm einfach wieder zurück. Ich habe um zwei Schluss, wenn du mir also einen Drink spendieren willst ...« Sie legte den Kopf schief und betrachtete ihn. Hübsches Gesicht der Kerl, groß, Modellmaße, ganz ihr Typ.
Julian ließ die Musterung gelassen über sich ergehen und erhob sich lächelnd.
»Ich denke darüber nach«, meinte er charmant, ehe er auf den Ausgang zusteuerte.
Biker? Na, das ist echt ein Lichtblick, dachte er ironisch, und vor allem klang das bereits jetzt nach Ärger.
»Na toll, Will! Wo hast du mich da nur wieder reingeritten?«, murmelte er leise, ehe er auf die Straße trat.
Den enttäuschten Gesichtsausdruck der Thekenkraft sah er nicht mehr. Stattdessen blickte er sich hastig nach jemandem um, auf dem die Beschreibung dieser Irene passen konnte. Er war ihr so nah. Es wurde höchste Zeit, diesen Auftrag zu erledigen, damit er wieder seinen Wohnwagen schnappen, und weiterziehen konnte. Wäre Will nicht gewesen, hätte es ihn niemals in die Mistydew-Gegend verschlagen. Aber er wollte Will nicht im Stich lassen, und auch nicht die Leute auf der Ranch. Er sah sich die Leute in seiner unmittelbaren Umgebung an. Vier fröhliche junge Menschen schlenderten gelassen über den Bürgersteig. Ein älteres Paar mit einem Regenschirm spazierte ruhig über die, im Augenblick wenig befahrene Straße. Allesamt wollten sie den Abend genießen, fortgehen, sich mit Freunden in Bluesbars treffen. Alles in einem ein ganz normaler Samstag. Während er seinen Blick schweifen ließ, nahm er aus den Augenwinkeln eine schlanke Gestalt wahr, die in einiger Entfernung vor ihm den Gehsteig entlang schlenkerte.
Sie fiel deswegen auf, weil sie die einzige Person neben ihm war, die alleine unterwegs war. Ihre schmalen Schultern hatte sie verkrampft hochgezogen, während sie, als bräuchte sie den Halt, ihre Handtasche fest umklammert hielt.
War das Irene? Seine innere Stimme bejahte das.
Als sie sich auf einmal, wie in Panik, umwandte, erhaschte er, trotz der eher fahlen Straßenbeleuchtung, einen genaueren Blick auf ihr Gesicht und zuckte leicht zusammen.
Konnte diese Jammergestalt tatsächlich Irene Morris sein? Die hellen Haare hingen ihr wirr ums Gesicht, und vereinzelte Strähnchen klebten auf ihrer Stirn. Ihre Wangen wirkten eingefallen. Der Regen hatte sie bereits komplett durchnässt, doch sie schien es nicht wahrzunehmen.
Julian betrachtete das Foto in seiner Hand noch einmal prüfend. Stirnrunzelnd schob er es in die Innentasche seines gefütterten Mantels. Ja, sie könnte es sein, obwohl sie der fröhlichen, hübschen Frau auf dem Bild nicht gerecht wurde.
Auf der anderen Straßenseite lachten ein paar junge Leute, die sichtbar den Samstag genossen, also machte er sich nicht die Mühe, sich zu verstecken, sondern schlenderte langsam weiter, immer darauf achtend, nicht aufzufallen. Dabei bemerkte er, wie die Gestalt, die er für die Gesuchte hielt, sich immer wieder umblickte, als ob sie verfolgt wurde. Ein Detail, das er sich am Rande notierte.
Hatte sie Ärger mit jemandem oder war sie einfach nervös? Hastig betrachtete er die nähere Umgebung. Man konnte nie wissen, dennoch konnte er keine Verfolger, oder andere zweifelhafte Personen ausmachen.
Der Verdacht, es könne sich um Irene Morris handeln, verstärkte sich, als sie kurz darauf durch die Tür eines Lokales verschwand. Das Red Heat.
Julian näherte sich dem Eingang, aber spähte zuerst durch eines der Fenster.
Soweit er von der Straße aus erkennen konnte, war es nur mäßig besucht und Rauchschwaden durchzogen träge die Bar. Ein seltener Anblick im Antiraucher-Land. An einem Tisch direkt am Fenster saß ein verliebtes junges Pärchen, und auf einem der größeren Tische mitten im Lokal spielten ein paar Biker Karten.
»Na toll«, meinte Julian, während er beobachtete, wie die Frau leicht schwankend, auf einem Hocker direkt an der Bar Platz nahm. Er erkannte, dass sie ein paar Worte mit dem Mann hinter dem Tresen wechselte, ehe dieser ihr ein Bier vom Fass hinstellte. Kaum hatte sie einen Schluck getrunken, kam schon einer der kräftigen Bikerjungs und rutschte auf den Hocker neben sie.
»Die Motte und das Licht. Nichts Neues«, murmelte Julian, während er den Typen näher in Augenschein nahm.
Der Kerl sah aus wie eine Mischung aus Sully aus Dr. Quinn und Indiana Jones, nur seine wachsam angespannte Haltung veriet Julian, dass er womöglich immer auf Ärger wartete.
Oder er ist selbst der Verursacher, dachte Julian.
Irene schien ihn zu kennen, denn sie begrüßte ihn wie einen guten Bekannten.
Julian beobachtete, wie der Kerl auf sie einredete. Ein paar Mal schüttelte die Frau energisch mit dem Kopf, was dem Biker nicht zu gefallen schien, so wie er mit den Händen herumfuchtelte. An seiner Miene konnte Julian erkennen, dass er verärgert war. Seine Hand umklammerte Irenes Oberarm, und sie machte sich energisch frei. Weiterhin diskutierten sie miteinander, doch es war klar ersichtlich, dass der Biker mit etwas, das Irene sagte, nicht einverstanden war.
Brauchte sie Hilfe? Sollte er einfach rein gehen, oder noch abwarten? Doch der Barkeeper, der selbst aussah, als würde er mit allem fertig werden, schien die Lage unter Kontrolle zu haben. Er sprach mit beiden und seine Gestik zeigte, dass er beschwichtigte. Es schien zu funktionieren. Julian erkannte, wie er zwei kleine Gläser mit einer klaren Flüssigkeit vor den beiden samt Salzstreuer und Zitrone hinstellte.
»Tequila, und noch dazu ein mieser. Na, das kann mal lustig werden«, murmelte er. Er beschloss, noch ein bisschen abzuwarten.
Das es sich bei der Frau um Irene Morris handelte, war ihm inzwischen klar, er konnte sie in der Lokalbeleuchtung deutlich erkennen. Außerdem blieb ihm im Moment nichts übrig als abzuwarten und sich zu überlegen, wie er weiter vorgehen konnte.
Er brauchte unbedingt einen Plan, denn einfach so, mir nichts dir nichts in eine Biker-Kneipe reinzuplatzen, könnte ins Auge gehen. Wer wusste schon, wie die Kerle da drinnen drauf waren.
»Mann«, ergeben starrte er zum Himmel, ehe er sich vorsichtig an die Hausmauer drückte. Der Regen nervte, doch er musste trotzdem erstmal hier verharren und hoffen, nicht als Verrückter oder Spanner abgestempelt zu werden.
Weggehen war nicht drinnen, nachdem er Irene endlich gefunden hatte.