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2. Kapitel
ОглавлениеEs war noch Anfang August, da hatten Anrufe fortwährend in der Nacht die Polizeibeamten auf Trab gehalten. Bis in die frühen Morgenstunden, als würde die Welt untergehen. Eine Nachtstörung von unbeschreiblicher Heftigkeit. Nie zuvor hatten sich Bewohner der Mittelstadt Bosenwendel gegenüber einer Nachtwache im Polizeirevier so erbost gezeigt. Es könnte doch nicht schwer fallen, für Nachtruhe zu sorgen, hatte ihr harmlosestes Anliegen gelautet. Der Fernseher von Gustav Milde im Kurviertel sei die ganze Nacht hindurch auf höchster Lautstärke aufgedreht gewesen. Nicht einmal Ohrenstöpsel hätten geholfen. Da stimmte bei dem etwas nicht - oder?
Als Kriminalhauptkommissar Markus Richthofen damals am schwülen Augustmorgen gegen sieben Uhr seinen Dienst lustlos angetreten war, und wie jedes Mal an der Telefonzentrale der Polizeiwache vorbei zu seinem Büro geschlendert war, hatte er den Namen Milde, Gustav Milde vernommen. So beiläufig wie das auch gewesen war, die bloße Erwähnung der Person hatte seinerzeit den Chef der örtlichen Kriminalbehörde förmlich aufgeschreckt. Als Richthofen zaghaft nachfragte, nahm das Unheil seinen Lauf. Für den Bruchteil einer Sekunde hatte der Diensthabende die Augen ermattet vom Bildschirm hochgehoben. Die Nachbarn einer Familie Milde im Kurviertel hätten durch die Nacht hindurch mit Anrufen genervt. Hauptkriminalkommissar Markus Richthofen hatte seine rotbraune Aktentasche beiseitegelegt. Soweit er nur konnte, hatte er Hals und Rumpf über den Tresen der Wache weit in den Raum hineingestreckt, sich die Augen verkniffen, die Ohren gespitzt und mit ironisierender Mimik den Mund verzogen. So als wäre er zu so früher Stunde bestenfalls darauf aus, eine kleine Anregung für den Kaffeeklatsch im Büro aufzuschnappen. Dabei war seine graumelierte Mähne ihm ins Gesicht gefallen. Er hatte sich noch einmal den Namen vorsagen lassen, langsam, Buchstabe per Buchstabe: G-u-s-t-a-v M-i-l-d-e. Richthofens Pulsschlag hatte sich rasend beschleunigt.
Bei alledem hatte er es geschafft, dem uniformierten Kollegen vorzuspielen, er hätte den Namen zum ersten Mal in seinem Leben gehört gehabt. Nach der Schrecksekunde hatte er moniert, mit sarkastischem Unterton, es würde sich um nicht mehr als um eine harmlose Geschichte im langweiligen Leben langweiliger Bürger handeln. Mal eine Abwechslung. Mehr nicht? Wohl nicht. Dann hatte er den Kopf zurück gezuckt. Sein fester, unerschütterlicher Blick war wieder zum Vorschein gekommen. Abrupt hatte er sich vom Thekenrand gelöst, sich die Mappe unter die linke Achsel geklemmt, sich die vor Schweiß feuchtgewordenen Hände gerieben und seinen Gang fortgesetzt. Der morgendliche Schwung, mit dem er stets das Polizeipräsidium betreten hatte, war mit einem Schlag dahin, verflogen. Markus Richthofen hatte es mehrmals frostig durchgeschüttelt, fortwährend über den ganzen verwaisten Flur, bis zu seinem Büro. In seinem Zimmer angekommen, hatte er die Tür hinter sich geschlossen- und sich dagegen gestemmt. Durch seine Knie war ein leises Zittern hindurchgegangen. Er hatte Halt gesucht. Achtundfünfzig und durchaus robust, er hatte sich nicht auf den Beinen halten können. Zwei Mal, höchstens drei Mal, war es ihm in seiner Laufbahn vorgekommen. Damals auf Verbrecherjagd hatten gezielte Schüsse nur knapp seinem Schädel verfehlt. Als dann die dreisten Killer hinter Schloss und Riegel gewandert waren, und er allein ohne Kollegen um ihn herum, hatte er damals die Beherrschung über seine Kniebänder und Kiefermuskeln vollends verloren – als wäre er an einen blanken Stromkabel geraten. Er hasste den Jammerlappen, den er gegeben hatte, die bloße Erinnerung daran. Für Sekunden hatte er an sich gezweifelt, an seiner Eignung als Chefkriminaler. Diesmal in seinem Büro war es nicht viel anders gewesen. Er hatte seine Ledertasche in die Ecke hingeworfen und atmete schwer schnaufend aus und ein. Seine Lungen hatten in diesem Moment die doppelte Atemluftmenge gebraucht. Er rief bei der Zentrale an, wo er gerade hergekommen war. Was Neues im Fall Milde? Ja, hieß es damals - und ob. Zwei Kollegen würden schon am Haus im Kurviertel nach dem Rechten schauen und möchten den Schlüsseldienst bestellen, hatte der Beamte ihm berichtet. Sie hätten an der Tür mehrmals geklingelt, gehämmert und laut gerufen. Es hätte sich niemand gerührt. Der Fernseher wäre nach wie vor bis auf die Straße laut zu hören gewesen.
Das Telefon neben Richthofen hatte geklingelt. Er musste zunächst den durchgeschwitzten Hemdkragen vom Nacken lösen, die feuchte Stirn abreiben. Währenddessen war die Haut unter seinen Achseln zusammengeklebt. Angst durchlief ihn, er fieberte, ihm wurde es mal heiß, mal kalt. Seine Augen brannten. Es schien ihm, als entglitte ihm die Herrschaft sogar über die eigenen Gehirnzellen. Es gebot sich in seiner Lage, sich wach zu halten, sich selbst zur Besinnung zu rufen. Gehirn, Herz, Augen, Beine, Knie, sie alle sollten sich seinem Willen unterordnen, ihm, Chef der Kriminalbehörde, Hauptkommissar Markus Richthofen. Mit allen acht Fingerspitzen suchte er nach den Stichen unter der Kopfhaut. Als wären seine Schläfen, beiderseits und zugleich, Dart-Scheiben, wehrlos spitzen Pfeilwürfen aus den Blutbahnen ausgesetzt. Der Willkür Einhalt gebieten, sich gegen die eigenen Schädelvenen stemmen - das musste er – und er war für seine Unerschrockenheit berühmt – sonst hätte er es nicht geschafft gehabt, soweit im Leben zu kommen. Markus Richthofen presste die Fingerkuppel gegen die verdickten Venen seines Schädels und hoffte, wieder Herr des Geschehens zu werden. Er forderte sich auf, Herrschaft über alles zu erlangen, über alles, was in ihm und um ihn geschehen war, sofort und ohne Unterlass. Das musste er, er Markus Richthofen, Kripochef und unerschrockener Haudegen. Er rieb die verdickten Venen entlang der Schläfen kräftig - auf und ab. Nässte seine Fingerkuppeln mit Spucke und massierte sie abermals, herauf und hernieder. Er rieb sich die Waden, die Knie, die Oberschenkel. Alles Blut musste fließen. Nichts durfte in und an ihm nachlassen, einsacken, ihm im Stich lassen. Nicht in dieser Stunde der persönlichen Bedrohung, so nackt, undurchschaubar und beklemmend seine persönliche Not auch war. Noch war zu dieser frühen Morgenstunde seine Sekretärin nicht aufgetaucht gewesen. Auch kein Kollege seines Kommissariats. Als er sich dann endlich aufgerafft und sich zögerlich gemeldet hatte, schoss es ihm durch den Kopf: Wenn diesem Kerl von Milde etwas zugestoßen sein sollte, dann bist du dran, Markus Richthofen - dann kannst du einpacken - bist fertig - am Ende. Seine Gehirnzellen arbeiteten wieder, fieberhaft zwar, aber sie funktionierten. Über den Lautsprecher hörte er dem Polizeibeamten vor Ort zu. Der Kollege klang distanziert sachlich. Der Fernseher wäre so laut, ob der Hauptkommissar es durch die Leitung auch mithören könnte. Zögerlich bestätigte er mit einem Ja…Ja, die Geräuschkulisse im Hintergrund. Was nun? Sollte man ins Haus? Der Techniker vom Schlüsseldienst wäre schon an der Haustür. Nicht dass drinnen Gefahr in Verzug drohe und irgendjemand dringend Hilfe brauche. Die harmlose Nachfrage ließ Richthofen damals auffahren:
» Geht doch rein - schaut nach, vielleicht liegt der Kerl drinnen im Suff. Er lebt mit seinem Hund allein. « So kundig wollte er sich nicht geben, gar sein Wissen über Milde und dessen Lebensumstände verraten. Aber in diesem Moment irritiert, und nahezu geistesabwesend, vermochte er die eigene Zunge nicht zu bremsen:
» Aber halt. Gleich schicke ich euch einen Kollegen von meiner Truppe nach. Wartet auf ihn «, hatte seine Stimme durch die Leitung gescheppert.
Wenige Augenblicke später war Richthofens junger Mitarbeiter, Kommissar Herbert Kleinert, eingetrudelt. Ohne ihm auch den winzigsten Morgengruß zuzurufen, beorderte er ihn gestikulierend zu Gustav Mildes Haus im Kurviertel. Er sollte nachsehen. Irgendetwas würde dort nicht stimmen, meinten die Uniformierten vor Ort. Er sollte ihm umgehend Bescheid geben.
Wieder allein, mit weitgeöffnetem weißem Hemd am Schreibtisch, hatte es gezuckt und gezwickt am ganzen Leib. Sollte bei Gustav Milde etwas geschehen sein, verbot es sich, sich persönlich einzuschalten. Wohl in jedem anderen Fall, allein von Amtswegen, aber doch nicht wenn es um den Widerling Gustav Milde ging. Richthofen warf sich ahnungsvoll in seinem Bürosessel zurück. Er suchte nach Wasser hinter sich und fand die Sprudelflasche im unteren Fach des Regals leer. Vor ihm bepflasterten inzwischen Meldungen über kleine und große Vergehen den Bildschirm. Es kam ihm vor, als baute das Verbrechen an diesem Morgen eine undurchdringliche Ziegelsteinmauer auf, um ihm den Durchblick zu verwehren: Flüchtlinge aufgeklatscht, zudringliche Asylanten bedrängten junge Frauen, Brandanschlag auf ein Flüchtlingsheim, Einbruch in einen Juwelierladen und ein Vereinshaus war zu alledem nicht verschont geblieben. Ihn vermochten die Botschaften auf seinem Bildschirm nicht mehr abzulenken. Schlag auf Schlag trafen sie seinen brummenden Schädel, wie Steinblöcke, dumpf und unaufgeregt: Eine Kette aus kleinen und großen Katastrophen einer ganz normalen Polizeinachtschicht. Richthofen raufte sich die Haare. Was dachten sich die Leute bloß? So viel Ungeduld, so viel Unverständnis – nicht zu reden von so viel Unverschämtheit. Einen Nachbarschaftsstreit, die älteste Fehde der Menschheit, vom Zaun zu brechen, das war die harmloseste Variante. Das kannte er zu Genüge. Neuerdings wegen eines Fernsehers? Das ist doch absurd, der reinste Wahnsinn. Richthofen hatte sich in diesem Moment damals ohnmächtig gefühlt, mutterseelenallein. Von wegen gegen alle Widrigkeiten gewappnet sein. Auf diesen Gau, bei dem er selbst in Verdacht geraten könnte, seinem Nebenbuhler etwas angetan zu haben, war er beileibe nicht vorbereitet gewesen. Da halfen keine 58 Jahre, 40 davon im Polizeidienst.
Genervt hatte sich der junge Kommissar Kleinert telefonisch vom Tatort zurückgemeldet. Seine Stimme klang wie die eines aufgeregten Reporters, der sich seiner Sensationsmeldung sicher war. Vom umständlich holprigen Beamtendeutsch keine Spur. Was er und seine Kollegen vorm Haus des Gustav Milde in der Wohnidylle gleich vorgefunden hätten, hätte Rätsel aufgegeben. In der Tat sei der Fernseher von Milde bis auf die Straße zu hören gewesen. Im und ums Haus hätte außerdem Festbeleuchtung geherrscht, als würden die horrenden Strompreise den Hausherrn nicht mehr kümmern. Inzwischen schiene die Wohnstraße aufgeschreckt worden zu sein. Vor dem Haus hätte sich eine Horde leichtbekleideter, schrulliger, sinnlos gestikulierender Zaungäste gesammelt. Abwechselnd hätten die Kollegen mehrmals fest gegen die Haustür gehämmert. Ob Polizisten oder Nachbarn, sie hätten einzeln oder im Chor, den Namen des Hausbesitzers, so laut und so oft sie konnten gerufen. Keine Antwort. Von den Nachbarn hätte es gehießen, Gustav Milde lebte allein, mit seinem Hund, einem Tibeter-Apso. Nichts Neues, brummte Richthofen seinerzeit leise vor sich. Seine Frau hätte ihn schon vor Jahren verlassen. Auch das bekannt. Vielleicht mit einem Anderen, hätte eine Nachbarin gemeint. Lass sie reden, die alten Spinner. Über den Bericht seines verhinderten Radioreporters am anderen Ende der Telefonleitung war er keineswegs belustigt. Nach und nach konnte er es sich jedoch nicht verkneifen, die telefonische Reportage mit leisem Schmunzeln zu begleiten. Zum ersten Mal lockerte sich Richthofens verbitterte Miene auf. Es schien ihm zu helfen, sich für eine Weile zu entspannen. Der zweite uniformierte Kollege hätte sich durch die dichtgewachsene Hecke hindurch gezwängt und spähte durchs Küchenfenster, ob sich in der Wohnung etwas täte, so der verkappte Reporter weiter. Nichts Ungewöhnliches - keine Menschenseele. Nur zwei Hausschuhe - unordentlich hingeworfen - hätten herumgelegen, ebenso ein umgekippter Küchenstuhl. Am Ende der langen Grundstückseinfahrt stünde die Garage - verschlossen. Durch das verschmierte Seitenfenster sei ein roter langgezogener Dodge-Schlitten zu sehen. Es sei anzunehmen, dass der Hausbesitzer nicht mit seiner Limousine auf Tour gewesen ist. Ist es sinnvoll, voreilig die große Keule zu schwingen und ins Haus hineinzugehen? Es könnte sich als voreilig herausstellen. Jetzt horchte Richthofen auf. Sein Rachen tat ihm weh - bittere Trockenheit im Hals. Sein Schweißausbruch vernebelte ihm auch das Denken. Er schließe nicht aus, beim ganzen Theater handelte es sich um eine Lappalie aus der Abteilung widerlicher Rauschschlaf des Hausherrn im Suff, fuhr sein Mitarbeiter über die Leitung fort. Der junge Kommissar schien keine Anstalten machen zu wollen, den eigenen Redefluss zu unterbrechen. Richthofen ließ ihn gewähren, hörte nicht mehr genau hin. Er musste nur teilnahmslos klingen, sagte sich Richthofen mit dem Kopf zur Seite; sich in diesem Moment nur lustlos geben. Nach einer Weile spürte er, er würde es hinkriegen, den Kerl am Telefon zu unterbrechen, und ihm den Eindruck zu vermitteln, als ginge ihm das Ganze nur am Rande etwas an, er habe schließlich Wichtigeres zu tun:
» Kleinert, Mensch, bleib‘ cool; mach‘ einen Punkt. Du bist besser beim Radio, als bei der Polizei. Geh doch endlich hinein - und sollte was sein, ruf zurück. Und jetzt verschone mich mit dem Kram. «
Als die Beamten sich das Schloss aufknacken ließen und ins Haus traten, bot sich ihnen das Bild einer Schlachthofhalle während der Frühschicht. Blutspritzer im Gang, im Treppenhaus zum Obergeschoss und überall an Türen und in Nischen, und vor allem im Obergeschoss vor dem Badezimmer. Dort in der Badewanne schienen die Täter nicht einmal darauf bedacht gewesen zu sein, ihre grausige Hinterlassenschaft zu verschleiern, oder gar zu beseitigen. Blutlachen, teils bereits getrocknet, teils noch nicht geronnen. In der kleinen Vorratskammer, Tür an Tür neben der geräumigen Küche, lag der Hund - regelrecht geschlachtet, der Hals aufgeschlitzt. Der Kopf baumelte nur noch an einem Hautfetzen. Sein langes schwarzes Fell triefte vor Blut. Die Polizisten suchten im Schlafzimmer, im Dachgeschoss, im Keller, in der Garage, im Kofferraum der Dodge-Karosse, hinten im verwilderten Gebüsch am Ende des Gartens. Von Gustav Milde selbst keine Spur.
Richthofen faltete die Hände zusammen – ängstlich - wie beim kindlichen Gebet. Gustav Milde, du fettes Schwein, nur im Rauschschlaf solltest du liegen, sonst nicht. Aber wo steckst du nun, verdammt noch einmal? Bloß keine voreilige Vermutung, die nur ihn, Markus Richthofen, belasten könnte. Es wäre das Ende - dein Ende Markus Richthofen - du Nebenbuhler, flüsterte er sich zu, in dem bei ihm das Gefühl aufkam, die beiden letzten Worte würden wie zwei dicke Räder eines tonnenschweren Brummers über ihn rollen.
Hauptkommissar Markus Richthofen, der fast über alle kleinen und großen Geschichten aus der Gerüchteküche in der mittelgroßen Stadt im Bilde war, musste hin und wieder erfahren, dass der Tratsch, der ihn betraf, nicht aufgehört hatte. Nur dem Staatsanwalt und dem Polizeipräsidenten hatte er damals seine Affäre mit Rita Milde offenbart. Er konnte nicht ausschließen, dass böse Zungen - und davon gab es unter seinen Kollegen und Neidern im Präsidium genug - dem Gedanken verfallen könnten, er hätte den Ehemann seiner Geliebten aus dem Weg geräumt. Richthofen hielt den Atem an. Er verstummte; er bebte: ein perfider Gedanke hätte ihn fast umgehauen: Führte Gustav Milde etwas im Schilde? Ist der Betrogene heimtückisch untergetaucht, um mit dem eigenen Verschwinden ihn, seinen Nebenbuhler, den Chefermittler, in Erklärungsnot bei Vorgesetzten zu bringen? Das geschmacklose Geschwätz über seine Affäre mit Rita Milde beruhigte sich damals erst, als sie vor sechs Jahren es nicht länger ausgehalten hatte, und nach München fortgezogen war. Sie hinterließ Richthofen keine genaue Adresse. Er hatte doch einen hohen Preis für sein außereheliches Vergehen bezahlt. Seine Frau war hinter seine Liebschaft gekommen - und hatte sich erhängt. Der gemeinsame Sohn, der nach der Schule seine Mutter baumelnd am Strick vorfand, wollte von seinem Vater nichts mehr wissen. Verwandte und Freunde wandten sich von ihm ab. Hinter seinem Rücken legte sich ein Jeder eine eigene Version von der Tragödie zurecht. Mal hieß es, er sei auf Liebestour mit seiner Freundin Rita unterwegs gewesen, als sich seine Frau das Leben genommen hatte, mal hätte Frau Richthofen vor ihrem Tod die Geliebte zur Rede gestellt und darauf in einem Kurzschluss gehandelt. In diesem Moment kam sich Markus Richthofen vor, als stünde er schon wieder vorm Höchsten Gericht. Erst der Selbstmord seiner eigenen Ehefrau vor Jahren und jetzt das Verschwinden des Ehemannes seiner Geliebten. Nur mit Mühe konnte Markus Richthofen seine Tränen zurückhalten. Er sah sich verloren, diesmal unumkehrbar im finsteren Graben verschachert. Ohne Unterbrechung trafen weitere Meldungen auf dem Bildschirm vor ihm ein. Ihm kam das Ganze vor wie Gekotze der Menschheit - ihm allein zugedacht, ihm brühwarm an diesem Morgen in den Schoß ausgespien - kurz vor seinem Untergang.
Hauptkommissar Richthofen vermochte nicht einmal das Nächstliegende zu tun: nach Rita Milde zu suchen. Ob sie wusste, wo ihr Ehemann abgeblieben war? Er könnte den Fall keineswegs selbst übernehmen, hämmerte es ihm durch den Schädel. Kein Staatsanwalt, kein Vorgesetzter hätte das geduldet.
In diesem Moment sah er es wieder als seine verdammte Pflicht an, die mysteriöse Sache durchzustehen. Er rief beim Präsidenten der Behörde an, ließ sich kurzfristig einen Termin geben. Richthofen tappte über die einzelnen Stufen langsam hoch. Er wollte sich Zeit nehmen vorm Erscheinen bei seinem Höchsten Richter. Der Polizeipräsident hatte es eilig. Er ließ Richthofen nicht zu Ende reden, griff nach dem Hörer und fragte überfallartig, ob der Staatsanwalt Bedenken hätte, dass Hauptkommissar Richthofen in diesem Fall seine Arbeit erledigen sollte. Niemand wüsste, wo Gustav Milde steckte, und ob ihm überhaupt etwas zugestoßen worden sei. Warum sollte Richthofen dem fiesen Kerl jetzt, nach so vielen Jahren, etwas angetan haben? Warum nicht schon früher - aus Wut und Verzweiflung, damals etwa als sich Frau Richthofen das Leben genommen hatte. Nicht wahr? Also aus der Sicht der Behörde gebe es keine Bedenken, ihm den Fall zu belassen. Die Kehrseite - die Sicht nach Außen? Ach - was soll das? Wenn es danach ginge, schon beim flüchtigen Verdacht seine Beamten in die Wüste schicken zu müssen, da stünde man als Behördenleiter jeden Morgen vor verwaisten Amtsstuben. Nicht wahr? Das könnte doch nicht angehen. Richthofen sei doch kein irgendwer, kein irgendein Leichtgewicht in der Behörde. Ihn kurzerhand vom Fall abzuziehen? Das würde Polizei- und Justizbehörden mehr Fragen bescheren, als sie beantworten könnten. Für seinen Mitarbeiter würde er die Hand ins Feuer legen.
Das ganze höchstrichterliche Tribunal aus Polizeipräsident und Staatsanwalt über das „Sein oder Nichtsein„ des Chefermittlers Markus Richthofen dauerte noch nicht einmal zwei Minuten. Die zwei übergeordneten Dienstinstanzen waren sich am Telefon rasch einig: Hauptkommissar Richthofen genieße deren Vertrauen, basta… Augen zu und durch.
Richthofen kannte den Ehemann seiner Geliebten mehr als es ihm lieb war. In seiner Einschätzung von Gustav Mildes Lebensumständen musste ihm Niemand aus der städtischen Idylle etwas erzählen. Früher verdingte sich Gustav Milde als Techniker im örtlichen Instandsetzungswerk der Bundeswehr. Mit seinem Erscheinungsbild nach der Frühpensionierung - weit ausgeschnittenes, vergilbtes Unterhemd über verschlissener Trainingshose und aufgedunsenem Bauch - hatte er sich jede Zuneigung verscherzt. Vorzugsweise trat er mit einer Fahne von Altbierhefe - obergärig, vermodert und säuerlich - auf. Seit ihm die Frau auch abhandengekommen war, versank er noch tiefer in seiner Abart. Das Paar Milde war kinderlos. Er lebte mit seinem ‚Tibeter-Apso‘ allein.
Als sich die Polizisten bei Mildes Nachbarn nach der Frau erkundigten, nahmen die Leute kein Blatt vor den Mund. Ihr Lebenswandel hätte ihnen viel Toleranz abverlangt. Rita Milde, sei ständig auf Ausschau nach Bestätigung durch amouröse Abenteuer gewesen - mit Typen gleich welchen Alters. Am Ende vertrieben sie die fiesen Marotten ihres Ehemanns. Sie konnte ihn nicht länger ertragen. Weshalb nicht er, sondern sie sich über Nacht davon gemacht hätte, darauf wüsste man keine schlüssige Antwort. Vielen in der Straße wäre es lieber gewesen, sich weiterhin mit ihr als mit ihm herumzuschlagen. Zugegebenermaßen hätte man zwischen zwei Übeln zu wählen, zwischen Herrn Pest und Frau Cholera. Man flüsterte sich irgendwelche abenteuerlichen Gründe für ihr plötzliches Verschwinden zu. Selbstverständlich zählte dazu die naheliegende Vermutung, sie sei mit einem anderen abgehauen. Dennoch, Genaueres wusste man nicht. Nur das pensionierte Lehrerpaar von gegenüber konnte bezeugen, am Tag zuvor Gustav Milde und seinen Hund im Garten toben gehört zu haben. Vor dem Zubettgehen, so kurz vor 22 Uhr, wurden bei Milde alle Lampen im und am Haus eingeschaltet und der Fernseher schien sich über die Nacht hindurch nicht mehr beruhigen zu wollen. Sie hätten sich nie zuvor Wattestöpsel in die Ohren stecken müssen, um einschlafen zu können. Die Ex-Lehrer hatten sich daran gewöhnt im Sommer bei der Morgendämmerung, etwa gegen sechs Uhr, mit dem Gekläff seines Köters aufzustehen. Heute dagegen war vom Hund nichts zu hören gewesen. Vom Misstrauen getrieben, waren sie noch im Morgenrock zu Mildes Haus hinübergegangen. Sie klingelten zunächst zaghaft, dann doch stürmisch. Es meldete sich niemand. Darauf klopften sie unaufhörlich. Weder der ‚Bad Boy‘, wie die genervten alten Leute den langhaarigen ‚Tibeter-Apso‘ nannten, noch sein verhasster Guru gaben ein Lebenszeichen von sich. Sie wollten endlich in Ruhe ihr Frühstück zu sich nehmen und hatten keine Lust, sich von Scheusal Milde und seinem Hund den vielversprechenden Sommertag verderben zu lassen. Sie stellten die lästige Grübelei ein - der Fernseher von Milde lief indes auf höchster Lautstärke weiter - und riefen bei der Polizeiwache an. Die Ex-Lehrer erinnerten sich, einen dunklen Transporter ganz hinten quer vor der Garage gesehen zu haben. Blau, Schwarz, oder Grün, exakt wussten sie es nicht. Teilweise vom Haus verdeckt, weit von der Einfahrt entfernt, stand der Lieferwagen noch, als es anfing richtig dunkel zu werden. Ob Milde Gäste gehabt hätte, oder bei ihm eine wilde Party zu Gange gewesen wäre, diese wohlmeinende Nachfrage der Polizisten verleitete die noch rüstigen Pensionäre bestenfalls zu einem müden Lächeln. Eine schlüssige Erklärung konnten sie nicht anbieten. Gustav Mildes Fernbleiben nährte ihre Hoffnung, er könne der Menschheit endlich den Gefallen getan und sich in Luft aufgelöst haben. Sollte dem gedrungenen Kerl etwas zugestoßen sein, wäre es nichtsdestoweniger ein Segen gewesen. Aber rechtschaffen wie sie waren, fürchteten sie, man könnte ihnen nachsagen, sie hätten sich achtlos verhalten. Ohne schwerwiegenden Grund hätten die Nervensäge von Hund und sein unappetitliches Herrchen ihren Tagesrhythmus sicherlich nicht so abrupt geändert.
Es dauerte nicht lange, bis der Spurensicherungstrupp feststellen konnte, dass es sich bei den Spritzern an den Wänden, im Treppenhaus und bei den Blutlachen in der Badewanne um menschliches Blut handelte. Blutgetränkte Stofffetzen und Abdrücke nackter Fußsohlen deuteten auf einen erbitterten Kampf im Haus hin. Die Spuren waren Milde zuzuordnen und erhärteten den Anfangsverdacht, er müsste der Bluttat zum Opfer gefallen sein. Aber wo war seine Leiche? Es war nicht auszumachen, ob er aus dem Haus verschleppt worden war, oder irgendwo im Garten vergraben lag? Fast beiläufig erinnerten sich zwei Beamte des Polizeireviers daran, ihn noch am Vortag im Kommissariat gesprochen zu haben. Gustav Milde, knapp sechzig, hatte Anzeige erstattet, gegen einen Nachbarn, einen pensionierten Arzt, der kaum hundert Meter von ihm entfernt wohnte und schriftlich ihm sowie seinem Hund gedroht hatte. Das Schreiben hatte er gleich mitgebracht. Dessen Inhalt hörte sich eigentlich harmlos an, aber Milde bestand darauf, dem Mann eine Lektion zu erteilen. Kriminalhauptkommissar Markus Richthofen forderte seine Leute auf, ihm den Text zu beschaffen. Er konnte sich mitten im Getümmel wegen Nebensächlichkeiten aufspielen und jetzt gab es dazu sogar einen berechtigten Anlass:
Sehr geehrter Herr Milde,
gestern fand ich Ihren Hund in meinem Garten. Seine Hinterlassenschaft war abscheulich. Sorgen Sie bitte dafür, dass das künftig unterbleibt. Andernfalls sehe ich mich genötigt, Sie anzuzeigen und mit Nachdruck Ihrem Tibeter, das Betreten meines Grundstücks zu vermasseln. Ich liebe Tiere, aber das werden Sie verstehen können, so hoffe ich zumindest, dass auch Tierliebe ihre Grenzen hat. Über eine Bestätigung Ihrer verbindlichen Verpflichtung, in Zukunft Ihren Terrier von meinem Grundstück fernzuhalten, würde ich mich freuen.
Mit nachbarschaftlichem Gruß
Faustus Kleinschmidt
Dienstbeflissen wie sie waren, erzählten die Uniformierten weiter, sie hätten die Anzeige zwar widerstrebend, aber am Ende doch entgegengenommen, um Milde zu besänftigen. Den alten angesehenen Arzt damit zu behelligen, wäre ihnen nicht im Traum eingefallen. Hauptkommissar Markus Richthofen erinnerte sich, dass der Internist früher eine gutgehende Praxis in der Stadt besaß und jetzt zurückgezogen lebte. Ein friedfertiger Witwer in den Siebzigern. Faustus Kleinschmidt, ein eiskalter Killer - wegen eines Hundehaufens? Die zwei Polizisten, die in der Wache die Anzeige von Gustav Milde entgegengenommen hatten, trugen nur wenig dazu bei, das Profil vom Kauz Kleinschmidt zu erhellen. Auch dessen Bekanntschaft hatten sie wenige Tage zuvor flüchtig gemacht. Sie waren vom ‚Dok-tor‘, wie die Nachbarschaft gewöhnlich den ehemaligen Mediziner nannte, früh morgens gerufen worden. Völlig aufgelöst gab er an, ihm sei was Schreckliches zugestoßen und sie müssten sofort kommen. Sie fanden ihn noch im Schlafrock vor. Unmittelbar vor den Stufen seiner Terrasse versperrte ihm ein großer Hundehaufen den Weg zum frisch geschnittenen englischen Rasen. Er behauptete, es wäre nicht das erste Mal gewesen. Es müsste sich um den ‚Bad Boy‘ dieses ungehobelten Gustav Milde handeln, der ohne Leine durch die Gegend herumstreunen und jeden anspringen würde. Das Tier hätte ihm schon mehrmals die Freude am gepflegten Garten vermiest. Als die Beamten ihm klar machten, er müsste selbst den Ekelhaufen beseitigen, war Faustus Kleinschmidt erbost. Solange er nicht beweisen könnte, es handelte sich um den ‚Tibeter-Apso‘ von Gustav Milde, sollte er ihn auch nicht weiter beschuldigen. Das grenzte an üble Nachrede. Dafür könnte er belangt werden. Markus Richthofen brauchte nicht lange nachzudenken. Er bestellte Kleinschmidt zur Vernehmung. Es war gerade sieben Uhr fünfundvierzig.
An der Haustür von Faustus Kleinschmidt klingelte es Sturm. Schweißgebadet und schlaftrunken schlug er ein Auge auf. Vor der Tür standen die zwei Uniformierten.
» Können wir hinein? «
» Jetzt am frühen Morgen? Ich schlafe noch. Was ist schon wieder los? «
» Ihr Nachbar, Gustav Milde, muss umgebracht worden sein, ebenso sein Hund. Regelrecht geschlachtet. «
» Wie bitte? Das ist doch Humbug. Was bezwecken Sie damit? «
» Ziehen Sie sich bitte an. Sie müssen mit. «
» Selbstverständlich. Aber damit habe ich nichts zu tun. «
Kleinschmidts Stimme bebte.
» Das sagen sie alle. Sie werden erst vernommen. Dann sehen wir weiter. Wir warten. «
Auf der Straße stand die ganze Nachbarschaft herum als hätte sie die Posaune von Jericho zusammengerufen. Was wollte die Polizei vom Dok-tor? Nein. Das war doch Unsinn. Oder wusste er vielleicht etwas? Mein Gott, rief Frau Wedekind von Gegenüber:
» Machen Sie sich um die Blumentöpfe kein´ Gedanke. Ich gieße sie. «
Wenigstens sollte man die Schultern zucken, befand Faustus Kleinschmidt. Vielleicht meinte die Nachbarin, er würde länger hinter Gittern verschwinden. War er doch der Täter? So etwas hatte er bei Gott vorgehabt. Er zweifelte an seinem Verstand und zitterte. Im Vernehmungszimmer meinte er, den Kommissar wieder erkannt zu haben - von früher, von irgendeinem Stadtfest. Damals tanzte der Kriminalbeamte wie ein Wilder. Und Kleinschmidts Frau meinte, der Mann wäre ein Luftikus, der keinen Rock in Ruhe ließe. Er hielte sich selbst für unwiderstehlich. Inzwischen war er fülliger geworden, ergraut, aber seine Haarpracht dicht, wie damals vor zwölf Jahren.
» Herr Kleinschmidt, Herr Dok-tor Kleinschmidt - was machen Sie da für Sachen? «
» Wie bitte? Sie hat´s wohl! Was habe ich denn für Sachen gemacht? «
» Gestern trudelte die Anzeige Ihres Nachbars Gustav Milde gegen Sie bei uns ein, und heute fanden wir sein Blut überall im Haus. Möglicherweise wurde er ermordet. Seine Leiche verschwunden. Sein Hund regelrecht geschlachtet. Könnten Sie mir das erklären? « Doktor Kleinschmidts Unterkiefer war tief auf die Brust heruntergesackt und die Zunge inzwischen ausgetrocknet:
» Ich werde doch nicht einen Mann wegen eines Hundehaufens umbringen, wo denken Sie hin? Was meinen Sie mit ‚seine Leiche sei verschwunden‘? « Ein gallenbitterer Geschmack im Rachen hinderte Faustus Kleinschmidt daran, zu schlucken. Ihn überkam Übelkeit. Beinahe hätte er sich übergeben.
» Hören Sie. Wo waren Sie gestern zwischen zweiundzwanzig Uhr und heute Morgen fünf Uhr? « Die Frage des Kommissars donnerte ihm wie eine Ohrfeige mitten ins Gesicht:
» Wo soll ein zweiundsiebzigjähriger alter Mann um diese Zeit schon gewesen sein? Im Bett. « Da schoss das Blut in seine verdickte Halsader. Kleinschmidt kamen selbst Zweifel über die eigene Unschuld auf, die ihn für einen Moment erstarren ließen.
« Das waren Sie nicht. Jetzt machen Sie mal halb lang und reden Sie nicht mit mir als wäre ich ein Trottel. Ich bin kein dummer Polizist. Also, wo waren Sie, Herr Dok-tor? « Schon schwitzte Kleinschmidt das frische Hemd durch. Ob ihn doch jemand denunziert haben könnte. Oh Himmel, Faustus Kleinschmidt, mach, dass du dich schleunigst aus dem Schlammassel herausziehst, sonst musst du noch den ganzen Dreck hier allein auslöffeln. Mit jeder Silbe des Kriminalkommissars durchzuckte es ihn, als würde ihn jedes Mal ein Blitz treffen:
» Also, wo waren Sie? Ich höre «, rief der Polizist in den Raum. Dabei schob er mit der flachen Hand ostentativ die rechte Ohrmuschel Kleinschmidt entgegen. Seine Nasenflügel breiteten sich wie Nüstern unterhalb der verquollenen Augen aus. Es sah aus als wollte der Kommissar über die mächtige Gurke von Nase jedes Wort des Verdächtigen aufsaugen. Faustus Kleinschmidt versuchte krampfhaft, seine Verunsicherung zu überwinden und die Beherrschung wiederzuerlangen. Es müsste ihm doch gelingen, auf das Gelaber des Beamten einzugehen. Sich über den Mund fahren lassen, dazu noch von einem Provinzkriminalen, das wäre ja noch schöner. Dagegenhalten war das Gebot der Stunde, vorwärts - einfach drauf los:
» Wie heißen Sie eigentlich? Ich kenne Sie doch «, warf Kleinschmidt dem Kommissar unerschrocken entgegen.
» Wie Sie wollen. Ich bin Kriminalhauptkommissar Richthofen, Markus Richthofen. Sind Sie jetzt zufrieden? Nun zu meiner Frage. «
Kleinschmidt warf ruckartig den Kopf in den Nacken. Er konnte die aggressiven Tropfen aus dem Rachen Richthofens nicht länger aushalten. Ihm flößte die Feindschaft, mit der der Polizeibeamte ihm jetzt begegnete, unerwartet Furcht ein. So bedrohlich und respektlos, wie sich der Kommissar in diesem Augenblick gab, brachte ihn an den Rand der Verzweiflung.
Er sah nur einen Ausweg, gegen das Zittern anzukämpfen:
» Herr Richthofen. Sind Sie aber schlohweiß geworden. Noch gestern lag ich mit keinem Menschen in dieser Stadt im Clinch, geschweige denn mit Gustav Milde, und schon gar nicht wegen eines Köters. Nun denken Sie, der Kerl hat wegen eines Hundehaufens in seinem Garten ein Motiv, geht noch in der Nacht hin - dir nichts, mir nichts - schlachtet Mann und Hund, lässt den toten Mann verschwinden und legt sich seelenruhig ins Bett. Vielleicht hätte ich es mir in meinem Zorn gewünscht; aber hören Sie mal, arbeitet Ihr alle so? Oh Gott im Himmel, Herr Hauptkommissar. Was soll das denn? «
» Beide geschlachtet, so, so. Wollen wir hier um den heißen Brei herum albern, oder endlich Tacheles reden? Sie haben mir auf meine Frage immer noch nicht geantwortet. Jawohl, Ihnen ist das Verbrechen zuzutrauen. «
» Was? Bin ich hier Zeuge oder schon Tatverdächtiger? In diesem Falle würde ich gern meinen Anwalt anrufen. «
» Machen Sie, hier - das Telefon. Herr Dok-tor Faustus Kleinschmidt, Sie sind vorläufig festgenommen. «
Eine bitterböse Gemeinheit - und grundlos dazu. Er im Polizeigewahrsam, weshalb? Als Markus Richthofen aufstand und zur Tür hinaus wollte, fiel Kleinschmidt ein, dass er gar keinen Anwalt hatte. Er wusste auch keinen, den er überhaupt hätte anrufen können.