Читать книгу Schweres Blut - Aho Juhani - Страница 5

III.

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Es ist schon heller Tag, als Schemeikka in seinem Speicher erwacht. Auf dem Rücken liegend, die Hände im Nacken, mustert er sein Nachtquartier. Der Speicher einer Frau, vielleicht der Wirtin des Gehöfts. Das will einer der besten Bauernhöfe sein, aber die Schätze der Wirtin sind jedenfalls nicht bedeutend. Zwei Winterröcke aus Fries und ebensoviele hausgewebte für den Sommer, ein einziges reinleinenes Hemd, die übrigen aus Zwillich. Ein Bündel graue Strümpfe am Sparren. Kein Wunder, daß sich die Augen von seidenen Tüchern und einer Spange blenden lassen, dem Alten wie seinem Weibe. Habe ihnen vielleicht umsonst ein so teures Geschenk gemacht, sie hätten ihren Hof verkauft, wenn ich es nicht billiger hergegeben hätte. Aber der Schemeikka aus Uchtua hat ja wohl nicht zum ersten Mal ein Weib beschenkt. Es hätte nicht alle Seide, die er weggeschenkt hat, auf den Sparren dieses Speichers Platz. Und es ist ja gut, daß man auch an diesem Wege Freunde hat ... Das ist ein schmuckes Weib, hat mir fast im Schlaf keine Ruhe gelassen...

Plötzlich klang es, wie wenn der Wasserläufer auffliegend seinen gellenden Ruf ausstößt, es erklang die Stimme eines Liedes, die bei dem Viehpferch begann und von da über den Hof in das Haus trug und wieder nach dem Pferch und von da zurück – wohl hatte Schemeikka sie, die Weiber, singen hören, aber nie aus so tiefer Brust, nie so klar und leicht aus der Kehle quellend. Es war, als habe die Sängerin all ihre Freude und all ihren Jubel nicht in sich bergen können. Aus ihrem Singen hört man immer heraus, was sie sonst nicht wissen lassen. Aber nicht oft ist es so gegangen wie gestern: nicht einmal geschrien hat sie, obwohl ich fürchtete, daß sie zuschlagen würde... Ließ sich auf der Stelle bräutlich kleiden. Zitterte, obwohl sie an sich hielt. Die wäre bald zu haben, wenn man nur wollte. Aber, Schemeikka, von dir laufen ja schon mehr Sprößlinge, als für einen Mann genug wären, auf fremden Höfen umher, und erst auf deinen eigenen. Sie ahnen nicht, die Väter, wessen Söhne sie auf den Knien schaukeln. Sollte man ihm, dem guten Mann, hier auch die Freude machen? Das ist das Allerspaßigste und Tollste, wenn man nach einem Jahre in ein Gehöft kommt und einem da der eigene Junge zugeworfen wird, damit er einem am Barte zaust.

Er lachte mit halb geöffnetem, lautlosem Munde, und sein Blut siedete. Er stieß mit dem Fuße die Tür auf und sah Marja, eine Milchbütte tragend, mit wiegenden Schritten in das Haus gehen. Die hat eine Haltung wie die beste Bojarentochter, ja, das hat sie!

Marja seihte am Tischende die Milch durch, als Schemeikka in die Stube trat. Ihr Arm war im Bogen gehoben, wenn sie mit dem Schöpfer Milch in die Seihe fließen ließ. Es rauschte die Milch, rieselte dann, rauschte und rieselte wieder, während sich der Bogen des Armes hob und senkte.

»Morgen, Wirtin.«

»Ach, guten Morgen.«

Marja wich seinem Blick nicht aus. Erwiderte ihn lang, wie trotzend. Sie war in ihrem Sonntagskleid, über den Schultern Schemeikkas Seidentuch und an der Brust die Spange.

»Schläft der Wirt noch?« fragte Schemeikka.

»Ob der noch schläft? Ist schon vor Sonnenaufgang hinaus und fängt laichende Brachsen. Ich soll dem Langschläfer sagen, wenn er aufsteht, daß er nicht weggelassen wird, bis der Wirt kommt .. und wenn er bis zum Abend auf sich warten ließe.«

Schemeikka blieb stehen und verfolgte Marja mit den Augen, ein Lächeln auf den Lippen. Nachdem Marja die Milch durchgeseiht hatte, holte sie einen kleinen Holzkrug, füllte ihn und bat den Gast, ihn sich zu nehmen. Schemeikka lächelte nur. Marja fragte, ebenfalls lächelnd, ob er die Gabe des armen Gehöftes gering achte, weil er sie nicht möge.

»Wirtin, du kennst wieder nicht karelische Sitten. Bei uns nimmt der Gast niemals selbst, die Wirtin reicht ihm alles in die Hand, was sie anbietet. Wie ein Wirbelwind so flink wird's ihm schon in der Tür entgegengebracht.«

»Ich kann dir dies ja bringen!« und Marja ergriff das Gefäß und reichte es ihm. Schemeikka hob es an die Lippen.

»Der Geber wartet bei uns, bis der Gast seinen Krug bis zum Boden geleert hat.«

»Muß denn hier alles gemacht werden wie dort?« lachte Marja.

»Ja, alles«, sagte Schemeikka ernst und blickte über den Rand des Gefäßes hinweg.

»Wäre es nicht besser so, wie es im Lande Sitte ist?«

»Nein«, sagte Schemeikka ebenso ernst und gemacht feierlich und reichte Marja den Krug. Marja wollte sich über die Späße des anderen totlachen, während sie den Krug auf den Tisch zurückstellte.

»Jetzt hat der Mann das Maul voll Milch wie ein Kalb!«

Schemeikka wischte sich den Bart nicht, leckte ihn nur ein wenig mit der Zunge ab und erwiderte immer in derselben Art:

»Das war eine andere schöne karelische Sitte. Es gibt noch eine dritte, die allerschönste. Der muß den Bart des Gastes abwischen, der ihn beschmiert hat.«

Mit einer raschen, aufzuckenden Bewegung streckte ihm Marja ihre Schürze hin, aber ebenso rasch griff Schemeikka sie hinten im Genick, während er ihr mit der anderen Hand ihr Kinn hob und einen langen Kuß auf ihre Lippen drückte. Marja spürte eine kräftige, lastende Brust und sah zwei dunkle, aufleuchtende Augen; Schemeikka fühlte einen weichen Busen und sah einen hinschwindenden, sich schließenden Blick.

»Nicht«, sagte Marja matt, und wenn sie nicht frei geworden wäre, so würde sie hingesunken sein – und als sie zurückwich, war ihr der Fuß so schwer, wie einem, der im Traume flieht.

Schemeikka ging langsam und ruhig hinaus und setzte sich auf die Treppe. Marja schritt vorbei.

»Das darfst du nicht wieder tun.«

»Nun, weshalb denn nicht?«

»Wenn es jemand gesehen hätte?«

»Deshalb nicht?«

»Und auch sonst nicht. Das mußt du versprechen. Ich getraue mich sonst nicht das Essen auf den Tisch zu stellen.«

Sie bat darum, als hätte sie es nicht aus eigener Kraft vermocht, mit fast flehenden Augen und Mienen.

»Dann will ich's versprechen. Darf man dich aber ansehen?«

»Ansehen meinetwegen.«

»Ist nur gut, daß man nicht mit geschlossenen Augen dazusitzen braucht.« Marja lächelte verlegen zärtlich... Hatte er seinen Spott mit ihr?

Nach dem Essen lag Schemeikka auf dem Hofe in der warmen Sonne auf dem Rücken, die Hände im Nacken. Marja spähte am Fenster der Stube, das Gesicht bleich und starr gegen die Scheibe gedrückt, mit wallendem Busen, und ihr Auge glitt über die gewölbte Brust und den sehnigen Bogen der Beine, wenn das eine Bein auf dem anderen ruhte.

Die Schwalben schossen hoch über Schemeikkas Kopf durch die Luft, ein warmer Wind fächelte Brust und Hals.

Sie will nicht mit mir sprechen, weicht mir aus. Habe ich sie zu sehr eingeschüchtert? Hätte ich sie vorsichtiger zutraulich machen sollen? Welches mag denn eigentlich das Locklied für dieses Vögelchen sein? Soll ich mich loben und rühmen: solch ein schlanker Bursch, ein weitbekannter Kaufmann, ein unvergleichlicher Jäger will dich haben! Oder soll ich sie selber rühmen, ihr ins Ohr flüstern: übermaßen schön bist du, ich habe nie deinesgleichen gesehen; du siehst doch, daß ich nicht anders konnte; als ich dich sah, mußte ich dich umarmen, mußte dich küssen. Die eine schmilzt bei klagender Musik, die andere läßt sich vom fröhlichen Lied betören. Aber was du auch singen magst, sing ohne auszusetzen das Schlaflied dem Weibe wie dem Kind, damit sie nicht vorher erwachen. Wenn du sie schon umstrickst, schweig nicht still, damit der Zauber nicht zergehe; wenn du einen Vers gesagt hast, wisse sogleich schon den zweiten, mit dem du fortfährst.

Es erschien auf der Schwelle ihres Speichers die Wirtin, setzte sich mit einer Näherei hin, wandte nicht den Kopf, hob nicht den Blick. Schemeikka betrachtete sie da, und schon wußte er, welches seiner Locklieder er diesem Vogel singen mußte.

Er stand auf, ging und setzte sich rittlings auf die Schwelle, mit dem einen Bein im Speicher, dem anderen draußen – und sagte plötzlich, überrumpelnd:

»Solltest mir deine Sorgen mitteilen, junge Wirtin.«

Marjas Stimme bebte etwas:

»Meine Sorgen? Was für Sorgen?«

»Alle, die du hast.«

»Woher weißt du, was für welche ich habe und nicht habe, oder ob ich überhaupt Sorgen habe?«

Schemeikka machte eine Pause in seinem Liede, dann rührte er wieder die Saiten, die, wie er fühlte, schon einen guten Klang gegeben hatten.

»Du hast kein ergötzliches Leben hier in der Einöde.«

Marja antwortete nicht, sie nähte.

»Dein Mann alt und klotzig, deine Magd still und einfältig, im Winter kommt kein Fremder ins Haus, wenn im Sommer einer kommt, geht er wieder.«

»Wenn man nichts Besseres gesehen hat, vermißt man nichts.«

»Komm mit mir nach Karelien, da wollen wir lustig sein!«

Marja fuhr zusammen und blickte auf, zugleich aber wieder zu Boden.

»Und was soll ich dort?«

Da kam die eindringliche, knappe, beengende Frage:

»Und was tust du hier – in diesem erbärmlichen Land – eine wie du?«

»Was ist denn an diesem Lande auszusetzen? Und ist es wohl anderswo besser?«

»Schlecht sorgen sie hier für ihre Weiber. Bei uns wird ihnen nicht wie hier der Nacken durch ewige Arbeit gekrümmt, bei uns werden ihnen nicht die Augen im Rauch der Korndarre geblendet, nicht das Gesicht auf der Schwende berußt, nicht der Rücken an der Handmühle gebrochen. Die jungen Frauen der Gehöfte sind hier wie die alten Leibeigenen bei uns, ihr Rücken krumm, ihre Augen triefend, ihre Brüste hängend, ihr Leib aufgetrieben, wie struppige Hunde im Sommer – du, Wirtin, bist merkwürdigerweise noch nicht so, aber bald werden sie auch aus dir eine solche machen. Bald wird das Rot von deinen Wangen schwinden, bald der Glanz in deinen Augen verlöschen.«

»Und wenn es auch hingeht – wer hat wohl Schaden davon?«

»Du weißt schon, wer.«

»Ist es denn dort wirklich besser?«

»Dort? Die Männer schaffen, die Männer regen sich, holen das Korn fertig aus fremden Ländern – das Weib halten sie zu ihrer Freude, nicht als Leibeigene.«

»Was tun dann die Weiber?«

»Nun, sie weben Stoffe, nähen, sticken ihre Sachen und lernen die Leibeigenen an. Im Sommer, wenn sie es zu ihrer Unterhaltung wollen, fangen sie Fische, pflücken Beeren, kochen Süßigkeiten. So bleiben sie immer jung, so lange es die Jahre erlauben, rotwangig, drall, weich. Leicht ist ihr Fuß beim Tanz, hell sind ihre Stimmen, wenn sie an den Abenden singend beim Herde sitzen. Zärtlich und freundlich bleiben sie, – hier sind alle grob und stumm. Siehst du, so sorgt der karelische Mann für seine Liebste.«

»Sie scheinen ja dort ein gutes Leben zu haben,« sagte Marja, ihre Näherei umwendend.

»In Gold rauschen, in Seide knistern sie einher. Wir liegen nicht den langen Winter in ihren Betten. Mit einer Brust voll Liebe kehren wir jedes Frühjahr heim, spielen einen kurzen Sommer mit ihnen, lassen sie auf unserem Knie sitzen.«

Schemeikka sprach dicht an ihrem Ohr, immer leidenschaftlicher wurde sein Lied, wie dem Auerhahn bei der Balz. Immer kommt er etwas näher, Marja rückt jedesmal etwas ab, auf den Lippen ein künstliches Lächeln, die Augen fest auf der Näherei, der Finger heftig die Nadel führend.

»Solltest einmal mit nach Karelien kommen, liebe Wirtin, da du aus Karelien stammst! Wir sind ja Nachbarn, von den Höhen der einen blinken die Feuer nach den Höhen der anderen hinüber. Einen Tag geht es durch Stromschnellen, einen zweiten rudern wir über stille Wasser, zwischenhin wandern wir etwas über Heiden, und am dritten flitzen wir wieder durch strudelnde Wasser, – da dämmert schon dort unterhalb einer Stromstille meine Fischerhütte, und von da noch ein wenig weiter, so sind wir in meinem Dorf. Dort ist ein großes Dorf mitten in einem unberührten Bruchwald. Dort habe ich ein altes, reiches Gehöft. Auf Händen trügen sie dich da, das Findelkind aus ihrem Stamm, von Freude zu Freude führten sie dich, von Fest zu Fest, ließen von Tanz zu Tanz dich schweben. Eine alte Mutter habe ich, ist übermaßen gut und freundlich, die würde dich wie ihre Tochter – in Seide und Sammet kleiden. Komm mit nach Karelien, liebe Wirtin!«

War dies Ernst oder Spaß? Die Stimme Ernst, aber unglaublicher Spaß, was er sagte.

»Komm auf einen Besuch, komm, um es dir anzusehen! Komm sofort! Mit mir!«

»Mit dir?«

»Was tust du hier, schöne, schmucke Frau! Wirst alt, welkst hin, wirst ebenso wie all die anderen. Wenn du hier noch etwas weiter lebst, werden deine Lippen das Lächeln verlernen. Deine Augen werden trübe, dein Haar verdorrt, deine Wangen sinken in Falten ein wie eine erfrorene Beere. Den Nacken werden sie dir krümmen, den Rumpf verbiegen, durch viele Arbeit dir die zierlichen Füße schief drehen – die zierlichen Füße ...«

»Sprich nicht so etwas.«

Aber Schemeikka fuhr fort:

»Und für wen? Für den Kerl mit der runzeligen Stirn, den schläfrigen Augen, den groben Lippen, dem dünnen Bart, dem langen Rücken, den krummen Beinen ...«

»Sprich mir nichts mehr!« – Marja schrie es fast heraus, wie um Hilfe rufend.

»Der da die Nächte hindurch ächzt und krächzt – röchelt und hustet –.«

»O, o – nicht!«

»Daß er sich nicht geschämt hat, sich einer wie dir anzubieten! Daß du bei einem solchen im Bette liegen mochtest?«

»Ich liege nicht bei ihm im Bett!« rief Marja plötzlich wie in Wut, während ihr Auge in Haß und Verzweiflung aufblitzte, und sprang auf, fühlte zugleich Scham und setzte sich auf die untere Stufe.

»Nicht? Wirklich nicht?«

»Und wen geht es etwas an, wo ich liege, und wenn ich im Schweinekoben läge?«

Sie wäre in Tränen ausgebrochen, wäre sie nicht aufgestanden und gegangen. Was fragt der mich nur alles? Und wozu redet er das zu mir? Und was hat er alles herabzusetzen? Was kann Juha dazu, daß er so ist, wie er ist? Und wen geht es etwas an, wen ich geheiratet habe? – Weshalb kommt Juha nicht endlich vom Fischen? – Und was höre ich denn auf sein Reden? Und trage seinen Schmuck?

Sie wollte ihn abreißen, von sich werfen, als sie Juha auf dem See kommen sah. Sie wandte sich um, eilte nach dem Strand, lief immer schneller.

Schweres Blut

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