Читать книгу Irgendwo im Wald - der kleine Kaminkehrer - Aila Iden - Страница 3
ОглавлениеEs war bereits dunkel und finster,
als wir das Zuhause vom kleinen Kaminkehrer erreichten. Obwohl, bei genauerem Betrachten, Zuhause konnte das hier niemand nennen. Es war kein gewöhnliches Haus, in dem der kleine Kaminkehrer lebte, kein finsteres Loch, mitnichten ein Iglu und schon gar nicht ein Schornstein. Es war …
irgendwie ganz anders. Ein seltsam anmutendes Hexenhäuschen mitten im Wald erschaffen. Unzählige Wanderer kamen im Laufe der Geschichte vorbei und liefen ahnungslos hindurch. Denn für blinde Augen, die nicht sahen, taube Ohren, die nicht hörten und schweigsame Stimmen, die nicht sprechen konnten, blieb dieser Ort für alle Zeit hinter dem Schleier der Wirklichkeit verschlossen. Dem kleinen Kaminkehrer begegnete niemand, der blind, taub oder stumm war. Ihm begegnete nur der Aberglaube.
Einsam und versteckt lag das Hexenhaus in der verschneiten Dunkelheit vor uns. Der Schnee lag verborgen unter einem Nebelschleier wie eine einsame Inseln in einer mondbeschienenen Nacht. Aus den Fenstern strahlte ein einladender Kerzenschein in die Winterlandschaft hinaus und verbreitete eine behagliche Wärme im Herzen. Wären da nicht zwanzig qualmende Kaminschlote, die einer Inhalierstation für verzweifelte Kettenraucher auf Entzug gleichkam.
„Es passt!“, beharrte der kleine Kaminkehrer in der Küche. Er steckte in seinem besonderen Arbeitsgewand aus rotem Samt. Die Arme eng am Körper hielt er die Luft an. Sein weißer Bart war mit einer Haarklammer an seinem Haaransatz befestigt und raubte ihm die Sicht auf das vorwurfsvolle Gesicht seiner Frau. Diese Giftzwergversion einer beleibten Aphrodite zerrte an seiner Jacke, um die Knöpfe zu schließen, und malträtierte dabei ihre Unterlippe, als ob es Schnupf- und Kautabak in einem wäre.
„Das passt nicht!“, motzte sie in der Hoffnung, dass das Knopfloch auf wundersame Weise freiwillig sein Territorium aufgeben würde.
„Das passt!“, beharrte der kleine Kaminkehrer und räumte mit einem langem, seufzenden Ausatmen noch ein Stück mehr Platz in seinen mächtigen Bauch frei. Endlich schaffte es die Ehefrau den ersten Knopf seiner Uniformjacke zu schließen.
„Es passt!“, frohlockte sie und pustete sich die Haare aus dem verschwitzten Gesicht. Da desertierte auch schon der erste silberne Verräter mit einem lauten Ratsch und landete im Suppentopf.
„Siehst du. Es passt nicht! Wieder mal!“, schimpfte sie und stemmte ihre Hände in die Hüfte. „Musst du dich von deinen Kunden immer so mästen lassen. Kannst du nicht einmal die Plätzchen ignorieren, hä?“
Der kleine Kaminkehrer war froh, dass er ihr Gesicht hinter dem Bart nicht sehen konnte und tat, als ob er fasziniert seine Schuhspitzen betrachtete. „Ja aber ... die schmecken halt so gut. Würdest du sie einmal nur probieren, dann könntest du es verstehen.“ Unschuldig hob er den Kopf in ihre Richtung.
„Wenn du mir wenigsten einmal eines mitbringen würdest, dann könnte ich es probieren. Aber nein, du knittriger Hungerleider muss alle selber fressen. Außerdem weißt du, dass ich nicht zu deinen Kunden mitfahren kann. Ich muss mich um unsere Bestellungen aus Italien kümmern.“
Der kleine Kaminkehrer nickte und richtete sich den Bart zurecht. Dann schälte er sich aus seiner Jacke, strich sie glatt und legte sie andächtig auf die Stuhllehne. Schüchtern lächelte er seine Frau an. „Bitte, Fe. Was sollen denn unsere Kunden dieses Jahr denken, wenn sie leer ausgehen?“
Schnaubend griff sie nach der Schere am Tisch und trennte wortlos die Knopfleiste auf. Der kleine Kaminkehrer setzte sich geduldig zu ihr und beobachtete ihre schlanken, flinken Finger. Immer wieder schaffte sie es, dass es passt. Das alles passt. Auch das Leben mit einem überforderten Kaminkehrer wie ihm. Wie viel Zeit doch vergangen war seit ihrer ersten Begegnung, als er sein Leben zum ersten Mal mit seiner Schusseligkeit ruinierte.