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Was der Krieg frisst

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von Rafaela Creydt

Inhaltshinweise

Tod, Gewalt, Krieg, Verstümmelung, Blindheit, Kälte, Verlust, Mobbing

„An-Sha!“ Wie die Brandung toste der Schlachtruf durch die Menge. Mutter!

„An-Sha Wah!“ Mutter des Krieges! So nannten sie ihre Truppen. Mit diesem Schrei zogen sie in die Schlacht.

Ansha Wah!

Mutter des Krieges. Tochter ihres Vaters. Herrin seines Banners, seit ihrem fünfundzwanzigsten Jahr. Erbin seiner Herrschaft, seit ihrem dreißigsten Jahr. Mutter des Krieges und von nichts und niemandem sonst. Ansha Wah.

Niemand hatte sie jemals schön genannt. Kein Mann hatte sie je zum Tanz gebeten. Ansha Wah tanzte nur, um zu töten. Niemand glaubte, dass diese Hände streicheln könnten. Deshalb schlug sie den Mann, der sie um einen Tanz bat, und verließ das Zelt.

„Ich dulde solche Scherze nicht.“

Im ersten Morgenlicht wurde das Lager abgebrochen. Das Heer zog seinem Feind entgegen und vor dem Zelt stand ein Mann.

„Es war kein Scherz, Ansha Wah.“

Ansha Wah schickte ihre Generäle fort. Augen, braun wie die Heide im Winter, aber warm und freundlich wie Kaninchenfell. Er war so groß wie sie, mit schmalem Rücken und langen Fingern.

„Ich tanze nicht“, belehrte sie ihn. „Ich habe kein Geschick dafür.“

„Das kann ich kaum glauben.“ Er blickte in ihr Gesicht und lange auf den Körper unter Rüstung, Banner und Waffen.

Ansha Wah hieß ihn zu gehen und kehrte zu ihren Generälen zurück.

In der Dunkelheit, die jeden Abend früher kam und die Sterne kälter strahlen ließ, trat Ansha Wah in die Heide und übte sich mit Speer, Schild und Schwert. Die Wachposten sahen die Mutter in der Dunkelheit und sahen auch den Bogenschützen, der langsam zu ihr trat.

„Ihr tanzt mit Euren Waffen, Ansha Wah.“

Ansha Wah rammte den Holzschaft des Speers in den Boden, hängte das Schwert an ihre Hüfte und wischte sich den Schweiß aus dem Gesicht.

„Du bist kein Krieger.“

„Ich bin ein Bogenschütze im Heer von Ansha Wah.“

„Das mag sein. Aber du bist kein Krieger.“

Da schüttelte er langsam den Kopf. „Im Süden träumen sie vom Krieg. Sie haben vergessen, was er frisst.“

Der Norden kannte nichts als den Krieg. Den Krieg des Volkes der Heide gegen den Norden von Eis und Schatten, gegen das Volk der Sterne.

Der Süden kannte nur Sonne, blasse Sterne und Frieden.

„Also bist du hier, um den Süden an den Krieg zu erinnern.“

Er zuckte die Schultern. „Sie sollten begreifen, was Ansha Wah für sie tut.“

„Ansha Wah führt Menschen in den Tod. Weil nicht alle sterben, folgen sie ihr weiterhin.“

„Das tut sie.“

Sie maßen einander mit Blicken in der Dunkelheit.

„Aber will sie nicht trotzdem mit mir tanzen?“

Da lachte Ansha Wah. „Ich werde dich Tänzer nennen. Denn das ist freundlicher als Dummkopf.“ Zusammen lachten sie unter den Sternen, während die Posten sich fragten, was ihre Mutter so fröhlich machte.

„Schau mich an, Tänzer“, sagte Ansha Wah. „Ich bin dafür nicht gemacht.“

„Möchtest du es denn?“

Sie wandte sich ab, ging zwei Schritte in die wispernde Heide, blickte zurück zu den braunen Augen.

„Ich mache mich lächerlich“, flüsterte sie. Und der Tänzer lächelte nicht und ging nicht zur ihr und nahm sie nicht in den Arm.

„Du tanzt mit deinen Waffen“, beharrte er.

Sie trafen sich nachts, wenn nur die Posten wachten und man an den Feuern Geschichten von Ansha Wah erzählte, die Schatten und Eis vertrieb. Es gab keine Musik und es gab keine Berührung. Der Tänzer nahm ihr die Waffen aus der Hand und lehrte Ansha Wah die Schritte und Drehungen. Sie stolperte und fluchte, sie suchte in der Dunkelheit nach hämischen Gesichtern, aber nur die Sterne sahen sie, die lachten in allen Nächten über die Ängste der Menschen.

Im Morgengrauen saßen sie am Boden, strichen den Reif von der Heide und erzählten einander von ihren Welten. Dort lernte sie das Tanzen und Lachen.

Als der Frost in den Halmen festklebte und die Zeltbahnen knackten, wenn man sie zusammenlegte, wurde es Zeit für den Krieg. Aus den weißen Bergen in der Ferne brach das Volk von Eis und Schatten wie ein Albtraum im Mittagslicht, wie Tinte in klarem Wasser.

Ansha Wahs Streiter schluckten die Angst herunter oder spuckten sie auf den Boden, wo sie festfror, reihten sich auf, wohin die Mutter sie schickte.

„An-Sha!“, rauschte es durch die Reihen. Sie hob das Banner. „An-Sha Wah!“

Es war Ansha Wah, die in die Schlacht zog, mit Speer, Schwert und Schild. Ihr Pferd schrie, aber die Mutter des Krieges schwieg. Man kann das Volk von Eis und Schatten töten. Sie bluten nicht. Sie bluten nicht, aber sie kreischen und brüllen und werden noch wilder, bis sie zerbrechen. Genauso, wie die Menschen zerbrechen. Ansha Wah zerbrach sie, zerschnitt sie. Seit ihrem fünfundzwanzigsten Jahr. Ihre Generäle gehorchten, ihre Boten berichteten. Die Mutter des Krieges kannte den Spielplatz ihrer Kinder. Sie verlor nicht ihren Weg, und sie verlor nicht ihre Schlacht.

Als der Morgen wiederkehrte, das Volk von Eis und Schatten zurückfloss in das Gebirge und die Luft dick war von zu viel Tod und Schmerzen, hängte Ansha Wah das Schwert an ihre Seite. „Bringt mir den Meister der Bogenschützen.“

Des Meisters Bein war eingewickelt in blutige Fetzen, aber er stand stolz vor seiner Herrin.

„Wie viele Verluste?“ fragte sie.

„Einer von dreien, Ansha Wah.“

Einer von dreien.

Aber ihr Blick ruhte einzig auf dem Mann, der den Meister begleitet hatte. Der Tänzer hatte Tränen in den braunen Augen und Blut im Haar. Er lächelte nicht mehr und führte den Meister fort.

Am Abend fand sie ihn weit vom Lager, wo man noch die Heide riechen konnte.

„Erinnerst du dich jetzt an den Krieg?“

Er nickte. „Der Süden träumt. Aber ich möchte ihn nicht mehr wecken. Soll er weiter träumen und glücklich sein.“

„Wir wollen ihn träumen lassen“, stimmte sie zu. „Aber ... möchte auch der Tänzer wieder schlafen?“

„Der Tänzer möchte daran glauben, dass er nicht träumen muss, um glücklich zu sein.“

Er streckte die Hand aus.

„Tanz mit mir.“

„Nein“, entschied sie streng. „In dieser Nacht gibt es keinen Tanz. Es gibt keine Musik und es gibt keine Freude. Die Toten liegen unter den Sternen. Es gibt kein Glück in dieser Nacht.“

Da legte der Tänzer ihr eine Hand auf die Schulter und spürte die zitternden Muskeln unter dem Kettengeflecht. „In dieser Nacht gibt es kein Glück“, stimmte er zu.

„Aber es wird noch andere Nächte geben.“

* * *

Sie tanzten nicht in dieser Nacht, und ein Krieg ist nicht mit einer Schlacht gewonnen. Aber Ansha Wah gewann diesen Krieg, trieb das Volk von Eis und Schatten hinter seine Grenzen zurück.

Es gab andere Nächte.

Als die Mutter des Krieges in ihre Heimat zurückkehrte, ritt der Tänzer neben ihr. Niemand lachte mehr bei der Vorstellung, Ansha Wah könnte tanzen oder die Liebe eines Mannes erringen. Doch, zwei lachten laut und herzlich. Der Tänzer und seine Geliebte lachten und wussten beide um ihr Wunder und ihr Glück. Das Volk der Heide wurde wieder ein Volk von Bauern und Schäfern und der Sommer ließ die Sterne blass werden und die Nächte kurz.

Ansha Wah stand auf den Zinnen der Festung ihrer Väter, hörte den Wind in den Föhren, blickte in Augen wie Kaninchenfell und glaubte daran, dass sie zu mehr taugte als Töten.

In der letzten Nacht des Sommers, als die Fenster noch unverschlossen waren und den Duft von Heu und Immergrün hereinließen, lag der Tänzer bei seiner schlafenden Herrin. Es gab nur wenig, was er sich noch wünschte. Dass es so bleiben möge, war der größte.

Sie war ein Wunder für den Mann aus dem Süden. Eine Naturgewalt, zu groß, zu stark für einen einzigen Menschen. Als er Ansha Wah das erste Mal gesehen hatte auf ihrem Zug in den Norden, hatte es ihm das Herz zerschnitten, sie so gefesselt zu sehen. Ein Wasserfall, eingemauert. Ein Falke mit Haube, nur zum Jagen freigelassen.

Dass es so bleiben möge, flehte er die Götter an. Stets ist dies der vergeblichste der Wünsche.

Die Fenster ließen Heu und Immergrün und einen Schatten ein.

Ansha Wah schlief und träumte den letzten Traum des Sommers. Ihr Tänzer lag neben ihr, der Schatten strich heran, ohne Gesicht, ohne Körper, nur ein Fetzen, der seine warme Haut berührte und mit taubem Eis überzog. Über seine Brust kroch er, pfiff ihm fremde Worte in die Ohren, die der Tänzer nicht verstand und auf die er nicht antworten konnte. Wen der Schatten umarmt, der kann sich nicht mehr rühren. Aus dem Fetzen wuchsen Hände, sie strichen ihm über die Kehle, streichelten sein Gesicht. Tränen liefen über des Tänzers Wangen und froren fest, wo der Schatten ihn berührte. Dann griffen die Hände höher und pflückten ihm die weinenden Augen aus den Höhlen.

In seiner neuen Dunkelheit sah der Tänzer nicht, wie der Schatten mit seinem Schatz verschwand. Er lauschte dem Wind in den Föhren und dem Atem seiner Herrin. Als alles Eis fortgeflossen war und sein Körper wieder warm, umarmte er die Schlafende, drückte sein leeres Gesicht in ihren Nacken und schwieg bis zum Morgen.

Dass es so bleiben möge.

* * *

„An-Sha!“ Wie die Brandung toste der Schlachtruf durch die Menge. Mutter!

„An-Sha Wah!“

Mutter des Krieges. Tochter ihres Vaters. Herrin seines Banners, seit ihrem fünfundzwanzigsten Jahr. Erbin seiner Herrschaft, seit ihrem dreißigsten Jahr. Mutter des Krieges und von nichts und niemandem sonst. Ansha Wah.

Nur ein Mann hatte sie jemals schön genannt. Ihr Tänzer. Ihr Gatte. Hatte sie angesehen und lächeln müssen.

Wo seine Augen gewesen waren, waren keine Wunden, keine Narben. Nur glatte Haut, wo früher die Heide im Winter, Kaninchenfell und alle Sicherheit gewesen war, die sie unter ihrer Rüstung brauchte.

Er hatte nicht gewollt, dass sie fortging. Ansha Wah starrte über die weiße Ebene, fahl wie Knochen unter den Sternen, über die das Volk von Eis und Schatten schwärmte wie Krebse und schnell ziehende Wolken. Ihr Heer stand geordnet und schrie vor Angst und Wut. Aber die Mutter des Krieges dachte nur an ihren Tänzer. Er hatte sie festgehalten, als sie ihre Wut über die Mauern brüllte, als sie das Volk der Heide zum Krieg rief, um wiederzuholen, was gestohlen worden war. Der Tänzer wollte blind bleiben, wollte seine Augen aufgeben, wollte sie nicht loslassen.

„Ich brauche sie nicht“, flüsterte er, während sie weinte und schrie. „Wir werden weiter tanzen, weiter lachen. Ich werde dich und die Heide riechen, deine Arme um mich spüren und alle Schönheit dieser Welt in deiner Stimme hören. Ich brauche sie nicht.“

„Ich brauche sie! Durch sie bin ich heil.“ Sie bedeckte die glatte Haut unter seinen Brauen mit ihren Händen. „Du bist mein Gatte! Dein Leib ist mein eigen.“

Da lachte der Tänzer. „Jawohl, schöne Herrin, das ist er.“

Sie konnte nicht schreien, wenn er lachte, aber sie lachte nicht mit ihm. „Niemand bestiehlt mich, mein Tänzer. Ich will meine Augen zurück.“

Als die Truppen versammelt waren, im tiefen Herbst, und Ansha Wah nach Banner und Zügel griff, griff der Tänzer nach ihren Händen und vergrub seinen Kopf an ihrer Schulter.

„Dein Leib ist mein eigen, schöne Gattin.“

Sie küsste sein leeres Gesicht. „Ich bringe ihn wieder, schöner Gatte. Dann tanzen wir weiter.“

* * *

In der Mitte der Nacht vergaß Ansha Wah die Künste des Krieges. Ihr Pferd war längst tot, ihre Rüstung zerrissen, die Truppen brüllten ihren Namen. Ansha Wah hetzte über eine fleckige, feuchte Ebene im Sternenlicht und schrie nach ihren eigenen Dämonen. Den Dieb suchte sie, den Räuber, den einen Fetzen, der sich in die Heide gewagt hatte, um der Mutter des Krieges ihre wertvollsten Schätze zu stehlen.

Zur gleichen Zeit strich der Tänzer durch die Säle der Festung. Sang die Lieder, die er sie gelehrt hatte, lauschte auf die fernen Echos. Aber es war nur seine eigene Stimme. Leer stand die Burg seiner Herrin, das Lachen fortgeschlichen, um nie mehr wiederzukehren. Er wusste es in seinem Herzen und glaubte nicht daran.

Dass es wieder werde, wie es war. So vergeblich wie der erste Wunsch, und noch törichter.

Die Sterne am Himmel erbleichen.

Ein schweigender Morgen bricht an.

Da sieht sie es zwischen den Leichen

Und es schlägt sie in seinen Bann.

Es ist wie ein Traum alter Zeiten,

Wie hat sie dies Leuchten vermisst.

Sie kann mit diesem nicht streiten.

Er trägt ihren Schatz im Gesicht.

Er selbst ist aus Schatten geschnitten,

Das Schwert in der Hand ist aus Eis.

Frost knirscht ihm unter den Schritten.

Das Wappen am Schild ist schlicht weiß.

Doch sie sieht einzig die Augen.

Sie vergisst ihr Schwert und den Speer,

Vergisst, das Böse zu glauben

Und der Schatten brauchte nicht mehr.

Wie man manche Wege nicht gehen kann, nur tanzen, gefangen und gehalten vom Ritual der Schritte, kann man manches nicht berichten. Die Verse der Sänger weisen den Weg, den ein Tänzer beschreiten kann.

Er steht auf den Zinnen

Wacht Zeit seines Lebens

Mit allen seinen Sinnen.

Die Wacht bleibt vergebens.

Sie zog mit dem Heer

Sie kehrt niemals wieder.

Die Heide steht leer

Der Wind pfeift dort Lieder.

Oft hebt Er die Hand

Er glaubt, Sie zu hören

Kein Hufschlag im Sand

Es rauscht in den Föhren.

Dies ist kein Lied für den Norden. Der Tänzer hat es nie gehört. Es ist ein Lied für den Süden, der vom Krieg träumt und vergessen hat, was der Krieg frisst.

Queer*Welten 02-2020

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