Читать книгу Die Weltensegler. Drei Jahre auf dem Mars. - Albert Daiber - Страница 3
Drittes Kapitel
Zwischen Himmel und Erde
ОглавлениеKeine nennenswerte Luftströmung störte den fast senkrechten Aufstieg des Weltenseglers. Noch befand sich das Luftschiff im Bereich der Erdatmosphäre. Allerdings machte sich die erreichte Höhe durch den verminderten Luftdruck und das Sinken der Temperatur auch im Innern der Gondel fühlbar. Professor Stiller, als Leiter des Ganzen, schlug daher vor, zunächst einen bescheidenen Abendimbiß einzunehmen, wohl den letzten in der Nähe der Mutter Erde, von der die Expedition nach dem Stand des Barometers schon siebentausend Meter entfernt war. Der Vorschlag fand allseitige Billigung. Die Herren ließen sich die ausgezeichneten Stuttgarter Fleisch- und Backwaren vortrefflich schmecken, und dem an den sonnigen Halden des Neckartales bei Cannstatt gewachsenen Zuckerle, so hieß der mitgenommene gute Rotwein, wurde wacker zugesprochen, soweit eben die Herren Gelehrten keine Abstinenzler waren.
Nach dem Mahle wurde die Aufmerksamkeit wieder den Instrumenten zugewandt. Diese zeigten an, daß die Grenze der Erdatmosphäre erreicht sei, mithin der Eintritt in den unermeßlichen Ätherraum bevorstehe. Die mit Xylol gefüllten Thermometer zeigten außerhalb der Gondel bereits 42 Grad unter Null an, und die Barometer registrierten eine Höhe von 19950 Meter. In der Gondel wurden die elektrischen Glühkörper in Tätigkeit gesetzt, nachdem schon vorher der Zerstäubungsapparat für die feste Luft in Funktion getreten war. Eine erträgliche Temperatur und eine angenehme, gut atembare Luft herrschte in der Gondel. Der Dienst in dem Raum wurde in der Weise geordnet, daß jeder der Gelehrten während vierundzwanzig Stunden abwechselnd drei Stunden zweiundvierzig Minuten die Instrumente zu überwachen hatte. Auf diese Art war für den einzelnen der Dienst nicht anstrengend. Nur Professor Stiller hatte sich vorbehalten, im Falle der Notwendigkeit die Dienstleistung für gewisse Zeit allein zu übernehmen.
Ruhig und gut ging die erste Nacht in der Gondel hoch oben im Ätherraume vorüber. Unterdessen war der Ballon äußerst schnell gestiegen. Morgens um 7 Uhr, am 8. Dezember, war die Höhe von 90723 Meter erreicht. Die Thermometer an den Glimmerfenstern der Gondel zeigten die fürchterliche Kälte von 120 Grad. Tiefe Dunkelheit umgab den Weltensegler. Kein einziger Sonnenstrahl fiel in diese pechschwarze Nacht des Tages. Rascher und rascher stieg das Luftschiff, seinen Kurs genau der Steuerung gemäß nach Osten haltend. Gegen Mittag wurde durch den Geschwindigkeitsmesser die gewaltige Entfernung von 220000 Meter von der Erde angezeigt. Sollte das Steigen in diesem schnellen, progressiv sich steigernden Tempo fortgehen, so mußte der Weltensegler im Laufe weniger Tage in die Nähe des Mondes gelangen, der bis dahin, um 90 Grad nach Osten vorgerückt, gerade sein erstes Viertel bilden würde.
Mit der Annäherung an den Mond erhielt der Weltensegler dann wieder das Licht der Sonne, konnten die Gondelbewohner sich wieder an den leuchtenden Strahlen der Urquelle aller Kraft erfreuen. Obgleich noch keine vierundzwanzig Stunden unterwegs, empfanden die Herren die Dunkelheit des sie umgebenden Weltraumes wie eine allzulange Nacht. Sie begannen sich darüber zu äußern.
„Wir sind eben Kinder des Lichtes, der Sonne und empfinden sofort deren Mangel,“ sprach Professor Dubelmeier.
„Das ist wohl wahr,“ bestätigte Friedolin Frommherz, „alles Licht, auch das unserer Seelen, kommt von oben.“
„Umgesetztes Sonnenlicht, mein Lieber,“ ergänzte Professor Hämmerle.
„Nennen Sie es, wie Sie wollen, das letzte aller Rätsel, die wirkliche Ursache alles Seins bleibt uns Sterblichen eben doch für immer verborgen, und wer weiß, ob dies nicht sehr gut ist,“ entgegnete Frommherz.
„Darüber wollen wir uns hier in unserer Gondel nicht streiten, sondern uns über die Aussicht freuen, in kürzester Zeit aus dem Dunkel des Ätherraumes heraus wieder in das volle Licht der Sonne eintauchen zu dürfen, allerdings um sehr rasch wieder in die Finsternis zurückzukehren, wohl dann für längere Zeit,“ warf Professor Stiller ein.
Doch plötzlich wurde der Unterhaltung ein unerwartetes Ende bereitet. Der Weltensegler begann zu zittern und schien einen Augenblick still zu stehen. Das Zittern des mächtigen Ballons übertrug sich auf die Gondel.
„Was ist los, um des Himmels willen, was hat sich ereignet?“ Diese Fragen kamen über die Lippen von mehreren der erregten Gelehrten.
„Zunächst nur Ruhe, keine Aufregung, die ja doch zu nichts führen würde, liebe Freunde!“ besänftigte Professor Stiller seine erschrockenen Gefährten. „Es scheint, daß wir in den breiten elektrischen Anziehungsstrom des Mondes gelangt sind, auf den der Weltensegler mit seiner eigenen elektrischen Strömung sofort reagiert hat, daher sein plötzliches Erzittern,“ fuhr Herr Stiller fort. „Nun seht, er beruhigt sich und treibt wieder und zwar bedeutend schneller vorwärts, ein Beweis für die Richtigkeit meiner Vermutungen.“ Mit diesen Worten trat Stiller von seinem Beobachtungsposten zurück, um ihn aber bald nachher wieder einzunehmen.
Von der Geschwindigkeit der rasenden Vorwärtsbewegung spürten die Insassen der Gondel nichts oder nur sehr wenig. Mit größter Aufmerksamkeit beobachtete Professor Stiller wieder den Geschwindigkeitsmesser. Nach einer Stunde konstatierte der Gelehrte kopfschüttelnd eine zurückgelegte Strecke von 4500 Kilometern.
„Warum schütteln Sie den Kopf, Stiller?“ fragte Professor Piller den Kollegen.
„Es geht langsamer vorwärts, als ich mir vorstellte und nach meinen Berechnungen erwartet hatte.“
„Nanu, ich denke, 4500 Kilometer in einer Stunde fliegend zurückzulegen, macht uns so leicht niemand nach. Eine solche Geschwindigkeit übersteigt alles, selbst die kühnste Rechnung,“ warf Brummhuber ein.
„Sie übersehen dabei die ungeheuren Entfernungen, die wir zurückzulegen haben, um unser Ziel zu erreichen,“ entgegnete Professor Stiller. „Doch ich hoffe, daß es in diesem Tempo nicht weitergehen wird; wir kämen sonst,“ fügte er etwas gezwungen lächelnd hinzu, „mit allzu großer Verspätung auf dem Mars an.“
„Ein paar Tage mehr oder weniger spielen bei unserer Reise keine Rolle,“ antwortete Thudium.
Doch Herr Stiller gab keine Antwort mehr. Ernste Gedanken zogen in sein Gehirn und begannen ihn zu quälen. Diese Gedanken wollte er einstweilen für sich behalten. Wozu die Ruhe, das Vertrauen der Gefährten schon jetzt erschüttern? Die Zeit brachte von selbst Rat und vielleicht auch – Hilfe.
So verstrichen der zweite und der dritte Tag der Reise.
Am Ende des letzteren betrug die zurückgelegte Entfernung 324000 Kilometer. Die Geschwindigkeit des Weltenseglers hatte also doch etwas zugenommen, dank der von ihm aus seinen Apparaten nach außen hin abgegebenen elektrischen Kraft, die von Professor Stiller im Vereine mit Piller und Hämmerle einer sorgfältigen Messung unterlag. So vergingen die Stunden. Keiner der Herren vermochte zu schlafen, denn aller Wahrscheinlichkeit nach mußte der Weltensegler noch diese Nacht in die unmittelbare Nähe des Mondes gelangen.
Eine plötzliche, von außen her in die Gondel dringende Helle ließ sofort Professor Stiller den elektrischen Strom schließen. Das Luftschiff begann langsamer zu fahren und stoppte endlich. Die Herren stürzten nach den Fenstern der Gondel, um den ganz unbegreiflichen Stillstand zu ergründen. Staunende Bewunderung über das, was sich ihren Augen bot, wirkte im ersten Augenblick so lähmend auf die Insassen der Gondel, daß sie minutenlang wie gebannt in stummem Entzücken dastanden. Dann aber brach sich eine laute Begeisterung Bahn.
„Großartig! Einzig schön! Allein die Reise wert! Ein Bild ohnegleichen! Der Mond, der Mond!“ so kam es über die Lippen der Beschauer. Unmittelbar unter ihnen zeigten sich, hell beschienen von der Sonne, gewaltige, oft zerrissene, wild zerklüftete, trotzig emporstrebende Berge, die Schatten von wunderbarer, ungekannter Schärfe warfen. Zwischen ihnen gähnten Tausende von Metern tiefe Abgründe, und eine Unmasse ausgebrannter Krater schob sich zwischen die Abgründe und die Felsenmauern. Ziemlich ebene Landschaften waren wiederum von wallartigen Ringen ehemaliger gewaltiger Vulkane umkränzt. Dieses so umschlossene Land lag bedeutend höher als das außerhalb der Wälle sichtbare, aus dem sich wiederum da und dort kegelförmige Berge, die Reste einstiger Vulkane, scharf abhoben. Die merkwürdige Beleuchtung mit ihren einzig schönen Schattenbildern, überhaupt der ganze Eindruck war so eigenartig, in dieser Form so völlig verschieden von dem, was die Herren von der Erde her kannten, daß sie einen Vergleich damit gar nicht zu ziehen vermochten.
Wohin sie auch ihre Blicke richteten, nirgends, aber auch nirgends konnten sie Spuren von Pflanzenwuchs oder Wasser entdecken. Kein See, kein Strom, kein wogender Ozean, kein grünender Rasen, Strauch oder Baum, nichts, rein nichts zeigte sich. Das stumme, ergreifende Bild des starren Todes, das sich hier den Reisenden offenbarte, verfehlte auf diese seine Wirkung nicht. Die erste laute Begeisterung war rasch einer großen Stille gewichen, dem tiefen Ernste, den der Tod bei jedem denkenden und empfindenden Menschen hervorbringt. Nur kurze Zeit hatte man sich der Betrachtung desjenigen Teiles des Mondes hingeben können, der von der Gondel aus sichtbar war. Der Weltensegler fing an langsam zu fallen.
„Auf dem Monde können wir uns weder braten lassen, noch wollen wir auf ihm erfrieren,“ rief Professor Stiller. „Wir müssen also schleunigst aus seiner wegen der Anziehung für uns gefährlichen Nähe weg und wieder hinaus in den Weltäther.“
Rasch wurde die elektrische Kraft wieder in Tätigkeit gebracht; die Flügel der Schraube drehten sich, und der Weltensegler entfernte sich schneller und immer schneller vom toten Kinde der noch lebendigen Mutter Erde.
Die Berechnungen von Professor Stiller gingen dahin, daß nach Kreuzung der Mondbahn und glücklicher Überwindung der Anziehungskraft des Mondes der Weltensegler bald selbst in die eigentliche Anziehungssphäre des Mars gelangen müsse, als desjenigen großen Gestirns, das sich augenblicklich der Erde noch am meisten genähert hatte. Diese Erdnähe mußte begreiflicherweise die natürliche, auf elektromagnetischen Strömungen beruhende Gravitation zwischen Mars und Erde ganz bedeutend beeinflussen. Daraus folgte, daß, wenn ein den Gesetzen der Anziehungskraft unterworfener Körper, wie ihn beispielsweise der Weltensegler darstellte, in den Bereich dieser Anziehung gelangte, er in dem Maße vom Mars angezogen wurde, als er ihm näher stand als der Erde.
Von der Erde war nun der Weltensegler jetzt genau – nach Passage der Mondbahn – 386492 Kilometer entfernt. Es konnte daher keinem Zweifel unterliegen, daß der Weltensegler bereits unter der Anziehungskraft des Mars stand, die Stillersche Rechnung somit stimmte, denn das Luftschiff flog mit gleichmäßiger Geschwindigkeit und in derselben steten östlichen Richtung weiter. Die anfänglich gefürchtete Einwirkung der Anziehungskraft der Sonne konnte nun endgültig ausgeschaltet werden. Der Weltensegler befand sich auf dem richtigen und unmittelbaren Wege zu seinem Ziele.
Schon längst war es wieder dunkle Nacht außerhalb der Gondel, und die furchtbare Kälte des Weltraumes umgab den Ballon. Trotz des hermetischen Abschlusses und der dicken Pelzlager der Gondel vermochten sich die Reisenden gegen die Kälte nur durch elektrische Beleuchtung und Heizung zu schützen.
Ein Tag verging so nach dem andern. Aus der ersten Woche wurde die zweite, aus der zweiten die dritte, aus der dritten die vierte, und noch immer wollte der Flug des Weltenseglers kein Ende nehmen.
Eines Tages – es war in der vierten Woche der Reise – begann die Stille des Gondelinnern ein eigenartiges Geräusch zu unterbrechen.
„Was ist denn los?“ fragten die Gelehrten erstaunt Professor Stiller.
„Ich kann es mir nicht erklären,“ entgegnete dieser. „Weder unsere Uhren noch der Geschwindigkeitsmesser können die Ursache dieses auffallenden Rasselns sein. Und doch muß diese hier innen zu suchen sein, da der Weltäther bekanntlich keine Schallwellen vermittelt.“
Während Herr Stiller so sprach, forschte er nach der Ursache des sich mehr und mehr verstärkenden Lärmes.
„Ich kann wirklich nichts finden. Alle unsere Apparate für Luft und elektrische Kraft sind in Ordnung und funktionieren ruhig und tadellos. Aber halt, da fällt mir ein, es ist ja die Luft in unserer Gondel selbst, die den Schall überträgt, dessen Ursache draußen im Weltenraume liegen muß.“
„Dann ist es vielleicht irgendein Weltkörper, in dessen Nähe wir gelangt sind,“ warf Professor Hämmerle besorgt ein.