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2.2.5.3 Förderung des liturgischen Lebens durch die Pastoralliturgik
ОглавлениеDer Begriff »Pastoralliturgik« wurde in den zwanziger Jahren des 20. Jahrhunderts geprägt; Athanasius Wintersig (1900–1942) bezeichnet mit ihm einen Zweig der Liturgiewissenschaft, der sich mit der seelsorglichen Bedeutung der Liturgie befassen soll.
»Neben den Fragen: ›Wie wurde sie?‹ und ›Was bedeutet sie jetzt?‹ erhebt sich bei der allseitigen Behandlung der Liturgie die Frage: ›Ist sie von praktischer Bedeutung für die Seelsorge, von welcher Bedeutung?‹ und ›Wie kann ich die in der kultischen Richtigkeit der Liturgie liegende Verpflichtung durch die Seelsorge erfüllen?‹« (Wintersig/271: 157).
Als Voraussetzung der Pastoralliturgik betrachtet er Geschichtsforschung und Theologie der Liturgie; jedoch sollen alle drei Arbeitsfelder der Liturgiewissenschaft gleichberechtigt nebeneinander stehen. Aufgabe der Pastoralliturgik ist nach Wintersig die Lehre, Übung und Förderung des liturgischen Lebens der Gemeinde in seiner idealen Form (Wintersig/271; dazu Jeggle-Merz/196). Allerdings soll auch dabei die theologische Deutung im Vordergrund stehen, weil es nach Wintersig letztlich um die Liturgie feiernde Kirche geht, die zum Heil des Menschen wirkt. Gefragt wird nach der Liturgie und den Bezügen zum Gemeindeleben (Allgemeine Pastoralliturgik) sowie nach einzelnen Formen und Vollzügen (Besondere Pastoralliturgik).
»Das Ziel des Weges ist eine systematische Darstellung des Bestandes und der Forderungen für ein wirklich der Liturgie als geltender Kultnorm entsprechendes religiöses Gemeindeleben und eine begründete Anleitung, diese Forderungen in den verschiedensten Verhältnissen dem Wesen der Liturgie und der Seelsorge gemäß zu erfüllen« (Wintersig/271: 159).
Schon im Entwurf Wintersigs zu dieser Dimension des Faches zeigt sich der Anspruch auf Interdisziplinarität: Philosophie, Psychologie und Sozialwissenschaften sollen miteinbezogen sein. Bemerkenswert ist zudem, dass Wintersig neben exakter wissenschaftlicher Reflexion auch das Miterleben und Üben des Gottesdienstes als Methoden pastoralliturgischer Arbeit nennt:
»Der Wert der Pastoralliturgik ergibt sich aus dem Wert der Liturgie. Christi Sendung ist die eines Priesterkönigs, der als solcher auch Prophet und Lehrer ist. In dieser seiner Eigenschaft als Priesterkönig liegen seine Ämter und Würden beschlossen. Die Liturgie als das hohepriesterliche Fortleben Christi in der Kirche, das heilige Mysterium, ist daher der wahre Mittelpunkt des religiösen Lebens der Gläubigengemeinde« (Wintersig/271: 166).
Die Pastoralliturgik hat sich als äußerst ergiebiges Arbeitsfeld erwiesen; vor allem wegen der neuen Anforderungen an die Liturgiewissenschaft nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil konnte sie sich in neuer Richtung weiterentwickeln. Liturgiewissenschaft, die in praktisch-theologischer Absicht arbeitet, versteht sich heute nicht mehr als Anleitung für die Praxis. Sie kann sich nicht alleine auf Hochformen des Gottesdienstes wie die Liturgien der Sakramente konzentrieren, sondern muss Feiern aus dem christlichen Glauben und christlichreligiöse Rituale im weiteren Sinne in den Blick nehmen. Unterschiedliche Felder christlichen Glaubens, auch jenseits der traditionellen Gemeinde, und ihre gottesdienstliche Praxis sind Untersuchungsgegenstand. Die Aufgabe ist die theologische Reflexion gottesdienstlicher Praxis in ihrer ganzen Vielfalt. Dabei sind insbesondere die Gegenwartsrelevanz der Artikulation des Gottesglaubens in Inhalt und Form sowie neue rituell-liturgische Vollzüge des Glaubens in der Gegenwart zu bedenken. Dies muss mit Blick auf ein gesellschaftliches Umfeld geschehen, in dem die Gottesfrage nicht mehr selbstverständlich ist. Für diese praktisch-theologische Arbeit ist die Liturgiewissenschaft auf die Zusammenarbeit mit anderen Fächern der Praktischen Theologie, ihre Untersuchungsparadigmen und Methoden, aber ebenso beispielsweise auf eine Systematische Theologie angewiesen, die sich mit heutigen Artikulationen der Frage nach Gott sowie deren Nichtexistenz beschäftigt. Liturgiewissenschaft dient in dieser Weise nicht der Affirmation bestehender kirchlicher Praxis, sondern insbesondere einer Kritik, die zu theologisch-praktischen Kriteriologien für Liturgien in der Spätmoderne beitragen kann.